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Sächsischer Landtag. Dresden, den S März 12'.0. Tie Zweite Kammer trat heute in Gegenwart des Ztaatsministerü Grafen Vitzthum v. Eckstädt zu nächst in die allgemeine Vorberatung iiber den Gesetzent wurf betr. die Gemeindeverbände ein. Staatsminister Graf Vitzthum v. Eckstädt be gründete den Entwurf in kurzen klaren Ausführungen. Er wies darauf hin, das; in dem Entwürfe das Bestreben der Regierung zum Ausdruck komme, der freien Tätigkeit der Gemeinden möglichst wenig Schranken zu ziehen. Er lege den Gesetzentwurf zur wohlwollenden Prüfung vor in der Ueberzeugung, das; durch denselben die Selbstverwal tung der Gemeinden gefördert werde. (Lebhaftes Bravo.) Abg. Nitzschke (nat.-lib.) kennzeichnet den Stand punkt der nationalliberalen Partei zu dem Entwürfe und tritt dafür ein, das; die Kreis- und Bezirksausschüsse auch das Aufsichtsrecht sowie auch beschließende Stimme be halten sollen. Auch er tritt für möglichste Selbstverwaltung der Gemeinden ein. Abg. Dürr (freikons.) tritt ebenfalls dafür ein, das; die Kreis- und Bezirksausschüsse eine entscheidende und be schließende Stimme behalten. Weiter äußerte er noch ver schiedene Wünsche zur Geographie der Amtshauptmanu- jchafte» sowie zu den einzelnen Paragraphen des Ent wurfes. Er wünscht, daß die Durchführung der Zweckver bände den Unterschied zwischen Stadt und Land noch ver schärfen. — Inzwischen war ein Antrag eingegangen, den Gesetzentwurf der Beschwerde- und Petitionskommission zu überweisen. Abg. Tr. S ch anz (kons.) ist mit der Begründung des Gesetzentwurfes einverstanden und glaubt, das; auch die Staatsregieruug erwünscht, daß sowohl die Kreis- als auch die Bezirksausschüsse eine entscheidende Stimme haben. Er schloß mit dem Wunsche, das; in der Teputations- beratung noch Klarheit über die strittigen Punkte geschaffen wird und daß das Gesetz den Gemeinden zum Segen ge ieichen möge. Abg. Tr. Roth (frcis.) begrüßt den Grundgedanke» des Gesetzes, erklärt sich jedoch gegen die weitere Aus bildung der Zwangsverbände. Abg. Nitzsche (Soz.) weist darauf hin, das; die Sozialdemokratie stets für eine Selbständigkeit der Ge meinden eingetreten sei und die Bildung von Gemeinde- vcrbänden stets gefördert habe. Dagegen sei er gegen die jenigen Bezirksverbände, welche die Steuerrestanten vom Besuche der Restaurants ausschließen wollen. Er wiins he ferner eine möglichste Einschränkung und Milderung des staatlichen Aussichtsrechtes. Abg. H e y m a n n (kons.) erklärt sich für das Gesetz, nur hat er Bedenken gegen 8 8, der den Behörden das Recht gibt, die Bildung von Gemeindeverbänden anzu ordnen. Abg. Tr. Mangler (kons.) wünscht, das; die Vor lage der Gesetzgebungsdeputation überwiesen wird. Weiter wünscht der Redner eine möglichste Förderung der Gemeindesparkassen. Abg. UHIig (Soz.) tritt für die politische Zusammen legung kleinerer Gemeinden ein. Abg. Tr. Spieß (kons.) ist als Vorsitzender der Ge setzgebungsdeputation damit einverstanden, daß die Vor lage an die Beschwerde- und Rechenschaftsdeputation ver wiesen wurde, da dort bereits eine Petition ähnlichen In haltes verhandelt werde. Ter Redner wendet sich dann noch gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes in den Gemeinden und verweist hierbei auf das Beispiel von Wurzen, wo die Steuern rapid in die Höhe gegangen seien, als die Sozialdemokratie die Mehrheit im dortigen Stadt- verordnetenkollegii»» hatten. Erst als die Bürgerschaft die Sozialdemokraten wieder aus dem Kollegium hinausge wählt hatten, seien die Steuern wieder bedeutend gesunken. Ztaatsminister Graf Vitzthum von Eckstädt: Tie Regierung wolle durch das Gesetz das Aufsichtsrecht der Behörden nicht erweitern, sondern es solle alles beim Alten bleiben. Von einzelnen Rednern sei gerügt worden, daß die Bezirks- und Kreisausschiisse nur beratende Stimme haben sollten. Ter Abg. Dr. Schanz habe dies bereits richtig gestellt. In seinen weiteren Ausführungen wider legt der Herr Minister mehrere von den Vorrednern vor- gebrachte Bedenken. Tie Befugnis der Regierung, die Ge meinden zu zwingen, sich zu einem Zweckverbande zusam menzuschließen, sei jetzt schon vorhanden, wenn es sich um die Durchführung wichtiger Straßen- und Brückenbauten handle. (Lebhaftes Bravo!) Präsident Tr. Vogel macht darauf ausmerkfam, das; sich aus die Aeußeruugen des Abg. Tr. Spieß wieder eine ganze Anzahl von Rednern gemeldet haben, so das; die Debatte wahrscheinlich denselben Verlauf nehmen werde, wie am gestrigen Tage. Er werde infolgedessen genötigt lein, die Sitzung um 2 Uhr abznbrechen und morgen nach mittag eine Sitzung anzusetzen, damit die Deputationen ar beiten könnten. Wenn die Verhandlungen in dieser Weife fortgesetzt würden, dann werde es notwendig sein, das; die Abgeordneten noch etwas länger, als ursprünglich geplant, vor Ostern hier bleiben müßten, da es sonst ausgeschlossen fei. daß die Kammer in der in Aussicht genommenen Zeit überhaupt fertig werde. Weiter sprachen noch die sozialdemokratischen Abgeord neten N i tz s ch e , N i e m und Uhlig, sowie der Abg. Tr. Spie ß, der sich nochmals gegen die Sozialdemokratie wendet. Präsident Dr. Vogel erklärt, daß er eine weitere De batte in der bisherigen Weise nicht zulassen könne da die Zeit zu knapp bemessen sei. Abg. Däbritz (kons.) bestätigt die Mitteilungen des Abg. Tr. Spieß. Die Stadtvertretnng sei in den Händen der Sozialdemokraten gewesen nnd damals seien die Ge meindesteuern bedeutend gestiegen. Durch das Eingreifei, der Bürgerschaft sei das Rats- und Stadtverordnetenkolle gium von Wurzen wieder frei von Sozialdemokraten und jetzt seien auch die Steuern wieder niedriger. Ter Gesetzentwurf wurde dann au die Beschwerde- und Petitionskominission einstimmig verwiesen. Weiter genehmigte die Kammer ohne wesentliche De batte die Fortsetzung der vollspurigen Eisenbahn Mark- »eukirchen-Siebenbrilnn-Markneukirche» (Stadt) bis Erl- bach und bewilligte die hierzu erforderliche» Mittel von 205 0W Mark. Als Berichterstatter fungierte Abg. Gün ther. Tie Petition des Stadtrates zu Radeberg um Er bauung einer voltspiirigen Eisenbahn von Arnsdorf über Nadeberg nach Nadeburg ließ die Kammer nach einem Re ferate des Abg. N ent sch zurzeit auf sich beruhen und überwies die Petition der städtischen Kollegien Waldheim, den Umbau des Personenbahnhofes daselbst betreffend, der Königlichen Staatsregierung znr Kenntnisnahme. Ten Bericht erstattete Abg. Gleisberg. Ebenso wurde die Petition des Komitees für die Erbauung einer normal- jpurigen Eisenbahn von Großharlmannsdorf noch Pockau- Lengeseld um Erbauung dieser Balm nach einem Referate des Abg. N i tz s ch k e - Leutzsch der Staatsregierung zur Kenntnisnahme und die Petition des Gemeinderates zu Großwaltersdorf um die Fortsetzung der Schmalspurbahn Heßdorf-Eppendorf bis nach Großwaltersdorf nach einem Referate des Abg. Merkel ebenfalls der Negierung zur Kenntnisnahme überwiesen. Tie Beschwerde des Koblenbändlers Ernst Günther in Dippelsdorf, betreffend angebliche Ansprüche an die Eisen bahnverwaltung, von der im Jahre IstllO erfolgten Erwei terung der Haltestelle Dippelsdorf herrührend, lies; die Kammer auf sich beruhen. Das gleiche Schicksal erfuhr die Petition des Kaufmanns Karl Friedrich Eckler in Dresden »m Gewährung einer weitere» Entschädigung wegen eines von ihm erlittenen Eifenbahniinfalles, während die Petition des vormalige» Werkstättenarbeiters Oswald Schwenker in Leipzig-Stötteritz nnd Genosse», betreffend ihre plötzliche Entlassung in den Eisenbahnwerkstätten zn Leipzig Engels- darf teilweise für unzulässig erklärt wurde, teilweise ließ die .Kammer die Petition ans sich beruhen. Bei dieser Ge legenheit kam es zu einem kurzen, aber scharfen Zusammen stöße zwischen Herrn Finanzminister Tr. von Rüger und der sozialdemokratischen Fraktion. Dr. von Rüger hatte einen Zwischenruf von links nicht richtig verstanden nnd lies iniolaedenen den Sozialdemokraten zu, daß sie ihm derartige Ungezogenheiten ersparen sollten. Darauf erhob sich ans der linken Seite des Hauses ein starker Tumult mit allerhand verlebenden Zwischenrusen. Präsident Dr. Vogel gebrauchte fortwährend den Hammer, obne besonde ren Eriolg zn erzielen und sagte, daß anscheiiiend ein Miß verständnis vorliege. Gegen die Aenßernngeii der Regie- > nngsvertreler könne er nicht austreten: er müsse aber auch die Würde des Hauses de» Abgeordneten gegenüber wah ren. Der Tumult dauerte noch eine Weile fort und die Sozialdemokrale» riefen dem Minister mehrfach zu, er solle nach Rußland gehen usw. Ter Abg. Fleißner zog sich noch einen Drdniingsrns zn, woraus sich langsam die Ruhe wie der einstellte. Die Petition des Wirtschastsbesibers Friedrich Älbin Granpner in Wieja, eine Enteignnngssache betreffend, lies; die Kamnier auf sich beruhen. Tie Berichte erstatteten die Abg. Hausse, Elans; und Donath. Nächste Sitzung: Freitag den tl. März vormittags Gilt Uhr Tagesordnung: Schlußberatung des Gesetzes betreffend die Verjährung öffentlich rechtlicher Ansprüche, sowie Eisenbahnsachen und Petitionen. — ,;o - sich hin, Fräulein Hilda." Und als sie den Kops schüttelte, setzte er noch leiser hinzu: „Wollen Sie jemandem, der " er suchte nach Worten „einmal in Seligkeit gehofft hat, Ihne» ganz nabe zn sein, die kleine Freude nicht gönnen, Ihnen ein paar Stunden der Nutze zu verschaffen?" Sie stand am Tische und faßte mit der einen Hand den Sessel, wie »in eine Stütze zu haben, mit der anderen bedeckte sie die Augen.. Ihre äuge spannten Nerven versagten: sie weinte. „Wenn ich denke, der Vater stirbt, so erfaßt mich grenzenlose Verzweiflung, und mir ist's, als hätte ich ihn durch Gedanken -- ach, so schreckliche, unkindliche Gedanken in den Tod ge trieben. Und wenn ich mir dann das Leben so weiter an seiner Seite ver gegenwärtige, dann erscheint es mir wie eine schwere Last, die abzuwerfen eim> Gunst des Schicksals wäre." „Hilda, liebe Hilda!" sagte Hans, nnd sein Auge suchte mit so kummer vollem Ausdruck das ihrige, das; ihr Schmerz vor Mitgefühl verstummte. „Ich möchte Sie trösten, und ich kann's nicht. Sie haben aus übertriebener Pietät meine Werbung ziirückgewiesen, weil Sie Ihrem Vater Gemüts- erschütternngen ersparen wollte». Was damals vielleickit nur Ihrer Phantasie so folgenschwer erschien, besteht jetzt wirklich. Ganz leise habe ich bis jetzt noch auf eine Sinnesänderung Ihres Vaters gehofft, nun kann ich e-s nicht mehr, abgesehen davon, das; mir unter den bestehenden Umständen mein Ehr gefühl eine erneute Anbahnung verbietet." Er bemühte sich, einen Seufzer zu unterdrücken. Es war nur wie ein schmerzhaftes Atemholen, nnd es berührte seltsam traurig bei dem kernfesten, frischen Manne. Durch Hildas vor die Augen gepreßten Finger tropften die Tränen. Saust nahm der junge Arzt die zarte Hand von der Stirne. „Hilda, liebe Hilda! Tie Natur Ihres Vaters zeigt eine wunderbare Zähigkeit, körperlich und geistig kann er sich nicht beugen. Ich empsinde eS deutlicher denn je: wenn ich ihn auch mit Gefahr meines eigenen Lebens vom Tode errettete, seine Gefühle für mich würden doch bestehen bleibe». Und darum müssen Nur »ns trennen. Mein Anblick würde Sie, wie Ihren Pater stets in Aufregung versetze». Ich habe Schritte getan, mich in einer fernen Stadl niedcrzulassen. Ein anderer Arzt wird an meine Stelle kommen, er wird Ihrem kranken Vater, der, auch genesen, seine Praris aufgeben muß. nicht als Konkurrent erscheine», während ich es als Nachfolger meines Paters in seinen Angen bleiben würde. Und vielleicht später — später, Hilda, wenn Ihr Vater einmal vielleicht nach Jahre» Sie Wiste», was ich meine darf ich dann?" Hilda zuckte zusammen. Da war er ja wieder, der furchtbare Gedanke. Ihren liberreizten Sinnen erjchien's. als würde sie zur Mörderin, wenn sie au den Tod des Vaters ihre Hoffnung knüpfte. Wenn sie vor sich selber rein bleiben wollte, mußte sie ihre» Herzenswunsch opfern. Sie streckte die Hand abwehrend nach ihm aus. „Auch dann nicht, dann nicht!" rief sie keuchend. „Wir müssen geschieden bleiben. Nie könnte ich Ruhe finde», wenn ich aus das Ende des Vaters warten müßte." Hans blieb eine Weile stumm. Nichts war in der Stille des Kranken zimmers zu hören, als das leise, unruhige Atmen der drei Kämpfenden. Ter Alte kämpfte mit dem Tode, die Jungen mit dem Leben. „Mein gutes Frauchen, von dir habe ich es doch am liebsten!" das nun ibre Leichenpredigt. Der Tote war bestattet, Aenßerlich war die Lücke zngedeckt, wie es der Ausland erheischt, innerlich blutete die Wunde leise weiter. Doktor Türmer wurde nicht leicht vergesse». Die Fremden hatten zweierlei für ihn: Bedauern »nd Teilnahme: die Angehörigen nur eins: den Schmerz. Und die Familie hatte in ollen ihren Gliedern schwer daran zn tragen. Auch äußerlich vermißte» sie de» Vater nnd Gatten. Das Studium der vielen Söhne erforderte bei dem nur gering vorhandenen Vermöge» eine Geldsumme, die der Pater durch angestrengte Tätigkeit, die Mutter durch Ent behrungen zn erlangen gelrachlet Hallen. Jetzt gab es keinen Versorger mehr. Hans gab sich die erdenklichste Mütze zn verdienen, um seinen Brüdern das Studium zu ermöglichen, immerhin war äußerste Sparsamkeit geboten. An Franz bemerkte man jetzt oft eine finstere Miene: er grollte mit sich selber. Nur sein Leichtsinn war schuld daran, das; er noch nicht angestellt war, so mußte er von seinem Bruder Zuschüsse annehme», die ihm schwer ans der Seele lasteten. An Fräulein Sophie, du> immer Hilfsbereite, wollte er sich nicht wende», nnd wnnderbarerwene machte sie itzm auch kein hieraus bezüg liches Anerbieten. Frau Doktor Türmei balle beschlossen, die durch de» Tod des Gatten überflüssig gewordenen Möbel zu verkaufen. Jede kleine Summe kam ihr erwünscht. Auch jetzt hatte die allezeit Rührige ihre geistige Spannkraft nicht verloren. „Ich brauche ja die Sachen nicht," meinte sie ans die Bedenke» der Söhne, daß sie sich schwer von dem Eigenlume ihres Mannes trenne» würde, „das wäre eine schlechte Treue, die sich nur an Aeußerlicbkeiten knüpft." Sie lachte ein wenig, das hatte sic doch noch nicht verlernt, „jetzt heißt'S: ein bißchen knapp leben, aber es kommt schon wieder besser." Hans bückte sich, ihr in wortloser Innigkeit die Hand küssend, "r wollte der Mutter nicht zeigen, das; er die tapfer bekämpften Tränen dennoch bemerkte. Doktor Bünan war reckst elend geworden. Ost betrachtete Hilda besorgt die krankhaste Gesichtsfarbe: „Fehlt dir wirklich nichts, lieber Vater?" Aber Bünan war jedesmal gereizt. Ja. er fühlte sich insolge der Ge müISbeweginigen schleckst, aber sein alter Trotz verbot ibm, dies einzngestehen, damit nickst andere Schlüsse daraus zogen. Auch Hildas schüchterner Vorschlag, einen berühmten Spezialisten zn konsultieren, verwarf er entschieden. Eines Abends trat sie in sein Zimmer, wo er mit Lesen von Zeitungen bcschä'tigt war. Liebkosend beugte sie sich über de» grauen Kopf und las da bei zufällig ein paar Worte, die ihr in die Augen sprangen. Es war die An eige einer Möbelversteigernng aus dem Nachlaß Doktor Türmers. Der Alte war mißtrau»»! der Richtung ihre? Blickes gefolgt. „Was sagst du?" fragte er raub. Sie sab befremdet in sein erregtes Gesicht. „Nichts, Vater!" Aber du wurdest abwechselnd blas; und rot. Was dachtest du denn?" Hilda senkte scheu die Augen. „Sie tun mir leid, die armen Verwaisten." sagte sie ganz leist'. „Es wird den treuen Menschen schwer fallen, das noch herzugeben, was dem Verstorbenen gehört hat." Der Alte atmete keuchend und legte sich init zitternden Händen eine andere Zeitung zurecht. „Ter Konkurrent." ^ I? »