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Sächsische Volkszeitung : 29.05.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192405290
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240529
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240529
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-05
- Tag 1924-05-29
-
Monat
1924-05
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 29.05.1924
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Donnerstag, den 28. Mai 1924. Nr 12b. Seite 6 Wort zu entstehen, die Lebt« der Reichenau könnten bei ihren Rom- rcisen stets auf eigenem Boden übernachten. Noch heute nach 1200 Jahren, liegt ein Schimmer der alten Kosterherrlichkeit, die im 13. Jahrhundert zu verbleichen begann und 1799 mit der Aufhebung der Abtei ihr Ende fand, über der »göttlichen Au". Schon von ferne grüßen den Besucher, der von Konstanz her zu Schiff dem Eiland naht, die Türme der Kirchen von Ober- Mittel- und Unterzell, von denen die zu Ober, und Mittelzell zu den ältesten Basiliken Deutschlands zählen. Die Münslcrkirchc in Mittelzell, dem mächtigen Turm und der schweren, in vorromanischer Zeit wurzelnden Architektur ragt dies Münster als ein Zeuge versunkener Herrlichkeit in unsere Zeit. Leider ist von den alten Wandmalereien, die sich im frühen Mittel- alter hoher Schätzung erfreuten, nichts mehr erhalten. Dafür aber ist die St. Georgskirche in Oberzell an solchen um so reicher. Auf blauem Grunde sind hier an den Wänden Christi Wundertaten und dar Jüngste Clerichl dargostcllt. Bei aller von der altchrist lichen und byzantinischen Tradition beeinflußten Steifheit beseelt die Gestalten Christi und seiner Jünger ein Zug der Größe, und sie sprechen in ihrer frommen, schlichten Einfalt eindringlich zu uns Kindern einer zerrissenen Zeit. Das kostbarste Zeugnis der Reichenauer Malerschule, der ältesten Deutschlands, birgt jedoch die St. Peter- und St. Paulskirche zu Niederzell in dem aus dem 11. Jahrhundert stammenden »Thronenden Christus", den der Krai^ der Propheten und Apostel umgibt. Auf der Reichenau begreift man leichter als sonst irgendwo die Bedeutung, die den Klöstern einst als Pflanzstätten der Kultur zukam. Wo gibt es neben einzigartige» Werken mittelalterlicher Monumentalmalerei köstlichere Schöpfungen des Kunistgewerbes als hier! Ein Gang durch die Räume der Münsterkirche muß jeden Freund kunstgewerblicher Schönheit und Seltenheit in Ent zücken versetzen. Da gibt es Epitaphien geistlicher und weltlicher Fürsten, die z. T. noch in die Ottonenzeit zurückgehen, Altar- und Glasgemälde von seltener Schönheit der Farben, reichgestickte Meß gewänder, darunter solche aus dem frühen 11. Jahrhundert, silberne und goldene Monstranzen, Statuen und kostbare Sakra- »icnthäuschen. Mit zu den herrlichsten Schätzen des Mittelalter, liehen Kunstgewerbcs gehören die hier aufbewahrten vier Reli- guienschreine aus vergoldetem Silber, die die Gebeine bekannter Heiliger enthalten. All diese Kostbarkeiten sprechen in ihrer alten Umgebung eine doppelte eindringliche Sprache, zumal da sich zu den alten Bauten die landschaftliche Umgebung und der stille Klosterfriede des Eilandes gesellt. Wo man geht und steht, immer bieten sich prachtvolle Durchbicke auf den blauen See und auf die feine Linie der vielfach gebuchteten Ufer. Von keiner Stelle der Insel ist dieser Ausblick bezaubernder, als von der sich 40 Meter über den See erhebenden „Hochwacht". Wie ein vom Himmel gefallenes Kleinod liegt das grüne, friedsame Klostereiland im Unterste, der mit seinen stillen Buchten und lieblichen Uferhöhen der Insel den köstlichsten Nahmen gibt. Zwischen dem Lrün der Bäume schimmern die Dächer der drei uralten Dörfchen Ober-, Mittel- und Unterzell hervor, und der Blick wird nicht müde, immer wieder hinüber zuschauen nach dem grünen schlösserreichcn Schweizerlaud und den schöngeformten Bergen der Hegau, das Ganze ein Landschaftsgemälde von so bestrickendem Reiz, wie eS sich selten in deutschen Landen findet. Der künstlerische Film Der Film hat wieder einmal von sich reden gemacht. Es mar wieder einmal der Mühe wert, ins Kino zu gehen. „Haben Sie die Nibelungen schon gesehen?" — so fragten sich gegen seitig gebildete Leute, selbst Akademiker. Und das war schier ein Wunder, jedenfalls noch immer ein seltener Moment in der Filmgeschichte, wenigstens in der Provinz. In Berlin ist es ja anders, oder scheint es nur so, Filmpremieren sind dort immer bedeutsamere Angelegenheiten. Denn der Film hat zunächst Geld und deshalb auch viel gesellschaftliches Ansehen, wer reich ist, hat viele Freunde. Der Film ist eine künstlerische Sache, deshalb hat er viele Künstler uird Kunstfreunde um sich ge schart, er ist eine Kunst, von deren Tisch recht üppige Brosamen fallen! Das lockt viele an, vielen ist es aber auch einziger Be weggrund. Die Niesengagen für die Stars hatten sich bald rund gesprochen und entvölkerten die Bühnen. Zuerst sprach Ursula Bittgang Die Chronik eines LebcnS. Bon Heinrich Zerkaulen. Copyright by Schnellsiche Buchhandlung, Warcndorf i. W. Wie die Wiese an dem Berghaiw ihres kleinen Städtchens ist (und >var) ihr Lebe». Blumen blühen darauf, nicht allzu viele, so daß gerade ein fröhliches, buntes Frühliugsmuster herauSkommt. Und darüberhi» sind Wolken und Sonne, Hagel -wnd FrühlingSsturm, Glaube und Enttäuschung und — am meisten Hoffnung gefahren (und fahren noch). Recht eigentlich ein Leben, wie du und ich es aus uns selber kennen, mehr still als laut, mehr bescheiden als stolz. Aber ein Leben voll Güte und Ver stehen. Von ihm will ich einiges erzählen, denn es verdient wohl, in seinen Hellen Umrissen auf dem dunklen Hintergrund unserer Zeit festgehalte» zu werden. Zum Beispiel und zur Nacheiferung. Ursula Bittgang wohnt seit Jahrzehnten in dem Landstädt chen, in das ihr Manu, der Doktor Bittgang, sie einst als junge Frau geholt hat. Er starb im Wogen an einem Herzschlag, nach dem er noch spät in der Nacht einer braven Bäuerin geholfen hatte, ihr Kleines zur Welt zu bringen. Es ist lauge her, denn jenes Kleine dient schon einige Zeit im Hause der Ursula Bitt gang. Babett heißt sie. Außer ihr sind noch drei Frauen im Haust: Erika, Gertrud und Haunelore, die Töchter der Ursula Bittgang. Hanuclore ist die jüngste: sie trägt zwar einen langen Nock, aber zwei schwere, braune Zöpfe hängen ihr lang herab, daß man ohne weiteres glauben kann, nur deshalb trage sie den Kopf so blank in den Himmel hinein, weil ihre zwei schnurren, braunen Zöpfe ihn immer hintenüberrcißcn wollten. Sie ist auch sonst ganz aus der Art geschlagen, liebt bunte Farben und schön geformte Verse. Dazu spielt sie Geige. Wenn der Himmel lacht, ist ihr unendlich schwer zu Sin». Ist cS aber trübe draußen, dann flüchten alle vor ihrer Ausgclast'enheit. Uebrigens haßt sie (noch) die Männer. Ihr vollendetes Gegenteil scheint Erika, der Mutter wie ans dem Gesicht geschnitten, nur herber, eigenwilliger. Ihrem steilen Gesicht sicht man daS schon an, sie ist wie unnahbar. Dabei so praktisch auf das absolut Vernünftige heraus, wie Hannelore unbercchenl>ar scheint. Erika tnt alles ganz, ein Mittelding gibt cs nickst. Entweder sie haßt oder sic liebt. Dazwischen, auch an Jahren, steht Gertrud. Harmlos und unpersönlich. Ein gutes Menschenkind. Warum die drei Töchter so anSführlich und auffallend beschrieben sind? Weil sic zusammen das Bild, der Mutter ergeben: Ursula Bittgang. In ihren Augen lacht oft ein ver mal, von Konkurrenz, dann bat man um Aufnahme. Ebenso ging es den Schriftstellern und Dichtern, über so ein Allein- versilmungsrecht läßt sich schon reden, es lohnt sich wirklich. Wer könnte mich sonst so viel anlegen zur Erwerbung geistiger Werte als der Film. Er hat eben Geld und hat es in bestrickender Form, so vornehm, so elegant, eine künstlerische Industrie im Salonwichs. Und das alles war gut für seine Entwicklung. Denn wirk lich künstlerisch und wertvoll kann nur ein Film sein, an dem auch wirkliche Künstler Mitwirken und zwar in allen Phrasen seiner Entstehung. Da ist zunächst die Idee oder der Entwurf: sie werden entweder aus einem Werk der Literatur entlehnt oder neu erfunden. Die guten Gedanken wurden aber alle in irgendeiner Form schon einmal gedacht, und so bleibt für die Neuerfindung nicht viel Spielraum. Die Idee wird zu seinem vogelfreien Manuskript erweitert unter Mitwirkung des Regis seurs, schauspielerische Kräfte werden hinzugezogen, „Rotten auf den Leib geschnitten", Stars mit mehr oder weniger Glück be vorzugt. Architekt und Maler beginnen thr Werk und schließ lich sistd alle Faktoren in eifriger Zusammenarbeit, Dichter, Regisseur, Schauspieler, Architekt und Photograph. In den meisten Fällen sind die Namen dieser Faktoren schon Voranzeige für die Qualität des Films. So wollte der Film wirklich künstlerisch werden, soweit es ihm eben möglich ist, und der künstlerische Film ist aus sich durchaus möglich, nehmen wir nur den Nibelungenfilm, da haben wir einen künstlerischen Stoff in künstlerischer Form ver arbeitet und in ein künstlerisches Gewand gehüllt. Wenn auch die Frankfurter Zeitung vom 7. Mai schreibt, daß dieser Film die hoffnungslose Vernichtung des Mythos und eine peinliche Flucht des Films vor sich selber sei, so bleibt doch bestehen, daß er Kunst ist. Gewiß bedarf die mythologische Welt zu ihrer Gestaltung des Wortes. Aber die Kunst ist nie Selbstzweck, son dern tm Grunde immer etwas Relatives. Und wenn Teile großer Mythen, die als solche bekannt sind, in schöner, künst lerischer Form dem Volke geboten und allgemein als künst lerische Werte ausgenommen werden, so ist die Existenz einer solchen wenn mich nur episodenhaft vermittelnden Kunst wohl berechtigt. Die Wirkung ist immer mit entscheidend. Der künst lerische Film will weder Theater sein noch Gemälde. Er will eigene Kunst sein, auch nicht allein technische oder photographische oder mimische Kunst, nein — Wirklichkeitskunst, die nur durch enges Zusammenwirken aller Einzelsaktoren möglich ist. So entsteht der künstlerische Film. Vor einiger Zeit sah ich den Kcrmmersplelfilm „Sylvester" mit Eugen Klöpfer, Frieda Richard, Edith Posca. Es ist ein künstlerischer Film in einfachster Form mit nur 3 Personen, die die Handlung führen, ohne jedes Wort und doch in einer sehr deutlichen, eindringlichen Sprache. Es ist »och nicht die Vollen dung. aber der mögliche Weg zum Ziel. Keine Bühne könnte solch dramatische Gegensätze zaubern, Worte müßten hier roh, furchtbar roh sein, um zu wirken. Der Film hat dafür andere Mittel, seine Mittel. Vor mir liegt ein Verzeichnis von 122 Filmen der allerjüngsten Produktion. Wenn ich so die ein zelnen Titel durchgehe, so ist gewiß das meiste noch recht min derwertig. Doch von einem Dutzend dieser Filme kann ich sagen, daß wirkliche Kunst am Werke war. Vor nicht langer Zeit stand die Sache aber anders. Da redete man wohl schon von Kunst im Film, besonders „ehrgeizige" Regisseure, die un bedingt berühmt werden wollten und mit ihnen ein großer Teil der Fachpresse. Das Produkt ihrer Tätigkeit aber war eher alles andere als Kunst. Jetzt sel)en wir aber einen gewaltigen Aufstieg, der tönende und farbige Film werden als neue Fak toren bald hinzukommen, und der künstlerische Film wird sich inimcr mehr durchsetzen. Ist denn alles Kunst, was gedruckt wird? Das wird auch nie werden. So werden auch beim Film Kolportage, Hintertreppe und Verbrccherkeller nie ausgerottet, aber auf ein erträgliches Mindestmaß eingeschränkt werden. Dieses künstlerische Bestreben beim Film wird eine Ret tung sein, schon spricht es sich herum. langsam tropfend sickert es durch den Niesenwall der Vorurteile. An der Wiege des irrtes blaues Stück Himmel, und ihre Schläfen können zittern wie zuckende Flämmchen. Aber sie kmt einen unbeugsamen Sinn, wenn sie will. Es kommt nicht oft vor, daß sie starr ist. Dann macht sie lieber eine Dummheit, ohne nach rechts oder links zu sehen, ohne zu bedenke», was war uud was sein wird. Ihre Heirat war so eine unbesonnene Dummheit (wenn sie sie nicht mit ihren drei Töchter» längst gutgcmacht hätte.) Mer um daS zu verstehen, braucht es eines längeren Umweges. Zudem ist Ursula Bittgang einer von den glücklichen Menschen, die den eiugeschla- gencn Weg nun auch beharrlich zu Ende gehen. Sie vergißt über einen Schmerz nicht die Freude. Sie glaubt immer, sie hofft immer. Solche Menschen liebt dennoch das Glück. Wie gesagt, eS ist ein weiter Weg bis hierher. Da er aber nicht außergewöhnlich, wirb er rasch zu beschreiben sein. Wie die meisten Menschenleben um uns her gleichsam aus einen Blick zu beschreiben sind. Ihr Vater war Förster. Immer war grüne Musik um ihr Elternhaus. Denn die hohen Bäume der Försterei macksten ununterbrochene Musik in ihre früheste Kindheit hinein. Im Herbst rauschte eS wie Abschied, im Winter wie müdes Leid, im Frühling wie Hoffnung, im Sommer wie Erfüllung. Erst schien eS Ursula Bittgang (wir wollen ihren Familiennamen der Ein fachheit halber auch in ihre Kindheit mit herübernehmen, denn Namen tun ja nichts zur Sache ) — erst schien es Ursula Bittgang, als gäbe es nur Hoffnung und Erfüllung im Leben. Sie wußte damals »och nicht, daß ein Menschenleben nur halb ist, we-nn es nicht auch Abschied und müdes Leid kennt. Sie war das einzige Kind und glaubte zuerst, Vaters Jagdhunde seien ihre Geschwister. Zwei tolle Kameraden, die durch Dick und Dünn mit ihr gingen. Die eifersüchtig aufeinander waren, wenn sie nur einen ein bißchen länger ansah. Es war an einem Abend im frühen April. Ganz dünner Regen rieselte. Vater batte einmal von solchem Regen gesagt, er sei ein nasses Flanelltuch: man könne sich in ihm den Tod holen. Er saß schon unter der grünen Petroleumlampe, Mutter gegenüber. ES war ihr nicht recht wohl, darum laS ihr Vater gerade eine lustige Geschichte aus dem Wocheublättchen vor. Und unterstrich allen dünnen Humor langsam und breit, daß es beinahe wie richtiger Schalk aussah. Aber Mutter lachte doch nur gezwun gen, ihr fröstelte, und sie saß vor dem Ofen. Ursula wäre ihr so gerne mit der Hand über das graue .Haar gefahren. Aber sie schämte sich schon bei dem Wunsch, so streng und feierlich sah die Mutter heute abend ans. Sie küßte sie auch nickst auf den Mund beim Gutenachtkuß, sondern langsam auf die Stirne. Daß Ursula fast zusainmeuzuckte vor einem kalten, win digen Hauch. Films in Berlin und München geht dieser Anerkennungsprozeß etwas schneller, aber er wird auch in der Provinz kommen, die Nibelungen und so manches Schöne haben es gezeigt. N. M. Versöhnung Von Peter Dörfler. Die Menschen haben ihre Engel. Aber die Schrift spricht auch von den Engeln der Städte und Länder und die Dichter reden vom Genius loci. Wer hätte diesen Genius an besonders gezeich neten und begnadeten Stätten nicht schon gespürt, so daß ihm jene Orte wie geliebte oder bewunderte Personen vorgekommen sind und in einer eigenen Sprache zu seinem Herzen redeten. Dieser Genius loci kann vertrieben oder doch gekränkt, verunstaltet werden. Aber er ist mächtiger als alle vorübergehenden Macht haber und verjüngt sich immer wieder, alles Fremde abschüttelnd, in ursprünglicher Kraft und Schönheit. Einen solchen Genius loci hat unbestreitbar München; wer hätte seines Geistes Wehen nicht empfunden? Welcher Besucher wäre von seinem Zauber nicht irgendwie süß nmpfangen worden? Und wenn er nach langer Zeit wieder zurückkehrte — ah. da war es, wie ein lang ersehntes Wiedersehen, wie ein liebliches Heimkommen. Es sind in dieser Stadt seit dem November 1918 Dinge geschehen, die einem ans Herz griffen, wie wenn ein Freund ent täuschte, wie wenn ein Mensch treu wie Gold, plötzlich versagte. Ach — das in Diünchen? Wie? Kann uns das Münchner Kiickl denn künftig anlachen, wie es immer getan? Können wir diese Stadt betreten, mit jenem Gefühl deS Behagen? wie einst? Zwar der alte Peter steht wie er immer stand, die Isar fließt grün und grau, je nach der Zeit. Aber ist'S nicht, als ginge an ihren Ufern ein von jenem Volk, da? wir liebten, verschiedenes Volk, und als wäre der uralte Genius loci Vertrieben. Können wir denn nach jenem 9. November 1923 noch wie ehemals, kunstbegeistert und im wohligen Gefühl herlichste deutsche Stadtbilder zu genießen die Nesidenzstraße entlang gehen, der Feldherrnhalle und Thcatiner- kirche, der Ludwigstraße und dem altgeliebten Hofgarten zu, wo wir Kaffee tranken, unter Kastanien sitzend und unsere Augen labend an dem göttlichen Rhythmus der Arkaden? Blut ist hier geflossen und wildes Geschrei wahnsinniger Empörung über daS Mißglücke» eines unmöglichen Bravourstückes, Oieschrei gegen jede Ordnung hat hier tagelang gebrandet. Nein, nicht mehr in weihe voller Stimmung und selig beglückt, sondern voll Weh und Schmerz, ja voller Zorn und Ingrimm nur kann ich über dieses einige Denkmal unserer Zerrissenheit hincilen, über dieses Sinn- bild deutschen Furors, der sich selbst zerfleischt und am wildesten tobt, wenn er gegen den Bruder auflodert. — Soll ich nicht ab- zwcigcn und einen andern Weg nehmen? Noch zauderte ich und ging willig — widerwillig voran. Auf dem Platz vor der Feld- hcrrnhalle schwärmten wie immer die Tauben. Kinder fütterten sie und da war ein ganz kleines Mädchen im lockigen Schwarz haar, in roten Pausbacken und Hellem Nöckchen, fast wie ein Lämmchen gekleidet. Und da ivar ein Bub, ein wenig größer. Die Strümpfe wuchsen sich, wie man da? jetzt sieht, zu Höschen aus und er trug einen Hellen Sweter — kurz er war ein Prinz- chen, daS daran ist, in einen Eisbär verwandelt zu werden. Sie fütterten mit Eifer die Tauben, die Mutter des Buben und die Erzieherin des Mädchens halfen. Ans einmal kam dem Eisbär das Osterlämmchen lieblicher vor als di« Taubenschar. Er ging auf die Kleine zu und gab ihr ein Bussl. DaS Mädchen nahm es als gittes Geschenk und die Verwöhnte schien nickst einmal überrascht. Dem Eisbär gefiel das neue Spiel so gut, daß er cs fortsetzte. Und die Leute vergaßen ihre Hast und bliebe» stehen und schauten mit innigem Vergnügen, wie daS wunderhübsche kleine Midchcn sich streckte und das Mündchen spitzte und wie artig da? Prinzchen sie küßte. — Und mir war, als sei der Genius loci, der liebliche und feine, eben wieder, zart wie eine Frühlingsblume hervorgesproßt. Wie die Menschen ergriffen waren von der fried lichen Schönheit deS VildeS und wie die Kinder sich lieb hatten inmitten des TanbenschwarmS. Verantwortlich für den redaktionellen Teil: Dr. Joses Albert, Dresden. — Für den Inseratenteil: Josef Foh mann. Dresden. Sic hatte wirre Träume diese Nacht. Der Wind rauschte, der Regen war stärker geworden und klopfte immerzu a»S Fenster, und die beiden Hunde bellten dumpf und ängstlich in ihrer Hütte. Es war ganz unheimlich. Sie zog die Bettdecke endlich hoch über die Ohren, da schlief sie ein. Grau war der Himmel und fahl, als sie erwachte. An ihrem Bett stand der Vater. Er trug ein Licht i» der Hand und war doch Tag. Dann sprach er sehr leise: „Ursula, komm einmal zur Mutter." „Ist Mutter denn krank?" Da schlug dein starken Mann ein jähe? Aufschluchzen das zitternde Licht aus der Hand, der Glasleuchter zerbrach in hundert Scherben. „Unsere Mutter ist tot, Ursula." So fand sie ihre Mutter, den Nock nngezogen, halb nni dem Bett liegen. Ein kleines rotes Bächlein war ans ihren, Mund geflossen. Sie lag mit dem Gesicht nach der Wand zu. o-mum und still. „Mutterl" ES wickelte sich aber alles streng und der Reihe ,uich ab, wie es stets bei solche» Dingen im Menschenleben zu sein pflegt. Erlst will der Himmel einstürzen und alle Uhren hören auf zn schlagen. Eine unendliche Wirrnis starrt aus dem gewohnten Tngeslanf. Als ob überall breite und niemals heilbare Risse klafften. Man will nicht denken und steckt den Kopf in sei» Leid. Dann aber löst sich eine Rinde nach der anderen, denn der Mensch hat Tränen, seinen Schmerz auszuweinen. Furchtbar aber sind die Tränen eines Mannes. DaS erst brachte die kleine Ursula Bittgang i»? Gleichgewicht: sie fühlte Plötzlich etwas wie Mütterlichkeit für ihren Vater, der unsagbar zu leiden schien unter dem Tod seiner stillen Frau. Es vergingen Tage und Wochen so, immer war Ursula um ihren Vater. Sie hätte mit Jubel alles hingegeben, ihm die kleinste Freude z» machen. Eine heilige Zweiheit schien um sie beide gelegt. Sie richtete nicht mehr den Tag ein nach Minuten und Stunden, nur nach seinem .Kommen und Gehen. Fast vergaß sie selber daS Leid um die fehlende Mutter in der Liebe »m ihn. Da geschah das Unerhörte: Der Brief einer entfernten Ver wandten, von der sie nichts wußte und nie gehört batte, lud sie zu sich ein. Sie, die Tante, wolle die weitere Erziehung der kleinen Ursula übernehmen, diese Sorge dem gramgebcngtc» Vater liebe voll abnchmen. «Ja, fahre hin, Ursula," sagte der Vater. Sie bemerkte nicht, wie er ihr nicht in die Auge» sab dabei. Und Ursula lachte ans vollem Halse. „Die dumme Tantel Als ob ich von dir könntet Die dumme Tantel" (Fortsetzung folgt.)
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