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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020830021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902083002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902083002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-08
- Tag 1902-08-30
-
Monat
1902-08
-
Jahr
1902
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Je wärmer die Töne sind, die in Berlin bei der Be gegnung des Kaisers und deS Königs von Italien an geschlagen worden sind, um so weniger wird es befremden tonnen, wenn die verschiedenen Unterredungen, die der Reichs kanzler Graf Bülow mit dem italienischen Minister des Auswärtigen, Princtti, schon gehabt hat und noch haben wird, in einzelnen Blättern die Deutung finden werden, es bandele sich dabei auch um handelspolitische A bmachungcn zwischen Deutschland und Italien. Der Borgang würde nicht einmal den Borzug der Neuheit haben, da bereits gelegentlich des Aufenthalts des Reichs kanzlers in Venedig im Frühjahr dieses Jahres Ausstreuungen und Behauptungen verbreitet wurden, die darauf hinaus- licfcn, Graf Bülow habe der italienischen Negierung gegen über bindende Zusagen in Betreff der Gestaltung einzelner Italien besonders interessirender Zollpositionen gegeben. Diese Machenschaften fanden durch unzweideutige gegentheilige Er klärungen der Negiernngsvcrtrcter in der Zolltariseommission ein ziemlich schnelles Ende. Ihre Erneuerung würde den Urhebern auch schwerlich Erfolg verheißen, denn nachgerade ist man auch in jenen Kreisen, welche ter Zoll politik der Negierung am schroffsten gegcnübcrstebcn, von ter Loyalität des Verhaltens der Reicksregierung in dieser schwierigen Angelegenheit durchaus überzeugt. Wie erst vor wenigen Tagen von einer Seite, der ohne Wider spruch ziemlich enge Beziehungen zu der obersten Leitung ter Rcichsangelegenheiten nachgesagt werden, aus das Be stimmteste erklärt wurde, daß die Bundesregierungen in fcstgeschlossener Einigkeit auf dem Boden des dem Reichs tage vorgclegten ZolltarisentwurfS ständen und nicht daran dächten, durch die Einleitung nochmaliger Besprechungen zwischen den Ministern der größeren Bundesstaaten auch nur den Schein aufkommen zu lassen, als ob dieser Boden er schüttert werden könnte, so kann heute die „Nat.-Lib. Corr." auf Grund guter Informationen versichern, „daß die Reichs regierung beziehungsweise der Reichskanzler auch heute nicht im Entferntesten gewillt ist, die deutsche Handelspolitik Italien gegenüber in irgend einem Puncte sestzulegen." „Ein solches Unterfangen", fährt die genannte Correfpondenz fort, „würde schon verfassungsmäßig unzulässig und undurchführbar sein. Die Neichsregierung ist im Gegentheil nach wie vor der Ansicht, daß die Feststellung des Zolltarifs durchaus zu den inneren Angelegenheiten des Reiches gehört, und sie ist gewillt, die Politik des Schutzes der nationalen Production und der nationalen Arbeit unbeirrt von irgend welchen äußeren Einflüssen durchzuführen. Daß dabei Rück sichten auf das Maß deS Erreichbaren obwalten müssen, ist selbstverständlich. Diesen Rücksichten, die in dem Wunsche nach dem Zustandekommen der Handelsverträge begründet sind, ist eben schon in dem von den verbündeten Negierungen dem Reichstage vorgelegten Tarifentwurfe Rechnung getragen worden, der nicht nur die Interessen der verschiedenen Zweige der einheimischen Production sorgfältig gegen einander abgewogen hat, sondern auch die Basis festhält, auf der handelspolitische Abkommen von längerer Dauer mit dem AuSlande möglich und durchführbar erscheinen. Wir nehmen als selbstverständlich an, daß die Verhandlungen deS leitenden Staatsmannes Deutschlands mit dem italienischen Minister des Auswärtigen auch die schwebenden handels politischen Fragen berühren, aber wir sind auch überzeugt — und diese Ueberzeugung dürfte allseits im Reiche gelheilt werden —, daß dabei auch nicht ein Titelchcn der berechtigten Ansprüche und Interessen Deutschlands preisgegeben oder auch nur im Entferntesten der konstitutionelle Instanzenzug getrübt wird. Die „sestgescklossenc Einigkeit" der Bundes regierungen in der Zolltariffrage gilt ebensowohl für die Wünsche deS Auslandes, wie für die Ansprüche einzelner Intcressentengruppen im Inlandc." Mit dem äußeren Erfolge deS in Mannheim soeben zu Ende gegangenen „Deutschen Katholikentages" können die Veranstalter zufrieden sein. Die in Massen versammelten Theilnchmer haben alle Redner mit Beifall überschüttet und Alles beschlossen, was sie sollten. Aber die Herren Leiter halten doch noch mehr erwartet: sie haben sich in ihrem Machtbewußtsein sogar mit der Hoffnung getragen, der Kaiser, der kurz vor her durch die Beröffenilichung seiner Swincmünder Depesche sein herbes llrtbeil über daS Verhalten des bayerischen Centrums aller Welt kundgelhan hatte, werde sich angesichts ter Mannheimer Centrumöparade der Machtmittel des deutschen Centrums erinnern und durch eine entgegenkommende Antwort ans das Begrüßungstelcgramm der Mannheimer Versammlung den Eindruck seiner Swinemünder Kundgebung zu verwischen suchen. Daß diese Hoffnung nicht in Erfüllung gegangen, kränkt besonders die „Köln. Bolksztg.", deren Chef redakteur CardaunS bekanntlich in Mannheim den Vorsitz führte. DaS Blatt schreibt: „Viel bemerkt wurde der warme Ton und die individuelle Fär bung, welche die Antwort des Großherzogs Friedrich von Baden auf die Begrüßung des Katholikentages zeigte. Es ist wohl das erste Mal, Laß ein Landesherr in dieser Weise der Generalversammlung der Katholiken Deutschlands eine über all- gemeine höfliche Redensarten hinausgehende Form des Dankes widmete — auch ein Fortschritt zum Besseren, der um io angenehmer empfunden wird, als die Antwort des Kaisers nicht aus jenem Nahmen hinaustrat: das übliche „Majestät haben anzunehmen geruht" und „Majestät lassen danken" durch Herrn v. LucanuS Man schein* kn - Um gebung des Kaisers sich immer noch nicht entschließen zu können, der alljährlichen großen Kundgebung Les katholischen Volkstheils im deutschen Reiche diejenige Bedeutung bcizumessen, die ihr zukommt und anderwärts allgemein auch nicht mehr vorenthalten wird. Wenn die chinesische Mauer in Karlsruhe gefallen ist, könnte man in Berlin, der Reichshauptstadt, auch etwas moderner werden." Die Zumuthung, die in diesen Sätzen liegt, ist um so stärker, je mehr die Mannheimer Versammlung sich bewußt sein muß, durck eine ganze Reihe von Kundgebungen sich in schroffstem Widerspruch zu dem gesetzt zu haben, was daS Oberhaupt des preußiscken Staats und des Reiches wollen und an streben muß. Wir brauchen nur an die Stellungnahme des „Katholikentages" zur Polenpolitik zu erinnern. Gerade wenn dem offenenEintreten derMannheimerDersammlung sür die ärgsten Feinde des preußischen Staates und der preußischen Monarchie eine tiefere Bedeutung beigemessen werden muß, ist das Verlangen, der Kaiser solle dieser Versammlung in einer über allgemeine höfliche Redensarten hinauSgebcnden Form danken, eine Dreistigkeit, auf die ein Telegramm im Tone der Swinemünder Depesche am Platze wäre. Man erinnere sich ferner an das Dictum des DomcapitularS I)r. Schädler,rder Staat habe für den Arbeiter „nur Kanonen und Steuerzettel". Darf etwa eine Versammlung, die einer so groben Anschuldigung jubelnd beipflichtet, den Anspruch erheben, wohlwollende Anerkennung des Kaisers zu finden, von dem alle Welt weiß, daß die Arbeitersürsorge ihni besonders am Herzen liegt'? Ucbrigens haben sich Herr vr. Schädler und die jubelnde Versammlung mit dieser Anschuldigung in sckrosfen Gegensatz zu den Centrumsführern gesetzt, die sich beständig ihrer Mit wirkung an der socialpolitischen Gesetzgebung rühmen und dieser also eine hohe und segensvolle Bedeutung beimessen. Einer dieser Herren, ein KatholikentagSrevner sogar, der sick für die Männerklöster ins Zeug legte, Or. mock. Gassert aus Freiburg i. B., hat sogar kürzlich ans dem Charitastage in München am Schlüsse eines Vortrags „über die modernen Bestrebungen der Charitas" folgende Mahnung an seine Gesinnungsgenossen gerichtet: „Hören wir überhaupt einmal auf, alles liebel dem modernen Staat und dem modernen Zeitgeist in die Schuhe zu schieben. Wir deutschen Jünger der Charitas haben allen Grund, mit den socialen Leistungen des modernen deutschen Staates zufrieden zu sein. Ter Staat ist unser stärkster und mächtigster Bundes genosse auf dem Felde moderner Charitas. Wahrlich, seine Leistungen stehen hinter unseren Bestrebungen nicht zurück. Die staatliche Fürsorge für die Kranken, Armen und Schwachen, sie ist nicht nach Nietzjche'schen Grundsätzen eingerichtet, sondern nach christ- lichen. In dem, waS die staatliche Gesetzgebung für die Armen gethau, im Armenrecht, steckt doch in letzter Instanz die Charitas. Auch in der Zwangsarmenpflege, in der vorläufigen Fürsorge, im Unterstützungswohnsitz, stecken große, weitherzige charitative Gedanken. Daß cs auch eine Armenpolizei geben muß, an dem ist nichts Un christliches, das ist nichts als Gerechtigkeit; Gerechtigkeit aber ist die erste Pflicht einer vernünftigen Charitas. Sodann ist das Recht des Armen aus öffentliche Unterstützung nicht nur ein kultureller, son dern zugleich ein ethischer Fortschritt der modernen Gesellschaft. Daß der Staat die Ausländer von der ZwangSarmenpflege nicht aus schließt, daß er nach dec Ursache der Hilfsbedürftigkeit und nach der Würdigkeit der Hilfsbedürftigen in erster Linie nicht fragt, das sind große und schöne Züge des deutschen Armcnrechts. Und die kaiserliche Botschaft des Jahres 1881, in der die Nothwendig- keit erhöhter staatlicher Fürsorge für den ganzen Arbeiterstand aus gesprochen wurde und welche dann die ganze Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung zur Folge hatte, sie war eine christlich moderne That ersten Ranges und ein großer Fortschritt auf dem Gebiet socialer Charitas." Und jetzt erdreisten sich die Leiter des Mannheimer TageS, dem Staate nicht nur den ungeheuerlichen Vorwurf ins Gesicht zu schleudern, er habe für den Arbeiter nur Kanonen und Steuerzettel übrig, sondern auch für die Urheber dieses gröblichen, von hervorragenden Parteigenossen gründlich widerlegten Vorwurfs die kaiserliche Anerkennung zu fordern! Die französische Presse hat sich bisher im Allgemeinen darauf beschränkt, über den Besuch Viktor Emanuel s in Berlin einfach zu berichten. Der „Figaro" schickt den deutschen Prcßslimmen über den Besuch folgende Be merkung voraus: Den Dreibund, dessen Bande sich ge lockert zu haben schienen, wieder fester zusammenzu schließen, die italienische Bundesfreundschaft, die erkaltet zu sein schien, in Beschlag zu nehmen, das ist das Ziel, welches die Presse Henle in den wirklich herzlichen Artikeln ver folgt, die sie dem Besuche des Königs von Italien widmen. Der „Gaul vis" zieht, wie der ,^Köln. Zlg." ans Paris gemeldet wird, Schlüsse zu Nngunstcn der gegenwärtigen französischen Regierung, die er für die Erneuerung des Dreibundes mittelbar verantwortlich macht. Er schreibt: Die Deutschen empfangen den König von Italien, wie wir kürzlich den Kaiser von Rußland empfingen. Man bezeugt ihm eine Zuneigung ohnegleichen. Man könnte ihn nicht mit größerer Warme begrüßen, wenn er die Oberherrschaft über das Mittclmecr dem deutschen Reiche als Gastgeschenk brächte. Tie Uebcrtrcibung der Begeisterung läßt vcr- muthcn, daß man einige Zweifel an der Treue des dritten Bundesgenossen geschöpft hatte. Die Wiederanknüpfung guter Beziehungen zwischen Frankreich und Italien, die Reise Viktor Emanncl's nach Rußland, die erwachte Neigung der italienischen Presse, nnserm Lande, das sie noch vor Kurzem als Feind betrachtete, besondere Schmeicheleien zu sagen: all diese Umstände haben Wilhelm 1l. bedenklich gemacht. Er hat einen Augenblick glauben können, daß der Dreibund sich in einen Zweibund verwandle, dagegen das französisch-russische Bündniß sich durch den Eintritt eines dritten Bundesgenossen kräftigen würde. Es ist nicht zweifelhaft, daß im gegebenen Zeit punkte keine große Anstrengung nöthig war, unsere lateinische Schwester von ihrem germanischen Bundesge nossen loszureißen. Mit (beschick und vor Allem mit Be harrlichkeit hätte ans das italienische Eabinet im Dienste unserer Interessen cingewirkt werden müssen. Italien, das sich mit Frankreich versöhnen wollte, würde diese Annäherung stärker betont haben, wenn unsere Staats männer den guten Willen dazu gezeigt hätten. Der „Gaulois" schließt: Das Alles bedeutet vielleicht den europäischen Frieden. Aber cs ist schmerzlich, zu denken, daß Fr a n k r c i ch a l l e i n d i e K o st c n t r ü g t. Die „Autoritv" meint, auf den Begrüßungsartikel dec „Kölnischen Zeitung" hinweisend: Wenn Wilhelm H. der artige Artikel gegen uns schreiben läßt, so hat ihn sicher die Diplomatie deS O-uirinals dazu ermächtigt. Ter Schluß ist klar: Italien betrügt uns. Bon Zeit zu Zeit wird die Nachricht verbreitet, daß die russische Regierung eine Aenderung ihrer Politik in mildem Sinne gegen Fin- land plane. Daß das nicht der Fall ist, be weist die eben erfolgte Ernennung des Wirk lichen Staatsratlitz Mjässvjedow zum Gouverneur von Wyborg. Dieser Herr, der zuletzt Mitglied des Raths im Justizministerium und Obcrprvcureursgehilfe im Senate war, ist einer der wildesten Russificatoren der Regierung. Zu Beginn der 80cr Jahre hatte man ihn nach Riga als Gouvcrncmcntsprocureur gesandt; er arbeitete dort ganz im Geiste Pobjedvnoszcw's und hat die berüchtigte Senatorenrevisivn Manassclns trefflich vorbereitet. Er haßte das baltische Deutfchthum und seine ständischen Ein richtungen mit der ganzen Gluth des demokratischen Slawen. Aber sein Auftreten war auch äußerlich so schroff, daß die baltischen Vertreter sich schließlich nur auf den schriftlichen Verkehr beschränkten und jede sonstige I Verhandlung ablehnten. In Petersburg kam man in I Folge dessen zu der Ueberzeugung, daß Mjässojcdow die Feuilleton. Vas Fraulein von Saint-Sanveur. 24j Roman von Gröville. UNacktruck verboten.) Sic wollte den Gedanken nicht vollenden. Ja, Frau von Olivettes war geschminkt und verblüht! War es denn wirklich denkbar, daß sie, Antoinette von Villor», sich mit dem Gedanken befreundet haben konnte, in ihrem ehrbaren, friedlichen Hause herausfordernde Schönheiten gleich dieser Frau zu empfangen, die einen Namen trug, den sic — so gerne vergessen Hütte! Da sic aber eine gute Erziehung genossen, sprach sic einige höfliche Worte, woraus eine kleine Pause cintrat. „Ich habe keine reiche Hcirath gemacht", nahm Jehan trotz seiner scheinbaren Bescheidenheit nicht ohne Stolz wieder auf; allein meine Frau besitzt Talent und Genie, und das wiegt alles Andere auf. Sic spielte die Haupt rolle in dem Stücke, welches ich vor einem Monat etwa ansfnhren ließ, und von dessen Erfolg Sie vielleicht auch gehört haben ?" Landry wagte nicht, zu gestehen, daß er, von seiner Liebe und Verhcirathung völlig in Anspruch genommen, ganz vergessen hatte, die Zeitungen der letzten Wochen zu lesen. Obschon er vor sich selbst crröthetc, als er sah, mit welcher Keckheit und Sicherheit er zu lügen vermochte, gab er sich den Anschein, als wäre er über das Er eignis; dieser Aufführung vollkommen unterrichtet; dann sagte er der genialen Künstlerin einige Schmeicheleien über die vollendete Meisterschaft, mit welcher sic die Haupt rolle in einem ihm ganz unbekannten Stücke gespielt. Inzwischen unterzog Antoinette die junge Fran einer eingehenden Musterung. Trotz des übermäßigen Ge brauchs von Puder und schwarzer Farbe um die Augen war sie wirklich schön zu nennen, und was noch mehr besagen wollte, sic besaß auch eine recht ehrbare Miene, die man aber erst bei näherer Betrachtung erkannte. „Wir sind Beide so ziemlich gleich mit Glücksgütcrn gesegnet", fuhr Jehan fort, wobei er einen achtungsvollen 'Blick auf Frau von Billor6 heftete. „Doch haben wir frischen Muth, wir glauben fest an unser beiderseitiges Talent, und diese Zuversicht ist schon eine Bürgschaft für das Gelingen; nicht wahr, Fanny?" Fanny blickte ihren Gatten mit einem innigen, glück lichen Lächeln an, so daß Antoinette ihr mit einem Male die Hand entgegenstreckte. „Wir wollen hier acht Tage verbringen. Dies ist zu gleich unsere Hochzeitsreise", sagte Jehan, indem er das Kleid seiner Frau ein wenig schüttelte, daß ein ganzer Regen von Eonfctti entstand, der langsam zu Boden rieselte. „Und nun kehren wir nach Paris zurück; denn man muß leben, das heißt: arbeiten. Nächst der Liebe ist ja die Arbeit das Beste, was man hat." Er verneigte sich vor Frau von Villorö mit der Förm lichkeit eines mittelalterlichen Troubadours, reichte Landry die Hand, und die beiden Paare, die hier durch einen außerordentlichen Zufall zusammcngcführt worden waren, schritten in entgegengesetzter Richtung weiter, wie es ihnen das Schicksal für alle Zukunft vorgeschricbcn hatte. Eine Weile schritt Landry schweigend neben seiner jungen Gattin dahin; dann sagte er plötzlich: „Vorhin hattest Du recht, mein theures Kind, und nicht ich. Diese Hcirath gereicht Olivettes zur Ehre. Ich weiß nicht, wie dieselbe enden wird; aber für alle Fülle hat er sich bester bewährt, als ich gedacht hätte." Die Dunkelheit war völlig hcrangcbrochen. Tie junge Frau nahm den Arm ihres Gatten und sprach ver traulich: „Man glaubt, daß wir hier bleiben; in Beaulieu er wartet man uns auch nicht. Wollen wir nicht in Mcntone übernachten, statt den Lärm dieser tollen Nacht über uns ergehen zu lassen? Dort ist der Earncval seit gestern zu Ende, so daß wir uns der vollsten Ruhe erfreuen könnten, die wir schon seit Langem nicht genossen haben." „Einverstanden; doch müssen wir vorerst telephonircn, da wir sonst bei „Mutter Grün" übernachten müßten. So schön auch die Sterne hier zu Lande sind, ein gutes, be- gucmcs Zimmer ist des Nachts immer noch vorzuziehen." „So laß uns denn telephonircn!" erwiderte Antoinette heiter. „Und morgen unternehmen wir ganz allein einen Spaziergang in die Berge, ja?" Landry hüllte sie in einen Blick voll Zärtlichkeit und Anbetung ein. Jedesmal, wenn sie ihm ohne äußeren Anlaß einen Beweis von Liebe gab, hatte er Lust, ihr zu danken. Nach so langem qualvollen Warten hatte er sich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnen können, daß das holde Wesen, daS ihm so lange widerstrebt hatte, nun gänzlich sein geworden sei. Ihre Fahrt durch die strahlende Nacht, ihre Ankunft in dem großen, ruhigen Gasthof, der still und lautlos dalag, denn alle Gäste, die das Vergnügen liebten, waren nach Nizza gegangen, erinnerte gewissermaßen an eine Entführrrng. Tie junge Frau mochte dies undeutlich fühlen; denn als sie in daS große, hellerleuchtete Zimmer trat, welches man für sie vorbereitet hatte, sagte sie zu ihrem Gatten: „Man sollte meinen, daß dies unsere Hochzeitsreise sei, und dabei sind wir doch schon seit sechs Wochen ver- hcirathct . . ." Der nächste Tag brachte herrliches Wetter. Die Sonne, die man nur an der Riviera und nur um diese Jahreszeit in so strahlender Pracht sicht, übergoß das Meer mit einer Strahlenfluth, die die ewig ruhelosen Wellen in blendender Farbcngluth glitzern machte. Ein kleiner Wagen, vor den ein kräftiges Pferd gespannt war, erwartete das junge Paar, das langsam hcrbeikam und mit glücklich lächelnder Miene in daS Fuhrwerk stieg. Landry ergriff die Zügel. Er hatte sich aufs Genaueste nach der cinzuschlagenden Richtung erkundigt, und nach dem man den Groom entlassen, fuhr das glückliche Paar auf dem nach Easrclar führenden Weg davon. Eine Weile schon war man durch die herrliche Ge birgsgegend gefahren, als Antoinette, die sich auf dem Sitze des kleinen, niedrigen Wagens immer enger an ihren Gatten geschmiegt hatte, mit leiser Stimme, als hätte sie Jemand vernehmen können, zu sprechen anhub: „Landry, sage mir aufrichtig, bist Du glücklich?" Das Pferd kannte seinen Weg und benöthigte keines Zuspruchs, um in seinem mäßigen Trab zu verbleiben. Rasch hatte Landry den Blick nm sich schweifen lassen und in der nächsten Sccunde — der Wahrheit die Ehre! — seine junge Frau innig auf die Wangen geküßt. „Wie sollte ich nicht der Glücklichste aller Sterblichen sein?" fragte er sodann. Antoinette blickte ihn mit flehender Miene an. „Ich habe Dir so vielen Kummer bereitet", sagte sie; „und wenn Du wüßtest, Landry, wie leid mir das jetzt thut!" „Leid thnt cs Dir?" rief Landry so kant aus, daß der Pony dies für eine Aufmunterung ansah, eine raschere Gangart einzuschlagcn, die er aber nicht lange bcibebielt. „Ja, sehr leid, und mein Gewissen läßt mir keine Ruhe!" versicherte Antoinette, indem sie das schöne Gesicht ein wenig abwandtc. „Und dennoch weiß ich nunmehr, was ich damals nicht wußte, daß ich Dich nämlich immer geliebt habe. Sehr oft habe ich mir diese Frage vor gelegt, und heute erst bin ich meiner Antwort vollkommen sicher." - «Mein theures Weib!" murmelte Landry, doch ohne sie anznblicken, da er sich von seinen überquellenden Em pfindungen nicht übermannen lassen wollte. Sie schmiegte sich noch enger an ihn und fuhr zu sprechen fort: „Und doch hätte cs eines Tages — oh, cs war ein schrecklicher Tag, Landry! — nur eines geringen Anlasses bedurft, um Dich meines Herzens zu versichern. Es war an dem Tage, da der arme kleine Junge starb. Er innerst Tu Dich noch, Landry?" „Ja, ich erinnere mich", erwiderte Landry sehr ernst. „Als ich die Maschine stillstehen hörte und dann das Geschrei vernahm, da dachte ich, Du seiest es, mein Ge liebter . . . Du warst mit so ernster Miene von mir ge gangen . . . sahst so unglücklich aus . . ." „Tu hattest doch nicht geglaubt, ich würde die Feigheit begehen, einen Selbstmord zu verüben?" unterbrach sie Landry hastig. „Nein, das gewiß nicht! Es giebt aber Tage im Leben, da man allen Mnth sinken und sich vom Verhängnis; treiben läßt. Ich glaubte also, dies sei auch bei Dir der Fall ge wesen. . . . Hätte ich Dich in jenem Angenblick allein an getroffen, so würde ich mich gewiß an Deine Brnsl ge wvrfen haben, und ich hätte schon an jenem Tage erfahren, was ich erst später empfand . . ., daß ich ohne Dich nichl zu leben vermag! Doch vor den vielen Menschen schien ec- mir, als hätte sich eine große Scheidewand zwischen n:iv errichtet, und mein Herz verschloß seine Empsindungen wieder in sich. Und das verwundete Kind, Deine Gute, der Tod .... all' das war so ernst und erschütternd, daß . . ." „Ernst und erschütternd ist die Liebe, süßes Weib", siel ihr Landry ins Wort, während er sinnend vor sich hin blickte. „Ja, sie ist ernst und erschütternd, Landry, und auch an Thrünen reich. Als wir später wieder allein waren, da war der Tod an uns vorübcrgeschritten, nnd was ich eine Stunde früher zu sagen vermocht hätte, wäre jetzt nm keinen Preis mehr über meine Lippen getreten. Und dessen ungeachtet glaube ich, daß ich Dir das Geheimnis; meiner Seele voll und ganz preisgegebcn hätte, wenn Du gewollt, wenn Du cs gewagt hättest, noch weiter in mich zu dringen. . . . Allein Keines von uns Beiden be fand sich in der dazu erforderlichen Stimmung. Armes Kind! Eigentlich verdanken wir unsere Vereinigung nur ihm allein, Landry! Wir werden ihm einen schönen Garten an seinem Grabe anlcgcn und ein steinernes Kreuz dazu pflanzen, damit eS selbst uns überdauere/ Landry verschloß seiner Frau mit einem Kusse den Mund. Weit und breit war keine sterbliche Seele zu sehen. „Es ist merkwürdig", nahm Antoinette wieder auf, „welche thörichte Streiche uns die Phantasie zuweilen spielt! Ich glaubte Dich nicht zu lieben, weil ich nicht
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