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1. Beilage zum „Riesaer Tageblatt". K-teü-Xdruck »ck »aiag von Lauge* » »tuterlt» w «iesa. — Uü» dd «edaktton v«tu,ch>«w«<hr -ermann Schmidt w Mesa. 181. LouuaSeud, 7. Au,«ft 1909, «»«>>»«. SS. Acht«. MUtelstaud und Landtagswahl. Ries-, 7. August. Man berichtet u«S: Am gestrigen Abend hielten die Messer LertrauenS- mLnner der Mittelstands-Bereinigung im Königreich Dachsen im Hotel „Kronprinz" eine Versammlung ab, um zur Landtagswahl im 8. städtischen Wahlkreise Stellung zu nehmen. Der Besuch war ein sehr guter. Aast alle hiesigen mittelständischen Korporationen hat ten Vertreter entsandt. Herr Generalsekretär Ludwig Fahrenbach auS Leipzig gab zunächst ein anschauliches Bild von dem gegenwärtigen Stande der Mittelstandsbewegung in Dachten und im Reiche. Ueberall geht es vorwärts. Im Königreich Sachsen habe die Mittelstands-Bereinigung eine Stärke erreicht, die man voch vor wenigen Jahren sür unmöglich gehalten habe. Gegenwärtig seien der Mittelstands-Bereinigung ungefähr 600 Korporationen mit bemahe 150000 Mitgliedern angeschlossen. Zur LaindtagSSahl übergehend bemerkte Redner, daß der Mittelstand alles aufbieten müsse, um die mittel- standSseindliche Richtung, die sich schon seit Jahr zehnten in unserem öffentlichen Leben überall bemerk bar mache, zu bekämpfen. Der Einfluß des bisher leider zersplitterten Mittelstandes in den Parlamenten sei kaum nennenswert gewesen. Deshalb sei unsere Gesetzgebung, soweit sie Handel und Gewerbe und die Verteilung der Steuerlasten betreffe, jene» Ständen günstig, die durch starke Organisationen sich rechtzeitig Macht und Ein fluß zu sichern verstanden hätten, so dem Großkapitale, den Industriearbeitern und den Landwirten. Dem ge werblichen Mittelstände würden die Erwerbsmöglichkeiten immer mehr eingeschränkt. Fabrik-, Arbeiter- und Be- amten-Konsumvereine schädigten Kaufleute und Hand werker gleichmäßig. Durch das Submissionswesen seien dem Handwerker tiefe Wunden geschlagen worden, ebenso würden die Kleingewerbetreibenden durch die zuneh mende Ausdehnung der Arbeiten in eigener Regie des Staates und der Gemeinden von Erwerbsgebieten aus geschlossen, die sie bisher zu aller Zufriedenheit he- arbeiteten. Gelänge es dem Mittelstände nicht, hier gründlichen Wandel herbeizuführen, dann müsse es un rettbar mit ihm bergab gehen. Es gewinne aber den Anschein, als ob durch die MittelstandsbeWegunF bes- scre Verhältnisse angebahnt würden. In Sachsen habe die Mittelstands-Vereinigung' in allen städtischen Wahl kreisen eingegriffen. Die Unterstützung des Mittelstandes fänden nur die Kandidaten, die erklärten, im Land tage dec von der Mittelstands-Vereinigung geplanten „Wirtschaftlichen Vereinigung" mit beizutreten und in wirtschaftlichen Fragen mit ihr zu stimmen. Die Mittel stands-Vereinigung war zur Gründung dieser parla- mentarischen Gruppe gezwungen, weil mehrere liberale Abgeordnete ihr vor der Wahl dem Mittelstände ge gebenes Versprechen bei Beratung dec Umsatzsteuer nicht gehalten haben. Man müsse dafür sorgen, daß im Land tage die wirtschaftlichen Forderungen des Mittelstandes nicht nach überflüssigen politischen Parteiprogrammen, sondern nach den tatsächlichen Bedürfnissen des Mittel standes selbst beurteilt werden. Redner ging sodann des Näheren auf das von der Mittelstands-Bereinigung aufgestellte Programm ein, daß dis von allen Gruppen des gewerblichen und beamteten Mittelstandes erhobenen Forderungen zum ersten Male prägnant zusammenfasse und bet der Wahlbewegung in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rücke. Tatsächlich sei es der Mittelstands-Bereinigung ge lungen, die widerlichen Parteizänkereien hinter die viel wichtigeren Mittelstands-Interessen zurückzudrängen. Tie Aussichten der Mittelstandes sind nach Ansicht des Herrn Fahrenbach für den Mittelstand augenblick lich so günstig, wie noch nie zuvor, weil durch das neue Wahlgesetz dem Mittelstände — und besonders dem gewerblichen — in der Mehrzahl der städtischen Wahl kreise, sowie in verschiedenen ländlichen Kreisen eine entscheidende Rolle zufall«. Die gewerbliche Mittel standsgruppe sei in allen Städten gegenüber der Sozial demokratie die weitaus stärkste Wählergruppe. Liese günstige Situation müsse der Mittelstand aus nützen und deshalb heiße er jetzt für ihn: Alle Mann auf die Schanzen I Der Angehörige des Mittelstandes, der heute diesem Rufe nicht folge und die Reihen der Mittelstandskämpfer nicht verstärke, versündige sich schwer an der Zukunft des Mittelstandes. Gott sei dank seien aber von der Leitung der Mittelstands-Bereinigung' Klagen nach dieser Richtung nur in ganz vereinzelten Fällen zu erheben. Wörtlich führte Redner hierzu Ms: „BiS jetzt haben in fast allen Wahlkreisen, in denen der Mittelstand selbständig vorgeht, die Innungen, kaufmännischen Vereine, Hausbesitzer-Vereine,- Gewerbe- Vereine usw. sich ohne Ausnahme auf den Boden der Mittelstands-Vereinigung gestellt. Alle Angriffe der mit dieser Entwickelung nicht einverstandenen Parteien gegen die Mittelstands-Vereinigung haben daran nichts ändern können, weil die weiten Bürgerkreise, die da durch gewonnen werden sollten, diese An feindungen als gegen sich selbst gerichtet! änsehcn mußten, da sie doch selbst in den frag lichen Wahlkreisen die Mittelstands-Bereinigung bilden und selbst über deren Tun und Lassen bestimmen. Zwei fellos gehen die Massen des Mittelstandes mit großer Begeisterung in den Kämpf; widerstrebende Elemente werden von der allgemeinen Strömung mit fortzerissen und die Li/uen und Gleichgültigen werden aufgerüttelt. Die wenigen Handwerker und Kaufleute, die ihre Namen noch zum Kampfe gegen die Kandidaten des Mittelstandes hergcben, sind derart vereinsamt und sinken derart in der Achtung ihres Standesgenossen, daß sie sicherlich früher oder später bestrebt sein werden, sich nicht mehr in einen unnötigen Gegensatz zu den Anschauungen ihres Berufsstandes zu Hetzen. Aber auch die Beamten, An gestellten, Werkmeister, vielfach auch die Lehrer fühlen sich in den mittleren Und kleinen Städten derart mit dem Mittelstände verwachsen, daß sie ein Zusammengehen mit ihm als ganz selbstverständlich ansehen. Sie wür den es gar nicht verstehen, wenn man sie in einen Kampf gegen das mittelständische Bürgertum hinein hetzen wollte. Deshalb steht es in allen städtischen Wahlkreisen gut um die Sache des Mittelstandes." Uebcrgehend zu den Verhältnissen unseres Wahl kreises teilte Herr Fahrenbach mit, daß der bisherige Abgeordnete, Herr Bürgermeister Dr. Seetzen-Wurzen, sich vorzüglich bewährt habe. Er habe dem Wahl aufrufe der Mittelstands-Bereinigung in allen Punkten zugestimmt und sich zum' An schluß an die Wirtschaftliche Vereinigung verpflichtet. Er empfehle dem Riesaer Mittelstand» dringend, mit allen Kräften die Wahl des Herrn Dr. Seetzen zu unterstützen. Mehrfachen Aufforderungen entsprechend besprach Herr Fahrenbach zum Schluß noch die Stellung, die der Mittelstand zum Hansabunde cinzunehmen habe. In überzeugender Weise führte Redner an der Hand zahl- reicher Beispiele unter dem Beifalle der Anwesenden den Nachweis, daß wegen seiner vielen inneren gegensätzlichen Interessen der Hansabund auf wirtschaftlichem Gebiete zu positiver Tätigkeit unfähig sei. Immer mehr stelle sich heraus, daß wieder einmal ein großer Aufwand nutz, los vertan sei. Für den Mittelstand sei vom Hansabund nicht das Geringste zu erhoffen. Im Gegenteil sei eher zu befürchten, daß es sich hier um einen neuen Versuch har dele, den Mittelstand im Interesse des Großkapitals zu mißbrauchen. Diese Erwägungen hätten die sächsischen Gewerbekammern und alle maßgebenden mittelständischen Landes-Organisationen veranlaßt, den Mittelstand vor dem Eintritt in den Hansabund zu warnen. In der Debatte sprachen sich alle Redner für die Kandidatur des'Herrn Bürgermeister Dr. Seetzen aus. Um eine kräftige Agitation einleiten zu können, wurde ein örtlicher Wahl-Ausschuß von 12 Mit gliedern mit dem Rechte der Zuwahl gebildet. Tagesgeschichte. Der verkauf von Lebensmittel« «vd GebrauchSgegenftSuden wird durch dar mit dem 1. Oktober d. I. in Kraft tretende Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb teilweise neu ge regelt. Die Waren müssen nach Ursprung und Herstellung«, art genau bezeichnet werden; Margarine z. B. darf nicht al» Butter, eine Flunder nicht als Rotzunge, Petroleum nicht al» Salonöl verkauft werden. Such über die Menge der zum Verkauf gestellten Ware dürfen unwahre Angaben nicht gemacht werden. Heute kommt es vor, daß 10000 Flaschen CHSteau Larose al» Lockmittel auSgeboten werden zum Preise von 1,10 M. pro Flasche, während der Kauf mann höchstens 1000 Flaschen auf Lager hat und der „französische Rotwein- tatsächlich ein Kunstprodukt ist. Auch größere Häuser preisen mitunter Ausverkäufe an, in denen angeblich 5000 preiswerte Sommerblusen unter Preis verkauft werden sollen, während vielleicht nur 500 zurückgesetzte Blusen auf Lager sind. In Zukunft sind solche unrichtige Angaben nicht mehr zulässig. Nach dem neuen Gesetz müssen vielmehr auch die Mitteilungen über Größe der Waren, Inhalt der Warenbehältnisse u. a. m. genau mit den wirklichen Maßen übereinstimmen. So muß das 5 Pfund-Brot auch 5 Pfund wiegen und der viersyphon muß so viel Liter enthalten, als er angtbt. Schließlich macht das neue Gesetz Front gegen Schwindel- auSverkäufe. Bisher wurden häufig sogenannte Konkurs ausverkäufe veranstaltet, die monatelang dauerten und bei denen fehlende Waren stet» aus den Fabriken erneuert wurden. Die wirklichen KonkurSwaren wurden häufig schon in den ersten Tagen verkauft. In Zukunft sind solche SchwindelauSoerkäufe verboten. Bei Ausverkäufen ist der Anlaß des Ausverkaufs anzugeben und bet Kon- kurSauSoerkäufen ist ein Warenverzeichnis der Behörde «inzureichen; da» Rachschieben von Waren ist strafbar. Da« gleiche gilt bei Ausverkäufen anläßlich der Geschäft«. Ausschank: — Gff. — Solide Bedienung. » L—N LStNsr'L Mltorei mS Lsst A MMGWGGG GHGGGGWdU d EAe Schloss «. Goethkstr. von bekannter Güte. Fehrbellin Historische Erzählung von Kart Kühn«. 1 (Nachdruck vrrboten) ES Var eirk ttüb'/c, kühler Winterabend. Schnee Seckte bis Landschaft ringsum, doch er begann bereits unter dem Hauch des stürmischen Westwindes, der heulend über die weite Ebene fuhr, sich in schmutziges Grau und fahles Gelb zu verwandeln, und tiefe Wasserlachen standen in den ausgefahvenen Geleisen des breiten Fahrweges, der, van alten Weidenstämmen eingefaßt, an dem weiten Havel ländischen Luch hinführte. Auf dem Wege trabten Mei Reiter heran ; der vordere auf einem großen, derbkwochigen Rotschimmel war eine schlanke, vornehme Gestalt, ein breitkrempiger Hut deckte die hohe Stirn, und aus dem feinen, klugen Gesicht blickten die Augen groß und klar hervor. Der zweite Reiter, der in einiger Entfernung folgte, war der Reitknecht des Herrn, ein stämmiger, breitschultriger Mann, mit mar tialischem Schnurrbart und buschigen Brauen, die trotz ihres grimmigen Ansehen» «ine gewisse Gutmütigkeit ihres Besitzers nicht verbergen konnten. Ter Abend sank tiefer, unheimlich vagten die alten Weidenstämme in den dunkelen Nachthimmel, der Schnee begann unter den schnellen Hufen zu knirschen, und die Lachen bedeckten sich mit blankem Eise, gefährlich« Stellen für den ReiterSmann, der sein Roß nicht fest jm Zügel zu halten wußte. Die beiden ließen di« schnaubenden Pferde in Schritt fallen. „Ein schlechter Weg nach Ribbecki" murrte der cht, „und länger al» ihn auf dl« Dauer die längsten cdebeine aushalten können." Der junge Herr wandte M lachend tm Sattel. „Bis jetzt haben sie'» ja noch immer ertragen, Alters ver setzte er. „Ter Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht!" entgegnete der Diener philosophisch, „und warum ist diese Reiterei bei Nacht und Nebel? Um ein stolzes Fräulein, der wir womöglich noch nicht gut genug sind. Pah! Als wenn der Sohn vom Geheimen Kabinettsrat Weipvecht nicht ganz andere Partieen in Berlin machen könnte, und es den Teufel nötig hätte, hier Pferdebeine abzuschinden, um solche — solche —" der Rest verlor sich in dem struppi gen, grauen Schnurrbart. lieber das freundliche Gesicht des jungen Mannes zog ein Schatten. „Jürgen!" sagte er drohend. „Nichts für ungut," brummt« der Alt«, „alles mit dem schuldigen Respekt. Aber —»ich diene schon an dreißig Jahre eure« Familie, Herr Doktor!" „Laß gut sein," erwiderte er, „ich weiß." Da tauchten dunkle Strohdächer auf, und wie ein Glühwürmchen leuchtete hier und da ein erhelltes Fenster herüber, während der Wind behagliches Brüllen des BiehS und da» gleichmäßige Knarren her Kette des Ziehbrun nen» herübertrug. Erwin Weiprecht gab seinem Schimmel die Schenkel, und bald waren die niederen Fachwerkkaten des Torfes erreicht. Ter Weg bog links ab, die Hufe der Pferde don- nerten über eine kleine Brücke, und durch ein wappen geschmücktes Hoftor ging es über einen größeren Wirt schaftshof auf das stattliche Schloß zu. ES mußte einst ein stolzer Bau gewesen sein mit präch tiger Front, doch der ganze rechte Flügel lag in Schutt und Asche, eine Erinnerung an den dreißigjährigen Krieg, dessen Wunden die wenigen Jahrzehnte, die seit dem Westfälischen Frieden vergangen nicht hatten heilen können. . . Desto freundlicher sah dagegen der stehen gebliebene Teil de» Schlosse» aus« Elends als jetzt die eilenbeschla gene Tür sich öffnete, und in den erleuchteten Türrahmet ein schmuckes Mädchen, eine große Latexüe in der Hand trat. Erwin War abgesessen und folgte der freundlich^ Dienerin in der Vorhall«, deren Wände Hirschgeweihe, auSgestopfte Falken und Habichte und schöne Waffen, Vor der schweren Saufeder bis zur zierlichen Windbüchss schmümen. Ter junge Mann legt« Hut Und Degen ab und betrai das Wohnzimmer; es war «in trauliches Gemach, schwer« eichene Möbel füllten den Raum, dunkle Vorhänge u«d Teppich«, und in dem mächtigen grünen Ofen prasselte ein Helles Feuer. Am Tisch beim Scheine des vielarmigen Leuchters saß. über ein Buch gebeugt, der Hausherr, eine vornehme Gestalt, ein feines, liebenswürdiges Gesicht mit langem, grauem Schnurrbart, und HenrKQuattr«; das leicht er graut« Haar hing ihm kraus in die Stirn, und am Ring finger der linken Hand blitzte ein mächtiger Siegelring, geschmückt mit dem Familienwappen derer von Rhyn. „Ach, willkommen Herr Doktor!" sagt« er freundlich, aufstehend und dem jungen Manne di- Hand bietend. „Ich freue mich, wieder einmal mit einem Manne von Bil dung debattieren zu könnend Erwin hatte als Sohn eine» hohen Staatsbeamten in Marburg und Löwen, der damals hochberühmten hol ländischen Universität, studiert und den Doktorhut errun gen. Tie mißliche Lage, in die seine Familie nach dem Tode des Vaters geraten, namentlich einige Prozesse", die um das vom Batet erworbene Gut Klein-Btuchnow schweb ten, hatten ihn gezwungen, den Staatsdienst zu verlassen und sich der Bewirtschaftung dieses Gutes, da» unweit Rtb- beck gelegen war, zu widmen.