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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000302028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900030202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900030202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-03
- Tag 1900-03-02
-
Monat
1900-03
-
Jahr
1900
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Reclamen unter dem Redaction-strich (-ge spalten) üv^, vor den Familirnnachrtchreii (6 gespalten) -0^- Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsa- nach höherem Tarif. Stztr-'VeU-Btn (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 00.—, mit Postbrförderung 70.—. ^nnalsmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabr: vormittag- 10 Uhr. viorge»-Ausgabe: Nachmittags - Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an di« Eppedtttai zu richte». Druck und Verlag do» L. Polz k Leipzi» 8t. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. März. Inhaltschwere Nachrichten von vielleicht weltgeschichtlicher Bedeutung waren ans Afrika eingetroffen, als der Reichstag gestern an die Beratbung des Etats des AuS-värtigen Amtes herantrat. Allein davon war in dem geradezu miserabel besetzten Hause nichts zu verspüren und dieses augenblicklich so interessante Capitel deS ReichShauShaltS wurde in der einen Sitzung erledigt. Die größten Zeitfragen wurden zwar berührt, aber nicht in einer ihrer Tragweite für Deutschland und der Würde des Reichstage? entsprechenden Weise. Dafür „bewiesen" etliche socialdenwkratische Redner, daß die deutschen Professoren vr. Zorn und von Stengel die Hauptschuld daran trügen, daß von der Haager Con- ferenz nicht der ewige Friede dictirt werden konnte. In der ganzen Debatte wurde das deutsche Interesse ernsthaft und nützlich nur einmal betont, als nämlich der Abg. Iw. Hasse, zur Warnung vor künftigen falschen Vorstellungen, besonders hinsichtlich der Bagdadbahn, die — übrigens künstlich erzeugte — nationale Genugthuung über einen bei Errichtung der anatolischen Bahn angeblich errungenen großen deutschen Erfolg auf das rechte Maß znrücksührte. Im preußischen Abgeordnctcnhause kam gestern anläßlich der Beratbung des Eisen bahne tatS wieder einmal die Frage der Ermäßigung derPersonentarife zur Sprache. Der freisinnige Abgeordnete vr. Wiemer forderte eine solche Ermäßigung für Preußen sehr entschieden und veranlaßte den Minister der öffentlichen Arbeiten v. Thielen zu einer Dar legung, die die Hoffnungen des Antragstellers völlig nieder schlug. Der Minister erklärte, ein Bcdürfuiß zur Ermäßigung der preußischen Personenlarife sei nicht vorhanden, der Personen verkehr steige von Jahr zu Jahr rasch, die Tarife seien auch absolut nicht zu hoch, sie seien im Durchschnitt niedriger als die sämmtlicher übrigen deutschen Eisenbahnen, meistens sogar sehr viel niedriger als die deS Auslandes. Es sei auch völlig unrichtig, daß in Oesterreich-Ungarn und Dänemark die Ermäßigung eine VerkehrSsteigerung der Eisenbahnen überhaupt zur Folge gehabt habe. Oesterreich habe sich viel mehr schon zweimal genötbizt gesehen, seine Tarife wieder binauf- znsetzen; Ungarn habe eine Investituranleihe von 172 Millionen Gulden aufnehmen inüssen, um seine Bahnen sür den Verkehr zu aptiren, und in Dänemark sei nach Ermäßigung der Personentarise der Ucberschuß von 5 auf 3 Millionen zurück gegangen. Eine Vereinfachung der Tarife sei dagegen im höchsten Grade geboten; aus dem Anhalter Bahnhof in Berlin müßten allein nicht weniger als 47 000 verschiedene Arten von Fahrkarten bereit sein, und weit mehr als dreiviertel aller Reclamationen kämen von den Rückfahrkarten her; die besonderen Bäder- und Sonntagsfahrkarten seien weder notbwendig, noch entsprächen sie der Gerechtigkeit. Man müsse also auf Vereinfachung statt auf Ermäßigung der Tarife hinwirken. lieber den Stand der bezüglichen Ver handlungen sei er, der Minister, naturgemäß nicht in der Lage, Auskunft zu ertbeilen. Er versicherte aber, die Regie rungen sämmtlicher Bundesstaaten seien mit der preußischen Eisenbahnverwaltuug durchaus zufrieden, besonders die Regie rungen von Sachsen und Baden. Besondere Freute schien cs ihm zu machen, daß er mitthcileu konnte, die süddeutschen Staaten folgten dem Beispiele Preußens in Bezug aus die Einführung von Platzkarten für die ö-Züge. Aus den Mit teilungen, die der Berichterstatter der Budgetcommission I über die Dorberathung dieses Etats in der Commission machte, I ist besonders bemerkenswerth der Hinweis auf die Er klärung deS VerkchrSministerS, daß er bei der so enormen Zunahme des Verkehrs im Ruhrkoblengebiete keine Garantie sür die Sicherheit des Verkehrs übernehmen könne. Eine Entlastung der Eisenbahn sei hier dringend geboten. An diesen Gedanken knüpfte dann Herr v. Thielen an, um darzulegen, wie unaufhaltsam der Verkehr wachse, daß aber die Eisenbahnen nicht als daS einzig be rechtigte Verkehrsmittel der Zukunft gelten könnten. Im llebrigen war die Rede deS Eisenbabnministers von dem Be streben geleitet, finanziell ins Gewicht fallenden Ansprüchen an seine Verwaltung thuniichst vorzubeugcn. Er wies daraus hin, daS die Ausgaben unverbältnißniäßig schneller stiegen, als die Einnahmen, und daß in den zwei letzten Jahren allein 20 000 neue Beamte eingestellt worden seien. Er schloß mit der Versicherung, daß die Eisenbabnverwaltung mit günstigen Hoffnungen m das neue Jahrhundert ein gezogen sei und sich der Gewißheit hingebe, allen an sie herantretenden Anforderungen, wie bisher, gerecht zu werden.— Heute wird die Berathung fortgesetzt. Zum Zeichen der Kläglichkeit der Zustände in Deutsch- China reproducirt die „Sächs. Arbeiterztg." den Brief eines Marineartillcristcn an ein socialöcmokratischcs Blatt, die „Norddeutsche Volksstimme". In diesem Briefe wird höchst despcctirlich von den Eingeborenen gesprochen. So heißt eö: „ . . . Wir kamen durch das Slinknest Tsintau (Du kannst Dir gar nickt vorslellen, wie so ein Chinese stinkt)." Zum Schlüsse des Brieses aber beißt cs gar: „Ich kann Dir sagen, hier in diesem Hungerloch verrohst Du ganz und gar, renn wenn Du mit so einem Dreckvolk umgeben mußt, ist es Dir ganz egal, ob Du Einen tovtschlägst oder nicht." Da der Brief einem socialdemokratischen Blatte überlassen worden ist, so geht man wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß der Briefschrciber der socialdemokratischcn Partei reckt nahe stehe. In dem Hasse gegen die deutsche Colonialpolitik übersehen nun die „Nordd. Volksstimme" und die „Sachs. Arbeiterztg." vollkommen, daß hier ein „Genosse" sich und die ganze Partei durch daS Bckenntniß einer Gesinnung schwer cvmpromitlirt, die der waschechte Socialdcmokrat als nur bei den „Junkern" vorhanden anerkennen will. Zum Dogma der Socialdcmo- kratie gehört die internationale Brüderlichkeit; es klingt doch aber nicht recht brüderlich, wenn man verächtlich darauf hin weist, „wie so ein Chinese stinkt". Und nun erst gar der „tropenkollerische" Schluß des Briefes! Der Brrcf- schreiber geht ja weit über den von der Socialdemokralie so leidenschaftlich angegriffenen Or. Peters hinaus, wenn er meint, eS sei ganz egal, ob man Einen von dem „Dreckvolke" todtschlage oder nicht. Fälle, wie die von Leist, Wehlan oder gar Arenberg sollen gewiß nicht gebilligt werden, aber gerade die Socialdemolratie läßt bei solchen Fällen auch nicht die leiseste Entschuldigung zu. Und nun muß man sehen, daß auch ein „Genosse", dem doch, so lange er in der Heimath weilte, selbstverständlich von der socialdemokratischen Partei die Anschauungen reinster Menschen freundlichkeit eingcimpft worden sind, in dem fremden Klima und unter ungewohnten Bedingungen alle Gedanken von Gleichheit und Brüderlichkeit von sich wirst und die „Raub thiernatur" hervorkehrt. In RtU'Tüd-Walc- beschäftigt man sich jetzt, wie uns unser dortiger Herr Mitarbeiter schreibt, sehr mir der Larlzc Oloslnx Da auch bei uns Maßnahmen über di« gesetzlickr Festsetzung der Zeit des Ladenschlusses geplant sind, so dürsten Mittheilungen über die Art und die Wirkungen eines entsprechenden- Gesetzes in Neu-Süd- Wales von unmittelbarem Interesse sein und wir geben daher gern den Ausführungen unseres Herrn Correspondentrn Raum. Er schreibt: Dieses Gesetz, welches am 1. Januar 1000 in Kraft trat, bestimmt, kurz zusammengefaßt, daß fast alle Läden jeden Abend um 6 Uhr schließen müssen, mit Ausnahme eines Tages', an dem um 1 Uhr Nachmittags (meistens Mittwochs) und eines Tages, an dem um 10 llbr Abends geschlossen werden muß (meistens Sonnabends). Die wenigen Wochen, welche seit der Einführung des Gesetzes verflossen sind, haben schon die schwachen und fehlerhaften Seiten desselben gezeigt, und ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß das Gesetz sehr bald, wenn auch vielleicht nicht ganz aufgehoben, so doch sehr bedeutend ver ändert und verbessert werden wird. DaS Gesetz soll in erster Linie die Lage der in den Läden angestellten Personen verbessern. Aber man beachte folgende Tbatsacken: Kaum eine Woche nach der Einführung des Gesetzes stellte es sich heraus, daß die hiesige Actien GaSfabrik, welche daS Monopol für die Stadt Sydney hat und auch die meisten Vorstädte mit GaS ver siebt, durch den Umstand, daß die meisten Geschäfte um 6 Ubr Abends geschlossen werden müssen, eine solche Ver minderung deS GaSabsatzes erlitt, daß sie ca. 120 ihrer Angestellten entlassen mußte. Ebenso haben auch andere Geschäfte wegen verkürzter Geschäftszeit sich genötbigt gesehen, daS Corps ihrer Angestellten bedeutend zu ver mindern. Dann: auch jene Leute, welche nur mit der Hilfe ihrer Familienangehörigen einen kleinen Laden halten und keine Gehilfen beschäftigen, stehen genau so unter dem Gesetz wie solche Häuser, welche ganze Armeen von Commis, Ladengebilfen re. halten. Schwierig ist ferner der Fall der sogenannten „gemischten" Geschäfte („mixeck »hops"), d. b. derer, welche sowohl Maaren feilbicten, welche nach deut Gesetz auch später verkauft werden können, als solche, deren Verkauf nach der bestimmten Frist nickt staltfinden darf. Unter diese Kategorie fallen z. B. die ZeitungS- verkäufer, welche hier meistens zugleich mit ihrem Ge schäft den Verkauf von Schreibmaterialien, Büchern rc. sowie von Tabak, Cigarren u. s. w. betreiben. Diese dürfen nur Zeitungen nach dem Zwangs - Geschäfts schluß verkaufen und sind gezwungen, wenn sie ihren Laden spater offen halten wollen, alle anderen Maaren in einem getrennten Laden zu halten oder unter Schloß und Riegel zu bewahren. Auch das Publicum bat viele Un annehmlichkeiten durch dieses Gesetz zu erdulden. Ein in der Stadt arbeitender Mann lebt meistens in einer Vor stadt. Anstatt nun wie früher des Abends dort seine Einkäufe zu machen, sicht er sich genöthigt, dieselben des Tags über in der Stadt zu tbu». Dabci ver liert natürlich der Geschäftsmann in der Vorstadt, und dieser gehört meistens zu der Classe, welche keine Gehilfen anstelli, und so wird wohl sür ihn wie für viele andere dieses Gesetz in Zukunft nichts anderes bedeuten als den Weg zum Ruin und zum Bankrott. Besonders interessant ist, daß dies social so ungünstig wirkende Gesetz weniger ein Werk der Regierung als der Arbeiterpartei ist. Diese Partei hat in dem Jahrzehnte ihrer bisherigen Existenz noch keinerlei Be weis ihrer Daseinsberechtigung erbracht, jetzt aber die Lail) Olosluz ^ct durchzusetzen vermocht, indem sie ihre Annahme zur couckilio sine gun uou ihrer weiteren Unterstützung der Regierung machte. Der Krieg in Südafrika. —<>. Konnte es gestern noch zweifelhaft sein, daß der Sntsatz von Ladysmith bereits tbatsäcklich und in vollem Umfange erfolgt sei, so ist beule nicht mehr daran zu deuteln. Wenn auch auffallender Weise keine amtliche oder private Depesche daS Factum des Entsatzes, das beißt das Emrückcn der Buller'schen Haupt macht in die Stadt berichtet, so sagt doch, abgesehen von dem frenetischen Jubel Londons, folgende Nachricht genug: * London, 1. März. Von «eneral vullcr Ist fol gende Depesche ringetroffc«: „Reithorpe, I. März, u Uhr Nachmittags. Ach komme eben von Ladysmith znrück. Von einer kleinen Nachhut nördlich de» Lnr- prtcc-Hill abgesehen, haben sich die Velaaerer sämmt- lich t» höchster vite zurückgezogen, und das Land nördlich der Stadt ist völlig frei von ihnen. Tte Gar nison wird ctntger Pflege bedürfen, ehe sie wieder seid» tüchtig ist." Der Rückzug der Doeren kommt un» nicht überraschend, und er ist nur zu billigen, da der Krieg in ein ganz neues Stadium getreten ist und Joubert'- Streitkräfte weit dringender im Westen in dem arg gefährdeten Oranjefreistaat gebraucht werden. Dorthin sind große Theile der bisherigen Bclagerungsarinee schon unterwegs. Eine Eisenbahn von Kronstadt nach Harrysmith, welche die Boerrn einer Cap- städtcr Meldung zufolge seit Beginn deS Krieges zum Zwecke des Truppentransportes gebaut haben, wird die Durchführung dieses Planes erleichtern. Die Anzahl der Boerentruppen, die bisher dem General Buller gegenüberstandeu und die nun im Abzug begriffen sind, wird in einem Telegramm der „Morning Post" auS Colcnso auf lO OOO Mann mit sechs Geschützen veranschlagt. Davon haben einige Tausend die nach dem Freistaat führenden Drake nSberg passe besitzt, um Buller's Heer sestzuhalten. Sie sind so aut wie uneinnehmbar und der Weg nach Transvaal führt über Majubahill, wo der Eisenbahntunnel schon lange unterminirt ist. Von dieser Seite her droht den Boeren also — vorläufig—keine Gefahr, zumal da Buller sich voraussicht lich nicht lange mehr in Natal aufhalten, sondern Robert- im Westen oder im Süden (Norden der Capcolonie) SuccurS bringen wird. Die Boerentruppen sammeln sich im Norden deS OranjefreistaateS und zu ihnen wird jetzt auch das CernirunzScorpS von Mafeking stoßen, da Joubert nunmehr die Belagerung des Platzes aufgehoben bat. Die Belagerung von Ladysmith hat ebenso lange wie diejenige von Kimberley — 4 Monate — gedauert, aber in den Kämpfen um die Stadt ist viel mehr Blut geflossen, als dort. In einer Geschichte deS südafrikanischen Krieges vom Jahre 1899/1900 wird die Geschichte der Belagerung von Ladysmith die meisten Blätter füllen und auch vom militärischen Gcsicht-puncte dürften die Kämpfe um Liese Stadt N^estS die »leiste Beachtung finden. Nachdem der Krieg am 11. October auSgebrvchen und schon am 15. October die Transvaal- Flagge in Newcastle gehiß: worden war, kam es (wir folgen einem Rückblick in der „Frkf. Ztg.") am 20. Oktober zu einem Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). Naldkiuck krrbone. „Wenn's Dir nur um Triumphe zu thun ist", versetzte er herbe, „da giebt es Andere, auf die stolz zu sein es sich besser verlohnt. Ich tann ja Fiasco machen — nie etwas er reichen. —" Sie sah ihn an, und die Heitertest schwand plötzlich aus ihrem sonnigen Antlitz. Sie legte ihren Arm um seinen Nacken mit einfach impulsiver Innigkeit. Er hob ihre Hand an seine heißen Lippen und küßte sie wieder und wieder. „Mein Lieb, mein einziges, ich quäle Dich. Ja, Du hast voll kommen recht, dies Jahr und noch eins wollen wir warten und dann weiter reden, und geduldig sein und verständig. Wir lieben uns ja. Du liebst mich, nicht wahr, ohne jedes Verdienst, ohne jeden Anspruch von meiner Seite? Du fühlst, daß ich Deiner werth bin, und darin irrst Du Dich nicht. Ach, Irma, aber die Wege zum Künstlerruhm sind steil. Und mit der Geduld und mit der Verständigkeit ist es nicht weit her. Wenn ich denke, daß Dein Neichthum zwischen Dir und mir steht, dann könnte ich rasend werden. —" Es gab noch zwei andere Dinge, die Hans Eickstedt's Ge- mllth in einen Zustand fieberhafter Unruhe erhielten, di« aus stehende Entscheidung über daS Schicksal seines Dramas, die wahrscheinlich für sein eigenes Schicksal als Dichter und Mensch entscheidend würde, und die Briefe seiner Mutter. Diese rissen die Wunde, die seinem Herzen geschlagen worden, immer von Neuem auf. Er konnte sich nicht auf dem Fuße nach sichtiger Billigkeit und gleichgiltiger Verträglichkeit zu ihr stellen wie zu jedem beliebigen Fremden. Warum sic schonen, hatte sie ihn doch nicht geschont. — Seit er mit der Mutter gebrochen, war er ein anderer Mensch. ES gab jetzt keine Ziele und Auf gaben mehr, die außerhalb seiner Jchsphäre lagen. — Seine Antworten auf die Briefe der Mutter, die noch immer Mit allem Aufwande liebevoller Ber^bffamkeit zu versöhnen, zu ver mitteln, wicderzuqewinnen sucht«, waren kurz und fremd. Einem Schreiben seines Onkels hatte er die Annahme verweigert. Hierauf schrieb Frau Eickstedt im Tone schmerzlichen Vorwurfes. Er habe die herzlich gebotene Hand seines nächsten Verwandten schroff zurückgewiesen und dadurch auch sie bitter gekränkt. Sie hab« nicht gewagt, ihn zu ihrem Bermählungstage einzuladen. Ihre Ehe sei jetzt vollzogen, und jeder Schlag, der ihren Gatten treffe, falle hinfort mit doppelter Schwere auf ihr eigenes Haupt. Diesen Brief beantwortete Hans nicht, und es hörte für geraume Zeit jede Verbindung zwischen ihm und seinen Ver wandten auf. Die General-Intendanz hätte, so meinte er, längst ihr Urtheil fällen müssen. Einmal schien ihm der Aufschub ein günstiges Zeichen, ein anderes Mal gerieth er außer sich vor zorniger Un geduld. — Man würdigte ihn nicht einmal einer Abfertigung innerhalb der üblichen Frist. Man las sein Stück nicht einmal. — Es gab noch andere Bühnen, hochangeschene, es gab einsichts volle Leiter. Er wollte sein Stück xurückfordcrn, einem anderen Theater einreichen. — Ein anderes Mal fragte er sich, ob er einen neuen Mißerfolg überleben würde — ob er die geduldige, dickfellige Zähigkeit erwerben würde, weiter zu schaffen, weiter auf dem Markte zu stehen, und sich immer wieder zurückweisen zu lassen — am Ende zu verschwinden in Dunkel und Ver gessenheit als Einer von der Heerde. — „Ich werde leben!" sagte er sich dann, sich aufraffend aus Dernichtungsschauern. „Ich werde ein Mann sein, komme es, wie es wolle." — Eines Tages hielt er das große, feierlich aussehende Schreiben der Intendanz mit dem amtlichen Siegel in der Hand. Vom Kopf bis zu Fuß bebend, erbrach er es. Sein Stück wurde in ehrenvollen Ausdrücken zur Auf führung angenommen. Die Bedingungen waren die üblichen. Die Aufführung sollte womöglich im Laufe des Winters statt finden. Wegen einiger Aenderungen, di« unerläßlich schienen, wünschte man persönliche Rücksprache mit dem jungen Autor. Dieser ward von keinem Freudentaumel gepackt. In ihm war Still«, die stille Feier der Erfüllung. Die Pforten einer neuen Welt thaten sich auf, er trat ein, nicht als Fremdling, son dern mit angeborenem Bürgerrecht. Seinen Bürgerbrief in der Tasche, suchte er Irmgard auf. Seine Abreise war jetzt unumgänglich, und er fühlte kaum ein Bedauern. Es gab nur eine Rettung aus dem aufreibenden Zu stande deS Hangens und Bangens, den er nur zu lange schon er tragen: Thätigkeit. Und ein reiches Feld der Thätigkeit lag ja vor ihm. Er fand Irmgard im Zimmer deS kranken Bruders, der sie gern um sich haben mochte, aber immer nur auf ein Weilchen. Sie war ein zu ruheloser Gast. HanS dagegen stand in hoher Gunst bei dem bedauernswerthen Jüngling und Pflegt« ihm täglich «ine Stunde zu widmen, ihm vorzulesen und mit ihm zu plaudern. Lange Besuche gestattete du Eommerzienräthin nicht, da sie Hermann aufregkn. Um seinetwillen ließ sie sich die Gegenwart des unwillkommenen Gastes in ihrem Hause gefallen, den man ihr aufnöthigte, und den durch offene Ungnade zu ver treiben sie nicht drn Muth fand. „Geh', Jrmi, hole die Geige, spiele mir etwas", bat Her mann, dessen bleiche Leidensgestalt in einem höchst erfinderisch construirten Sessel ruhte. „Eickstedt wird bei mir bleiben." „Er muß mich aber begleiten, wenn ich geigen soll, Hermann", wandte Irmgard ein. „Laß doch Schneider holen. Sie bleiben bei mir, Eickstedt, nicht wahr? Haben Sie heute ein neues Gedicht?" Der Krankenstuhl wurde durch ein paar Zimmer des weit läufigen Hauses gerollt und den offenen Flügelthüren des Musiksaales gegenüber aufgestellt, dann der Mann, der als Wärter und Diener beständig um den Kranken war, nach dem Organisten Schneider, der Irmgard auf dem Flügel zu begleiten pflegte, ins Städtchen geschickt. Hans plauderte ein Weilchen mit dem Kranken, dann stahl er sich in den Musiksaal, wo Irmgard ihre Geige stimmte. Es drängte ihn, ihr seine große Neuigkeit mitzutheilen. — Nach einer halben Stunde kam der Organist. Hans rückte sich einen Sessel zu dem Krankenstuhl, und die Musik begann. „Wie froh Sie aussehen, Eickstedt", bemerkte der kranke Jüngling. „Sie wären gewiß lieber drinnen bei Irma ge blieben?" „Nicht doch, Hermann, Sie wissen ja, ich bin gern bei Ihnen. Ich wollte nur Ihrer Schwester mittheilen, daß ich morgen früh reisen muß." „Oh, Sie müssen reisen? Weshalb? Und jetzt freuen Sie sich, von hier fortzukommen?" „Keineswegs. Etwas Anderes macht mir Freude", sagte HanS. Hermann wußte von seinem Drama, und war entzückt, als er von der bevorstehenden Aufführung desselben erfuhr. „Könnte ich nur dabei sein!" seufzt« er. „Wissen sie es schon Alle? Was sagt die Mutter dazu?" „Noch weiß es Niemand außer Ihnen." „Und Irmgard, versteht sich. Der haben Sie es zu allererst sagen wollen." „Weshalb hätte ich das thun sollen?" fragte Hans. Er und Irmgard hatten sich redlich bemüht, ihren Gefühlen Zwang an- jiulegcn, selbst wenn sie sich unbeobachtet glaubten, und waren überzeugt, daß Niemand an dcr Oberflächlichkeit und Harmlosig keit ihrer freundschaftlichen Beziehungen Zweifel hegen könne. Der kranke Jüngling lächelte. „Soll ich Ihnen ein Ge- heimniß erzählen, Eickstedt? Weil Sic morgen reisen. Bis jetzt hab« ich eS getreulich für mich behalten, und außer Ihnen erfährt auch durch mich kein Mensch ein Wörtchen davon. Kommen Sie 'mal näher, ganz nahe heran!" Hans neigte sich zu ihm nieder, und er flüsterte ihm mit seiner hohlen Stimme zu: „Sie haben ein Liebes-verhältniß mit meiner Schwester, Eickstedt?" „Wie kommen Sie auf diesen mertwürdign Einfall, Hermann?" Der Kranke lachte. Ein tonloses, trauriges Lachen. „Glauben Sie, ich wäre blind? Und ich grübelte nicht und legte mir di« Ding« zurecht in den ewig langen, dunkeln Stunden, wo ich allein bin? Ich habe noch kein Liebespaar so in der Nähe beobachtet, Eickstedt. Junge Mädchen bekomme ich ja sonst überhaupt nur von Weitem zu sehen. Ich weiß nicht, haben Sie Furcht vor mir oder hat Mama Furcht vor ihnen." Hans schwieg und lauschte der Musik. Er fand es sicherer, auf Hermann's Entdeckungen anscheinend kein Gewicht zu legen. Dieser verhielt sich ebenfalls eine Weile ruhig. Dann rief er HanS wieder zu sich. „Sie thun mir eigentlich furchtbar leid, Eickstedt." „Warum, lieber Junge?" „Ich begreife schon, daß man sich in Irma verlieben rann. Sie sind ja gesund und vertragen ihr lautes Sprechen und hastiges Gehen. Ich will nur sagen, es thut mir schrecklich leid, daß Sie nicht mein Schwager werden können. Denn ich habe Sie li«b, und Fred — 8en mag sch nicht besonders leiden." Wie denn? Was hat der — was hat TietjenS mit Ihrer Schwester zu thun?" fragte Hans betroffen. „DaS fragen Sie? DaS wissen Sie nicht?" „Was soll ich wissen oder nicht wissen?" Der Kranke begann zu busten. Der Wärter nähert« sich. Hermann winkte ihm, zurückzutreten. „Sie sollten nicht wissen, daß Irmgard mit Fred Tietjens verlobt ist? Hat sie Ihnen das nicht gesagt?" „Nein!" stieß HanS laut heraus. Er fühlte, daß ihm DiseS- kälte durch die Glieder rann, daß sein Herzblut stockte. „Sehen Sie, Eickstedt, das fürchtete ich", flüsterte der Kranke. „Sie sind mein Freund, nicht wahr? Ich will und kann nicht dulden, daß Si« verrathen werden. Ja — verrathen — sie ist falsch wie alle Weiber —" Das Spiel drinnen brach ab, und Irmgard erschien unter der Portiere. „Es ist dunkel, und Ihr hier drinnen schwatzt — für wen spiele ich eigentlich?" Hans stand auf, et war ihm nicht möglich, »in Wort über die Lippen zu bringen. Die Eommerzienräthin kam und war un zufrieden daß man Hermann mit Musik und Unterhaltung zu
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