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Sächsische Volkszeitung : 10.12.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-190212106
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19021210
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19021210
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-12
- Tag 1902-12-10
-
Monat
1902-12
-
Jahr
1902
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 10.12.1902
- Autor
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Sächsische WlksMng Erscheint Dienstag, Donnerstag und Sonnabend abends mit dem Datum des folgenden Tages, vezngspreis r Vierteljährlich «Mt. 2ii Pfg. (ohneBestellgeld). Post-Bestellnummer 6595». bei außerdeutschen Postanstalten laut ZeitungS-PreiSliste. Kirrzelrrurnrner 10 Afg. Unabhängiges Organ für Wayryett, Irciyeit und Aecht. ^eSaittio« imd gerchiinrrtelle r vrercken. pillniirer Ztrasre «r. Fernsprecher: Amt r., Itr. 1S6«. Inserate werden oie 6 gespaltene Petitzeile oder deren Rau», mit Itt Pfg. berechnet, bei mindestens 3maliger Wiederholung Rabatt. Bestellungen hierfür nehmen an: cheschästsstelle Millitiher Straße 4», sowie die Buchdruckcre» von Akvin Mache, Ziegelstraße 18. Nr. '»6 Die Dapstjubelfeier. Ein großartiges Zeugnis von dem in DreSden mächtig er wachenden katholischen Bewußtsein legte der Tag deS 7. Dez. ab. Die katholischen Vereine Dresdens hatten ihre Glaubens brüder der Stadt und Umgebung eingeladen, um auS Anlaß des herannahenden silbernen Regierungsjubiläums Sr. Heiligkeit Papst Leo XIII. ihre Glückwünsche mit denen des ganzen Erdkreises zu verbinden. Diesem an sie ergangenen Rufe hatten Tausende von Katholiken nicht bloß von Dresden und der nächsten Umgebung, sondern auch aus Leipzig, Chemnitz, Freiberg, der sächsischen Lausitz Folge geleistet. Die große Halle deS „Allge meinen Turnvereins in Dresden" (Permoserstraße) erwies sich als zu klein. Eine glänzende Festversammlung füllte den hohen und gewaltigen Raum und seine an drei Seiten des SaaleS sich hinziehende Gallerten. Mehr als 3000 Festteilnehmer hatten sich eingefunden. Der Saal zeigte eine imposante Dekorierung und Aus schmückung. Die Stirnseite des Saales zeigte oberhalb des Sängerpodiums auf einem roten Baldachin bas überlebensgroße Bild des Jubelgreises im Krönungsornate mit der Diora auf dem Haupte — ein kunstvoll ausgeführtcs Werk deS Herrn Pro fessor Simonson - Castelli. Oberhalb prangte daS päpstliche Familienwappen und ringsum reihten sich die Fahnen der haupt sächlichsten Nationen der Welt. Ein im elektrischen Lichte er strahlendes Kreuz, daS bis in die äußerste Höhe des SaaleS emporreichte, bildete den sinnvollen Abschluß. Reisigguirlanden, Blumen und Zierpflanzen vollendeten die geschmackvolle Deko ration. Die elektrische Lichtanlage des Kreuzes, sowie die bunten Glühlampen eines die ganze Breite der Dekoration durchziehenden KranzeS hatte Herr KommissivnSrat Bähr von der Kgl. Hofoper gütigst installiert. Die beiden Längsseiten der Gallerten zeigten Draperien in den päpstlichen, die Schmalseite dagegen in den LandeSforben; hier war auch daS sächsische Landeswappen in sinnreicher Dekorierung angebracht. Die verschiedensten Wappen Europas mit den paffenden Standarten, sowie die über die Front des SaaleS laufenden Wimpel aller Nationen bildeten den Ab schluß der schönen Dekoration. Die Festversammlung wurde Schlag 7 Uhr mit einem Vor trag deS Herrn Kgl. Hoforganisten K. Pembaur auf dem von der Firma Josef Kulb zur Verfügung gestellten Harmonium «ürdlg eröffnet; hierzu war die Komposition „Du os kstrus* von F. L'S^t gewählt worden. Die Kgl. Hofschauspielerin Fräu lein Julia Serda trug sodann den von Herrn Lehrer I. Schröter gedichteten Prolog mit klangvoller und den Saal vollkommen beherrschender Stimme in musterhafter Weise gefühlvoll vor. Der lang anhaltende Beifall zeugte von der zündenden Wirkung. Es folgte nunmehr die Festansprache deS hochw. Monsignore Nlaaz, Apostolischer Provikar und päpstlicher Hausprälat. „Verehrte Festversammlung l Liebe Glaubensgenossen! Die Welt von heute ist ausfallend von Unruhen, von Streitigkeiten und heftigen Kämpfen erfüllt. Der Ursachen dieser merkwürdigen Erscheinung gibt eS zwar viele, aber ich glaube, daß ein Hauptgrund daiin besteht, daß in der Gegenwart zwei einander entgegengesetzte Weltanschauungen um die Herrschaft über die Geister kämpfen, daS ist die christlich-gläubige und die ungläubige (atheistische) Welt anschauung. Dieser unversöhnliche Gegensatz zwischen beiden Rich- tungrn macht sich fast auf allen Gebieten deS menschlichen Wissens und Könnens, aus allen Interessensphären gellend, er ist in der aller letzten Zeit sogar in die Parlamente gedrungen und hat dort recht widrige Szenen hervorgerufen. Verehrte Versammelte! ES ist leider wahr, daß ein Teil der heutigen Welt, der christlichen Religion, der von Gott gegebenen Wahrheit feindlich entgegengesetzt ist und diese Religion verdrängen will. ES ist leider wahr, daß sie, die dieser Richtung huldigen, ohne Gott leben und sich Gesetze und Einrichtungen geben wollen, um daS geträumte, von ihnen ersehnte Ziel, daS wahre Glück hier auf Erden, zu erreichen. Weil diese Leute nur sehr wohl wissen, daß die Christen- Mittwoch, den 10. Dezember 1902. heit, ganz besonders in der katholischen Kirche einen festen Halt und eine Schlitzwehr gesunden hat, so richtet sich ihr Angriff besonders aus unsere hl. Kirche. Man rennt Sturm gegen dieselbe, man bekämpft sie mit allen Unarte», mit alle» Waffe», mit ehrliche» und unehrlichen, und ist beglückt, wenn unter dem JndisferenliSmuü abgestorbene Gläubige sich hingeben, um sich ihnen anzuschließen. - Und wenn Sie nun fragen: Werden diese Bestrebungen Erfolg haben? Wird der lange vorbereitete große Kamps zum Ziele führen? Ich glaube nicht, denn fchon vor fast zwei Jahrtausenden hat el» Mächtigerer, als alle diese widerstrebende» Geister, geschrieben: „Ich bleibe bei euch bis ans Ende der Welt, und du b.st Petrus — das ist der Felfenmann — und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht erschüttern." (Beifall.) Dieses Wort, verehrte Versammlung, hat sich bis jetzt immer bewährt, und es wird sich auch in der Zukunft bewähre» und erfüllen. Ja, wir sehen den offenbaren Schutz, den der Allmächtige seiner Religion aus Erde», seinem Reiche Gottes hienieden bereitet dadurch, daß er gerade in sehr ernsten, kritischen Zeiten im Angesichte eines großen, mächtigen Kampfes uns einen ausgezeichneten Führer, einen zweiten Petrus — wenn ich so sagen darf — in Sr Heiligkeit Papst Leo XHI. gegeben hat. Leo Xlll. ist zwar ein altersschwacher, sehr gebrechlicher Greis, wir wissen es, aber in ihm lebt eine Seele, ein Geist voller Kraft, voller Umsicht und Sicherheit, ein Geist voll tiefer Einsicht, Weisheit und Erfahrung. So ist er imstande, zum Staunen der Welt die im Evangelium niedergelegten Schätze hervorzusuchen und der Welt darzulegen, so findet er säst jedesmal die richtigen Mittel, um auch die so,ialen Schäden unsrer Zeit zu lindern und zu bekämpfen, und wie dringt er überall auf Erneuerung, auf Reorganisierung der menschlichen Verhältnisse durch natürliche Gaben, durch Hilfe von oben, und wie ist er bemüht, einträchtiges, friedvolles Zusammenwirken zu schaffen, wie wirkt er auf die Oberhirten und Bischöfe ein, daß sie opferwillig, daß sie arbensläti» und daß sie wachsam seien. Ja, einen besseren Feldherrn in einem heftigen Kampfe, einen zuverlässigeren Führer durch die krummen Wege dieser Welt und ein besseres Muster der Tugenden hätte unS der Himmel nicht geben können, als wir ihn in Papst Leo XIII. besitzen. (Lebhafter Beifall.) Er ist deshalb auch die interessanteste und wegen seiner Tugenden nnd treff lichen Eigenschaften bei Freund und Feind geachtetste Persönlichkeit der Gegenwart. Hochverehrte Anwesende I Nachdem nun 25 Jahre fast vergangen sind, daß er seine glorreiche Regierung führ», da ist eS wohl nun an der Zeit, daß wir, seine Kinder und Untergebenen, einen Augenblick uns sammeln und unseren wahlberechtigten Gefühlen einen Ausdruck geben, da ist eS notwendig und unsere Pflicht, daß wir vor allem den un sichtbaren Hirten des TotleSreicheS aus Erden, Jesus Christus, Dank sagen, daß er einen so trefflichen und sichtbaren Führer unS gegeben hat. Ich sage weiter: eS ist auch unsere Pflicht, daß wir ihm gegen über für seine Mühen, sür seine Sorgen und Anstrengungen auch Worte der Anerkennung haben und Zeichen der Teilnahme, Liebe und Ber- ehrung zu erkennen geben und daß wir auch daS Gelöbnis der Treue und Anhänglichkeit an ihn und an seine heilige Sache aussprechen. Belebt und angeeifert durch sein herrliches Beispiel geben wir heute gern daS Bekenntnis ab, daß wir mit Freuden das schöne Gut der christlichen Religion umsaffen wollen und vaß wir unS auch bemühen werden, manche Mühen und Anstrengungen zu tragen, um dieses herrliche Gut unS und unseren kommenden Generationen zu erhalten. Um diesem gewiß berechtigten Gefühle, diesen Gesinnungen und Ent schlüssen einen Ausdruck zu geben, in diesen Gefühlen uns zum Leben und Streiten zu stärken, dazu haben wir uns hier versammelt, diesem Zwecke gilt daS heutige große und schöne Fest, und gewiß ist es recht, daß wir uns in dieser Weise gegenseitig ermuntern und beleben. Was nun die Veranlassung zu dieser Festesseier und die Veranstaltung dieser Feier anbetriffl, so glaube ich nicht verschweigen zu sollen, daß nicht von oben herab, nicht von den geistlichen Behörden diese Feier ange- ordnet wurde, sondern die Anregung dazu ist aus dem Bürgerkreise, aus den Vereine» dieser Stadt, voran der Kath. Bürgerverein, hervorge gangen. (Beifäll). Sie haben die Mühe und Arbeit übernommen, um diesen schönen Festsaal zu gewinnen und daS Übrige, das dazu notwendig ist, herbeizuschaffen. Ich nehme das zum Zeichen, und ich erkenne darin, daß gerade in diesen weitverzweigten Schichten deS ehr baren Bürgertums wirklich die Liebe zu unserer heiligen Religion noch lebendig und krästg ist, daß man doch noch Interesse hat an den Schick- 1. Jahrgang. salen unserer Kirche, an ihren Leiden und a» ihre» Freude», und ich glaube auch diesen Umstand dahin deuten zu sollen, daß man nicht ruhist immer den Angriffen und Unbilden, die die geheiligte Stiche uns Erden zu erleiden hat, ruhig zusehen will, sonder» daß mau auch bereit ist, i» den aufgedrungene» Kamps mit einziiirelen und das Nötige zur Förderung unserer guten Sache zu tun. (Lebhafter Beifall). Zu demselben Resultat komme ich. verehrte Auivesende, auch, wenn ich in diesem großen, reichbesetzte» Saal übersehe und erkenne, daß Sie sich auS alle» Stände» von oben nacl, unten ziliammengesnuden haben und zwar nicht bloS Sie aus der Residenz und aus iyreu verschiedenen Teile», sondern es sind auch Vertreter von auswärts hier, eS sind die Vororte und die Orte der nächsten Umgebung nicht nur, es ist ganz Sachsen hier vertreten, auch die Erblande und die Oberlausitz durch Mitglieder und durck Deputationen der Vereine, so zwar, daß wir gleichsam eine kleine sächsische Katholikenversainmlung hier vor uns finden. (Großer Beifall ) .. Verehrte Anwesende! Ich begrüße"Sie hiermit auf daS Herzlichste, und ich danke Ihnen, daß Sie so zahlreich sich beteiligt und die Kälte und sonstige Unbequemlichkeiten des heutigen Tages nicht gescheut haben. Ich bin überzeugt, daß Sic Jbren Aufenthalt hier nicht be- reuen werden, sonder» daß die Anreguiigen, die Sie hier erfahren werden, in Ihrem Geiste sorlwirken und Sie erfreuen mögen, und ebenso begrüße ich auf das Herzlichste und heiße willkommen die ver- ehrten Festredner, die von weiter Ferne hergekommeu sind, um unsere Herzen durch ihre Beredsamkeit und durch ihre Liebe zur guten Sache zu erfreuen und zu beleben. Seien Sic überzeugt, daß Sie hier ein dankbares und empfängliches Publikum finden werden. (Beifall.) Nachdem ich »un Worte der Begrüßung gesprochen, so wollen Sie, verehrte Versammlung noch gestatte», daß ich auch ein Wort pro äomo, d. h. sür unsere Verhältnisse zu Ihne» spreche. Als Vertreter des Vikariats liegt es mir sehr am Herzen und gewiß auch Ihnen, daß wir Zusammenhalten, um einig zu sei» und nebeneinander und miteinander zu wirken, und da gerade jetzt Feinde ringsum sind und wir ein Interesse haben müssen, die einzelnen Mit glieder unserer Kirche herbeizurufen und an sie selbst uns zu wenden, da meine ich, daß es notwendig ist, die Einigungs- und Sammelpunkte zu vermehren und zu verstärken. Ein solcher Vereinigungs- und Sammel punkt ist jede Kirche, jedes gottesdienstliche Lokal; da kommen die Ka tholiken, die in der Zerstreuung sind, die in der Diaspora leben, Sonn tags und Feiertags zusammen, da haben sie Gelegenheit, sich gegen- seitig kennen zu lernen und miteinander Fühlung zu nehmen. Aber freilich nicht alle, die in der Diaspora leben, sind so glücklich, ein Gotteshaus in der Nähe zu haben. Biele müssen weit wandern und meilenweit« Reisen unternehmen, ehe sie wieder einmal zur Kirche kommen können, und doch muß ich sagen, ist es ohne eine geordnete Seelsorge und regelmäßige Pflege nicht möglich, daß alle die Zer streuten , die nach Sachsen kommen, an ihrem Glauben festhalten, und wenn auch sie selbst noch katholische Gesinnung in sich bewahre»», so ist es ganz sicher, daß ihre Kinder und Nachkommen unserer Kirche entfremdet werden. Darum ist eS ganz besonders jetzt notwendig, daß wir neue Kirchen und Gotteshäuser bauen, daß wir neue Seelsorgestätten errichten und dafür sorgen, daß jeder den nötigen Unterricht und die nötige Erbauung finden kann. Freilich, früher war es anders. Da waren die Wohlhabenden da, die reich begüterten Pa- tronatsherrschaslen, welche ihren ärmeren Mitmenschen gottesdienstliche Stationen und Kirchen errichteten. Die Zeit ist zum großen Teil vorüber, jetzt sind die geistlichen Vorstände aus das Volk au« gewiesen, aus die kleinen Gaben der Minderbegüterten, und diese müssen durch besondere Vereine wieder zusammengebracht werden. Es geht auch so, wenn auch mitunter langsam, und ich will nicht unerwähnt lassen, daß wir gerade in de» letzten 2 bis 3 Jahren besonders durch das segensreiche Wirken des Bon ifaziuS Vereins wesentlich unter stützt wurden, so daß es unS möglich gewesen ist, einige recht schöne gottesdienstliche Gebäude zu errichten. Aber freilich, wer auswärts Hilfe haben will, »ver darum anspricht, der muß Nachweisen können, daß er selber auch daS Nötige getan hat. Darum möchte ich Sie jetzt, liebe Glaubensgenossen, anssordern und bitten, doch ja nicht des Kirchenbausonds zu vergessen, sondern trotz der hohen Steuern, die wir haben, immer »och einen überschüssigen Groschen oder eine noch zu entbehrende Mark herbeisuche», um sie diesem so notwendigen und heilsamen Zweck zuzuwcnden. Es geht nicht an, daß wir diese aus fremden Gegenden zuziehenden Glaubensgenossen, wenn wir sie auch nicht Herbeigerusen haben, um das Liebste und Teuerste, Ei« Opfer. t». F-rtse-ung.) Erzählung von Friedrich Meister. (Nachdruck verboten.) Oft, wenn er den freundlichen Gedanken über sie nachhing, begann er sich in träumerischer Weise darüber zu wundern, daß ein Mädchen von solchen inneren und äußeren Vorzügen nicht schon längst von einem Manne gesucht und gefunden worden sei, der eines solchen Schatzes würdig war. Es kam ihm seltsam vor, daß er daran nicht schon früher jedacht hatte, nnd urplötzlich durchfuhr es ihn eiskalt, als er sich agte, daß der Briefwechsel mit ihr ein Ende haben müsse, wenn ie sich verheiratete. Wohl hatte Wintersheim ihm anvertraut, daß Annas Neigung ihm gehöre; allein er hatte diese Mitteilung nur für einen der vielen schwächlichen Versuche des Freundes gehalten, ihm etwas Tröstendes und Angenehmes zu sagen, damit er sich ruhig verhielte. ^ Anna war, was sie stets gewesen, seine beste und zuverlässigste Freundin; hegte sie noch andere Empfindungen für ihn in ihrem Herzen, dann hätte sie nimmermehr seine unablässigen Ergüsse über seine verlorene Liebe so geduldig ertragen können. Und dennoch — während er mit Schrecken die Möglichkeit erwog, ihre Briefe eines Tages entbehren zu sollen, mußte er sich gestehen, daß er Luise nur noch wie eine längst Verstorbene in seiner Erinnerung hegte, während Anna lebte, für ihn lebte und ihm Beweise über Beweise ihrer liebevollen und tröstlichen Gegenwart gab. Da geschah es, daß der Hamburger Postdampfer einlief, ohne ihm den ersehnten Brief von Anna zu bringen. Er beruhigte sich^und wartete auf den nächsten Dampfer. Als aber auch dieser nichts für ihn an Bord hatte, da erkannte er, wie kostbar, wie notwendig ihm diese Lebenszeichen waren. Er kam sich vor wie ein Wanderer, der nach mühseligem Marsche durch nächtliche Finsternis endlich daS hoffnungsvolle Morgenrot erspähte, dann aber plötzlich mit Blindheit geschlagen wurde. Sollte ihm das Glück, welches er zu ahnen begonnen, versagt bleiben? ^ Er raffte sich zusammen und schrieb. Sein Brief kreuzte sich mit einem von Anna. Mit Winterheim war seit einiger Zeit eine besorgniserregende Veränderung vorgegangen, und Luise war voll von Befürchtungen. Seinem Weibe und dem Kinde gegenüber war er nach wie vor der zärtliche und fürsorgliche Gatte und Vater, er widmete denselben seine ganze freie Zeit; dennoch war er nicht der Alte. Auch seine Gesundheit ließ viel zu wünschen — kurz, Luise schaute voll Bangen in die Zukunft. Im Park der Wintersheimschen Villa auf der Uhlenhorst herrschte fröhliches Leben. Lulu, des Hausherrn einziges Töchterchcn, feierte ihren fünfteu Geburtstag, zu dessen Verherrlichung eine Schar von Alters- genossinnen, die Kinder von Verwandten und Nachbarn, eingeladcn worden waren. Eine Musikkapelle spielte allerlei Weisen und muntere Lieder; sogar ein Puppentheater hatte Ausstellung gefunden, dessen lustige Stücklein von den Kleinen mit lärmendem Jubel ausgenommen wurden. Die Großmama Madwig und die Tante Anna waren zu dem Fest in der eleganten Karosse der Wintersheims vom Bahnhof am Klostertor abgeholt worden. Die Doktorin kannte keine stolzere Freude, als in dem stadtbekannten Md allgemein bewunderten Fuhrwerk langsam durch die Straßen und über die Promenaden zu rollen — die beneidete Schwiegermutter des berühmten Handelshauses Söderland L Co. Als die Damen sich heute zum Verlassen ihres Landhauses angeschickt hatten, war noch im letzten Augenblick ein Brief für Anna eingelaufen. Das Schreiben kam von Bremen und jwar von Lubaus Hand. Derselbe teilte ihr mit, daß er mit eincin Lloyvdampfer von Rio in jener Stadt eingetroffen sei und ohne Aufenthalt nach Hamburg kommen werde. Sein erster Gang würde ihr gelten, und deshalb bat er sie, Ort und Stunde einer Zusammenkunft zu bestimmen und die Angabe schriftlich zu hinter lassen, falls er sie nicht zu Hause anträfe. Er reise unter dem Namen Richard Hammer. Er habe Näheres über Wintersheims Zustand und auch über die Verhältnisse desselben erfahren und müsse mit ihr darüber unverweilt Rücksprache nehmen. Anna aber hatte aus ihrem Briefwechsel mit Eduard der Tante gegenüber nie ein Hehl gemacht; da die letztere jedoch auf den „jungen Menschen" noch immer nicht gut zu sprechen war, so fand sie keine Veranlassung zu eingehenden Mitteilungen über den Inhalt der Korrespendenz. Die unerwartete Rückkunft des Vetters versetzte sie daher in eine sehr erklärliche Aufregung, um so mehr, als sic aus dem Schreiben desselben entnehmen zu müssen glaubte, daß dem Wintersheimschen Hause ein Verhängnis drohe. Sie beschloß, der Doktorin nicht eher etwas zu sagen, bis sie Eduard gesprochen habe. Sie ließ daher in den Händen des Dienstmädchens ein Billet zurück, in welchem sie „Herrn Richard Hammer", welcher im Laufe des Nachmittags anlaugen mußte, benachrichtigte, wo sie zu finden sein würde. Die kleine Lulu empfing ihre zahlreichen Gäste und deren erwachsene Begleiter so ernsthaft und gesetzt, als sei sie längst an dergleichen Feierlichkeiten gewöhnt. Der Umgang mit ihrem Vater, dessen stete Gesellschafterin sie in seinen freien Stunden war, hatte ihrem Benehmen eine altfränkische Würde und Gemessenheit verliehen, die zu ihren» reizenden Kindergesichtchen im drolligsten Gegensatz stand. Die einzige Ungeduld, die sie bei dieser Gelegenheit verriet, lag in der Frage: „Aber Mama, Ivo bleibt denn der Papa? Er versprach, heute recht zeitig zu kommen, und er hält doch sonst immer Wort." „Hast recht, Liebchen, er bleibt heute länger aus als gewöhnlich," sagte die Mutter, die hinter ihrem Töchterchcn stand und sehnsüchtig und besorgt die Allee hinabschaute. „Aber wir müssen Geduld haben; du weißt, daß Papa nicht immer zur bestimmten Stunde das Kontor verlassen kann, und gerade in diesen Tagen hat er ausnahmsweise viel zu tun." Der fröhliche Trubel nahm seinen Fortgang, und als derselbe auf seiner Hohe war, kam Wintcrsheim nach Hause hinfällig, bleich und »och angegriffener als sonst. Er vermied es. sich vor der lustigen Schar sehen zu lassen; er juckte sogleich sein Schlafzimmer auf und ließ dann seine Frau herbeirufen. „Verzeih mir. Liebste." sagte er, „aber ich fühle mich zu elend, um zur Gesellschaft zu kommen. Ich will mich ein wenig mederlegen und versuchen, ob ich schlafen kann. Vielleicht bin »ch dann nach einer Stunde wieder etwas frischer. (Fortsetzung folgt.)
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