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3. Jahrgang. Nr. 131. Sonnabend, den 11. Jnni 1804. Sächsische Wlksmtimg Lclchetnt täglich nach«, mit Ausnahme der S«nn-und Festtage. ! ! -» » ^ , ^ Wj^krholung dedeuiendcr Rabatt. W«8TSLWKWMWkt.4s . llnabdängiger csgeblatt lük Äabrdeit. becbi u.freikett. luserate werden die «aespnlleue Peützeile od er deren Raum EP »M , ^^ ^ ^ Hie !i»»rpkl)nei bei E)iederho!illig dedeillekidee Unabhängiger Tageblatt liir Äabrbeit. becbl u. freideil. Vor der Entscheidung. Ter Festuugshafen Port Arthur ist völlig umzingelt und zu Wasser und zu Land abgesperrt. General Stössel hat mit großer Vorsicht alles getan, um sich so gut als mög lich für eine lange Belagerung vorzubereiten. 28 000 Mann stehen in der Festung und in Forts ringsum. Tie Zahl ist imponierend, Geschütze sind gut, die Befestigungen vortreff, lich. Wenn also auch die Japaner in dem fünftägigen Kampfe um Kintschou und die Höhen von Nanschan die Herren der nur eilte Stunde breiten Landenge sind, durch welche die Halbinsel Kwantung mit dem Festlaude zusam menhängt, so sind dennoch die Nüssen noch die unbestrittenen Besitzer dieser Landzunge. Zu Lande bis nahe an Port Arthur vorzudringeu, wird für die Japaner noch manche Schwierigkeit haben, denn die Halbinsel ist hügelig und fällt nach dem Meere zu meistens steil ab; überall sind tiefe Schluchten. Tie Halb insel ist vollkommen kahl, baumlos und steinig-, der Ge birgsrücken, welcher sie durchzieht und von Norden nach Süden abfällt, erreicht in Triple Peak die größte Höhe mit 421 Meter. Nordöstlich von Port Arthur beträgt die Höhe noch 365 Meter, und die höchste Erhebung m der Nähe von Port Arthur wird auf 240 Meter angegeben. Auf diesen Höhenzügcn stehen gewaltige Forts und Werte. Die klimatischen Verhältnisse auf der Halbinsel sind während der Monate Juni und Juli ungünstig, in dieser Zeit fällt sehr viel Regen, und Krankheiten aller Art sind dann an der Tagesordnung. Ueberall herrscht Mangel an gutem Trintwasser. Umstände, welche mehr zu Ungunsteu der Belagerer als der Belagerten ins Gewicht fallen. Abgesehen von den Befesligungswerken, welche noch in der Entfernung zirka fünfzehn Kilometer von der eigent lichen Festung dem japanischen Vormärsche entgegenstehen, ist Port Arthur auf dem Bergkranz, der im Nordosten des Platzes von der Küste aus verläuft, durch eine eng ge schlossene Kette von Forts, die nur ein«- bis fünf Kilometer auseinander liegen, gedeckt. Gegen Süd-Westen der Stadt erstreckt sich das große Hafcnbassin, das sowohl auf der Landseite als auf der Halbinsel, welche den Hafen von der offenen Rede trennt, durch gewaltige Werke überhöht ist. Daß diese Werke nicht imstande wären, wenigstens bis Ende August, also bis zum Eintreffen der baltischen Flotte, den Platz zu halten, scheint beinahe ebenso unglaublich, wie daß etwa die Russen die lange genug, noch während des Feld zuges bestehende Gelegenheit zur genügenden Verprovian tierung der Festung versäumt Hütten. Es wäre also die Wahrscheinlichkeit gegeben, daß sich Port Arthur zu halten vermag, bis ein Entsatzheer den Japanern in den Rücken fällt und die baltische Flotte der japanischen Flotte entgegentreten kann. Daher klang der Bericht aus russischen Kreisen anfangs unglaublich, daß von Seite der bei Mukden Lianjang stehenden russischen Hauptarmee ein Vorstoß gegen Süden gemacht werde, zu dem Zwecke, den sich Immer fester um Port Arthur schließenden eisernen Gürtel der japanischen Truppen zu durchbrechen und der Festung Hilfe zu bringen, lieber den Umfang dieses bereits begonnenen Vorstoßes, die Höhe der zur Verwendung kommenden Heeresmasse, ist nichts Verläßliches bis zur Stunde bekannt. Sicher er scheint nur, daß Kuropatkin den Vormarsch nicht mit seiner ganzen bei Liaujang—Mukden versammelten Armee be gonnen haben kann; denn damit würde er, mit dem rechten Flügel der dritten, mit dem Zentrum der zweiten und der linken Flanke der ersten japanischen Armee entgcgengehend, sich der Gefahr aussetzen, daß die bei Fönghwangtschöng sich sammelnden Massen der ersten japanischen Armee mit einer Umgehungsbewegung über den Motienpaß und die Straße von Hsiu-king- Mukden ihm in den Rücken fallen und ihn dann in der südlichen Mandschurei durch die Ab- schneidung der Zufuhrslinien einkleminen. Kuropatkin darf um keinen Preis die Verbindung mit seiner Opera tionsbasis, als welche das weit nördlich gelegene Eharbin angesehen werden muß, in Gefahr bringen. Es ist des halb als sicher anzunehmen, daß Kuropatkin mit seinen Hauptkrästeu in den Stellungen von Mukden verbleibt und nur die Generale Stackelberg und Keller mit der Aufgabe betraut hat, die Expedition gegen Port Arthur zu unter nehmen. Aber auch dies ist ein ganz verzweifelter Versuch. Es besteht die nicht geringe Wahrscheinlichkeit, daß das Ex peditionskorps zwischen den japanischen Armeen zerrieben wird. Wenn trotzdem ein so verzweifeltes Entsatzunter- nehnien begonnen wird, so wird dadurch der Verdacht rege gemacht, man habe in Petersburg die Ueberzeugung ge wonnen, daß man die baltische Flotte nicht zur rechten Zeit reisefertig stellen kann und deshalb Port Arthur und die dortige Eskadrc aus die ostasiatischen Landstreitkräste noch für längere Zeit hinaus angewiesen bleiben. Diese Ver zögerung bei der Ausrüstung einer Kriegsflotte, deren Hauptbestand innerhalb längstens eines Monates hätte sahrtbereit sein müssen, ließe sich nur aus dieselben Ursachen zurücksühren, die schon wiederholt in diesem Kriege bei dem Mißgeschick der Russen zutage getreten sind: Eine beispiel lose Wirtschaft, bei welcher Defraudation und Bestechung die ganze Kriegsbereitschaft unterminiert haben. Und die Folgen dieser Korruption scheinen auch in Port Arthur ein starker Feind zu sein, den man mehr fürchtet, als die Japaner. Auf dem Papiere ist Port Arthur vor züglich verproviantiert und armiert. In Wirklichkeit sind aber die bezahlten Lieferungen teilweise gar nicht, teilweise in minder gutem Zustande eingegangen. Kommandant Stöisel sah sich daber veranlaßt, der Zivilbevölkerung in Port Arthur sämtliche Lebensmittelvorräte zu entziehen und diese in den militärischen Vcrpslegsmagazinen nnterzu- bringen. Seit Wochen bat sich niemand von den Bewohnern satt essen können. Trotzdem sind die Vorräte nicht hinrei chend für eine lange Belagerung: selbst die Konserven sind in nicht genügender Menge vorhanden. Außerdem sollen auch die Kohlenvorräte sehr knapp geworden sein, so daß eine Operation der im Hasen befindlichen Kriegsschiffe un möglich wird. Wenn Port Arthur nach kurzer Belagerung fällt, so trägt die Korruption und der Schlendrian eine große Schuld daran. Auf diese skrupellose Korruption der Beamten ist auch die Petersburger Meidling des „Eharbinski Wjestnik", des amtlicheil Organs deS Statthalter Alexejew, zurückzu führen, daß man großen Pulverdiebstäble» aus den russi schen M u n i t i o n s in a g a z i il e n auf die Spur gekom men ist. Bei einem chinesischen Wasfenhändler wurden mehrere Fässer mit Pulver entdeckt, und die hierüber an gestellte Untersuchung ergab, daß das Pulver ans einem russischen Munitionsniagazine herrühre und daß ein schwunghafter Handel mit solchem gestohlenen Pulver durch die ganze Mandschurei bis tief nach China hinein betrieben wird. Zahlreiche Personen sind bereits in dieser Sache ver haftet worden und werden nach abgeschlossener Unter suchung vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Diese werden erschossen' oder ansgehängt: die großen Spitzbube» aber, welche de» Löwenanteil bei solchen Gaunereien und Heeres liefernngen einheimsten, werden sich schon in Sicherheit zu bringen wissen. Selbst die Webrkrait eines Rußland ist ^ abhängig von der Habsucht: sie macht de» Löwenmut und die Todesverachtung der Soldaten nntzlos. opfert gewissen los Tausende, wenn es die Selbstbereichernng nötig macht. Schließlich bat ja auch die Habsucht Rußland» nach der Mandschurei die Hände ausstrecken lassen und ist schuld, daß sich die Menschen dort unten mit den modernsten Waffen hin morden. Pie württemvergische Schulreform gescheitert. Die kleineren süddeutschen Staaten haben es in letzter Zeit als ihr Privileg angesehen, in Demokratie zu machen, um dadurch nur der Sozialdemokratie in die Hände zu ar beiten. In erster Linie versucht Württemberg sich in der Sonne eines „liberalen" Staates sehen zu lassen, hat aber bis jetzt nur den einen Erfolg gehabt, daß die fast allmäch tige nationalliberale Partei jetzt die schwächste aller Parteien ist und daß die Sozialdemokratie an die erste Stelle geruckt ist, indem sie bei der letzten Reichstagswahl 100,OM Stim men ans sich vereinigte. Dabei ist Württemberg gar kein industrielles Land, sondern beherbergt in der Mehrzahl Kleinbauern: aber der protestantische Teil des Landes ist von der Sozialdemokratie derart durchseucht, daß ein ganz protestantischer Bezirk, der zu drei Viertel Landivirtschait treibt, von der Sozialdemokratie erobert worden ist. EN den katholischen Gegenden dagegen hat die Sozialdemo kratie absolut keinen Anhang. Als bei de» letzten Wahlen die Sozialdemokratie so in die Höhe schnellte, da hat inan a» höchster Stelle dem Be denken gegen das Anwachsen des Radikalismus sehr deut lichen Ausdruck gegeben. Aber die württeinbergischc Re gierung tat trotzdem alles, was dem Radikalismus in die Hände arbeitet. Während der führende preußische Staat sich anschickt, die Konsessionalität der christlichen Volksschulen zu sichern und selbst die Nationalliberalen bereit sind, diesen Schritt zu tun, hat die württembergische Regierung vor 2 Jabren einen liberale» Schulgesetzentwurf eingebracht, der an der bestehenden Konsessionalität rütteln soll. In Württemberg besteht bis heute noch die geistliche Schulaussicht in allen Instanzen: der neue Entwurf sollte nun die Möglichkeit geben, diese gänzlich zu beseitigen. Der katholische Volksteil protestierte ans dem großen Ulnier .Ka tholikentage einniütig gegen diese Entrechtung der Kirche: nur ein Teil der katholischen Lehrerschaft zog mit den Kirchenseinden an einem Strange! Aber die Regierung und die Mehrheit der Abgeordnetenkammer kümmerte sich nicht um den Wunsch des katholischen Volkes, die Vorlage wurde vielmehr noch radikalisiert und so der Kammer der Dtandeslierren vorgelegt, die bekanntlich eine katholische Mehrheit hat. Am 8. Juni nun hat diese über den Entwurf beraten, und er ist unter sehr dramatischer Begleiterscheinung ge falle». Fürst O n a r t stelle nämlich den Antrag, daß die Bezirksschnlaussicht wohl im Hauptainte ausziiüben sei. aber daß als Bezirksschiilausseher lediglich Geistliche beider Kon sessionen anzustellen seien. Dieser Antrag wurde mit 13 gegen l k Stimmen angenommen: für denselben stimmten außer den katholischen Mitgliedern auch 2 konservative Protestanten. Ministerpräsident von Breitling zog hieraus die Volksschnlnovelle zurück und gab im Namen der ge samten Regierung folgende Erklärung ab: „Die königliche Staatsregierung ist überzeugt, daß der durch die Rücksicht auf die gedeihliche Ent wickelung der Volksschule gebotene Regierungsentwurs be rechtigten kirchlichen Interessen in Ieiner Weise zu nabe kritt, und erachtet sich für verpflichtet, daraus hinzuweisen, daß eine in der Kammer der Standesherren erfolgte Ab lehnung des Entwurfs über dessen unmittelbaren Bereich hinaus die vorhandenen Gegensätze aus dem Gebiet des Ver hältnisses von Staat und Kirche zur Dchnle in ernstem Maße verschärfen und die aus eine» Ausgleich dieser Gegen sätze gerichtete Politik der Regierung erschweren müßte." Nach Zurückziehung des Gesetzentwurfs, betr. die Volks schule, brachte Erbprinz v. Löwenstein Wertheim Rosenberg einen Jnitiativgesetzentwnrs ein, aus dem der Art. 4 des bisherigen Gesetzentwurfs, an welchem dieser gescheitert ist, ansgeschieden ist. Der Jnitiativgesetzentwnrs wird am 0. Die katholische Moral eine Kloftermoral? Für Katholiken hat es etwas Komisches, wenn gelehrte Herren mit allem Eigensinn des Okelehrten die merkwürdige Behauptung verfechten, das katholische Lebcnsideal liege im Ordensleben. Wenn die Herren nicht wie der Famulus Wagner die Welt bloß durch ein Fernrohr und nur von weitem be trachten würden, würden sie eine sehr, sehr große Anzahl, ja die größere Anzahl der Katholiken im Weltleben tätig finden und bei diesen das feste Bewußtsein, dadurch keines wegs minderwertige Katholiken zu sein. Und diese haben Recht. Das katholische Lebensideal ist die Nachfolge Christi auf dem Weg der Beobachtung der zehn Gebote Gottes und daß dies nach der Auffassung und Lehre der katholischen Kirche kein Privilegium des Ordens standes ist, das sollten die Herren erkennen aus der näheren Betrachtung derjenigen Menschen, welchen die Kirche die Ehre der Altäre durch ihre Heiligsprechung erwiesen hat. Wäre der Ordcnsstand das katholische Lebcnsideal, so könnte die katholische Kirche ja nur Ordenslcute heilig sprechen; aber wer weiß nicht, daß unter diesen Heiligen sich Vertreter aller Berufe finden: Hirten und Handwerker, Männer der Feder und des Spatens, wie Frauen, Mütter und Witwen. Das sollte doch schon davon abhaltcn, das grundlose Märlein in die Welt hinauszuschreiben. daß der Katholizismus Ehe und Weib verachte und als Vollchristen nur Angehörige deS Ordcnsstandes betrachte. Wie wenig diese Auffassung den Anschauungen der Ordensleute selbst entspricht, zeigt jene Erzählung, mit welchen die Einsiedler der ägpptischen Wüste sich selbst zur Demut ei mahnten: Da hat einmal, so erzählt diese alte Mönchslegende, ei» alter Einsiedler, der lange, lange Jahre ein Leben der Entsagung und Abtötung geführt, den lieben Gott gebeten, ihm zu sagen, welche an seinen Mitmenschen ihm nun an Vollkommenheit gleicht»»»'» und seine Tuch genossen beim himmlischen Hochzeitsmahl wären. Da zeigt ihm der liebe Gott einen Musikanten, der sein Liedlein sang. Der Eremit begann von neuem seine Kasteiungen und als er zuin zweiten Male fragte, wurde ihm der Bür germeister des nabe» Städtchens als gleichwertig gez gt. das dritte Mal ein seines Weges ziehender Handelsmann. Handgreiflicher als diese Mönchslegende eS tut, kann man doch wohl nicht die Anschauung verkünden, daß man Gott in allen Berufen dienen kann und der Ordcnsstand keines wegs das Privilegium des christlichen Lebensideales hat. Man verweist gerne auf das in der katholischen Welt weitverbreitete Büchlein des seligen Thomas von Kemper. „Die Nachfolge Christi", worin doch ganz unzweideutig das katholische Lcbensidcal in den Ordensstand verlegt werde. Gewiß, der Verfasser der „Nachfolge Christi" ist in seinen Schilderungen des verborgenen Lebens nicht m»z frei von einer mönchischen Auffassung des Lebens: aber wenn mau vom katholischen Lebcnsideal reden will, halte mau daneben ein anderes Büchlein eines Heiligen, den die Kirche unter ihre Kirchenlehrer ausgenommen hat. Wir meinen die „Philothca" des hl. Franz von Sales, die » an mit Recht eine weltgeschichtliche Tat genannt hat, weil Franz liier die in den letzte» Jahre» so viel erörterte „Per sölmnng zwischen Welt und Kirche" zustande gebracht und die christliche Moral aus der sublimen Höhe der Kloster- iiwslit in das christliche Hans eingebürgert habe. «Vgl. Linsenmann, Lehrbuch der Moraltheologie. 1878. 3. 28.s Wen» im dritten Kapitel des ersten Teiles gesagt wird: „Wenn Eheleute auf allen Erwerb verzichtete», wie Mönche: wenn der Handwerker den ganzen Tag in der Kirche znbrächte, wie der Ordensinan»: wäre eine solche Frömmigkeit nicht unordentlich, lächerlich und nnerträg lich? Die Frömmigkeit verdirbt nichts, aber sie vervoll kommnet alles; und wenn sie dem pi'Iichtmäßigen Berufe schadet, so ist dies ein Beweis, daß sie unecht ist. Die Biene sammelt Honig von den Blumen, ohne sie zu ver letzen oder ihre Frische zu vermindern: die Frömmigkeit aber tut noch mehr: den» weit entfernt, die Bernss- geschäfte zu störe», veredelt und verschönert sie die selben" so ist es doch klar und deutlich genug ausgedrückt, daß man nach katholischer Leine in allen Ständen und Berufen das tatbolische. christliche Lebensideal verwirklichen kann. Von einem katholischen Heiligen und Kirchenlehrer darf man aber wohl annehme», daß er die katholische Lehre doch min. bestens ebenso gut kennt, wie die nichtkatholischen Schrift- steiler unserer Tage, welche ihr Leserpublikum mit der Fabel von der Weltslucht und Kultnrseiiidlichkeit der katho- lischen Kirche und der von dieser gelehrten Geringschätzuug der irdischen Berufsarbeit, der Ehe, des Weibes und de« Familienlebens traktieren.