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Zweites Blatt Sächsische BolkSzeitung vom 4. November 1908 Nr. 252 Der Stettiner Vulkan und der Vorddnitsche Lloyd. Aus der Werft des Stettiner Vulkan in Vredow bei Stettin fand am Sonnabend den 31. Oktober der Stapel- lanf eines für den Norddeutschen Lloyd erbauten Riesen- Kampfers statt, der nicht nur für die berühmte Stettiner Werft und den Norddeutschen Lloyd in Bremen, sondern auch für den deutschen Schiffbau überhaupt als ein bemer» kenSlvertes Ereignis anzusehen ist. Der Dampfer, welcher durch den amerikanischen Botschafter in Verl«, Dr. Hill, den Namen „George Washington" erhalten hat, ist daS größte Fahrzeug, welclM bisher auf den Helgen einer deut schen Werft erbaut ist Hin Vergleich der 0 rößenvcrhältnisse der Schiffe, die der Vulkan im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte dem Lloyd geliefert hat, dürite Non Interesse sein. Tie ersten in den Jahren 1885 bis 1886 beim Vulkan erbauten Reichs- postdampfer waren für die damals neu einzurichtenden Linien des Norddeutsche» Lloyd nach Ostasien und Austra lien bestimmt Die Schisse, die Dampfer „Preußen". . Sachsen" und „Bayern", welche jetzt den Mittelmeer-Le- vantedienst des Norddeutschen Lloyd versehen, hatten 4.577 Brutto-Registertons Raumgehalt, die Stärke der Maschi nen betrug 4606 indizierte Pferdekräfte, die den Schiffen eine Geschwindigkeit von 14>/. Knoten verliehen. Heute sind diese ersten NeichSPostdampser durch die neueren Schiffe, von denen „Friedrich der Große" (1806), „Königin Luise" (1807). »König Albert" (1800). „Prinzeß Irene". .Priazeß Alice" (1000), „Prinz Eitel Friedrich" (10041 und „Prinz Ludwig" (1006) ebenfalls vom Stettiner Vul kan erbaut sind, hinsichtlich ihrer Abmessungen weit über 1 ganzen Well Aussehen erregten. Der Erfolg, den der Stet- ' tiner Vulkan 1807 mit dem ersten dieser Schnelldampfer, dem „Kaiser Wilhelm der Große", erzielte, war über raschend. Mit seinen wiederum bedeutend gesteigerten Di mensionen von 100 Mel er Länge, 20,10 Meter Breite und 13,10 Meter Tiefe, bei 11310 Brutto-Registertons Größe und einer Wasserverdrängung von 20 000 Tonnen übertraf der Dampfer mit 28 000 indizierten Pferdestärken die Lei stungen seiner schnellsten englischen Rivalen lind errang damit zum ersten Male das „blaue Band des Ozeans", das bis dahin den englischen Schissen zu eigen gewesen war. Damit war eine neue Periode im transatlantische» Schnell dampferdienste angebrochen: man darf sie als die dritte bezeichnen. Aber die Periode dieser glänzenden Schiffs bauten sollte noch durch weitere Fahrzeuge vom Stettiner Vulkan überboten werden. Der Reihe nach folgten dem >880 erbauten einzigen Schnelldampfer „Deutschland" der Hambnrg'Amerika-Linie die Lloyddampfer „Kronprinz Wilhelm" (1002), „.Kaiser Wilhelm II." (1003) und „Kron prinzessin Eecilie" (1007), von denen einer immer noch bessere Eigenschaften sowohl in seiner Einrichtung, als auch hinsichtlich seiner Schnelligkeit aufwies als der andere. Die Geschwindigkeit steigerte sicy mit Hilfe verstärkter Maschi nen (15 000 bezw. -16 000 Pferdestärken) bei den beiden neueste» Schnelldampfern „Kaiser Wilhelm II." und ...Kron prinzessin Eecilie" bis auf 23>/„ .Knoten im Durchschnitt. Neben den Schnelldampfern begann Ende der neunziger Jahre sich noch ein anderer Dampfertyp in der Passagierfahrt nach Nordamerika zu entwickeln: der sogenannte „Barba- Doppclsch^aubcn Passagici- und Frachldanipser .Ob'cie.e Wastzmgion" holt worden und schon auf über 10 000 Brutto-Registertons gestiegen. Auch sind sie Toppelschraubendampfer. Schon bei den ReichSpostdampferlinien waren Schnel ligkeit und Regelmäßigkeit Hauptfaktoren. Die Anregung zur Einrichtung des Schnelldampfer- diensteS zwischen europäischen Häfen und Neuyork ging in den siebziger Jahren von England aus. Deutschland trat durch den Norddeutschen Lloyd in Bremen mit in den Wett bewerb um die Gunst des reisenden Publikums ein, und zwar durch die 1881 erfolgte Einstellung seines ersten Schnelldampfers „Elbe", welcher auf einer englischen Werft erbaut lvurde, 4510 Brutto-RegistertonS groß war und bei 6100 indizierten Pferdet'räften eine Schnelligkeit von 16 Seemeilen pro Stunde erreichte. Der „Elbe" folgten dann im Laufe der achtziger Jahre acht weitere für den Nord deutschen Lloyd in Bremen in England erbaute Schnell dampfer, von denen eS die „Lahn" (1887) mit 0000 indizier ten Pferdekräften auf eine Geschwindigkeit von 18. See meilen brachte. Inzwischen hatte sich das Vertrauen der Leiter der gro ßen deutschen Schiffahrtsgesellschaften durch die mittler- weile vom Stettiner Vulkan ausgeführten Neichüpostdamp- ferdauten dieser Werft zugewandt. Man glaubte nunmehr auch einer deutschen Schiffswerft das sich auf Millionen an Wert beziffernde Objekt eines Schnelldampfers zum Bau übergeben zu können. 1888/00 übertrug der Norddeutsche Lloyd der Stettiner Werft die Bauten der Schnelldampfer ...Kaiser Wilhelm II." (später Hohcnzollern), „Spree" und „Havel". Die beiden letzteren waren 6063 Brutto-Register tons groß, bei einer Maschine von 11 500 indizierten Pferde stärken, die eine Schnelligkeit von 18,6 Seemeilen pro Stunde ergaben. Diese Schisse sind bis zu einem gewissen Grade als die Vorläufer der gewaltigen Prachtdampfer anzusehen, welche der Norddeutsche Lloyd im Laufe deö letzten Jahrzehnts in Dienst gestellt hat. Den immer größer und schneller wer denden englischen Schiffen entschloß sich der Norddeutsche Lloyd um die Mitte der neunziger Jahre zwei neue Schnell dampfer gegenüber zu stellen, welche alles bisher Dage- wesene übertrafen und bei ihrer Indienststellung in der rossa"-Typ. Sie halten sich in den Grenzen einer Geschwin digkeit von 13 bis 15 Seemeilen in der Stunde. Von die sem Typ baute der Stettiner Vulkan für den Norddeutschen Lloyd den schon oben erwähnten Dampfer „Friedrich der Große". Alle die erwähnten Dampfer, zu denen sich natürlich noch zahlreiche auf anderen deutschen Werften erbaute ge sellen und die zu den Eliteschiffen des Norddeutschen Lloyd gehören, werden noch bei weitem Übertrossen durch den neuesten Typ, der jetzt zum ersten Male in der Lloydslotte erscheint, den des Toppelschrauben-Passagier- und Fracht- dampfers „George Washington", der, wie schon erwähnt, alle Schiffe der deutschen Handelsflotte iibertrisft und bei einer Länge von 220,2 Meter — 722 Fuß 6 Zoll, einer Breite von 23,78 Meter und einer Tiefe von 24,38 Meter mit einem Tonnengc'halte von etwa 27 000 Brutto- Registertonü und einer Wasserverdrängung von 36 000 Tonnen bei 10,06 Meter Tiefgang einer der größten Damp fer der Welt sein wird. Entsprechend den riesigen Ab messungen beträgt das Ablt.ufgewicht dieses Schiffes etwa 15 600 Tonnen. Der Stapellanf vollzog sich auf zwei Schlitten, von denen jeder eine Länge von 200 Meter bei einer Breite von 1,8 Meter hat. Die Neigung des Helling beträgt 55 Millimeter pro Meter lind da das Schiff wäh rend seines Laufes erst nach Zurücklegung einer Strecke von etwa 180 Meter ansing, aufzuschwimmen, so waren Baggerungen im Oderbette in der Richtung der Bahn bis zur Wassertiefe von 11,5 Meter notwendig. Auch dies illustriert schon deutlich die Größe des Schif fes, mit dessen glücklicher Vollendung der Stettiner Vulkan seiner bisherigen höchst bemerkenswerten und erfolgreichen Bautätigkeit jedenfalls die Krone aufsetzen wird. Der Dampfer „George Washington" wird nicht nur durch seine Größe in der deutschen Handelsschifsahrt eine dominierende Stellung einnehmen, sondern aller Voraussicht nach auch hinsichtlich seiner Passagiereinrichtungen und seiner inne ren Ausstattung eine l>emerkenswerte Erscheinung im inter nationalen Schiffahrtsverkehr darstellen. -ln- Stadt und Land. (Aortsetznny au» dem Houvtblatt.) —* Ueber die gegenwärtige allgemeine ge schäftliche Lage äußerte sich der Präsident der DreSd- ner Handelskammer Herr Geheimer Kommerzienrat Collen- busch bei dem gestrigen großen Festmahle der Ressource der Dresdner Kaufmannschaft mit folgenden Worten: „Die gegenwärtigen Zeiten seien nicht gerade günstig und ini geschäftlichen Leben sei ein gewisser Rückschlag eingetreten. Erfreulicherweise hätten sich jedoch die Verhältnisse nicht ganz so schlimm gestaltet, als wie cS anfänglich auSsah. Der befürchtete Mangel an Geld sei nicht eingetrctcn und Kre dit sei auch heute noch im geschäftlichen Leben überall vor handen. Die Hauptsache sei, daß man auch in schweren Zei ten in der Ueberzeugnngstrene feststehe. Jeder Deutsche müsse sich bewußt sein, daß Deutschland ein großes, mächti ges Reich sei, das berufen sei, an der Spitze der Kulturvölker zu marschieren. Jedenfalls könne man auch heute noch unter der Negierung unseres Kaisers und unseres geliebten Kö nig« Friedrich August mit Vertrauen und Zuversicht in die Zukunft blicken. Auch Herr Oberbürgermeister Beutler äußerte sich in ähnlicher Weise. —' Eine besonders den vielen in Dresden lebenden Ausländern nxwtvolle Ergänzung - der Bibliothek der Dresdner Lesehalle, Waisenhausstraße 0, 2. Et., bildet die vor kurzem eingefügte Abteilung, welche die Na men der bedeutendsten englischen und französischen Schrift- steller älterer und neuerer Zeit aufwcist. Neben den klassi schen Werken eines Moliöre, eines Racine, finden wir die Rostandschen Theaterstücke vertreten; Oskar Wilde und viSle andere der neuen englischen Autoren reihen sich Byro«, Tennyson, Wordsworth. Macaulay an. Unterstützt wirb diese Buchliteratur durch die zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen in allen Kultursprachcn, die teilweise in voll ständigen Serien, wie zum Beispiel „Jllustrated London News" und „Graphic" gebunden vorliegen. Fs. Demnächst kann Dresden einen denkwürdigen ErlnnerungLtag begehen, den 150. Jahrestag de» großen Brandes der Pinaischen Vorstadt im Jahre 1758. Dieses war überhaupt für Dresden ein schweres LetdenS- jahr. Der 7 jährige (dritte schlesische) Krieg hatte da» ganze Sachsenland mit seinen Schrecken und Kriegvwirren überschwemmt. Gleich im Anfang verlangte Preußen» König von der Stadt Dresden 500000 Taler KriegSsteuern, die indes, da die Stadt diese Summe nicht ausbrtngen konnte, auf 200000 Taler ermäßigt wurde. Im Sep tember mußte Dresden abermals mehr als 350000 Taler zahlen. Inzwischen rückte der österreichische Feldinarschall Dann heran, um Sachsen den Preußen zu entreißen und machte ernstliche Anstalten, Dresden zu nehmen. Da er klärte der preußische Kommandant von Dresden, Gras Schmettau. er werde bei dem ersten Versuche de« Feinde» die Vorstädte abbrennen. Tatsächlich ließ er auch di« Häuser mit Brennstoffen füllen. Man bat den Komman danten. die Residenz zu schonen und Daun ließ erklären, den etwaigen Brand der Vorstädte aufs Grausamste rächen zu wollen. Demgegenüber drohte nun Graf Schmettau. er werde sich im äußersten Falle von Straße zu Straße verteidigen, das Königliche Schloß zu seinem Kastell machen. Pulver dorthin bringen lassen, die Vornehmsten des H«fe» und deö Adels dort mit Gewalt versammeln und dann werde er im Zimmer deö Kurprinzen und in der Mitte der kurfürstlichen Familie daö Weitere abwarten und sich wenn alle« verloren, in die Lust sprengen. Diese furcht baren Drohungen bestimmten Daun, seinen Plan aus zugeben. Ald er sich am 0. November wieder vor Dresden zeigte, begann Schmettau abermals seine Drohungen und schon am 10. November früh 3 Uhr stand die ganze Pirnaische Vorstadt in Flammen. Die Stadt war ge schlossen und niemand konnte den Unglücklichen zu Hilfe eilen. 285 Häuser verbrannten, 10 Menschen kamen in den Flammen nmö Leben, Tausende um Hab und Gut und Wohlstand. Der gerichtlich angegebene Verlust an un beweglichen und beweglichen Gütern war 1020761 Taler. * Von anoiiyiner Seite ging der Direktion der Sächsisch -Bö hmischen DamPsschiffahrtS - GeselIschaft ein verschlossenes Kuoert mit 5 Mk. für deren Bootsmann Karl Friedrich Heyde zu. der am 20. v. M. einen unterhalb der Earolabrücke in die Elbe gefallenen Schulknaben vom Tode deö Ertrinkens rettete. Der Direktor übergab ihm ein weitered Geldgeschenk zur Belohnung seiner mutigen Lat. Meißen, 2. November. Die hiesige AmtShauptmann- schaft hat die ihr unterstellten Gendarmen neuerdings an gewiesen, grundsätzlich von allen Personen, die sie bei der Ausübung der Jagd antreffeu, die Jagdkarten auch dann vorzcigen zu lassen, wenn ihnen die Person des Jägers bekannt ist. Oschatz, 2. Nov. Bei einer Fasanenjagd auf dem Ritter gute Saalhausen wurde der Rittergutsbesitzer Franz Schubert schwer verletzt. Ein abirrendcr Schuß verletzte ihn beim linken Auge. Die Sehkraft dürfte verloren gehen. Chemnitz. Der soz.-demokr. Textilarbeiterverband hat hl« und in der Umgebung 2600 A,bettslose. — Der zweite Lokal beamte dieses Verbände- wurde zu einer mehrwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er angeblich aus Not 433 Mk. Streikgelder zu seinem Nutzen verwendet hatte. Der „brüder liche Genosse" Otto Hermann Herforth bezog als Beamter ein Gehalt von 1550 Mk. -tsia- Chemnitz. In einer Versammlung des roten Gewerk schaftökartellv wurde beschlossen, ein Gesuch an den Rat der Stadt zu richten um Bewilligung einer Summe, um die Arbeitslosen zu unterstützen. Wo bleiben hier die Summen in den GcwerkschaflSkassen? Man mag nur daS Hcer der Beamte» mehr einschräuken, daun hat man Geld, um die „versprochene" Unterstützung zu zahlen und braucht nicht zu „betteln". -ods- Erlan bei Mittweida, 2. November. In der Nacht znm Sonntag ist das VergnügniigS-Etablisseinent „Kühnrich» Gasthof" ein Raub der Flammen geworden, fast nichts konnte gerettet werden. Fünf Stunden wütete das Feuer und legte auch noch eine isoliert stehende Scheune und daS Eiöhauö in Asche. Borna, 2. November. DaS Herrenhaus des Ritter gutes Hainichen ist durch ein Schadenfeuer zerstört worden. Die Ursache des Brandes ist in einem Essendesekt zu suchen. Rötha, 31. Oktober. Der 6 Jahre alte Sohn de» Maschinenführcrö Zillich, der sich ans die Deichsel eine» angehängten Wagen« gesetzt hatte, um ein Stück mitzufahren, geriet nnler die Räder und wurde so schwer verletzt, daß er bald darauf verstarb. Meuselwitz. Die Verwaltung der sächsischen Staat«- eisenbabnen Hot hier 20 Eisenbahnbeamte durch einen Vahn- arzt im Gainariterdienst ausbilden lassen, die am Sonntag in Anwesenheit eines Beamten von der Betriebsdirektion Leipzig die Prüfung ablcgten. Nus Kirche und Schule. Ic Gegen Pfarrer Skowrvnek in Bogutschütz (Ober- schlesien) erheben die „Schlesische Zeitung" und die „Voss. Zeitung" (10. Oktober) den „Vorwurf", er habe die Lehrer seiner Pfarrei zu Exerzitien nach dem „polnischen Kloster Dzieditz (Galizien)" eingeladen. Darauö konstruieren die Blätter den weiteren Vorwurf. Pfarrer Skowrvnek poloni- siere die deutsche Lehrerschaft! Pfarrer Skvwronek, der einem deutschen Schulhause entstammt und für die deutsche Seelsorge seiner deutschen Pfarrangchörigen in der aus giebigsten Weise eifrig sorgt, hat die Lehrer seiner Pfarrei eingeladen, Exerzitien zu halten in dem durch Kardinal Kopp erbauten ExerzitienhauS zu Dzieditz. welches nicht in Galizien, sondern in Ocsterreichisch-Schlesien liegt, in d»