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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000303029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900030302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900030302
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-03
- Tag 1900-03-03
-
Monat
1900-03
-
Jahr
1900
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags um ö Uhr. NeLartiou und Ervedition: Johannis,affe 8. Li« Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von stütz 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: klsred Hahn vorm. v. Klemm'» Sortim. Uuiversitätsstratze 3 (Paulinum^ Louis Lösche. KattzannenstL I«. Port, und KönigSplctz 7. lvez«s-.Prei- d« Hauptexpeditio» ob« de» t« Stadt- ßezstk mrd dm Vororten errichteten AuS- rHLeslellm abgeholt: vierteljährlich ^l4.bO, -et »wetmaliaer täglicher Zustellung ins Han» ^il ÜLO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestährlich ^l S.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in» Äu-laud: monatlich 7.ÜO. Abend-Ausgabe. MpMer TaMaü Anzeiger. Ämtsökatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen.PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4ge> spalten) üO^z, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferosa« nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mü der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. .Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig m. Sonnabend den 3. März 1900. 81- Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Mär;. Wie vorgestern der „Reichstag", will sagen eine fast ver schwindende Zahl gewissenhafter Mitglieder, den Etat LeS Auswärtigen Amtes nach einer Debatte erledigte, über die ein Bericht sich kaum verlohnte, so erledigte er gestern in noch jämmerlicherer Gestalt den Marine-Etat nach einer Debatte, in der die einzelnen EtatSansätze gar nicht berührt wurden und über die jedes Wort zu viel wäre, wenn nickt in ihrem Verläufe der Staatssekretär Tirpitz über die Entwickelung der Verhältnisse in Kiautschou Mittbeilungen gemacht hätte, die zwar des Reizes der Neubeit entbehrten, aber ihrer Ueber- fichtlichkeit halber von Interesse sind. Nach diesen Mittbci- lungen sind die Rechtsverhältnisse in Kiautsckou unter Schonung der chinesischen Anschauungen nach denjenigen Grundsätzen geordnet, die dem Bedürfnisse des Schutzgebiets entsprechen. Daß die Eingeborenen sich unter der deutschen Herrschaft wohlfühlen, beweist der starke Zuzug wohlhabender Chinesen. Die erste Strecke der Eisenbahn dürfte in zwei Jahren dem Betriebe übergeben werden; zu derselben Zeit werden die Hafen anlagen in der innere» Bucht in Benutzung genommen werden können. Dort vorgenommene Bohrungen haben ein günstiges Ergebniß gehabt. Straßen sind auSgebant, die Canalisalion ist fertig. Die Hochbauten sind vorgeschritten; bis zur nächsten Regenzeit werden die Truppen in die Caserne gelegt werden können. Daneben ist für Cultnrzwecke Erhebliches geschehen; man hat in Tsintau eine Schule, die ihre Schüler bis zum Examen für den einjährigen Militärdienst führt. Die GesundbeitSverbältnisse haben sich in neuerer Zeit wesent lich verbessert; die epidemischen Krankheiten des ver flossenen Jahres dürfen als vorübergehende Anfangs erscheinungen angesehen werden. Nur der bisherige Mangel einer centralen Wasserleitung hat das epidemische Auftreten der Darmkrankheit verschuldet, diesem Mangel aber wird bald abgeholfen sein, nachdem neuerdings eine ergiebige Quelle aufgefunden worden ist. Malaria ist trotz der starken Boden bewegung nicht ausgetreten, was beweist, daß Kiautschan für ostasiatifche Verhältnisse ein sanitär sehr günstiger Platz ist. DaS vor zwei Jahren über dieses Schutzgebiet ausgesprochene Urtheil zu modificiren, liegt also kein Anlaß vor. Nach dieser Darlegung wäre es um so weniger uötbig gewesen, den Etat für Kiautschou an die Budgetcommission zu verweisen, je mehr die lange Besprechung der Denkschrift über Kiautschou, mit der der Abgeordnete Eickhoff den BerweisuugSantrag begründete, auf eine Anerkennung aller im ostasiatischcn Schutzgebiete getroffenen Maßnahmen hinauslief und lediglich Bedenken wegen der gesundheitlichen Ver hältnisse aussprach, aus die die Budgetcommissien so gut wie gar keinen Einfluß hat. W-nii man sich aber erinnert, daß die Budgetcommission an die Berathung der Flotten Vorlage erst berautreten wird, wenn sie den Etat erledigt hat, so begreift man, welchen Zweck die Bepackung dieser Commission mit überflüssiger, den Beginn der Flotten- beratbung hiuauszögerudcr Arbeit hat und warum Herr Eugen Richter gestern, um die Verweisung des Kiautschon- ÜtatS an Pie Commission durchzusetzen, mit Anzweifelung der Beschlußfähigkeit deS Hauses drohte. Er bat seinen Zweck erreicht; um die Beratbung wegen Bescklußunsäbig- keit nicht unterbrechen zu lassen, mußte die Mehrheit der tümmerlickenVersammlung dem Willen desMannes,dessen Angst vor der Annahme der Flottennovclle ebenso groß ist, wie seine Furcht vor Verwerfung uudNeuwahlen, und der sein Heil nur noch in der Verschleppung der Entscheidung sucht, sich fügen.—Um den Reichstag wieder in einen repräsentablen Zustand zu setzen, ist gestern früh der Seniorenconvenl zusammengctrcten und bat sich dahin schlüssig gemacht, zu Anfang nächster Woche den Etat der Zölle und Verbrauchssteuern zu erledigen. Am Mittwoch wird voraussichtlich ein Schwerinstag stattnndcn und dann soll von Donnerstag an berathen werden: in zweiter Lesung daS Fleischschaugesetz und, wenn dieses erledigt ist, in zweiter Lesung das Münzgesetz. Dann sollen in dritter Lesung hintereinander folgen: die Gewerbenovelle, die lex Heinze, daS Fleischschaugesetz und das Münzgcsetz. Alles unter der Voraussetzung, daß es gelingt, Lurch einen energischen Appell an die Herren, die seit Monaten ihr Mandat als Vertreter deS gelammten Volkes dabeim hinter dem Ofen auSüben, ein beschlußfähiges Haus zu Stande zu bringen. In Weicker Weise die tzcntrumSprcssc mit hetzerischen Schlagworten arbeitet, erhellt aus der von der „Freis. Ztg." mit Behagen aufgenommenen Aeußerung der „Germania": „Geradezu abschreckend würde es auf die weitesten Kreise des deutschen Volkes wirken, wenn der Reichstag über die Preis steigerung der Firmen Krupp und Stumm für Panzer platten le chtcn Herzens hinweggehen und diesen Firmen in der Flottenvorlage einen Gewinn von über 170 Millionen Mark sichern wollte, während die breite Masse mit neuen Steuern belastet würde, mit noch unbekannten Steuern, die aber bald den Namen „Krupp- uud Stumm-Steuern" erhallen dürsten." Daß die Belastung der breiten Masse mit neuen Steuern Lurch eine iu Kraft bleibende Bestimmung LeS Flottengesetzes vom 10. April 1898 ausdrücklich ausgeschlossen ist, weiß die „Germania" eben so gut, wie die „Freis. Ztg."; beide lügen also, wenn sie die Masse mit neuen Steuern zu schrecken suchen. Was aber die angebliche „Preissteigerung" ter Firmen Krupp und Stumm für Panzerplatten anbelangt, so steht, wie die „Berl. N. Nachr." in Erinnerung bringen, auf Seite 7 der Anlagen zum mündlichen Berichte der Ludgel- aommission über den Etat für die Verwaltung der kaiser lichen Akerine ausdrücklich zn lesen (all Nr. 614 der Druck sachen deS Reichstags): „Aus diese» Zusammenstellungen ist ersichtlich, daß die Haupt preissteigerungen aus den Schiffskörper nnd die Maschinen und Kessel entfallen, entsprechend den gesteigerten Ar- beitslöhnen und der Erhöhung der Eisen- und Stahl- preise. Aus die „Nickcl-Stahl-Pauzer"-Preise ist keine Er- Höhung ein getreten, dieselben bilden gleichfalls einen sehr wesentlichen Theil der Schisfsbankostcn. Ter Mehrbedarf für diese Panzer wird durch die größere Ausdehnung derselben verursacht. Dieses Panzermaterial wird jetzt von zwei Fabriken (Krupp und Dillingen) hergestellt und au die Mariiievecwaltung zum Preise von 2320 pro Tonne geliefert." ES ist auffallend, daß Herr Richter, der doch Mitglied der Budgetcommission ist, die Unwahrheiten der „Germania" in seiner Zeitung nackdruckt, während er weiß, daß daS Gegentheil amtlich feststeht und diese Feststellung sich gedruckt in seinen Händen befindet. Was die in der neuen Flotten novelle vorgesehenen Schiffsbauten anbelaugt, so sind diesen ausdrücklich die Einheitspreise für 1900 zu Grunde gelegt, also kann auch hier von einer „Preissteigerung" ehrlicher Weise nicht die Rede sein. Wie kürzlich aus London gemeldet wurde, ist der deutsche Professor Tille an der Universität Glasgow wegen seiner boerenfreundlicken Gesinnung, die u. A. in einem von ihm verfaßten Aufsatz deS „Glasgow Herald" zum Aus druck gekommen sei, von einem Stndcntenhansen insultirt worden. Nach weiteren Berichten hat cr infolge dieses Vorganges sein Lehramt niedergelegt. Ein von der „Nat.-Ztg." beute veröffentlichter, aus Glasgow vom 28. Februar stammender Bericht läßt diesen Schritt begreiflich erscheinen, denn er läßt erkennen, daß der Vorfall nur ein Symptom des Deutschenhasses ist, der von der Presse in Glasgow genährt wird. Der Bericht lautet: „Erst jetzt läßt sich iu vollem Maße übersehen, daß die Demonstration gegen den deuischen Docenten an der hiesigen Universität nur ei» Einzelfall ist, in dem sich einmal schlagend der Haß entladen hat, der von der hiesigen Localpresse beständig gegen Deutschland genährt wird. DaS wird jetzt auch ganz all gemein zugegeben. Ter fragliche Aussatz vr. Tille's war hier zur Zeit des Tumultes weder im Wortlaut, noch dem Inhalt nach be- kannt. Man wußte nicht einmal, Laß eS sich um einen Aussatz über die Volksstimmung in England handelte. Erst am Tage nach dem Tumult hat vr. Tille den Aussatz in englischer Uebersetzung Lurch einen College» im „Glasgow Herald" wieder geben lassen." Tic „Glasgow Evening NewS" vom 26. Februar bemerken darüber wörtlich: „ES steht kein Wort in diesem Aufsatz, daS nicht bereits sreimütkig vom „Daily Chronicle", vom „Manchester Guardian", den „Edinburgh Evening News", dem „Speaker" und dem „Labour Leader" ausgesprochen worden wäre. Betrübend daran ist nur, daß der größte Theil davon auch noch wahr ist." Dasselbe Blatt fügt hinzu, die Angaben des Aufsatzes seien wunderbar maßvoll in ihrem Ton. Im „Glasgow Herald" vom 27. Februar erzählt ein Student offen herzig, die Studentenschaft habe persönlich nicht das Mindeste gegen ihren deutschen Docenten und habe vorher kaum gewußt, daß er sich irgendwie über Len Krieg geäußert habe. Sie sei nur von einigen Deuischenhetzern aufgewiegelt worden, di« er leicht mit Namen nennen könne. Einer dieser Hetzer behauptete im „Glasgow Herald" vom 26. Februar, in Deutschland werde jeder Fremde, der überhaupt eine Meinung äußere, von einem Osficicr auf offener Straße nirdcrgestochen! Aehnliche Räubergeschichten über deutsche Zustände finden sich täglich in der hiesigen Presse, werden von gebildeten Menschen weiter verbreitet und dienen natürlich nicht zur Förderung einer deutsch-freuudlichen Stimmung, lieber die sofortige Ni «der- legung seines Lehramtes seitens vr. Tille's herrscht das allgemeinste Bedauern. Man findet cS in schottischen Kreisen aber ganz unverständlich, wie er diesen Schritt thun konnte; denn man mißt solchen Tumulten hier eine sehr geringe Bedeutung bei. Bei dec Einsetzung des jetzigen Universitätsrectors Story vor zwei Jahren verhinderten die Studenten mit Gewalt die gcsammte JustallirungSfcier, ohne daß die Universität irgend wie eingeschritten wäre. Ter davon Betroffene ist aber noch heute Rector. Freilich: wenn sich britische Universitätslehrer das von ihren Studenten bieten lasse» wollen, so ist daS ihre Sache. Bei einem Deutschen liegen die Verhältnisse aber wesentlich anders. Ta handelt eS sich um eine nationale Ehrensache. Augenblicklich werden von verschiedenen Seiten Versuche gemacht, vr. Tille der hiesigen Universität zu erhalten. Bisher aber hat er, soweit bekannt ist, jeden solchen Versuch aögelehnt". Der Verfasser bat auaensckeinlich nicht gewußt, daß nickt Studenten allein Herrn Professor Tille insultirt und bedroh: baden. Nach einer Meldung der „Franks. Ztg." versuckten 900 Arbeiter der Schiffswerft Herrn Tülle in den Kelvin-Back zu tauchen und zertrümmerten, als ihnen das nicht gelang, die Thür seiner Wohnung und daS Treppengeländer. Mau wird eS hiernach begreiflich finden, daß Herr Tille sich weiteren Gefahren nicht aussetzen mag. Der Krieg in Südafrika. —i-. Auf die Kunde von dem Entsätze Ladysmith- war London Tag und Nacht außer Rand und Band. Der englische Liegesjubcl kannte keine Grenzen. Zahllose größere und kleinere Zug: von Schaaren junger Leute, hauptsächlich aus der Mittel- und der unteren Mittelklasse, durchzogen hurrahrufend, fahnen schwingend, patriotische Lieder singend und lärmend die Straßen und begrüßten jeden Soldaten und Deoman mit stürmischen Huldigungen. Auch in den stilleren Seiten straßen hörte man bisweilen den Lärm einer singenden Sckaar junger Männer und aus allen Bierhäusern er tönten patriotische Lieder. Viele Personen hatten sich mir Rosetten und Blumensträuße» in den Landesfarben geschmückt. In den Theatern und Musikhallen war der Enthusiasmus erst recht laut. Vor Chamberlain's und Baden Powell's Hause wurden Ovationen dargebracht. Nie hat man in London so viele Betrunkene gesehen wie vorgestern Abend. Die Ansammlungen von Studenten und die Begeisterung der City, die stundenlang fast unpassirbar war, hatten den Anstoß zn diesen Kundgebungen gegeben, die fast auf einen Carneval ohne Masken hinausliefen. Auch aus allen übrigen Tbeilen des englischen Weltreiches berichten die Londoner Zeitungen über ähnlichen Enthusiasmus und zugleich über brutale echt britische Demonstrationen. Von der Hiffung der britischen Flagge auf dem Parlaments gebäude in Kapstadt meldete bereits unser Privatcorrespou- dent. Schon ans die Nachricht von der Uebergabe Cronje'S wurden den boerenfreundlichen Blättern die Fenster ein geworfen, dem englischen Gouverneur Milner Ovationen dar- gekrackt. Bon den Bedrohungen des deutschen Professors vr. Tille in Glasgow ist schon oben, an anderer Stelle, d« Rede gewesen. In Dublin versuchten (der „Frkf.Ztg." zufolge) Studenten die städtische Fahne vom Ratbhause zu ent fernen. Sie wurde ihnen aber vom Personal deS Rath hauses wieder entrissen und wieder aufgezogen. 13 Studenten wurden verhaftet. Auch vor den Bnreaux von Zeitungen wurde iu Dublin demonstrirt. — In Montreal in Canada äußerte sich, wie schon erwähnt, der patriotische Enthusiasmus dahin, daß die dortigen Bureaux französischer Zeitungen von Hundertcn von Studenten atlackirt, deren Fenster ein geschlagen und die auSgehängten Telegramme vom Kriege heruntergerissen wurden, weil sie die englischen Verluste mehr hervorboben, als den Entsatz von Ladysmith. Die Studenten zwangen auch die Hausbesitzer zum Hissen der englischen Flagge, drangen in das Stadthaus und entfalteten dort selber eine Flagge auf dem Tburme, bis der Bürgermeister die Fahne auf dem Flaggenmaste hissen ließ. DaS ist die ruhige Würde, mit der England seine Siege feiert, die vornehme, ein großes Volk ehrende Selbstbeherrschung Fenrlleton. Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). NaLkriick vnbolcr.. Dann — als er an meinem siebzehnten Geburtstag kam und von meinem Versprechen anfing unD Miene machte, zärtlich zu werden — da gerieth^ich außer mir. Da wurde ich wild! Ich sagte, ich hätte es nicht so gemeint, und ich wäre ein dummes Kind gewesen, das nicht gewußt hätte, was es that. Sie hatten Noch, Mich zu beruhigen. — Dann sprach Fred gut und ver ständig mit mir und sagte, ich solle keine Furcht vor ihm haben, er wolle warten. Bon Zlvang sei keine Rede, ich hätte meinen freien Willen, er würde niemals auf feinem Schein bestehen, falls ich kein Herz zu ihm fassen könne. Er hat mich vollkommen in Ruhe gelassen seitdem und mich immer nur als Freund und Vetter zu mir gestellt. Aber ich weiß, daß alle Abrsden mit den Eltern in Kraft geblieben sind, und daß Alle darauf rechnen, ich werde eines Tages zur Einsicht kommen und mich gutwillig einspcmnen lassen." „Und Du hast sie bei dem Glauben gelassen, Irma? Als wir unS kennen lernten, als wir uns liebten, da hast Du Niemals das Bodürfniß gefühlt, Deinen Eltern zu erklären, daß Du keines Anderen Weib lvevden sonntest?" „Wozu daran rühren? Ich stehe mit der Mutter gar nicht gut, HanS. Und Vater versteht keinen Spaß in Dingen, die ihm wichtig sind. Was brauchten sie von unserer Liebe zu wissen? — Es wär« gleich aus gewesen mit unserem ganzen Glück. Wenn ich nur diesen Winter wieder in Berlin sein darf. Alles Utdckge findet sich." „Jedenfalls ist daS Versprechen, das man Dir abgerungen, moralisch null und nichtig", erwiderte Hans mit erleichtertem Herzen. „Den Wünschen und Gründen Deiner Eltern steht unser vereintes Wollen gegenüber, und das ist, denke ich, stark genug, einer Welt Widerstand zu leisten." „Ach, Hans! Unser Widerstand! — Unser Wollen!" ver setzte Irma niedergedrückt. „Ich bin so hoffnungslos! Was wollen wir denn machen? Ja, wenn Du ein Fürst oder ein Millionär wärest. Und auch das würde nichts helfen. Herta hat nach ^ihrem Herzen wählen dürfen, dafür werd« ich geopfert. Wir sind wie die verirrten Kinder im Walde. Hansi. Wir laufen und laufen, und am Ende 'laufen wir selber dem Menschen fresser in» Haus." In Hans loderte bei diesen zaghaften Worten die kaum be sänftigte zornig« Leidenschaft aufs Neue zu Heller Flamme auf. „Das zu denken ist Dir möglich?" rief «r aufspringend. „Das bringst Du über die Lippen? Ast das der Muth Deiner Liebe? Verirrte Kinder im Walde! Nicht freie, selbstherrliche Menschen, die in ihrer Liebe das höchste Ziel ihres Lebens erreicht haben! Nun wohl, geh' hin, thu' Buße für Deine Verirrung! Opfere Dich und mich dem FaMikienmoloch, dem Bestand der Stein häuser Werke. Nennen wir die Sache beim rechten Namen: Du hast mich geküßt und geherzt mit dem innerlichen Vorbehalt, mich abzuschütteln, sobald der Dir bestimmte Bräutigam in seine Rechte tritt — und Dich seinerseits küßt und herzt." „Hans, Du bist ein entsetzlicher Mensch!" rief Irmgard außer sich. „Du beleidigst mich, Du mißhandelst mich, und an Deine Liebe soll ich glauben! Noch ist ja nichts geschehen. Noch hat kein Anderer mich berührt, soll es auch niemals thun. Sag' mir, was geschehen soll, zeig' mir den Weg, mach' mich frei! Ich liebe Dich, ich will Dir gehören, Dir und keinem Anderen." „In Gegenwart Deiner Eltern wirst Du mir das nicht Wiede vhdlen." „Stell' mich auf die Probe!" Irmgard brach aufs Neue in Thränen aus, und Hans warf sich vor ihr nieder, umfaßt« reuig ihre Knie, nahm sic in seine Arme und küßte ihr die Tropfen von den Wangen. „Mein Lieb, mein einzig Lieb! Ja. wir müssen schweigen uNd warten, bis die rechte Stunde kommt, und dann werden wir handeln als freigeboren« Menschen — ohne Furcht und Rück sicht. Irma, Geliebte, vertrau« mir! Ich hebe mein Weib hoch über den Menschentroß — ich habe Dir Bessere» zu geben ass Titel und Millionen." Gin männlicher Schritt auf d«in Parquet ließ die beiden Engverfchlungenen aussinanlnrfahren — sie hatten daS Oeffncn der Thür überhört. Es war der Commerzienrath Steinhäuser selbst. Er blieb einige Schritte von den überraschten LiebeSlcuten stehen und rief feine Töchter zu stch. „Fort mit Dir, Nichtsnutz!" fuhr er sie halblaut an. „Hast Du keinen Funken Schamgefühl im Leibe?" „Vater, ich lieb« ihn!" erklärte Irmgard tapfer. „Ich liebe ihn und ich will ihn zum Mann — ihn oder keinen!" Steinhäuser'- starkknochiges Gesicht bekam einen Ausdruck eiserner Strenge. Er legte seine Hand unsanft auf die Schulter des Mädchens und führte sie zur Thür. „Du gehst in Dein Schlafzimmer und läßt Dich nicht mehr unten blicken. Und daß die Mutter von diesen Narrenstreichen kein Wort erfährt!" Eickstedt war stehengeblieben, wo cr stand. Steinhäuser kehrte in der Thür um und schritt langsam, mit drohender Miene, auf ihn zu. Ihn einfach mit rauhen Worten und Ge bärden aus dem Hause zu jagen, das lag am nächsten. Aber dann war es ihm nicht möglich, dem jungen Manne, der, hoch aufgerichtet, mit bleichem, stolzem Gesicht vor ihm stand, Schmach anzuthun. „Ich hatte geglaubt, einem Manne von Ehre mein Haus zu öffnen", sagte er. „Das war eine gründliche Täuschung." In Eickstedt's Gesicht stieg glühende Röthe. „Sie thun mir unrecht, Herr Commerzienrath. Ich habe uncorrect gehandelt, nicht unehrenhaft. Es gereicht mir nicht zur Unehre, Ihre Tochter zu lieben, noch ihr, meine Liebe zu erwidern. Daß Ihnen unser Herzensbund früher, als unsere Absicht war, offen bar geworden, ist mir sogar von großem Werth." „Wie lange spielt denn die Geschichte schon?" fragte der Commerzienrath brüsk. Hans überlegte. „Ich lernte Ihr Fräulein Tochter im Früh jahr kennen, wie Sie wissen", erwiderte er diplomatisch. „Sind Briefe gewechselt worden?" Hans biß sich auf die Lippe und schwieg. „Diese ganze verrückte Geschichte muß aus der Welt ge schafft werden", stieß der Commerzienrath mit gerunzelter Stirn hervor. Er dachte an seine Frau, und daß er selber in diesem Frühjahre diesen jungen Menschen mit nicht ungünstigem Auge an seiner Tochter Seite gesehen hatte. Des ausdrücklichen Widerspruchs seiner Gattin ungeachtet, hatte er Irmgard ge- willfahrtet, ihren „Freund" zum zweiten Male einzuladen. Da war ihm jetzt sehr unbequem. „Aus der Welt geschafft!" knurrte er vor sich hin, und ging, die Hände auf dem Rücken, vom Fenster zum Kamin und wieder zurück. „Sie werden die Briefe meiner Tochter vollzählig und un- verwcilt in meine Hände ausliefern, verstanden?" herrschte er Eickstedt an. Dieser erwiderte fest: „Berzeihung, Herr Commerzienrath, das werde ich nicht. An Niemand, als an Fräulein Steinhäuser selbst, und nur auf ihren persönlichen ausdrücklichen Befehl werde ich ihre Briefe ausliefern." Steinhäuser zuckte mit den Schultern und fuhr fort, auf- und niederzugehen. „Ich erwarte wenigstens", nahm er dann, vor Hans stehen bleibend, in weniger schroffem Ton das Wort, „daß Sie Ehr gefühl genug haben werden, über die Dummheiten, zu denen sich meine Tochter leider durch Sie hat verführen lassen, unver brüchliches Schweigen zu keohgchte«. mjr Ihr Ehren - Wort darauf." „Dessen bedarf es nicht, es ist selbstverständlich. Aber da Sie es verlangen, so gebe ich hiermit mein Ehrenwort." „Gut. Sie reisen morgen mit dem Frühzug?" Hans verbeugte sich. „Und Sie werden keinerlei Versuch machen, sich meiner Tochter abermals zu nähern, weder brieflich, noch persönlich. Das werden Sie mir ebenfalls mit Ehrenwort geloben." „Keine Macht der Welt würde mich dazu bewegen, denn all' mein Streben ist das, was Sic mir verbieten wollen. Es mag sehr kühn sein, Herr Commerzienrath, daß ich in diesem Augen blicke es wage, Sie um die Hand Ihrer Tochter zu bitten, aber Sie sollen nicht glauben, daß ich mich dieses hohen Preises un- werth erachte. Geburt und Erziehung berechtigen mich, meine Gattin in jeder gesellschaftlichen Sphäre zu suchen, und wenn ich noch kein Vermögen besitze, so habe ich doch begründete Aussicht, eines zu erwerben." „Mit Komödicnschreiben?" fragte Steinhäuser mit einer Grimasse. „Sehr richtig, mit Komödienschreiben." Steinhäuser zog die Brauen hoch und ließ seinen Blick von Kopf zu Fuß und wieder vom Fuß zum Kopf an dem jungen Mann auf- und niedergleiten. „Ihr eigner Anfang, Herr Commerzienrath, war nicht derart, daß man daraus einen Schluß auf Ihre jetzige Größe ziehen konnte. Sie werden einen Mann darum nicht gering schätzen, weil er sein Capital in seinem Kopfe trägt und sein Schicksal in seinem Willen." Diese selbstbewußten Worte gefielen dem Commerzienrath. „Sie muthen mir hoffentlich nicht zu, Ihre Werbung ernst zu nehmen, Doctor Eickstedt. Sie sind zu klug — und, ich will glauben, auch zu anständig, um dies für den rechten Weg zu halten, sich die Hand einer reichen Erbin zu erobern. Um aber allen ferneren Thorheiten, die Sie etwa noch in» Sinn tragen mögen, Luft und Licht abzusperren, will ich offen mit Ihnen reden. Ich kann der Jugend viel nachsehen, aber Alles zu seiner Zeit. Und hier sind die Grenzen des allenfalls Verzeihlichen weit überschritten. Ich hoffe, Sie werden es zu schätzen wissen, daß ich Sie als urtheilsfähigen Mann und als Ehrenmann behandle." Steinhäuser blieb vor dem Kamin stehen, die Hände auf dem Rücken, die gefaltete Stirn überlegend gesenkt, leise vor sich hinbrummend. Steif aufgerichiet, die Arme über der Brust ge kreuzt, mit dem unzugänglichen, hochmüthigcii Ausdruck, der seinem Antlitz gerade in Augenblicken starker innerer Bewegung eigen war, stand Eickstedt vor ihm. „Sie sind hergekommen unter dem Vorwand, meine Werke für
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