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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190209076
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19020907
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19020907
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-09
- Tag 1902-09-07
-
Monat
1902-09
-
Jahr
1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1902
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Die Posener Kaisertage habe» gehegte Wünsche erfüllt und keine Enttäuschung gebracht und überall, wo man ehrlich auf dem Loden des Reiches steht, kommt hohe Genugthuung, ja mehr aiS dies: reine Freude, verbunden mit unverkennbaren Zeichen gehobenen MulheS, zum Aus drucke. Man ist voll des Dankes für die ruhig-energische Betonung und zugleich Begrenzung der eingeschlagcnen Polen- Politik. Der Tadel deutschen Parteihaders, den der Kaiser «inflocht, wird hingenommen als nicht unverdient. Es ,st zwar gerade in den Ostmarken unter dem Drucke der polnischen Noth in dieser Beziehung etwas besser geworden, besser jeden- falls als im größten Theile deS übrigen Deutschlands mit der Einigkeit gegen die gleich dem Slawenthum unversöhnlich grundstürzenden Richtungen des UltramontaniSmuS und der Socialdemokratie. Die Mahnung zur Ablegung des „Erb- fehlers" erging aber auch gar nicht allein an die Deutschen im Nordosten, sondern an alle Deutschen, die polnisch den Namen verdienen. Und in der Thal bildet auch unser „west- elbischer" Hader eine der am stärksten sprudelnden Ouellen des Unheils und zwar auch ganz besonders des polnischen Vordringens. Von den Ultramontauen und den Socialdemv- traten sehen wir selbstverständlich ab, aber die polnische Gefahr hätte unmöglich derart wachsen können, wie geschehen, wenn nicht auS anderen Parteien heraus die Wortführer nicht un mittelbar bedrohter GebietStheile dem Polenthum die Wege geebnet hätten. Lange Zeit durch directc Vorfchubleistung, späterhin durch oft höhnische Kritik an den Abwchrvcrsuchen und durch die Abneigung, vorübergehende Unzukömmlichkeiten geringfügiger Art richtig gegen die dauernde schwere polnische Gefahr abzuwägen. Im sogenannten Falle Löhning hat sich dies« unuatwnale Erfassung nationaler Lebensfragen erst jüngst wieder deutlich bemerkbar gemacht, und Kurzsichtigkeit war vielleicht nicht häufiger die Ursache als Mangel an gutem staatlichen Willen. Man hat den Polen und den Ultramontauen geholfen, eine an sich allerdings höchst unbesonnene Bemerkung eines oder mehrerer Beamten als deckende Eoulisse vor ein Treiben zu schieben, das, wenn geduldet, jede für den Staat nicht ruinöse Polenpolitik unmöglich machen würde. Die Posener Rede, in der der Kaiser sich über die Pflicht der Beamten und die ihnen vorgezeichnete Eulturpolitik ver nehmen ließ, findet auch den Beifall der freisinnigen Presse. Wir wollen, wenn später Polen und Eentrum den Fall Löhning über die Bühne deS preußischen Abgeordnetenhauses und viel- leicht auch — hier im Verein mit der Socialdcmokratie — über die des Reichstags zerren werden, sehen, ob die freisinnigen Parlamentarier das Urtheil ihrer Publicisten ratisieiren oder ob sie über die „Tochter des Feldwebels" die zahllosen deutschen Kinder vergessen werden, die die polnische Geistlichkeit, hierin unterstützt von dem gesammten Laienthum ihrer Nationalität, deutscher Sprache und Art mit nur zu großem Erfolge zu berauben sucht. Muß die Berechtigung der kaiserlichen Worte über den Parteihader als Tadel für die Vergangenheit, wie als Mah nung für die Zukunft anerkannt werden, so ist damit allerdings die Frage deS deutschen Verschuldens an den Zuständen im Osten nicht erschöpfend beantwortet. Es erleidet keinen Zweifel, daß die Caprivi'sche Polenpolitik nicht nur während ihrer Herrschaft unermeßlichen Schaden «»gerichtet, sondern, indem sie ungeheure Verwirrung in die Beamtenschaft und die deutsche Bevölkerung des Ostens hineintrug, über ihre Lebensdauer hinaus und sogar bis auf den heutigen Tag böse Wirkungen geäußert hat. Die Möglichkeit, daß ein Löhning sich bis vor Kurzem in hoher Beamtenstellung hallen konnte, ist einer der zahlreichen Beweise für die Fortdauer einer gefahrbergenden Unsicherheit. Dies wird nicht aus dem Bedürsniß, zu recriminiren, hervorgehobeu, sondern um dem Wunsche Nachdruck zu geben, daß hinter der unverkennbaren augenblicklichen Energie unbeirrbare Ausdauer stehen möge. ES ist schwer, einem Unternehmen, das zudem auf Glanz, erfolge nicht rechnen darf, das verlorene Terrain zurückzu gewinnen — fußbreit —, denn anders kann es nicht sein. Doppelt schwer für eine Negierung, die in der billigens- wcrlhen Absicht, dem Kalholicismus sein Recht zu belassen, den Macblaspirationen eines ohnehin ungemein erstarkten UltramontaniSmuS nicht entgegenwirken zu dürfen glaubt. Der KlerikaliSmus fühlt sich solidarisch mit dem Polenlhum nnd die „Germania" verrälh auch schon deutlich, daß sie die letzte Posener Kaiserrede, obwohl diese das Recht der Katholiken, übervics auch das einer ohne Verletzung der Slaalslreue gepflegten polnischen Nationalität, mit wärmster Bereitwilligkeit anerkennt, als gegen den Ultramontaniemus gerichtet empfindet. Das Ceutrumsblatt antwortet zunächst mit alten, nicht gerade ehrerbietigen Späßen, indem eS an deutet, eigentlich heraussagt, der Kaiser habe sich in Posen für die Zurückberufung des Jesuitenordens und die Zustimmung zum „Toleranzantrag" des Eentrums festgemacht. Aber man muß darauf gefaßt sein, daß die führenden Ultramontauen die gerechten, aber festen Worte des Kaisers in geschickterer Form gegen Las Deutschthum und daS deutsche Reich auSbeuten werden. Es wird nicht möglich sein, sich der Hilfstruppe zu erwebren, ohne daS Gros des femdltchen Heeres zurück- zudrängen. Eine zielsichere Führung darf darauf rechnen, daß das Volk sich wieder in der früheren Stärke um die Fahne der Abwehr der historischen Gegner einer jeden leistungsfähigen deutschen Eentralgewalt schaart. Unsere politischen Freunde haben diesen Posten nie verlassen und wir hoffen, daß auf dem bevorstehenden Delegirtentagc der nationalliberale» Partei die alte Kampseslosung bekräftigt werden wird. DaS Programm dieser Versammlung enthält zwar einen besonderen, den Ullra- monlaniöuiuS betreffenden Punct nicht. Es ist aber eine Er örterung der „allgemeinen Stellung dec Partei" auf die Tagesordnung gesetzt, und da versteht sich die Einbeziehung des Gegenstandes von selbst. An diesem Punkte wird wohl auch die Besprechung der konstitutionellen Bedürfnisse der Zeit nicht auSbleiben. Der lückenlos befriedigende Ver lauf der Posener Tage kann über die Pflicht einer Aussprache über di: eben erst wieder brennend gewesenen Fragen nickt binweghelfen. Die nationalliberale Partei, die im Reichstage Vertreter aller größeren Bundesstaaten zählt und geschichtlich mit der Schöpfung der Reichsverfassung aufs engste verknüpft ist, erfüllt nur ihren Beruf, wenn sie sich in diesem Augen blicke zur korrekten Begrenzung des Bundes- wie des Verantwortlichteilöverhältuisseö bekennt. Sie ist zugleich die jenige Partei, die, dem Vorwurf particularistischer Tendenzen nicht ausgesetzt, vielleicht andererseits am besten befähigt ist, die fachgemäße Bezeichnung der Befugnisse mit der Zurück weisung böswilliger Ausbeulung unliebsamer Vorkommnisse zu verbinden. Der Ausschließung social dem okra tisch er Consu m- vereioe aus dem allgemeinen Genossenschaftü- verbande soll der Austritt anderer Consumvereine folgen. ES wird sich ja zeigen, was da werden will. Einstweilen hat man es mit der Ausschließung zu thun, die bedauerlicher Weise zuerst in wenig zutreffender telegraphischer Fassung ge meldet worden war. ES wurden nicht Consumvereine aus- geschieden, weil ihre Mitglieder socialdemokratische Gesinnung hegen, sondern weil die Vereine Parteipolitik in den Verband zu tragen versucht hatten. Das war staturenwidrig und wäre daS auch gewesen, wenn eS sich um andere Partei- tendenzen gehandelt hätte. Die Sache ist in dankenswerther Weise klar gestellt worden, und zwar durch einen social- demokratischen Theilnehmer der Kreuznacher Versammlung. Der Mann sagte: „Wir (die Socialdemokraten) werben den Verband zwingen, sich so zu organisiren, wie wir es wünschen". Durch diese politische Ankündigung einer poli tischen Partei erfährt das Verfahren der Vereinigung, die grundsätzlich und nothwendig unpolitisch ist, seine volle Recht fertigung. Daß der VerbandSvorsitzeude I)r. Crüzer seine gute Sache äußerst ungeschickt und die Socialdemokraten ihre verbandsverderberischen Bestrebungen geschickt vertreten haben, »st bedauerlich, aber nicht von sachlicher Bedeutung. Die Zustimmung der freisinnigen Presse zu dem Aus- schließungSbeschlusse will allerdings auch nichts besagen. Sie erfolgt nur, weil die Verbandöleilung notorisch freisinnig ist. Im anderen Falle wäre bei gleicher Sachlage daS Lied von der „Freiheit" angestimmt worden. Die Ursachen der Fleischtbeuerung sind noch nicht er mittelt. Aber es steht fest, in Posen, das den stärksten Anstoß, der Angelegenheit näher zu treten, gegeben hat, hat eine von Händlern eingeleitete „Schwänze" obgewaltet. Maa wollte die zu den Kaisertageu erwarteten Fremden und mit ihnen die Einheimischen gehörig schröpfen durch Zurückhaltung der Thiere und trieb die Preise künstlich in die Höhe. Praktiken, die die Krönung in London berüchtigt machten, wurden nachgeabmt und glücklicherweise — wenn auch aus ganz anderen Ursachen — mit dem gleichen Mißerfolge. Die Viehverwerthungs-Centrale aber und die Posener Kleisch- noth flog nach allen Winden. Dortige Händler erklärten mit einem Male, es sei Fleischvieh im Ueberfluß da, und daS war wahr: es wurde Vieh von Posen nach BreSlau gebracht und in der erstgenannten Stabt fielen die Preise um zehn Procent. Wir sind nun durchaus nicht der Meinung, daß durch dieses Stückchen und seine Vereitelung daS Nicht vorhandensein einer Fleischtbeuerung oder einer allgemeinen Entstehungsursache für die Orte und Gegenden, wo sie auf tritt, nachgewiesen sei. Aber wir möchten uns auch nicht vor eurer hinlänglichen Aufhellung zu der Forderung drängen lassen, daß die Grenzen ohne Weiteres zu öffnen und damit die unleugbaren großen Vortheile, die die Sperre für den Gesundheitszustand im heimischen Vichstande mit sich bringt, kurzer Hand zu vernichten seren, vielmehr der frühere perma nente Verseuchurrgszustand wiederherzustellen wäre. Deutsches Reich. * Leipzig, 6. September. Das sächsische „Vater land" stellt sich nvch begriffsstutziger, als eS ist. Ihm ge nügt der Fehltritt, den es mit seinem bösen Fahnen- Artikel begangen, nicht, denn es kommt heute auf diesen und auf unsere Kritik desselben zurück, wundert sich über sie und wirft uns Unsachlichkeit vor. Der Vorwurf ist nicht unberechtigt,' in der Annahme, dem conservativen Blatte werde die bessere Einsicht schon von selbst kommen, hielten wir eine sachliche Widerlegung für überflüssig. Dies war ein Jrrlhum, denn „das Organ des conservativen Landes vereins Ke." ist in diesem Falle gar nicht cowervativ, und wir müssen ihm also sachlich antworten: Das Blatt mit dem Namen „Vaterland" bekennt sich zur materia listischen Weltanschauung, für durch Tradition und Schwur geheiligte Feldzeichen ist nach seiner Ansicht kein Raum im Heere, sie sind überflüssig, ja schädlich, die Fahne ist ein unnützes Ding. Das ist, mit Verlaub, die Ansicht des „Vaterlandes" und — der Socialdcmokratie, und daher unsere „wohlwollende Annahme", dem Blatte fei ein Malheur mit einem Ausschnitt passirt. In Evnsegucuz dieser gcvfsenbarteu Anschauungsweise kann das „Vater land" mit der Fahne ja auch das ganze stehende Heer zum alten Plunder werfen, für die Milizheere schwärmen und nachher behaupten, das sei eine Zweümäßigkeitsfrage rein militär-technischer Natur und habe mit der Politik nicht das Geringste zu thun. Diese vorgeschützte Einfalt wird ihm aber nichts nützen, und die soeialdcmvkratische Presse wird das „Vaterland" in ihrer Mitte willkommen heißen. Diese selbstverständlichen Sätze also zur Aufklärung über die militär-politische Seite der Fahnen-Angelegenheit. lieber die rein-militärische Seite wagen wir mit dem kriegserfahrenen „Vaterland" keinen Disput; in diesem Falle hilft uns aber Jemand, dessen Wissenschaft nicht, wie nach Ansicht des Blattes die unsrige „beim Be trachten mehr oder minder unnatürlicher Schlachtcnbildcr" gewonnen ist; in der „Täglichen Rundschau" schreibt näm lich der Generalleutnant z. D. A. v. Bo guslawski zn der Sache u. A.: „Das sächsische „Vaterland", ein conservativcs Organ, hat kürzlich die Ansicht ausgesprochen, das; man die Fahnen der Truppcnthcilc beim Ausmarsch ins Feld zu Hause lassen solle. — Dies war iu früheren Zeiten bei der sogenannten leichten Infanterie, den Füsilieren und Jägern, in der preußischen Armee Bestimmung, weil man beabsichtigte, sie vorzugsweise zum zerstreuten Gefecht zu gebrauchen und daher die Besorgnis; hegte, daß die Fahnen dabei leicht verloren gehen könnten. Das war eine ganz schiefe Auffassung der Sache, denn die Fahne gehört zur Truppe und geradedann, wenn sie berufen ist, ihr Handwerk Angesichts des Todes auszuüben. Auch von der Idee muß man sich frei machen, daß der Verlust einer Fahne unter allen Umständen eine Schmach ist. Es kornmi ganz darauf an, wie man sie verliert « . . Tie Fahne lvird vom LandcSherrn verliehen und trägt seine oder des Landes Farben. Sie wird zum Symbol der Krieger treue am Fürsten oder am Staat und der milirärischen Ehre. Sic wird von Pricsierhand geweiht, und der Soldat leistet bei ihr den Eide. — In diesen! Sinne werden der Fahne milirärische Ehren erwiesen, als dem sichtbaren Zeichen der Ehre und Treue. WaS für eine Bedeutung soll aber dies Symbol für den Sol- darcn haben, wenn es zu Hause bleibt? Mit welcher Ehrfurcht betrachteten wir als junge Soldaten ^ie Fahnen mit dem eisercncn Kreuz von 1813 an der Spitze, die noch in den Schlachten des großen Friedrich, die bei Leipzig und Belle Alliance im Pulvcrdarnpfc geweht hatten! Mit denselben Ge fühlen muß die jetzige Jugend die Fahnen von Düppel, König- grätz, MarS-la-Tour und Sedan betrachten. Die Fahne ist eben die verkörperte Tradiüon des Regiments, der bleibende Zeuge seiner Tharcn. Die gegen die Mitnahme der Fahnen ins Feld angeführten practischcn Gründe hallen diesem idealen Ge danken nichi Stich. . . Der bei der Verthcidigung einer Fahne gezeigte Heroismus ist, wenn er auch Menschen koslct, kein todtcs Capital, sondern wirkt lebendig fori in den Ueberlieferungen deS Regiments. Der junge Fähnrich, der sich bei Halle 1806 die Fahne um den Leib wickelt, sich in die Saale stürzt und dabei seinen Tod findet, der Soldar deS 16. preußischen Regi ments, der zum Tode verwundet die Fahne noch an sich drück: und sie dem französischen Officier, der sie ergreifen will, mir seinen letzten Kräften srrcitig macht — der Haüfcn von Officier-, Ilntcrofficicr- und Soldatenleichcn, unter dem die Garibaldincr bei Dijon die Fahne des 1. Bataillons 61. Regi ments fanden, sind Zeugen der heldenhaften Thaten, die man der Idee verdankt, die sich an die Fahne knüpfr . . . Daß eine tapfere Truppe auch ohne Fahne fechten kann, er-' leidet keinen Zweifel, das kann aber kein Grund sein, uns dieses Symbols der Ehre und Treue zu berauben oder gar cs zu Hause zu lassen." Auch daü wird vcrmuthlich auf das „Vaterland" keinen Eindruck machen, aber einzig deshalb, weil der gemeinsame Boden fehlt, auf dem eine Verständigung möglich ist. Schließlich ist das nämlich gar kein Streit um Einzcldinge, sondern am letzten Ende um Weltanschauimgen, und die des „Vaterland" ist nicht die unsrige und nicht die des Generals v Boguslawski. Zum Schluß machen wir das „Vater land" noch darauf aufmerksam, daß cs nvch einen Schritt weiter zu gehen und überhaupt für Abschaffung der Fahne zu kämpfen hat, denn eine „Fahne", die im Kriege zu Hause gelassen wird, ist kein Feldzeichen und keine Fahne, sondern eine Stange mit einem Stück Tuch daran. An dem Instrument ist allerdings auch uns nichts ge legen. 0. H. Berlin, 6. September. (Deutschand und Haiti.) Der Seeraub, den daS die Flagge deö Präsi denten führende Kanonenboot „Cröte ä Pierrot" an dem Hamburger Dampfer „Markomannia" verübt bat, lenkt natürlich zunächst den Blick auf die maritimen Streitkräfte Feuilleton. 'S»' Nochmals: Das Deutschthum in Brasilien. Am 27. und 20. August erschien an dieser Stelle ein auf W. Heeren's Buch über Brasilien fußender Artikel unter der Ueberschrift „Das Deutschthum in Brasilien", der den Heercu'schcn Schilderungen vieles Interessante über den Bolkscharakter deS Vollblut-Brasilianers ent nahm und dann über das materielle und geistige Fort- kommen der deutschen Einwanderer wenig ermuthigende Erfahrungen des Verfassers mittheilte. Wenn nun Heeren's Buch in letzterer Hinsicht ein schränkenden Widerspruch eines uns so nahe stehenden, gründlichen und erprobten Kenners der brasilianischen Auswandcrnngsvcrhältnissc, wie vr. Herrmann Meyer- Leipzig, findet, so geben wir dessen beachtens- werthcn kritischen Ausführungen um so bereitwilliger an gleicher Stelle Raum, als er selbst durch unermüdliche, un eigennützige Fürsorge für die nach Brasilien wandernden deutschen Landsleute, insbesondere durch Gründung eigener Auswanderer-Colonien im Süden der großen Republik, sich unbestreitbare Verdienste erworben hat. Dr. Herrmann Meyer schreibt uns: Der an dieser Stelle erschienene Artikel fordert einige Berichtigungen heraus, da derselbe auf nicht durchweg halt barer Grundlage aufgcbaut und daher geeignet ist, ein un zutreffendes Bild von verschiedenen Verhältnissen in Brasilien, speciell über die AuswandcrungSfrage, zu geben und vor einer Auswanderung abschreckcn muß. Ich bin überzeugt, daß der Verfasser diesen Artikel durch- auis nicht tendenziös behandeln wollte, sondern daß cs ihm nur darauf ankam, in großen Zügen über das im vorigen Jahre erschienene Buch des früher in Brasilien thätig ge wesenen Pastors Heeren „Ueber das evangelische Leben in Brasilien" zu refcriren. Heeren, und mit ihm der Verfasser des Artikels, sagt, daß, wer cs in Deutschland noch eben aushalten könne, wer buch stäblich nicht zu hungern und zu frieren brauche, daheim bleiben soll. Tas ist sehr richtig. Falsch ist es aber, wenn Heeren behauptet, daß es der Auswanderer in Südbrasilicn nicht so weit bringen könne, seine mate rielle Lage wesentlich zu verbessern, und damit im Allge meinen ein ungünstiges Urtheil über die Colonisation Südbrasilicns abgicbt. Dann kennt eben Heeren die blühenden Colonien in Sa.-Catharina und Rio Grande do Sul nicht, in denen sich im Laufe weniger Jahrzehnte auf dem kräftigen, fruchtbaren Urwaldboden ein behaglicher Wohlstand aus nichts heraus entwickelt hat, allein durch Kraft und Fleiß der Auswanderer. Ich spreche nicht nur aus eigenen Erfahrungen, sondern berufe mich zu gleich auf das Urtheil von Leuten, die mit den Verhält nissen vertrauter sind, wie Sellin, Cannstadt, Jannasch, Funke, Papstcin, Eyc, Leysser, Kapff, Soyaux, Gernhardt uud Andere, deren Arbeiten über die Colonisation ich zur Lectüre empfehle. Heeren gicbt das Gebiet seiner Thätigkcit nicht nament lich an, cs geht aber aus Allem hervor, daß seine Wirk samkeit in Parana, speciell in der Hauptstadt Curityba, sich entfaltete. Parana ist von den drei Südstaaten das Land, welches für die Colonisation am wenigsten in Be tracht kommt, denn cS hat lange nicht so fruchtbaren Boden und so geeignetes Klima im Colonisationsgebict, wie die beiden südlicheren Staaten. ES wäre daher wohl möglich, daß Heeren in diesem Staate ein der artiges Gedeihen und Sprießen in den wirthschaftlichcn Verhältnissen der deutschen Cvlonlsten nicht kennen ge lernt hat, wie man cs in den anderen Südstaatcn an trifft. Um so mehr muß man davor warnen, seine Aus führungen zu verallgemeinern. Heeren widerspricht sich aber auch. Auf Seite 33 sagt er, der einfache deutsche Arbeiter habe cS in den weitaus meisten Fällen besser als der deutsche Colonist und Arbeiter in Brasilien, denn „kann er sich auch kein Reitpferd satteln, keltert er sich auch keinen Wein und greift er nur mit den Finger spitzen in die Kaffeebüchse, hat er doch fein gutes Aus- kvnrmen und so Vieles, was unsere deutschen Brüder in Brasilien entbehren. Er empfängt bewußt und unbe wußt alle die Bortheile, Segnungen und geistigen Güter, welche daS Leben in einem entwickelten, gesitteten Volke auch dem Geringsten gemährt." Er führt alsdann die Vortheile der deutschen Rechtspflege, Verwal tung, der genauen Steuerzahlung und der ge regelten Post- und Polizetvcrhältnifse an. Ich meine doch, daß für den Auswanderer in erster Linie die materielle Lage in Frage kommt. Wenn cs ihm drüben leichter gelingt, sich einen guten Lebensunterhalt zu schaffen und dabei Grund und Haus sein eigen zu nennen, so ist das für ihn zunächst das Wichtigere, auch wenn er die geistigen Güter in der ersten Zeit entbehren muß, als wenn er in Deutschland bet schwerster Arbeit nicht vorwärts kommt, hungert und friert und nicht die Aussicht erblickt, für sein Alter einen Zehrpfennig zurttckzulegcn. Dies Bewußtsein muß den armen Mann weit mehr dcprt. miren, als wenn er sich sagt, daß die VerwaltungSvcr- hältnisse seine» Landes nicht die besten sind. Der schwere Druck, den die Sorge um das tägliche Brod auf ihn legt, verdrängt in dem Arbeiter hier ideale Regungen. Wer dcSkxtlb gerade so viel Mittel hat, die ilnn die Ueberfahrt, die Anschaffung des nöthigcn AuSwandcrcrgutcs und den Unterhalt für die ersten Monate bis zur Ernte ermöglichen, Mittel, die sich pro Familie auf allerhöchstcns tz'M stellen, der mag die Auswanderung ruhig wagen. In der Hcimath ist cs ihm unmöglich, mit dieser Summe eigenen Besitz zu erwerben. Es ist auch falsch, oder doch nicht für die übrigen Staaten giltig, wenn Heeren behauptet, daß die Colonisten drüben die Verhältnisse iu Deutschland den brasilianischen vor zögen und Sehnsucht nach ihrer Heimath Hütten. Es wird kaum einer, der drüben Haus und Hof besitzt, mit dem deutschen Fabrikarbeiter tauschen wollen, und der freiere politische Geist, der dort weht, hält Planchen fest. Er wird deshalb, wenn keine anderen Einflüsse an ihn herantreten, kein schlechterer Deutscher, und hängt mit dem Herzen fest an dem deutschen VolkStlmm, deutscher Art und Sitte, an Kaiser und Reich mit seiner glorreichen Geschichte. Er wird deutsche Interessen drüben stets gern vertreten, aber zurück iu die beschränkten Ver hältnisse, in die dunklen Fabrikräumc geht er unter keinen Umständen. Heeren schreibt ja selbst: „Deutsche-arbeiten sich meist so weit empor, daß sie sich im Laufe der Zeit ein Haus auS Fachwerk oder ganz aus Ziegeln bauen konnten. Ihre Wohnungen gaben sich daher meist schon durch ihr Aeußcrcs zu erkennen. Zeigt ein HauS Fenster von Glas, anstatt der hölzernen Läden, und dahinter weiße, saubere Gardinen, so konnte man, auch ohne daß blonde, blauäugige Kinder davor spielten, mit ziemlicher Gewißheit darauf schließen, daß die Bewohner deS Hauses nicht Italiener oder Polen, noch viel weniger Brasilianer waren. Das Innere des Wohnzimmers wies noch bestimmter daraus hin. Von den Wänden grüßten vertraut die Bildet Luthcr's und seiner Helfer, Kaiser Wilhclm's I. nnd seiner Nachfolger, BiSmarck's und Moltke'S, Erinnerungsbilder au's der Militärzeit Und Zeugnisse der Thcilnahmc an Feldzügen, Eonfirmationsscheine und christliche Haussegen. Die Räume waren an und für sich schon freundlich und ciu- ladcnd. Wozu muß doch bei uns im Winter das Wohnzimmer armer (und nicht armer)
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