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Nr. L»8 21. Jahrg. Fernsprecher: Redaktion 32723 - Geschäftsstelle 32722 Postscheckkonto: Dresden Nr. 147V? Sonntag, 27. August 1923 Redaktion und Geschäftsstelle: Dresden «A. 18» tzolbeinstraße 46 volfsmtung v«»»«er>r»<*> Mona! August »« F«. «inzelnnmmer 1.8«^. Die SSLNs«e«oIk?,estuna crlcheinl ws-beistllch sechsmal. I Vorschrift aut obige Preise 28 Prozent Zuschlag. Ofsertengebichr: lilc Selbstabholer 2 bei Ilebecleiiduug durch iUnzetgruprels, Die «iugelpalteue Petitzeile « sür Familie»- und PereinSauzeigen. Stellen, und Mtelgeluche 8 I die Post außerdem Portozulchlag. Im Falle höherer Gewalt oder beim Ausbleiben der Pavierlleieruimen „sw. erltftüs v>e Petst-tiiellamezeli« im redatitouellen Teil. SS mm breit. 28 Für Inserate mit besonderer PlazterungS. s ,cdc «erpftichlung aus SrMung von Aiize^eu-Autlrügeu und Leistung von Lchadeuersa,,. Sprechstunde der Redaktion:<>—N Uhr nachm. Nicht ausdrücklich zurückverlwlatc und I FLr undeutlich gelchriebene sowie durch Fernsprecher aulgegebene Anzeigen mtt Rückporto nicht versehene «iniendungeu andicNedaktion werden nicht autbewahri. > können wir dt« Peramwortlichkeit sür die Nichtigleii des Textes „ichl übernehmen. Annahme von GelchüslSan,eigen bi» L<» Uhr, von Familieuan,eigen bis I» Uhr vormittags. — Ammhmestellen in Dresden, Schmtdt'lche Buchhandlung. Inhaber P. Beck Schlohitratze 5. in «antzen, Fran, skursat An der Vetrillrche » MWm »ks Wer M M« dkl M Im Höchster Schulstreik ist insofern ein Erfolg erreicht worden, als die katholischen Schüler laut Verordnung des preu. ßischen Kultusministers auS den Klassen der drei Lehrer, an deren Weltanschauung und Lehre die katholische Bevölkerung starken Anstost genommen hat, ausgeschult und in andere Klas sen verseht werden. In Magdeburg fand ein Elbschiffahrtstag statt, der zum ersten Male die gesamten Elbschiffahrtsinteressen vereinigte. Infolge der außerordentlichen Teuerung wurde in Wien den Arbeitslosen eine außerordentliche Notstandsbeihilfe auSge» zahlt. Die normale Tagesnnterstiitzung wurde für Familien- Häupter auf K72U und für Ledige auf 5048 Kronen erhöht. Die Türkei, Georg en und Aserbeidschan haben einen Ber- trag über die Transportfragen, den Post, und Telegraphendicnst, das KonsulatSwcsen und die Rechtsprechung unterzeichnet. Auf dem Flugfelde von Frescati stürzte ein französisches Militärflugzeug ab und wnrde vollständig zertrümmert. Der Benzintank explodierte, und das Feuer ergriff das ganze Flug, zeug. Ter Begleiter wurde getötet und der Führer schwer verletzt. Havas veröffentlicht eine Note, in der erklärt wirb, baß die Beschlagnahme der deutschen Bankguthaben in Elsaß-Lothringen vom 25. August aufgehoben wird. Der Rhönsegelflug-Wettbewerb endete am Donnerstag mit einem mehr als dreistündigen Dauerflug von Hentzen-Hannover. Weltsolidarität Wenn in München heute die Glocken ihren ehernen Sonntag ögruß über die im Morgendämmern liegende Hauptstadt erschallen lassen, dann gilt ihr erbaulicher Klang n-cht nur der eigenen Gemeinde. Eine größere Gemeinde hat iich heute in seinen Maliern versammelt, ein Teil jener großen heiligen Kircke, das ganze katholische Deutschland steht zu einer gemein« famen Kundgebung zusammen, hält Heerschau in Bayerns Haaptstaak, um in eener Welt des Haders und der Uneinigkeit dir Einheit und dis darin liegende Geistesmacht immer von neuem kundzutu». — Ja, wenn eS möglich wäre, daß auch nur größere Massen der Weltvölker einmal zu einer ähnlichen Kund, yebung zusammenkommcn könnten, dann hätte man längst auf. gehört, an den Grenzpfählen des eigenen Landes, der eigenen Nation bereits das Ende der Welt zu sehen. DaS Wort von der Weltsolidarität hätte einen besseren Klang und wäre heute geeignet, den Weg zu einer neuen Friedenszeit gemein, samer Kulturarbeit der verschiedenen Natio» neu zu ebnen. Die Welt ist eben auch ein großes Reich und ein Reich, das wider sich uneins ist, muß zerstört werden. Diese alte bittere Wahrheit ist ja scheinbar der heutigen Weit nicht mehr bewußt, sonst müßt« sie dem Gedanken der Rache Einhalt gebiete» und beginnen, die Saat der Liebe auszu» streuen. Es sind nur wenige Stimmen, die jenen Gedanken der Weltsolidarität bereits in vollem Maße erfaßt haben. „Ein langer stiller Weg des Halbverhungerns und der all» mählichen Senkung der Lebenshaltung und des Lebensgenusses mag deshalb vor uns liegen. Der iüankerott und Verfall Euro pas wird, wenn wir ihn weiter fortschreiten lassen, auf die Dauer einen jeden erreichen, nur vielleicht nicht in auffallender und unmittolbarer Weise." So schrieb schon vor knapp drei Jahren ein englischer Volkswirtschaftler, dessen Name inzwischen in aller Welt bekannt geworden ist, John Maynard KeyneS. der in seinem geistreichen Buche „Die wirtschaftlichen Fol. gen des Friedensvertrages" den wirtschaftlichen Un. sinn von Versailles klarzulegen versuchte. Biel hat es nicht ge. holfcii. Die Politik ist ihre eigenen Wege gegangen, und heule sind wir auf dem „stillen Wege des Halbverhungerns" ein gut Stück vorwärts gekommen. Und dennoch wagt man es nicht, kehrt zu machen un- einen neuen Weg, der wieder aufwärts führt, eiiiznschlagen. „Wir können immer noch Zeit haben, un. sere Politik zu überprüfen und die Welt mit neuen Augen an. zusehen", so schrieb er damals weiter, aber bis heute ist diese Revision der Weltanschauung noch nicht erfolgt. Aber er.oas an» deres ist eingetreten. Eine ernste Situation, die den bisherigen Gang der Dinge einfach unmöglich macht, die es nicht mehr ge stattet, die sogenannten „Reparationen" zu erfülle», weil ganz einfach unter der Macht der wirtschaftlichen Wirklichkeit die letzte Möglichkeit dahin ist. Oder woher soll das darbende Deutsche Reich bei einem Stande des Dollars von über 2000 Mark die Mittel nehmen, um Devisen zur Wiedergutmachung zu beschaf fen? Die wirtschaftlichen Leistungen lassen sich eben schließlich nicht mehr kommandieren. Frankreich muß endlich einsebrn, daß es anf keinen Fall beides haben kann: Rache und Wirtschaft, lich.: Vorteile! Versailles arbeitet ohne Kontakt mit der Wirk lichkeit. Narum muß die Wirklichkeit seine Pergamente in Fetzen reißen! Von den verrückten Zahlen, die der Vertrag bei den „Wie dergutmachungen" nennt, haben auch heute noch die meisten von uns keine Vorstellung, »och viel weniger die Möglichkeit, selbst nachzuprüfen, lvaS an diesen Zahlen eigentlich möglich oder was unmöglich ist. Der Mathematiker kann ja schließlich Zah. len ad indefinit»»! aneinanderrcihen, ohne daran etwas Ab- Berlin» 26. August. Die steigende wirtschaftliche Not. die sich weitester BevSIkerungsschirhten bemächtigt hat und sich in den letzten Tagen durch die nngeheuere Entwertung der Mark noch mehr zu verschärfen droht» ist Gegenstand ernster Sorgen der Reichsregierung. In einer gemeinsamen Sitzung der beteiligten Ressorts des Meiches und Preußens, die gestern nachmlttag unter dem Vorsitz des Reichskanzlers stattsand, wurden eine Reihe von Vorschlägen geprüft» die auf die Linderung dieser Notlage abzielen. Es wurden verschiedene Maßnahmen ins Auge gefaßt und die zuständigen Ressorts beauftragt, ihre Vorschläge hierzu einem Ministerrat vorzulegen, der heute vormittag unter dem Vorsitz des Reichspräsidenten zusammentreten wird Für Montag werden die 'Minister präsidenten uuv Innenminister der Länder zu einer ge meinsamen Beratung mit der Reichsregierung nach Äerlin gebeten werden. Kommunistische Massenversammlung in Köln Köln, 25. Aumst. In einer von etwa 5000 Personen besuchten Versammlung der Kommunistisch-» Partei sprachen außer deutschen Vertretern die Frainosen Marcel Cachi» und RenEel. der Chef redakteur der franMlchcn kommunistischen Zeitung Humanits, über die Einheitsfront des deutschen und französischen Proletanats und über die ReparatioilskrisiS. Klara Zetkin, die auch dort sprechen sollte, war nicht erschienen, angeblich Werl sie an der russischen Grenze bei der Rückreise aus Moskau augehalten worden sei. D>e beiden Fran zosen, die sich der französischen Sprache bedienten, wurden von der Menge mit stürmischem Beifall begrüßt. Heckner, der Bertrettr der kommunistischen Gewerkschastszeirlrale dankte den Franzosen für een Geist der Brüderlichkeit und für ihc Eintreten sür die Vereinigung des internationalen Proletariats, auf das er ein Hoch ausbrachte. Am Schlüsse der Versammlung wurde eine Enftchii s;u»q voraelesen und angenommen, in der die bekannten kommunist sch n Forderungen aus gestellt werden und in der zur Vereinigung des iiiternalloualen Pro letariats aufgefordert wird. Nach Absingen der Jnlernaliouale wnrde die Versammlung geschlossen- Aus dem Ausland Tschechische Befürchtungen Prag, 25. August. Einige tschechische Blätter äuß-rn im Zu sammenhang mit der hcut'gcn Konferenz in Verona ernste Besorgnisse, da sie eine Aiinähernng zwischen Ocsieneich und Italien beui-cht'N, die eine Politik ergeben könne, die leicht Uii.iiiiichuilichkeitcn sür die Kleine Entente in sich trage. Revision der tschechischen Zollsätze Die Zentrale der tschechischen Handelskammern hat nach letzter Drahtung des Telunion-Sachsendienstes aus Prag beschlossen, eine außerordentliche Tagung der HandelSkainmern der Tschechoslowakei für An ang September zu berufen, die sich eingehend mit den ungünstigen Einflüssen der Valutasteigerung auf die Wirtschafts lage befassen soll. Die Handelskammer fordert eine Revision der Zollsätze wie der Frachttarife. Eine Stimme der Warnung London, 25. August. Ter englische Arbeitcriükrer Thomas erklärte gestern abend in einer Unterredung, wcnn Ocsteric ch zuiamliien- brcche und Tcutschland ihm auf diesem Wege lolge, so werde Frank- rc ch zehnmal schlechter dasteben als jitzt. Er hoffe immer »och, Frank reich werde vernünftig werden. DoS einz ge Mittel eine Zusammen- arbeit der Nationen herbetzuführen, ist seiner Ansicht nach, einen Strich unter die Jahre 19t4—1S1S zu ziehen und alle Sinne auf di« Sache des Weltftikdens zu richten. sonderliches zu finden. Politiker aber, zmnal solche, die einen Friedensvertrag schaffen wollen, dürfen nie den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verlieren.. Da man damals bei den Beratungen des Vertrages der gewichtigen Stimme des sach lichen Gelehrten kein Gehör schenkte, legte Keynes sein Amt als britischer Finanzvertrcter einfach nieder, und schied freiwillig aus der Pariser Kommission aus. Den Wert der in Nord- frairkreich zerstörten Gebiete gibt Keynes wie folgt an: Das französische Statistische Jahrbuch von 1917 gibt den gesamten Gebäudewert Frankreichs auf 47,6 Milliarden Mark an. Nun waren nur 10 Prozent der Flüche Frankreichs über haupt von uns besetzt und nicht mehr als 4 Prozent lagen in dem direkt verwüsteten Gebiet. Für Zerstörung von Gebäuden kann man daher höchstens eine Summe von 2,4 Milliarden Goldmark ansetzen. Dazu den Wert des Bodens, der zerstör- ten Möbel und Maschinen, die Schäden der Kohlengruben und des Verkehrsnetzes und andere kleinere Posten und er kommt bei Frankreich speziell nuf eine Entschädigungssumme von rund 1v Milliarden Goldmark! Das ist also die Berechnung eines Engländers, der sich im Schwindel der Zahlen »och den gesunden Menschenver stand bewahrt hat. Nun stelle man dieser Berechnung die sran- zösischen Forderungen gegenüber und man muß den Kopf 'chüt- teln. Man bedenke ferner, was wir seit 1918 bereits geleistet haben. Und wenn man das Wahnsinnige der heutigen franzö sischen Politik unter diesem gesunden Maßstabe betrachtet, dann wird man verstehe», warum unter dem unerbittlichen Starrsinn des französischen Chauvinismus unsere wirtschaftlichen Grund pfeiler berste». In dieser Woche, die uns die furchtbarsten Auswirkungen politischer Verblendung im Sturze unserer Mark erleben ließ, zerbrach man sich in Hamburg wieder einmal die Köpfe, wie inan aus dieser weltwirtschaftlichen Krise herauSkommeil könne. Anläßlich der Ueberseewoche fand dort ein Weltw iri sch aftskongretz statt. Volle acht Tage lang hat man dort referiert und diskutiert über die wirtschaftspolitischeil Probleme, die die ganze Welt in Verwirrung gebracht haben. Schiveden, England, Amerika waren durch ihre bedeutendsten wirtschafts wissenschaftlichen Köpfe vertreten. Auf der einen Seite zerbricht man sich also den Kopf, wie inan die Schäden abstcllen könnte, die blinde Politiker auf der anderen Seite immer von neuem hervorufen. Wenn man daran ginge, die wirtschaftlichen Werte zusammenziizühlen, welche der Welt durch die verruchte Politik Frankreichs in den letzten Jahren verloren gegangen sind, dann müßte dieses hente schon eine „WiedergutmachungSrechnung" be kommen, die den Herren an der Seine die Haare zu Berge stehen lassen würde. Was in den letzten Jahren in wirtschaftlicher Be- ziehung für Schaden ungerichtet worden ist, läßt sich überhaupt nicht mehr gutmachen. Es wird höchste Zeit, daß man endlich den einzig gangbaren Weg geht, den Rathenau in Genua in seiner letzten großen Rede gewiesen hat: Wir müssen auf. hören, die Dinge politisch anznsehen, »nd wir müssen dahin zu. rückkehren, sie wirtschaftlich zu betrachten. Wie Amerika de», wüsten Treiben der europäischen Kulturvölker gegenübcrsteht, warum es sich klugerweise weit ab seits hält von dieser schwülen politischen Atmosphäre Europas, das erhellt nur zu deutlich aus den Aussührungen, sie der ame rikanische Professor F. Coar aus Kingstown in Hamburg machte: Mancher Amerikaner hat sich gefragt, ob sein Volk zu nichts besserem tauge, als den Goldonkel eines ver armten Europa zu spielen. Leider gibt es noch einen sogenannten Friedensvertrag, es gibt einen Völkerbund, den wir nicht anerkennen wollen. LS gibt eine furchtbar drohende Zerrüttung Europas politischer und wirtschaftlicher Natur, wo wir den Retter in der Not abgeben sollen. Alle Opfer, die das amerikanische Volk gebracht hat, brachte es um des Friedens willen und welch ein Friede ist das geworden! Und er hat nur zu recht, wenn er weiter betont, daß wir ohne eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich nicht weiter kommen, daß sich ohne diese der Wiederaufbau Eu. ropaS und damit auch der Weltwirtschaft nicht in Angriff neh men läßt. Das ist ja eben der lange erkannte Angelpunkt aller wirtschaftlichen Nöte, die sich in Europa in Hunger und Entbeh rung auswirken, während der neue Erdteil unter dem Mangel an Absatz schwer zu leiden hat. ?lber es fehlt an Einsicht und Verstand, und alle guten Reden scheinen dagegen machtlos zu sein. Es hilft keine Stabilisierung der Valuta, keine Anleihe, kein Moratorium, kein zehn- oder vierzehiistündiger Arbeitstag, eS Hilst nur die wirtschaftlich gleichwert ge Mitarbeit mit an. deren Völker». Diese muß man Deutschland unbedingt einräumen, wenn man es nicht ganz und gar zugrunde richten will. ES müßte möglich sein, die deutsche, französische und belgische Industrie zu gemeinsamer Beratung an einen Ttsch zu bringe» mit Vertretern der amerikanischen Industrie. Dadurch könnte Amerikas Mit wirkung am Wiederaufbau Europas bcrbeigcführt werden. Geht die Wirtschaft voran, so werden die Völker scl>on folgen. >bcr hört man denn solche Stimmen der Vernunft überhaupt jenseits des Rheins? Bis jetzt sind alle Rufe zur Verständigung, ganz gleich au? welchem Lager sie käme», frnchtblos abgeprallt, der Haß liegt dem Franzosen scheinbar so im Blute, daß eine Berständi. gung einfach ausgeschlossen erscheint. Man will mit der mehr als tausendjährigen Tradition scheinbar noch immer nicht vre. che», obwohl ein Beharren anf dem starren Dickkopf hente Selbst mord bedeutet. Aber der Haß macht blind! Und es scheint, als könnte man eher die Welt aus den Angeln heben und auf den Kopf stellen, als den Franzosen im Bunde mit Deutschland ver eint schaffen und einem höheren Kulturideal zustreben sehen. Nnd doch wird man schließlich einmal aufhörcn, die Solidarität ber Weltproduktion hartnäckig und trotzig zu leugnen, wenn auch in französischen Großstädten die Massen keine Lust mehr haben werden, zu hungern und zu frieren wie wir, die Besiegten. Erst dann kann eS mit uns auch in wirtschaftlicher Beziehung wieder aufwärts gehen! L ranke Achokokade 2011 sargt für Qualität Dresden-U.» Prichnihstraße 44—49 > >1 r I