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Zweites Blatt Eine Ttandesorganisation für den Detailhandel. Im Detailhandel >rlack)t sich mehr und mehr das Be- dürsnis nach einer Standesorganisation geltend. Das ist ganz natürlich angesichts des Werdeganges, den der Detailhandel im Laufe des letzten Jahrhunderts genommen har. Mit dem allgemeinen Wirtschaf tlick-en Aufschwung hat auch der Detailhandel eine größere, mehr selbständige Be deutung im Rahmen des Gesamthandels gewonnen. Er in eine für sich bestehende, selbständige und ansehnliche Be- ruisgnrppe mit eigenen Standesinteressen geworden. Die Grenzlinien, welck>e Groß- und Detailhandel ihrer Natur nack scheiden, traten in den ersten Stadien der Entwicke lung des Detailhandels begreiflicherweise wenig hervor. In neuerer Zeit sind diese Linien deutlicher sichtbar ge- worden. Kartell- und Konventionsbestrebungen u. a. m. zeigen, daß zwischen Lieferanten und Abnehmer ein natür licher wirtschaftlicher — wohlgemcrkt wirtsck-aftlicher — Interessengegensatz besteht, der eine gesonderte, selbständig.' nteressenvertretung notwendig macht. Wenn die Einsicht in diese Tatsache bei den Beteiligten selbst nur erst zum Teil Eingang gefunden hat, so ist dock) offenbar, daß die fortschreitende Entwickelung des Wirtschaftslebens die Rich tigkeit dieser Forderung immer klarer hervortreten lassen wird. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, daß es au Aufgaben fehlte, die der Gesamtheit der Handel treibenden gemeinsam sind. Eine ausgebildete Standesorganisation finden wir im Handwerk und in der Landwirtschaft. Tie Innungen im Handwerk sind Standesorganisationen im eigentlichen Sinne des Wortes, insofern sie berufen sind, die Gesamtinteressen nach jeder Richtung zu vertrsten. lieber ihnen steht als korporative Interessenvertretung des -Handwerks die Handwerkskammer, die berufen ist, einer- serts die Wunsch der Handwerker gegenüber den Behörden, der Regierung und den gesetzgebenden Körperschaften zu vertreten, anderseits erzieherisch auf das Handlverk zu wir ken und hilfebringend einzugreifen. Die Landwirtschaft bat äbnliche Standeskorporationen in den Bauernvereinen und den Landwirtschaftskammern. Wenn man einwenden wollte, daß in den landwirtschaftlichen Standesorgani- lattonen dock) anch alle Angehörigen des Berufes, die Großen und die Kleinen, zusammengingen, und daß daher auch im -Handel Sonderorganisationen nicht notwendig seien, so ist zu erwidern, daß die Interessen der großen wie der kleinen Landwirte im großen und ganzen weit mehr solidarisch als an Seinandergehend sind. Es besteht zwischen ihnen nicht der natürliche Gegensatz des Lieferanten und Abnehmers, wie im Handel, ihre Produktions- wie Absatzinteressen sind gleichartig. Der Umstand, das; die Handelskammern in der Ver tretung der Interessen des Klein lxmdels zum großen Teil je länger je mehr zu wünschen iibrig ließen, hat die Detaillisten schon seit mehreren Jahren zu der Forderung der D e t a i l l i st e n ka m me r n veranlaßt. Der Zen Sächsische Volkszeitung vom 12. April 1907 Nr. 83 trumsabgeordnete Trimborn, der auf dem Gebiete der Mittelstaudspolitik, insbesondere durch seinen Gewerb?- befördernngsantrag vorbildlich gewirkt hat. hat jüngst im preußischen Abgeordnetcnhause durch einen Antrag — den man vielleicht Kleinhandelsantrag nennen könnte — die Forderung einer besseren Vertretung des Detaillistenstandes gleichfalls erhoben. Ter Antrag sieht zwei Möglichkeiten vor, zu dem gewünschten Ziele zu gelangen: Die Sckxstfung selbständiger Detaillistenkammern und die Errichtung be- sondere» Abteilungen für den Detailhandel inner halb der.Handelskammern. Es wird sorgfältiger Prüfung, namentlich seitens der Beteiligten selbst bedürfen, welcher Weg unter den olnvaltenden Umständen der praktisckstte. erfolgversprechendste und richtigste ist. Im engen Zu sammenhänge mit der Frage einer tvirksameren Vertretung des Detailhandels durch die Handelskammern steht die Frage des Wahlrechtes zur Handelskammer. Die Bestimmung, nxmach in Preußen den Handelskammern das Recht gegeben ist, unter Zustimmung des Ministers sich eine Wahlordnung selbst zu schassen, soll, wie von den Tetaillisteu beklagt wird, stellenweise dahin geführt haben, daß das Wahlrecht analog dem Treiklassen-Wahlrecht zum preu ßischen Abgeordnetenhause eine mehr plutokratisclie Aus gestaltung erfahren hat. Leider muß aber auch konstatiert werden, daß die Detaillisten selbst der Wahl zur Handels- kainmer bisher vielfach nicht das wünscl-enswerte Interesse entgegengebracht haben. Eine gewählte Standesvertretung, die wie eine Kam mer „nach unten und oben" wirken soll, wird kaum auf die Tauer eine voll befriedigende und ersprießliche Tätigkeit entfalten können, wenn sie sich nicht stützen kann ans einen breiten Unterbau von Standesvereineu. Diese Aufgabe müssen im Detaillxmdel mehr und mehr die Detaillisten Vereine erfüllen. Es soll nicht ver kannt werden, daß die bestehenden Detaillistenvereine schon viel Gutes für den Stand getan haben. Aber sie beschränken sich vielfach noch zu sehr in ihrer Tätigkeit, insofern sie vor nehmlich der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes sich widmen. So notwendig diese Arbeit ist, so trifft sie doch nur einen Teil der im Detailhandel bestehenden Mißstände. Die Aufgaben der Detaillistenvereine müssen weiter gesteckt werden. Wie die Innungen, so müssen anch sie zu wirklich?» Standesorganisationen sich ausbilden, die alle Aufgaben des Standes nach jeder Richtung tvahrnehmcn. Sodann müssen die Detaillistenvereine noch vennehrt tvcrden. In jedem -Ort, wo es gemeinsame Interessen wahrznnehmen gibt, muß er vertreten sein. Es ist nicht zu leugnen, daß bei manchen Tetaillisteu das Verständnis für die Frage einer Standesorganisation für den Detailhandel noch wenig entwickelt ist. Sie bilden ein Hindernis für die Bestrebungen ihrer weitsichtigeren Kollegen, die einen Blick haben auf den Lauf der Zeit und ihi-e Bedürfnisse. Es bedarf daher noch einer intensiven Aufklärung über diese Fragen, zu der die kairs- niännischrn Vereine aller Art beitragen sollten. Bahnhofsliteratur. Zu dieser wichtigen Frage erhalten wir folgende Zu schrift: Es geht mit vielen Menschen etwas seltsames vor. tvenn sie reisen. Sie scheinen nicht mehr die Alten zu sein. Sie reden, geben sich, denken anders wie gewöhnlich. Arrch ihre Lektüre weist deutliche Zeichen dieser seltsamen Ver änderung auf. Zu Hause liegt ganz selbstverständlich das Zentrumsblatt auf, und es würde keine sanfte Ausein- andersetzung geben, tvenn das eine oder andere von den Kindern mit zweifelhaften Bänden ans der Leihbibliothek angerückt käme. Sobald man aber den Bahnhof betreten hat, scheint die Lage eine andere zu sein. Es ist nicht nur die Neugier, auch einmal anderer Leute Meinung zu lesen. Mau kauft nicht nur gegneriscl)e politisch Blätter, lvogegeu sich schließlich auch nichts einwenden ließe, vorausgesetzt, daß man regelmäßig sein eigenes Parteiblatt dem Zeitungsträger des Bahnhofes aütänft, sondern man will etnxrs Aufregen des, etnxis Nervöses, ja sagen wir das Wort, etwas Pikantes. Warum nicht einmal? Ein Blick ans die Literatur unserer Bahnhöfe zeigt, daß der Bnchl>aiidel mit diesen inne ren Vorgängen und dieser GedankeiNvelt unseres reisenden Publikums ausgezeichnet vertrant ist. Die kleinen Witz blätter und die größeren Zeitscluifteu niit ihren farbigen Titelbildern und den schreienden ausfälligen Umschlägen, die kleinen Novellcnbändck>cn mit den ans äußerste streifen den Zeichnungen darauf und die schweren Nomanbände, die man dem Reisevnblikmn im Wartesaal bietet — all das lxrt einen gemeinsamen Grundton: es rechnet mit di.-scn iliiauSgei'proclxnen Wünschen nach Nervenreiz. Nicht alles, Nxrs dort ausgestellt ist, ergibt sich nackstier als so schlecht und verführerisch, wie cs dein Umschläge nach zu sein schien. Tie Dekorationen sind zu öO Prozent bloße Reklame, und der Inhalt ist künstlerisch unter Wert und sittlich von mittel- mäßig.'r Langelveile. Genug, daß diese Art „Literatur" gekauft wird! Tie andere Hälfte sckxrdet aber wirklich. Sie wirf: nicht mir müßig? ?^eit, die wir auch zu unserer Bildung und frohen Genuß, die wir anch zu unserer Veredelung be nutzen sollten, einfach fort. Sie vergiftet anch. Zumal in dem Alter, in dem man ans der Reise zur Lektüre zu greifen pflegt. Ich fahre berufsmäßig jeden zweiten oder dritten Tag mit der Bahn, oft früh, oft spät. Mit einem gewissen Bedauern erfüllen mich manchmal die jungen Menschen, die mit vergcisterten Angen in der Ecke des Abteils sitzen und statt hinaus ans Flur und Fluß und Wald und Herde zu schulen, dort hocken lind die Augen hineinbohren in die „wannende" Erzählung. Cs mag viele geben, die nicht wissen, daß sie an den Bahnhöfen auch gediegene Reiselektüre lausen können. Ich erinnere n. a. nur an die grünen Mindcben der Bntzon und Berkerschn Sammlung, »vclche den Titel führt, „Ans Vergangenlwit lind Ckgenlvart", und von welcher schon das 7ü. Bändchen zur Ausgabe gelangt ist. Es schint mir, ans derartige gediegene Lektüre wird unsererseits viel zu wenig aufmerksam gemacht, lvas bei dem S 28 - Dabei wuchs ihre Neugierde von Minute zu Minute, mrd schon war sie ughe daran, die Schlummernde zu '.rx-cken, um die Gelegeilheit nicht unbenutzt oorübe »gehen zu lasseil, als plötzlich heftige Schläge draußen gegen die Hans- nir erdröhnten. Die Frau schrak zusammen und lvackste auf. Kathinka war aufgesprungen lind hatte einige Schritte bis nack) der Stlibeilinitte getan, wo sie nun wie festgewurzelt stellen blieb. „Geh, öffne Kind — der Vater ist da!" rief die Frau, sich aufrichtend. „Ich höre aber Stimmen —" „Dann ist der Vater nicht allein gekommen." „Ob er cs überhaupt ist?" „Wer anders sollte es denn sein, der jetzt nach Dcitternacht hier Einlaß begehrt." Die Schläge draußen wiederholten sich so wuchtig, daß die Feilster erklirrten. „Der Vater wird schon ungeduldig — geh, Käthchen, beeile dich!" „Und er wird wieder viel Branntwein getrunken haben!" „Darum unißt du durch dein Säume» ihn nicht noch reizen." Jetzt trat das Mädchen zum Kamin hin, brannte am Herdfeuer einen Kienspan an und begab sich hinaus. Schon nach wenigeil Minuten lehrte sie ins (hernach zurück, gefolgt von zwei Männern, deren lautes Gebaren darauf hinzndeuten schien, daß sie reckst tief ins Glas geblickt hatten. „Guten Abend, Alte, uild Prosit Neujahr!" rief der Aeltere der zwei Mäimer, der dasitzenden Frau die -Hand reichend. Dann streckte er auch dem Mädchen seine Rechte entgegen, in die sie die chre nur widerwillig legte. „Prosit Neujahr auch dir, Käthchen!" Hierauf lvandte er sich an seinen Begleiter, der wie schüchtern an der Tür stehen geblieben lvar. ' „Komm näher, Junge, lind laß dich hier deinen Vcrtvandten vorstellen." Der junge Mann stampfte heran. „Seht, das ist mein Neffe, mein Schwestersohu, der Fritz Sparinger. Er ist von lveither gekommen, aus der Königsberger Gegend, lvo meine ver- witlvete Schwester von einer kleinen Rente lebt. Da zu .Hause die Unter- Haltung bei dieser schlechten Winterszeit etwas knapp geworden ist, so machte sich der Junge auf. um sich einen Dienst zu suckln. Da ist er bis nach Frauen- bürg gekommen, woselbst uns der pure blanke Zufall zusammengeführt l)at." „So, so," sagte die blasse Frau auf dem Stuhle, während Gregor — der Mann lvar es — seinen forsckxmden Blick von der Gattin aus die Tochter schweifen ließ, wie um den Eindruck zu prüfen, den sein Lllgcnsermon auf dieselben hervorgerufen hatte. „Na, Fritz, so steh dock) nickst so wie ein Klotz da," rief.er dann heiter, „gib dort deiner Muhme und deinem Väschen die Hand, wie sich's geziemt." Der Bursche folgte dieser Auff-z-rderung, aber er tat noch mehr, als ver langt wurde, er küßte der Muhme die Hand, und wollte seine schöne Cousine gar auf den Mund küssen, ohne jedoch seine Absicht zu erreichen; denn Ka thinka, die schon beim Händedruck des Mordbuben die instinktive An wandlung eines unerklärlichen Grauens empfunden hatte, trat hastig zurück, um der vertraulichen Annäherung ihres angeblichen Cousins auszuweichen. Mutter und Tochter waren es, die hier einsam und weltverloren nach ihrer Art Silvester feierten. Tie letztere, eine liebreizende, blauäugige, schlanke Blondine von ctnxr achtzehn Jahren, hatte beim trüben Schein einer kleinen -Oellampe vorgeleseu, und als sie geendet, tönte von den Lippen der bleichen Frau ein aus dem Herzen dringendes „AmenI" Und: „Amen!" rauschte es draußen in den dunklen Tanneil, orgelte es in mäckstigeu Akkorden in dem endlosen Gewoge der Ostseeflut, die wild ' schäumend und brandend sich an der Düne bricht. Neckst ärmlich sieht es in dem S-tübcl-cn ans, darin die zwei tveltver- lorenen Seelen weilen. Ein weiß gedeckter Tisch, vor dem die beiden Frauen sitzeil, einige Stühle ans Weidenrutengefleckst, ein alter Sckuank, eine Uhr in wackligem Gehäuse, ein Ofen, eine Bank lind drüben in der Kaininecke einiges Gerümpel, das ist so ziemlich alles, was man hier erblickt, die Summe der häuslichen .Habe. Kein Bild, kein Schmuck an den grauschnxrrzen Wänden, kein Gegen stand, der dem Zimmer zur Zierde, dem Auge zur angenehmen Weide ge- reick)en könnte, nichts von alledem finden wir da, womit sich der Mensch zum Zweck der Beauemlichkeit oder Verschönerung deS Lebens zu umgeben pflegt. Ja, trostlos öde ist der Raum, durch den der Mick sckstrx'ift, und selbst die kleinen Scheiben der Fenster, die vielfach geborsten lind mit Papier ver klebt sind, bieten einen widerwärtigen Anblick. Und doch liegt in dem Wesen von Mutter und Toclstcr, trotz der groben, gewöhnlichen Kleidung, die sie tragen, ein iinbeschreibliclx's Etwas, das sie ge wissermaßen zu Personen, einer höhereil Daseinsordmmg stempelt: daS Vor nehme, Achtunggebietende einer edlen Fmuennatur scl>eint ihnen angeboren. Das feine, blasse Gesicht der etlrxl vierzigjährigen Frau, die etwas ge beugt iil dem Binsenstuhl sitzt, dieses Gesicht vom reinsten -Oval, mit der kleinen, scl-öngesormten Nase und dein feinen Mund, hat noch deutliche Spuren einstiger Schönl)eit aufzuweisen: aber die durchfurchte Stirn und die herben Linien »in den sanft geschwungenen Mund, sie weisen gar deutlich lstn auf die Ursackx; des vorzeitigen Hinsck)windeils feiler Sclstmlx'it und Anmut, womit die Natur im Lebcnssrülsting sie geschmückt. Ja, die Vergangenheit dieser armeil Frau liegt Nne ein schlverer Traum hinter ihr, und eine Kette von Leiden und Drangsalen führte sie zum Sicck,- tum mid frühen Alter hin. Ein hohles, trockenes Hüsteln, das von Zeit zu Zeit voll ihren Lippen fällt, scheint darauf hinzudeuten, daß Kummer, Mangel und Entbehrungen ihre Gesundheit untergraben, daß sie einem unheilbaren Hinsieclxw verfallen, nun einem frühen Grabe entgegenreist. Doch scllweigend trägt sie ihr LoS, und nie dringt über diese blassen Lippen eine Klage; längst bereit lxrt sie sich daran gewöhnt, in das Unab änderliche sich zu fügen. Nur lvenn sie ab und zu ihren gedaiikmsckinx'ren Blick auf der Tochter ruhen läßt, daun zuckt eS zuweilen wehevoll über ihr Antlitz hinweg und Tränen füllen daS besorgte Mutterauge. Sie lveiß eS, ihr Leidensweg ist bald zu Ende, der bitten' Kelch, den ihr daS Schicksal gereicht, ich bald bis auf den letzten Tropfen geleert; aber Wenn sie eines Tages ihr müdes Auge zum letzten Schlummer geschlossen, «DaS Tteinkreu- am Vstseestrande." ^ _ ----- -----