Volltext Seite (XML)
der Orden konnte sagen, dak jeder Schriftsteller seine eigene Hant zn Markte trägt und die Nichtapprobation doch ein deutlicher Wink sei. Vermischtes. V Die Truppenbefördernng über den Baikalsee hat ohne Frage grobe Schwierigkeiten. Ein Petersburger Berichterstatter der „Köln. Ztg." gibt eine Schilderung, der wir folgendes entnehmen: Die Mannschaften erhalten vor Beginn des Marsches über den Baikalsee ans der Station Baikal morgens Tee und trockenes Brot, ans der Hälfte des Weges in einer Speisebaracke eine heiße Speise, meist eine dicke Grütze ans Buchweizen, die einfach in Salzwasser ohne nennenswerten Ansatz von Fett abgckocht ist, abends nach Beendigung des Marsches ans der Station Tanchoi wieder mir Tee und trockenes Brot und sie haben 47 Kilometer Fußmarsch ans dem Eis des Baikalsees bei Wind und Wetter znrückznlegen.' Daß unter so ungünstigen Verhältnissen schon jetzt zahllose Abgänge und Erkrankungen vorgekommen sind, ist ganz erklärlich. Weniger verständlich erscheint es jedoch, daß vielfach Mannschaften die ihnen ! gelieferten Walenki, dicke, hohe und warme Filzstiefel, : unterwegs sehr häufig schon vor Erreichung der Speisehalle gegen ein Fläschchen Wodki eintanschen und dafür nur zn oft ihre Füße erfrieren. Fälle von Trunkenheit sollen nicht selten sein. Natürlich hat man keineZeit sich lange mit solchen Maroden anfznhalten, und man läßt sie an der Straße liegen, soweit nicht mitleidige Kameraden sie in den Gepäckschlitlen unter- bringen. Um die Gleislegnng zn beschleunigen, war der russische Berkehrsminister Fürst Ehilkow selbst an Ort und Stelle erschienen und immerhin ist die Arbeit verhältnis mäßig schnell vollendet worden. Man muß dabei berück sichtigen, daß die Eisdecke nicht etwa eine glatte Fläche bildet, vielmehr schieben sich durch die Strömungen und durch die Winde die Schollen wild durcheinander und türmen sich hoch ans. so daß die Oberfläche erst geebnet werden mnß. Man hat die Strecke nicht gerade geführt, sondern im Bogen von der Station Baikal am westlichen Ufer nach Tanchoi, damit die Linie der Eisbrecher nicht berührt wird, die beim Eintreten der milderen Jahreszeit möglichst früh beginnen sollen, die Rinne zn öffnen. Sie überwinden Eis bis zn drei Fnß Dicke. Am Dienstag sollte der Schienenweg dem Verkehr mit Truppen über geben werden. Die Leute werden dann in den kleinen niedlichen Wagen unserer Petersburger Strano < Seknndär-i Bahn über den See befördert werden die mit den zn gehörigen Lokomotiven vor einigen Wochen dorthin ab gesandt wurden. Zunächst werden die kleinen Wagen von Pferden gezogen, das scheint in der Hauptsache ans Vor sicht zn geschehen, denn die Erfahrungen, welche man mit l einem Probezng gemacht hat, sind nicht ermutigend ausgefallen. ^ Wie die „Nowoje Wremja" kürzlich zn melden wußte, ist ein ganzer Wagenzng, »veil die Lokomotive nicht rechtzeitig zmn Stehen gebracht werden konnte, in einer der so ge fährlichen. sich Plötzlich bildenden Eisspalten verschwunden. Jetzt erhält das Blatt eine Meldung ans Irkutsk, daß wieder eine unweit des Users manövrierende Lokomotive Plötzlich im See versunken sei. Diese sich im Eise des Baikalsees ganz Plötzlich bildenden, oft <00 und mehr Meter langen, 2 bis 10 und mehr Meter breiten Nisse und Spalten bringen für den Transport der Truppen die größten Gefahren. Wo am Vormittag ein Zug noch sicher und unbehindert passierte, befindet sich oft am Mittag oder Abend eine weite, unüberbrückbare Spalte, die Schienen. Schwellen usw. mit in den Abrund gerissen hat. Sind solche Spalten oder Nisse nicht allzu breit und lang, so versucht man sie durch Einkeilen und Einfrierenlassen von dicken Eisblöcken wieder zn schließen. Aus den Nissen, die man. noch unaufgeklärten, unterseeischen Störungen znschreibt. gnillt init ungeheuerer Macht das mit der Eisdecke belastete Seewasser hervor und gefriert in merkwürdigen Formen. Es dauert jedesmal ein bis zwei Wochen, bis der Spalt wieder gänzlich zngefroren ist. Um das Auftreten der Nisse zu melden, läuft neben der Fahr bahn. die durch eingerammte Fichtenbänme bezeichnet ist. eine Telegraphenlinie hin, auf der die besichtigenden Be amten die Stationen verständigen. Jetzt ist auch für elektrische Belenchtnng gesorgt worden und ttnterkunstshänser wurden angelegt. Da ans Oftasien viele Kanflente, Beamten mit Familien und Angehörige der dort stehenden Offiziere znrückkehren, ist die Nachfrage nach Schlitten sehr groß, über 2000 Pferde wurden bereits verwandt, zugleich aber > steigerte sich die Unsicherheit und Nanbansälle waren auf ! der Tagesordnung. > v Den „Dresdner Nachrichten" entnehmen wir folgende Notiz: Im Kloster der Damen de St. Andrö zn Tonrnai in Belgien starb kürzlich die dort unter dem Namen Maria Johanna lebende Nonne, deren wirklicher Name Monika s Gräfin zn Stolberg-Stolberg war. Sie war als ! Tochter des Grafen Franz zn Stolberg-Stolberg anf Nackelwitz in der Oberlansitz und der Gräfin Marie v. Hocnsbroech 1^77 in Algier geboren. Beide Eltern verlor sie schon im ; Jahre lx7x; ihre Erziehung lag hauptsächlich in den Händen ihrer Großmutter, der Gräfin Hoensbroech, die jetzt vor kurzem in einem Kloster gestorben ist. Als die Gräfin Monika großjährig geworden war, schenkte sie die vom Vater ererbten beiden Nittergüter in der sächsischen Lausitz der Kirche zur Errichtung eines Krankenstiftes und nahm selbst den Schleier. Sie soll zn diesem Schritte hauptsächlich dadurch veranlaßt worden sein, daß sie glaubte, dem von ihrem Oheim, dem früheren Jesuiten Grafen v. Hoensbroech, erregten Aergernis ein Gott wohlgefälliges Werk entgegen stellen zn müssen. Außer dem in Stolberg im Harze residierenden Hanptzweige ist die gräfliche Familie Stolberg- Stolberg infolge des 1X00 erfolgten Uebertritts des Grafen ^ Friedrich Leopold, des bekannten Dichters, katholisch. ! Außer der jetzt verstorbenen Gräfin Monika sind noch fünf ! Gräfinnen zn Stolberg-Stolberg Nonnen, während ein Graf Priester ist. v Eine eigenartige Mission erhielt in den letzten Tagen der Präfekt der vatikanischen Bibliothek Pater Ehrle. Nachdem vor mehreren Wochen die Nationalbibliothek in Turin ein Nanb der Flammen geworden, wurde von der Negierung eine Kommission eingesetzt, welche entscheiden sollte, ob und wie die geretteten, aber beschädigten kost baren Codices der Bibliothek wieder für den Gebrauch des Publikums hergestellt werden könnten. Die Kommission aber beschloß zmn größten Entsetzen der Jtalianisnmi. die Frage dem Präfekten der vatikanischen Bibliothek, dem Jesuitenpater Ehrle, als der größten Antorität auf dem Gebiet des Bibliothekswesens zu unterbreiten. So ist denn Pater Ehrle nach Turin gereist, und bald werden eine An zahl Bibliotheksbeamte von Turin nach Rom kommen, um im Vatikan in der Restaurierung der Codices unterwiesen zn werden. So hat die Negierung in der Not beim Vatikan und einem Jesuiten in die Lehre gehen müssen. v Ein schauerlicher Fund. In Mailand sind kürzlich schauerliche Funde beim Abbruch eines Gefängnis gebäudes gemacht worden. Die Arbeiter stießen beim Auf graben der Kellerplatten auf zirka 200 Gerippe, bei denen sich Lederreste, Sporen und .Ketten befanden. Die Sach verständigen erklärten, daß es sich wahrscheinlich um deutsche Landsknechte handle, die hier ein Massengrab gefunden hätten. Als eine Mauer niedergelegt wurde, wurde in dieselbe eingemauert ein Ritter in eiserner Rüstung mit Schwert und Schild entdeckt, der das Helmvisier herab- geschlageu trug. Der Ritter trug im Wappen auf dem Schild zwei Tauben, die über einem Gewässer schweben, und ein Pergamenttäfelchen mir zwölf Zeilen Schrift und unterschrieben: Jl'cko^. v Humoristisches ans Bayern. Der Kampf um das neue bayrische Wahlgesetz hat die dortigen Liberalen in die schlimmste Aufregung versetzt. Sie wissen nicht mehr, was sie reden. Zur wortlosen Verblüffung der ganzen Abgeordnetenkammer hat am 22. d. M. der liberale Abg. Wagner mit exaltierter Betonung ansgernfen: „Die Liberalen fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!" — Die Liberalen und Gottesfurcht! Das ist etwas wahrhaft neues. Die darwinistische Entwickelnngstheorie hat zu ihren vielen Löchern ein ertra großes noch bekommen — die Liberalen werden gottesfürchtig! Donnerwetter, Herr Vetter, was sagen Sie dazu? — Die „Angsb. Postztg." meint freilich ganz trocken: „Die Liberalen fürchten die nächste Landtagswahl wie der Teufel das Weihwasser". — Wagner wollte wohl nur einmal den Bismarck ein bißchen imitieren. Das ist es — Imitation, Talmi! Epietviarr ser Theater irr Dresden. KÄNÜZ. Opernhaus. Mittwoch: Der Freischütz. Anfang > Uhr. Donnerstag: Die Vohdine. Anfang 7 Uhr. K-inigl. Schauspielhaus. Mittwoch: Die relegierten Studenten. Anfang llhr. Donnerstag: Außer Abonnement: Julius Cäsar. Anfang 7 Uhr. Theater in Leipzig. Mittwoch: NeueS Theatcr. Lohcngrin. — Altes Theater. Zapfenstreich. — Schauspielhaus. Die Frau vom Meere. ßMx- VKLLVLIK. -AL ^ Variete. I V<» sitz Ilnux. L Einlaß 7 Uhr. — Anfang '/.8 Uhr. 1802 k Sonn- u. Feiertags Ä Vorstellungen: Nachmittags fhalbe Preise) W Einlaß 8 Uhr, Ans. Uhr. Abends >/^8 Uhr gewöhnl. Preise. « — IX — Zeuge flicken", doch Ottilie hatte sich eingeschlosseu, „sie fühle sich unwohl und bedürfe absoluter Ruhe". Lukado schüttelte den Kopf. Er dachte nicht daran, sich abweiseu zu lassen. „Seit wann störe ich meine Frau?" fragte er ungeduldig, „willst du hier noch neue Moden entführen?" Der Riegel flog zurück, Ottilie öffnete die Tür. „Was willst du?" fragte sie matt. Er betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. Seltsam war ihm das Ver halten seiner Gattin Walteuberg gegenüber von Anfang an erschienen. „Du verbirgst mir etwas, Ottilie", sagte er ernst, „war es dieser Herr Walteuberg, dessen Vorhandensein dir die Rückkehr nach Erlau ver leidete?" „Ja und nein!" preßte sie hervor, „ich kann dir keine ausreichende Antwort geben." Sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr. „Mir, deinem Manne, verschweigst du wissentlich etwas? Weißt du mich, was du aufs Spiel stellst durch dein Verhalten? Unser häusliches Glück, den Herzensfrieden deiner Kinder!" Jetzt sah sie stehend, beschwörend zn ihm empor. „Gib mir Zeit, Friedrich! O mein Gott —" Ein dumpfer Laut entrang sich seiner Brust. „Also doch, du hast mir etwas verheimlicht. Mir! Und ich vertrante so fest!" Erst jetzt bemerkte sie. das; der gütige Ausdruck ans seinen Zügen gänz lich geschwunden, einem finster drohenden Ernst gewichen war. Ein tätliches Erschrecken lähmte sie. >.Dn, du glaubst doch nicht etwa —" Seine Heiden Hände stützten sich schwer ans die Tischplatte, die wie Stahl blitzenden Angen verschwanden fast unter den buschigen Brauen. „Du wirst sprechen, ich will es!" Seine .Haltung, die von Entrüstung diktierten Worte gaben ihr endlich die Fassung zurück. Sie erhob sich, und mit der ihr eigenen Anmut ging sie zu ihm hin, legte ihre Hände um seine» Hals und sah ihn tief und ruhig aus ihren dunklen Sternen an. „Niemals beging ich etwas, das mich mit meiner Franenwürde in Konflikt gebracht hätte, ich schwöre es dir. Friedrich!" Wie ein Bann wich es von dem Manne. Ein Sturm mochte in seinem Innern toben, eine Träne rann in den gebleichten Bart hinab. „Gottllob, daß du den Schwur leisten kannst," sagte er halblaut. «Gottlob, ich hätte es nicht ertragen, wenn cs anders wäre." Sie schluchzte laut auf. „Verzeihe mir doch, daß ich dir ein solches Leid bereite, es macht mich ja unglücklich, es bringt mich der Verzweiflung nahe . . . Und eine Schuld habe ich doch begangen, ein schweres Unrecht, ich war so egoistisch damals, so berechnend —" „Vertraue dich mir an," sagte er erschüttert, mit bebender Hand ihr dunkles, noch von keinem Silberfaden durchzogenes Haar streichelnd. — 10 — „DaS will ich. Nur heute nicht. Friedrich, erlasse mir noch das be schämende Geständnis." „Wie sollte ich nicht!" Er küßte sie ans den Mund. „Du hast mir ja das Leben wieder gegeben. Jener Mensch freilich darf unser Haus nicht wieder betreten. Kann — er dich kompromittieren. Ottilie?" Sie verneinte. Wußte sie doch, daß Walteuberg es nur darauf abge sehen hatte, sie zn ängstigen und Vorteile ans der Beziehung zu ihr zu ziehen. Sie hoffte mit ihm fertig zn werden; was alles in ihr in Aufruhr brachte, war jener Gelähmte in seinem Fahrstuhl, der Besitzer von Blankenstein. 4. Für Ilse hatte der alte, nachbarliche Herrensitz noch ein besonderes Interesse. Ihr junger Sinn beschäftigte sich gern mit außergewöhnlichem, und sie hatte bereits eine Menge Dinge von dort in Erfahrung gebracht. „Blankenstein ist nur der Name des Gutes," sagte sie ans ihren Be trachtungen heraus, „der Besitzer heißt Marwitz. Habt ihr schon bemerkt, daß er an allen Gliedern gelähmt ist? Welch' ein armer, beklagenswerter Mensch trotz seines Reichtums, aber niemand fühlt Mitleid mit ihm. Man hört nur abfällige, ja gehässige Urteile." „Die vielleicht auch znm Teil begründet sind," ergänzte Lnkadv, „denn er hat Verwandte, die sich in sehr liebevoller Weise um den Sonderling be mühen, wie ich höre; er aber setzt all ihrer Güte und Nachsicht nur Miß trauen entgegen." Von dieser Güte bemerkte ich bisher wenig oder gar nichts," sagte Ilse bestimmt, ihr Glas mit dein funkelnden Rheinwein an die Lippen führend, also wird die Unfreundlichkeit wohl auf beiden Seiten sein. Stunden lang sitzt der alte Herr verlassen in seinem Fahrstuhl, und wenn das junge Mädchen, seine Verwandte, ihn gelegentlich nach seinen Wünschen fragt, so geschieht es einsilbig und widerwillig. Vielleicht wird das kaum noch em pfunden. denn die Gewohnheit stumpft ab." Die Familie saß beim Mittagessen in dem geräumigen, freundlichen Speisezimmer. Vater und Tochter schmeckte eS vortrefflich, die Mutter jedoch ließ den Braten und das Gemüse fast unberührt; die Suppe hatte sie so hastig gegessen, als könnte sie nicht schnell genug damit fertig werden. Dann erhob sie sich unter dem Vorwände, in der Küche noch einmal nach dem Rechten sehen zu müssen. Als sie wieder hereinkam, war die Unterhaltung über den alten Mar witz noch nicht beendet. „Man kann nicht wissen, auf wessen Seite die Schuld liegt", bemerkte Lukado vorsichtig, «der Alte soll von einem schmutzigen Geiz beherrscht werden, trotz seines großen Reichtums; um ein paar hundert Mark zu gewinnen, hat er früher eine unglaubliche Handlung begangen —" „Was denn. Papa?" drängte Ilse, „sprich es doch auSI" „Ich möchte nicht. Kind. ES ist besser, du lernst bei deiner großen Jugend solche Verirrungen des menschlichen Geistes und Herzens noch nicht kennen." „Ich habe mein Staatsexamen gemacht, Papa, und du warst stets der Ansicht, daß nicht ein scheues Verbergen des Häßlichen, sondern die klare Er kenntnis dessen, was gut und böse, einem Mädchen nützen kann. Ich habe