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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000308026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900030802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900030802
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-03
- Tag 1900-03-08
-
Monat
1900-03
-
Jahr
1900
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Di, Morgnr-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, hie Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Ne-action und Expedition: JobanuiSgassc 8. Dir Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Klemm'» Sortim. UoiversitätSstrabe 3 (Paulinum„ LauiS Lösche, DaHarinenffr. In. Part, und Königsplctz7 BezugS-PretS der Hauptexpedition oder den im Stadt- »tttrk und den Vororten errichteten AuS- ^bestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, «i »wetmaliger täglicher Zustellung in» vau» KLO. Durch dir Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung tu» Ausland: monatlich 7.Ü0. Abend-Ausgabe. KiMcr TaMM Anzeiger. Ämtolikatt des Königlichen Land- und Äintsgerichtes Leipzig, des Nathes und Volizei-Änites der Ltadt Leipzig. ArrzeigeN'Prei- > die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demRrdactionsstrich (4-- spalten) 50^, vor den Aamilirnnachrichtra (6 gespalten) 40/^. Erobere Schristen laut unserem Preis- verzeichn iß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Poftbesörderung 60.—, mit Poftbesörderung 70.—. ^nnahmeschlnß sür Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. „ Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. it Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 123. Donnerstag den 8. März 1900. 94. Jahrgang.- Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. März. Wenn die Bänke des Reichstags bei der heute beginnenden zweiten Verathung deS FleischbesckaugesetzcS nicht besser besetzt find, als sie in den letzten Tagen und auch gestern wieder besetzt waren, so wird man sich in solchen Wahl kreisen. deren Vertreter am häufigsten zur Beschlußunfähigkeit des Reichstags und all ihren Folgen beitragen, ernstlich fragen müssen, ob eS nicht ihre Pflicht sei, diesen Herrn „jBertretern" rin Mißtrauensvotum in aller Form zu ertheilen. Gestern freilich war die Tagesordnung nicht gerade sehr anziehend. Der eine Gegenstand, eine Petition, betr. die Zulassung der Frauen zur Immatrikulation auf den Universitäten und zu den Staatsprüfungen, gehörte eigentlich gar nicht vor den Reichstag. Zwar suchte der Äbg. Schrader die Competenz dieser Körperschaft zur Be- handlunb der Petition dadurch zu retten, daß er vorschlug, sie dem Reichskanzler mit dem Ersuchen zu überweisen, eine Vereinbarung der verbündeten Regierungen herbeizusübrcn, nach welcher diejenigen Frauen zum Besuche der sämmtlichen Vorlesungen an deutschen Universitäten zu- zulafsen sind, welche die in dem Beschlüsse des BundeSrathS vom 24. April 1899 verlangte Vorbildung nachweisen. Da aber nicht der Reichskanzler als solcher, sondern nur al- preußischer Ministerpräsident befugt ist, der artige Vereinbarungen der verbündeten Negierungen herbei zuführen, so hätte die Petition an das preußische Abgeordneten haus gerichtet und in diesem besprochen werden müssen. In die Besprechung des Antrags Schrader griff denn auch kein Mitglied des BundeSralbS ein. Ta er nach Vorschlag der Petittonscommission durch Uebergang zurTagesordnung erledigt wurde und die Urheberin der Petition sich dabei nicht beruhigen wird, so dürfte er über kurz oder lang im preußischen Ab geordnetenhause wieder auftauchen, wobin er gehört. Eine andere Petition, betr. Wiedereinführung der Prügel strafe, gehörte allerdings vor den Reichstag, aber ihre Prüfung ist verfrüht, so lange wir noch auf eine durch greifende Reform deS Strafvollzugs überhaupt zu warten haben. So lange eS möglich ist, daß jugendliche Verbrecher — und um diese handelt eS sich bei der Frage der Wiedereinführung der Prügelstrafe doch in erster Linie — durch ungeeignete Strafen verschlechtert statt gebessert werden, so lange kann man auch nicht daran denken, solche Verbrecher für Brutalitäten zu hauen, an denen die Art der an ihnen vollzogenen Strafe den erheblichsten Schuldantheil hat. Jedenfalls wird die Petition, mag sie nun nach einem Anträge deS Abg. Oertel dem Reichs kanzler als Material überwiesen, oder nach dem Vorschläge der Petltionscommlssion durch Uebergang zur Tagesordnung er ledigt werden, geringen oder keinen Einfluß auf den Gang der Gesetzgebung haben, weil sie aus einer Kette ein Glied herauSgreift, das für sich allein nicht umgestaltet werden kann. Von einer andern Anregung dagegen, die gestern gegeben wurde, erhoffen wir günstigen Erfolg. Es bandelte sich um die Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Schutzgebiete von Ostafrika, Kamerun-und Togo auS verschiedenen Jahren. Dabei kam es zu einer Erörterung über Vie Etatsüberschreitungen in den Colonien und die recht langsame Berichterstattung darüber. Der Ab geordnete Professor vr. Hasse rügte als Vorsitzender der RechnunzScommission diese Mängel sehr energisch und erklärte, daß e- so nicht weitergehcn könne. Vom BundeSrathSttsche wurde darauf versprochen, daß alle erdenklicken Vorkehrungen getroffen werden sollten, damit solcke ElatSüberschreitungei sich nicht wiederholen und die Berichte rechtzeitig erstattet werden. Die „Freisinnige Ztg." unterrichtet ihre Leser an hervorragender Stelle über die „gewaltige" Krtegskosten- rechnuug, die Anfang dieser Woche dem englischen Unter hause präsentirt worben ist. Die „Freisinn. Ztg." thäte gut, die Nutzanwendung hieraus auf die deutsche Flott en- Vorlage zu machen. Schon jetzt beläuft sich das englische Deficit infolge des Krieges auf fast eine halbe Milliarde Mark. Und das in dem Feldzuge gegen einen Staat, der gar keine Flotte besitzt, mitbin dem englischen Handel und der englischen Industrie keine Wunden zur See schlagen konnte. Wie sehr würden sich die Kriegslasten für das englische Volk erböhen, wenn die Boeren auch seekrästige Gegner wären! Vielleicht beschäftigt sich die „Freis. Ztg." in einer ernsthaften Berechnung mit der Frage, ob die Versicherungsprämie, die Deutschland nach der Floltenvorlage für die Wahrung des Friedens und zum Schutze von Handel und Industrie zahlen soll, nicht verhältnißmäßig gering ist im Vergleich mit den Opfern, die ein Krieg auferlegen kann? Eine für die bevorstehenden Verhandlungen über die Erneuerung der Handelsverträge nicht unwichtige Mit- theilung hat das österreichische Generalkonsulat in Berlin nach Wien gemacht. In dem neuesten amtlichen Bericht heißt eS: „Die im Reichsamte deS Innern bearbeitete Druckschrift soll alle Anträge auf Zolländerungen enthalten, die im Laufe der Jahre gestellt wurden. Als Zollsätze sollen nicht die Vertragssätze, sondern die des allgemeinen Tarifs eingestellt sein, so daß, falls BundeSrath und Reichstag nicht anders beschließen, von selbst auf Grundlage eines Ge- treivezolles von 5 verhanvelt werden müßte." DaS, waS hier von dem österreichischen Generalkonsulate be sonders in Bezug auf die Getreidezölle hervorgehoben wird, gilt natürlich für alle Zollsätze, welche in den Handelverträgen eine Ermäßigung gegenüber dem allgemeinen brutschen Zolltarif erfahren haben, und es versteht sich von selbst, daß die Verhandlungen über den künftigen Vertrags tarif einen ganz anderen Charakter annehmen, wenn aus Grund der hoben Positionen deS allgemeinen Tarifs, als wenn auf Grund der niedrigeren Sätze des Vertragstarifs verhandelt wird. WaS die für den neuen Zolltarif aus gearbeitete „neue Anordnung deS deutschen Zolltarifs" an belangt, so sagt der Bericht deS österreichischen General konsulats darüber: „Der im neuen Sckema zur Geltung gebrachten möglichsten Specialisirung der Waaren liegt wobl zunächst der Gedanke zu Grunde, jene Artikel, die durch die ausländische Con^urrenz besonders bedroht sind und denen man einen auSgiebigeren Tarissckutz als bisher an- gedeiben zu lassen gedenkt, aus der Sammelposilion, in der sie sich zur Zeit befinden, zu befreien und ihnen eine besondere Rubrik einzuräumen, damit sie dann den ihnen zugedackten Zollschutz, wenn eS sich um die Bemessung der Tarifsätze bandelt, auch erhalten können." Danach scheint es, als sei man österreichischerseitS vollständig darauf vorbereitet, daß Deutsch land bei den bevorstehenden Verhandlungen über die neuen Handelsverträge nicht daran denkt, weitere Zugeständnisse gegenüber dem allgemeinen Tarif zu macken, sondern im Gegentheil Erhöhungen der Zollsätze verlangen wird. Der Schutz der Arbeitswilligen hat in England soeben einen bedeutsamen moralischen Erfolg davongetragen, indem anläßlich eines Specialfalles, wo tradeuniouistiscke, auf Streikposten stehende Genossen wegen brulaler Vergewaltigung eines arbeitswilligen Collegen gerichtlich verurtheilt Waren, der an das Haus der LordS gerichtete Appell noch in letzter Stunde von der verurtheilten Partei als aussichtslos zurück gezogen wurde. Damit ist also zugegeben, daß die Gerichts praxis, wie sie jetzt angewendet wird, zu Recht das bloße Streikpostenstehen an sich schon für eine Zuwiderhandlung gegen das staatsbürgerliche Princip der individuellen ArbeitS- freiheit erklärt und als solche bestraft. Nach der Entscheidung des in Rede stehenden Specialfalles dürfen streikende Arbeiter, wenn sie sich nicht straffällig machen wollen, keine Fabrik, Werk statt oder sonstiges Etablissement überwachen oder gar sperren zu dem Zweck, Arbeitswillige durch Ueberredung von der Arbeit abzubailcn. Das Urtheil des Appellgerichtshofes bildet eine große Enttäuschung für alle socialdemokratischen Trade- unions; dasselbe Urtheil, sowie die sehr wider Willen der sccialdemokratischcn Hetzer und nur in der Erkenntniß ihrer völligen Aussichtslosigkeit erfolgte Zurückziehung der beim Oberbause angemeldcten Revision aber werben in allen den Kreisen der Arbeitgeber und der soliden Arbeiter mit Freuden begrüßt, welche mit Sckrecken das Ueberdandnehmen des socialdemokratischen Slreikterrorismus beobachtet resp. am eigenen Leibe zu fühlen bekommen hatten. lieber das Thronfolge-Edikt der Kaiserin-Mutter von China wird uns aus Shanghai, 3l. Januar, von unserem ständigen Herrn Mitarbeiter geschrieben: DaS Edikt, das die große Uederraschung der letzten Tage des gestern zu Ende gegangenen chinesischen Iabres bildete, bietet zu den sensatio nellen Combinationen,die die englische Presse Chinas und auch ein Tbeil der chinesischen Presse in Shanghai daran knüpft, keine Veranlassung. Es besagt lediglich, daß die Kaiserin-Wiltwe auf Bitten des Kaisers einen Prinzen bestimmt hat, der dem Kaiser Tung-ckih als Sohn adoptirt werden soll. Zum Verständniß des Erlasses ist Folgendes zu bemerken: Tung-chih, der im Jahre 1875 im jugendlichen Alter gestorben ist, hatte nämlich keinen Sodn hinterlassen. Nach chinesischen Begriffen wäre eS das Einfachste ge wesen, daß ihm nachträglich der nächstberechligte Prinz adoptirt worden wäre; aber das Gesetz verlangt, daß der zu adoptirende Sohn einer jüngeren Generation angeböre, als der adoptirende. Nun gab es aber, als Tung- chih starb, keine jüngere Generation. Kuang-Hsü, der damals zum Nachfolger Tung-chibs bestimmt wurde, war ein Vetter oeS Letzteren. Er konnte aus diesem Grunde nicht zum Adoptivsohn Tung-chibS gemacht werden; er wurde viel mehr dem Vater Tung-chih'S, dem früheren Kaiser Hsien-svng, adoptirt, so daß er ein Avoptivbruder seines Vorgängers Tung-chih war. Diese Art des Erhaltes deS Thrones für die Dynastie war aber durchaus nicht im Sinne der Tradition. Um die späteren Kaiser legitim zu macken, sollte Kuang-hsüS etwaiger Sohn nachträglich dem Tung-chih adoptirt werden. Das wurde in demselben Edikt vom 13. Januar 1875 bereits festgelegt, durch das Kuang-Hsü zum Kaiser bestimmt wurde. Nun aber hat Kuang-Hsü keinen Sohn und es ist bei seinem leidenden Gesundheits zustand ausgeschlossen, daß ihm ein solcher noch geboren wird. AuS diesem Grunde hat nun der Kaiser Kuang-Hsü die Regentin ersucht, die Wahl eine« „SohncS Tung-chibs" nicht Weiler hinauszuschieben, und diesem Wunsche ist die Kaiserin- Wiltwe nachgckommen. Von einem neuen Staatsstreich kann daher vor der Hand nicht die Rede sein. Auf de* anderen Seite soll nicht verkannt werden, daß durch di* Ernennung Pn-chünS, eines neunjährigen Knabe»> zum Sohn Tung - cbihs ein Rücktritt Kuang - hsü» formell erheblich ersticktet wird. Index besteht ja in ernsten politischen Kreisen schon lange kein Zweifel mehr darüber, daß Kuang-Hsü als selbstständiger Herrscher überhaupt nickt mehr in Betracht kommt. Es muß dahrx im höchsten Grade überraschen, wenn die jüngsten Ereignisse von der englischen Presse Shanghai» dazu benutzt werden, die gehässigsten Angriffe gegen die Kaiserin-Wittwe zu richten. Ein that- sächlicher Wechsel an der leitenden Stelle in Peking würde Niemandem Vortheil bringen. Unter der sehr starken Hand der Regentin haben sich in den letzten Monaten die Dinge so geregelt, daß auch im Geschästsleben bas Vertrauen wieder- zukommen anfängt. Eine ruhige Weiterentwickelung der Verhältnisse wird jedenfalls nur dazu beitragen können, daß Handel und Wandel wieder ausblühen. In den Kreisen der Kaufmannschaft hat man allgemein jetzt Vertrauen zur Kaiserin-Wittwe und man ist deshalb über die Vorgänge in Peking durchaus nicht erregt. Im Gegentheil. man sieht in ihnen eine Gewähr, daß nach wie vor eine starke Hand die Zügel der Regierung führen wird. Der Krieg in Südafrika. —t>. Lord Roberts hat wieder von sich hören lassen. Der erste Kampf am Modderflnffe bat stattgefunden und ist nach englischer Darstellung siegreich für die britischen Truppen gewesen. Wir machten schon darauf aufmerksam, daß man englischerseits die Borren- stellung nördlich wie südlich vom Modder für leicht umgebbar bält, und so bat denn Roberts auch von einem, jedenfalls gänzlich aussichtslosen Frontangriff abgesehen und seine Action damit begonnen, daß er eine Cavalleriedivision um die linke Flanke der Boeren herumschickte. Urber den AuSgang de» Kampfes ist noch zu melden: * London, 7. Mürz. Lord Roberts lelegraphirts ans vSfontein vom 7. d. M. Abends: Ter Tag war sicher erfolgreich. Wir zersprengten den Feind vollständig; er ist im volle» Rückzüge begriffen. Die Stellung des Feindes war äußerst start. Ter Front» ««griff hätte schwere Verluste gehabt. Die Umgehungs bewegung holte nothwendigerweise weit aus. Ter Kamps beschränkte sich eigentlich auf die Eavallerte. Tie Pferde sind sehr erschöpft. General French be richtet, die reitende Artillerie habe eine rege Thätigkeft entwickelt. Unsere Verluste betragen etwa 50 Mann. Man wird erst weitere Nachrichten abwarten müssen, ehe man über die Tragweite deS englischen Erfolges nrtheilen kann. Höchst auffallend ist eS, daß nach Robert»' erster Depesche die Boeren auf den Flankenangriff, der ihre Verbindung mit Bloemfontein bedrohte, „ganzunvorbereitet" und völlig überrascht gewesen sein sollen. Das ist doch nicht anzunehmen, und man kann sich der Vermuthung nicht erwehren, daß der Rückzug der Boeren ein taktisches Manöver war, die englische Cavallerie- Division, die schon „weit nach Süden hatte ausbolen" müssen, noch weiter von ihrer OperationSbasiS am Mobderfluffe ab zulocken und nun ihrerseits abzuschneiden. Wäre der Tag „sicher erfolgreich" gewesen, so müßte man doch etwa- über ^rrtölleton. Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck rrrdvlcu. Zwanzigstes Capitel. Zehn Jahre etwa, bevor Gertrud Pilgrim in den Verein der Künstlerinnen in Berlin ausgenommen wurde, war derselbe — von der Noch erzeugt, vom Mitleid geboren — ins Leben ge treten. Eine junge, alleinstehende Malerin, der es nicht gelingen wollte, mit ihrer Kunst das tägliche Brod zu erwerben, hatte sich, hungernd, verlassen und hoffnungslos, das Leben genommen. Im Entsetzen über die Tragik des Großftckdtelend», dos derge stalt in nächster Nähe und doch ungekannt von Denen, die zur Hilf« fähig und bereit gewesen wären, seine Opfer fordert, hatten einige edle Fraum sich zusammengefunden. Sie wollten den leitenden und schuhenden Mtttelpunct bilden für die weibliche Kunstjüngerschaft, die häufig haltlos und unerfahren in den Wirbel der Großstadt taucht, in naiver Vertrauensseligkeit es mit ihren schwierigen Daseinsbedingungen, ihrem mörderischen Ccm« currenzkampf aufnimmt und Gesundheit, GH« und Leben in diesem gefahrvollen Hazard auf- Spiel setzt. — Anfangs be« lächelt und bespöttelt, hatte der Denin allmählich die künstle rischen Kräfte des weiblichen Berlin allesammt an sich gezogen ustd entwickelte sich in fröhlichem Gedeihen. Es gab Charakterköpfe und Originale unter den älteren Künstlerinnen. Da war vor Allem Antonie E., die Vorsteherin der Aeichenschule, die Bravheit und Tüchtigkeit selber, von ur wüchsigem Berliner Humor und goldenem Herzen. Da war Klara H., rin frommes und fröhliche» Gemüth, die auf warm empfundenen Kirchenbikdern den Heiland mit verklärtem Ange sicht und unmöglichen Gliedmaßen malte. Einige der Aeltesten, die einen glänzenden Anfang gehabt, waren bereit« von der Welle der anspruchsvoller gewordenen Zeit unbarmherzig auf den Sand gesetzt worden. Sie genossen di« Ehren, die dl« Jahre an sich einem noch immer leidlich pietätvollen Geschlecht einflößm. Unter ihren Altersgenoffinnen fand Gertrud einige, deren ernste» und tüchtige» Ttrchen ihr behagt«, und, hätte ehr Gemüth nicht so gang unter dem Banne einer tiefen sorgenvollen Neigung gestanden, so hätte es sich wahrscheinlich in Freundschaft der Einen ober Anderen zuvowanvt. Wie Vie Dinge standen, hatte sie Noth, die geselligen Abende des Verein» nicht zu versäumen und mit den Lolleginnen einigermaßen Fühlung zu gewinnen. Dis vor Kurzem hatten die wohlhabenderen unter den Vorstands damen den jungen Verein bei einfacher Bewirthung zu sich ge laden. Bei dessen raschen Wachsthum waren ihre Wohnräume für solch' unbeschränkte Gastlichkeit zu eng geworden. Man ver- sammelte sich in den gesonderten Zimmern eines Restaurants und verpflichtete sich zum Genuß eines Glases Bier und einer Butter stulle, um den Wirth für die billige Saalmiethe zu entschädigen. Ein solcher Abend wurde gewöhnlich mit einer oratvrsichen Leistung seitens eines der älteren Mitglieder eingeleitet. Der Rest ver kurzen Stunden blieb dem freien, gemütlichen Verkehre Vorbehalten. Es wurden Bekanntschaften angeknüpst und er neuert, über moderne Kunstrichtungen und neuerfundene Mal mittel gestritten und orakelt, Ausstellungssorgen und -Freuden und geschäftliche Rathschläge ausgetausckt. Die Glücklicheren nahmen mrt gebührender Bescheidenheit Lobsprüche über ausge stellte und gui gehängte oder gar verkaufte Bilder in Empfang und erquickten sich heimlich an dem heimlichen Neide der weniger Begünstigten. E» war damal» noch viel vom „Malkater" die Rede, di« zerknirschte Erkenntniß der eigenen Unzulänglichkeit, und die Nothwendigkeit strenger tünstlerrschrr Selbstzucht war Mvdestichwort geworden. — Bei dem heiteren Weihnachtsabend des Vereins spielte ein schwarze» langgeschwänzte» ausgestopftes Ungethüm als verkörperter Matkater ein« bedeutende Rolle und machte im Kreis« der lachenden, einander neckenden und leise seufzenden Lolleginnen die Runde. Im Uebrigen geberdete das Geni« sich nicht allzu wild in diesem werblichen Bunde. Einig« kleideten sich in kühnen Farben zusammenstellungen als „wandelnde Stillleben", andere ließen sich die Haare schneiden und trugen Männerhüte, Männerkragen und Shljpse, und waren stolz darauf, daß ein kurzsichtiges Auge sie aus der Entfernung mit bartlosen Jünglingen verwechseln konnte. Einige rauchten Cigaretten, andere leerten ihr Bier seidel mit männlichem Zuge. — Höher verflieg sich der Eman- cipationsdrang selten. Di« meisten waren sittenreme, ja, sitten strenge Jungfrauen, pflichttreue Gattinnen und Mütter, auf opfernde Töchter. Engvrrbundener Schwestern- und Freundinnen paart gab e» verschieden«. Die Mehrzahl der Damen war reli giös, einige streng kirchlich gesinnt. Politische Bestrebungen hatten sie nicht, betheiliaten sich aber nach Kräften an wohlthätigen Ver einen, einige auch mit lebhaftem, aber mehr platonischem Inter esse an wciblicken Reformbestrebungen. Durch Gunst und Vermittelung der Dorflandsdamen erhielt Gertrud einige Schülerinnen zuyewiesen; die Lolleginnen wußten Rath, wie man mit allerlei Kleinkunst, Porzellan- und Fächer malerei Geld verdienen könne. Gertrud sah mit Schmerz, baß es ihr für ihr« höheren künstlerischen Ziele mehr und mehr an Zeit gebrach. Sie hatte sich in das leichte decorative Genre erst Hineinzufinder, und fürchtete, Auge und Hand für den großen Zug der wahren Kunst zu verderben. Zwei Vormittage der Woche sollten dieser Vorbehalten sein. Sie hatte sich einen neuen Lehrer erwählt, der schon seit Jahren durch seine ausgestellten Werke einen stillen Einfluß auf sie ausübte. Das Atelier Wilhelm Keßler's war nicht überfüllt; er war von hitzigem Temperament und konnte unhöflich werden, wenn seine Schüler es an dem heiligen Eifer für die Kunst fehlen ließen, der ihr. selbst beseelte. Ein echtes Berliner Kind, aus einer geachteten Handwerkerfamilie stammend, besaß er auch die ganze Energie und Bewegbichkeit, den schneidigen Humor und dir unermüdliche Arbeitslust, die dieser Rasse eigen sind. Er hatte als Dekorationsmaler angefangen und sich die Mittel zu akademischen Studien erst erwerben müssen. Erstaunliche Viel seitigkeit des Könnens neben gediegener Gründlichkeit, feurige Begeisterungsfähigkeit neben unnachsichtiger Solbstkritck machten ihn zu einer scharf ausgeprägten künstlerischen Individualität, deren Werth mindestens gleicher Werse im Charakter wie im Talent beruhte. Wäre er nur nicht allzu scharfsichtig kritisch veranlagt gewesen. Hätte nicht andererseits jede fremd« be- deutenoe Leistung einen fast überwältigenden Eindruck auf ihn gemacht. Ihm fehlte die glückliche Einseitigkeit des geborenen Genies, die sichgegenalles ihm nicht Congeniale rücksichtslos ver schließt, um sich die F^iheit und Selbstherrlichkeit des eigenen Schäffens ungestört zu erhalten. Gertrud fühlte sich nicht allein von der künstlerischen Eigen art ihres Meisters angezogen, auch der Mensch flößte ihr wqrme Sympathie ein. Sein Tadel erschreckte sie nicht; sein Lob be glückte sie. Hedes seiner Worte ging wie feuriger Wein in ihre Adern. Es wvr ihr, als lebe etwas Verwandtes in ihrer Natur, das ihr für sein Denken und Sein das Verständniß er leichterte. Die Ateliertage mußten ihr Muth und Freudigkeit geben für die übrigen Wochentage, die ihre Geduld und ihren Gleichmuth mitunter auf harte Proben stellten. Han» kam zuweilen alle Tag« zu ihr, zuweilen blieb er die ganze Woche fort. Kam er, so war er abgehetzt, übellaunig, un lustig zum Sprechen. Gertrud mußte ihm abfragen, wa» ihn verstimmte. Es waren meist unbedeutende Reibungen, klein« Mihhelligkeiien in seinem Verkehr mit Verlegern und Re dactionen, Schwierigkeiten, die die Intendanz ihm bereitet«. Alles wurde durch die nervöse Reizbarkeit seiner Stimmung ins Unerträgliche verzerrt. Es war, al» träfe jede Berührung auf wunde, Übermäßig empfindliche Hautsiellen. I Wenn Gertrud mit ihrer klaren Verständigkeit, mit heikerm Spott die Sache in ihre natürlichen Grenzen zurückschob, jo erzürnte sich Hans, wurde heftig und bitter. Doch ging er nie fort, ohne der „Schwester" dankbar die Hand zu drücken und mit beredtem Blick Geduld und Verzeihung zu erbitten. Ihr war lieber, er stürmte, als daß er, wie es öfters geschah, in stummer, brütender Schwermuth neben ihr saß, und kaum mit leiser Kopfbewegung aüdeutete, daß er vernehme, wa» sie ihm aus den Begegnungen des Tages mittheilte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Niemals empfand sie eine so bnnnende, fast feindselige Eifersucht auf Irmgard, wi« in solchen Stunden, wenn sie den Freund an ihrer Seite um die Entfernte leiden fach, und ihre Ohnmacht, sie ihm zu ersetzen, mit schmerzhafter Deut lichkeit erkennen mußte. Sie sagte sich mit Bitterkeit, daß Irm gard einer solchen Liebe nicht Werth sei, daß Hans um ein selbst geschaffenes Ideal trauere. Aber was ändert« da«? — Er selber gelangte schwerlich zu dieser Einsicht. Und geschah e», so mußte dieser Umwandlung ein« gefährlich« inner« Krisi» vorhergehm, die sein ganzes Sein und Wesen bis in die Grundvesten er schüttern mochte. Dor Neujahr schickte Irmgard an Gertrud die officielle An zeige ihrer Verlobung mit Herrn Frederik Tietjen«, der al» Kom pagnon 'ihres Vaters bezeichnet ward. „Ich konnte es nicht ändern", schrieb sie mit kurzen, gleicht scnn thrcmenschweren Worten. „Meine Fahrt zu Euch hat Alles verdorben. Die Mutter hat mich wie «ine Verbrecherin behandelt, der Vater hat kein Wort gesagt, aber ich sah, daß es ihm ans Löben ging. H«rta wollte mich nicht nach Kiel mitnehmen, um nicht die Verantwortung für mich wikdes Ding zu tragen. Fred war der Einzige, der unverändert gut und freundlich blieb. Her mann ist sehr krank, er wirb den Sommer nicht erleben. Wir wechseln an seinem Lager ab. Ich habe keinen Trost al« meine Geige und allenfalls die Cabs. Aber ich darf nicht allein fahren, Fred begleitet mich. Abend» weine kch mich in Schlaf und denke an Hans. „Sag' ihm, er solle mich vergessen. Ich schreibe nicht an ihn, um ihm nicht wehe zu thun. " Si« vergessen? Diese Zeilen waren nicht danach angethan. Gertrud hatte sie ihm gern unterschlagen, aber sie wagte es nicht. * * -» > Die Aufführung von Eickstedt'S Drama „Eisen könig" war auf Vie zweite Hälfte de« Aanuars festgesetzt worden. Die Proben hatten begonnen, aber es schien, er müsse sich jeden Schritt auf dem Weg« des Erfolges erkämpfen; der Einwände und Widrigkeit«» war k«in
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