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Nummer 25 — 23. Jahrgang v n,al wöchrntl. veragspreir: für Januar S.bO Rent.-Mart Anrctsien: Berechnung der Anzeigen nach Nent.-Mark Preise: Die eingripaltene Petitzeile 20^. f. Familien- u. Bereinsanzeigen, Gesuche 15^). Die 4 etit.Nellamezeile 89 mm breit, 1 Osierienpebühr iür Selbstabholer bei liebe» icndung durch die Post außerdem 4'or'omschlag. kreis für ctte tinrelnummer 15 kenten«rlennig. Veschasilicher Teil: Josei tzovmann, Dresden StickiWe Mittwoch, 30. Januar 1924 Im Falle böberer Gewalt erlilcht jede Bervssichtnng aut Lieferung sowie Erfüllung von Anzeigen-Austräge» und Leistmw von Schadenersatz. Für nndentlich und durchFern- sprecher übermittelte Anzeigen übernehmen wir seine Ber- antwortuna. Unverlangt eingelnndte und mit Rückporto nicht versehene Manuskripte werden nicht ausbewnhrt Sprechstunde der Redaktion 8 bis 6 Uhr »achmitlag» Hauptsckriitleiter: Dr. Josef Albert. Dresdc» s evoveroi > i>d rrer«t8t»»dep»: Dreoden-BItstadt >8. .?»N>»t»,s«raf'e 4» ch Fernruf 82722 / Postscheckkonto Dresden 14787 MklftltVsl Vd BW - M Belt -kl M »IIS kklie Me»» Drnrk und Llerlag« Saxonia » Stuchdrnekerei <». m. b. H. DceSden-Altltadt 1k!> Holbeinstraße 4«j Die kommende Goldnotenbank Emission von Goldqeld mit Hilfe deutscher Goldreserven und ausländischer Kapitalien — Die Notenbank auherhalb der deutschen Grenzen — Bildung einer europäischen Wirtschaftskommission'? Die zuverlässige Stimmung der Sachverständigen Die gk>i!lilite Gl>l-»lcknbM Paris, 29. Januar. Ter ..Ncwyork Gerald" wird in seiner heutige» Pariser Ausgabe folgendes verSsfentliKeie: Ter Plan für eine neue Golüemissionsbairk für Tentschland ist prak tisch bereits von de» Sachverständigen voilstäiwlg a«Sgearbe:tct. abgesehen von einzelnen Details. Am Mittwoch wird ein Zusammentritt der Sachverständige» init denrschen Fim;»z;ers stattslnden und eS ist zu hoffe», das; eine Verständigung crz:elt wird, vorausgesetzt, das, auch die Neparationskommission den Plan der Sachverständigen billigt. Es ist eine Bank vorgeseheir, die mit den deutschen Goldreserven und mit Hilfe ausländischer Kapitalisten eine Emission von Gold gelb vornehmen wird. Tie Reichsbnnk wird anshören, a.s deutsche Emissionsbank z» fungieren. Obgleich das Gleich gewicht des deutschen Budgets eine furchtbare Ausgabe ist. sind die Sachverständigen »ach Anhörung der Eiscubahnerperten z» der Uebrrzeugung gekomincn. das, die deutschen Eisen bah ne n hierbei eine bedeutende Rocke spielcir. Ter Wert der deut schen Eisenbahnen wird auf 28 bis 8t Milliarden Goldmark geschätzt, wobei zu beachten ist. das, diese keineswegs dnrch Sch»>- den belastet sind. Ttese Eisenbahnen kSnnteil nicht nur zur Herstellung des Bndgetglelchgewichts beitrage», sondern auch für Anleihen verwendet werden. Paris, 29. Januar. „Echo de Paris" veröffentlicht eine Unterredung seines Berichterstatter? mit Dr. Schacht. Der Reichs bankpräsident erklärte dem Berichterstatter, er sei von seinem Pariser Aufenthalt befriedigt. Er findet, das; die französische Presse eine sehr korrekte Haltung ihm gegenüber eingenommen habe. Was die Goldnotenbank anbelangt, so sei sie ein rein geschäftliches Unternehmen und nur unter völliger Ausschaltung irgendwelcher politischer Momente verwirklicht worden. Ans diese Feststellung legte Dr. Schacht ganz besonderes Gewicht. Die Schaffung einer Emissionsbank, so sagte Dr. Schacht wörtlich und die finanzielle Wiederausrichtnng Deutschlands geben die Vor aussetzung für die Regelung der Reparation s- frage, wenn man mich arbeiten lässt, wie ich eS wünsche, so werde dis Bank sehr bald ins Leben gerufen werden. Falls degegen die Politik mit dieser vornehmlich geschäftlichen Ange legenheit verzwickt wird, würde das neue Finanzinstitut wohl kaum inS Dasein gerufen werden. Auf die Frage des Bericht erstatters. ob er bei der Beteiligung ausländischen Kapitals auch die Verwendung französischer Kapitalien versehe, gab Dr. Schacht zur Antwort, er verspreche sich von einer finanziellen Mitwirkung Frankreichs einen tatsächli chen Vorteil, doch müssten dabei die politischen Erwägungen ans dem Auge gelassen werden. Zum Schluß fragte der Berichterstatter Dr. Schacht nach seinen persönliche» Eindrücken von Poincare. Dr. Schacht erklärte sich außerstande, ein Urteil über den franzö sischen Ministerpräsidenten zu fällen, der gegenwärtig bervor- ragendste Persönlichkeit nicht nur Europas, sondern auch der ganzen Welt sei. Der Berliner Berichterstatter des ..Matin" glaubt zu wissen, das; die Goldnotenbank ihren Sitz weder in Amsterdam noch in Zürich haben werde. Dr. Schacht trage sich vielmehr mit dem Gedanken, die Goldbestände außerhalb der deutschen Grenzen anzulegen, um sie jeder politischen Beeinflussung und auch der Gefahr einer Revolution zu entziehen. Bradbury in London London. 29. Januar. Sire John Bradbury. das eng- lisch« Mitglied der RrparationSkommIssion tras gestern ans be sonderen Wunsch des ncneie SchatzkanstcrS Snowden ln London ein. um mit diesen über dir Möglichkeit der Bildung einer europäischen Wirtschaftskommission zu verlia-idei», die die ganzen ReparatlonSfrage» me» die intcrailirrten Sch stdcn prüfen soll. Die Abreise -er ÄchveMn-illen Paris. 29. Januar. Ter erste TachvcrstäudigcnauSichns; ist gestern abend von Paris abgercist. Im Vcnanfe ihrer nahe zu dreistündigen Sitzung haben die Sachverständigen gestern früh van 19 bis 1 Uhr rin Arbeitsprogramm zu ihrem B«.,.ncr> Aufenthalt entworfen und auch euren Fragebogen anSgeardeitet, der von Berlin beantwortet werden soll. Ter Sachverständige». anSschnü setzt seine Tätlakeit mich während der E!sc»bah»in!irt fort. Eine Reihe von Mitgliedern des zwecken Sachventäieoigm- anSlchnsses haben gleichfalls gelter» abend Paris verlassen. Tie anderen Mitg.leder brechen erst bente abend aus. Ter zweite Sachverständlgenausschiiß wird sich am Tonner-Stag >>r Bcr,:» versammeln Mar Kenn« tritt seine Reise nach Berlin von London aus an. Berlin. 29. Januar. Tie beiden Sachversländigenansschüsse werden mit ihren Mitgliedern, Sekretären und Hilfspersonals zusammen ungefähr 100 Personen, gemeinsam in einem großen Berliner Hotel untergebracht. Ten Ausschüsse» werden besondere Arbeitsrciume in einem Reichsgebände zur Verfügung gestellt. Nach Londoner Meldungen rechnet man mit einer Dauer der Arbeiten von mindestens einem Monat. Paris. 29. Januar. Die Sachverständigen des ersten Ans« sehnsseS haben gestern abend in durchaus zuversichtlicher Slimmnng Paris verlassen. Ihre Erhebungen über den Wert der deutschen Eisenbahnen sind nach Verneh mung der beiden französischen und belgischen Sachverständigen als abgeschlossen anzusehen. Der Ausschuss hofft, seine Arbeiten in Berlin in ungefähr zwei Wochen zu Ende zu führen und wird bet seiner Rückkehr nach Paris einen defini tiven Bericht'> für die Reparationskommisson aufsetzen. Es heißt, baß dieser Bericht kurz nach dem 1. Marz der Kommission unterbreitet werden wird. DilllmlMtt Empfglili bkl Mal-aml- ' Kein Kompromiß in der Saarfrage. — stiegen die indische Einheitsbewegung. London, 29. Januar. Im Laufe des gestrigen Tage» empfing Ministerpräsident Macdonald die hiesigen diplomati schen Vertreter von 34 auswärtigen Mächten. Jeder von ihnen wurde einzeln empfangen und hatte eine Unterredung von mehrereil Minuten mit dem neuen Außenminister. London, 29. Januar. „Daily Telegraph" meldet, daß die englische Regierung ein von Belgien vorgeschlagcneS Kompromiß in der Pfalzsrage abgelehnt babe. Dir englische Regierung sei der Anstckit, daß die pfälzische Bewegung von selbst in sich znsam. menbrechen werde, wenn die Franzosen die Separatisten nicht unterstütze». Der Sonderkorrespondent der „Times" in Heidelberg be- richtet, daß die Separatisten große Anstrengungen machen, »in die Wirkungen des Berichtes des englischen Generalkonsuls Elive ab- Die Kräfte -es Kilscheimsili»» Von Dr. Heinrich Mataja, Wien. I» der russischen revolutionären Bewegung sind fast von Anfang an immer zwei grundsätzlich verschiedene Richtungen ein ander gegenübergestanden. Die eine Richtung war antidemokra tisch: Alles für das Volk, aber nicht durch daS Volk, sondern durch uns. seine revolutionäre Elite. Dieser Streit wurde nicht nur praktisch dnrchgefübrt, sondern auch theoretisch, wissenschaftlich, in Briefen, Zeitschriften, Büchern, in den Beratungen und Kon gressen, in den Versammlungen und Organisationssitzungen der revolutionären Parteien ans russischem Boden und im Ausland, in den nächtelangen Diskussionen, von denen Tnrgeniew behairp- tete, daß sie nur im russischen Volk möglich sind. Diese unend lichen Auseinandersetzungen führten zu einem Doktrinarismus, der uns unerträglich scheint, aber sie haben nicht nur die Dialektik der Revolutionäre ungeheuer ausgebildet, so das; sie jeder Debatte gewachsen waren, sie haben sie auch dahin geführt, die Anwendung ihrer Grundsätze auf alle möglichen Verhältnisse des praktischen Lebens zu diskutieren, so daß sie sich wenigstens eine Vorstellung von einen. Lebe» unter der Herrschaft jener Prinzipien machen konnten, die tatsächlich nur in ihren Köpfen und Büchern existier ten. Wen,, dann später das Leben den Bolschewiken ganz andere Probleme aufzulösen gegeben hat, als sie an den Tischen der Emigranten in Genf und Brüssel aufgeworfen wurden, Probleine, die sie nicht zu lösen instande waren, so waren doch die Grnndznge einer sozialistischen Verwaltung für sie keine ganz verschwom menen Gebilde und sie konnten in dem CbaoS des llmslnrzes doch eine Art von Verwaltung cinrichten. Dabei waren genug Leute unter ibnen, die „in? Volk" gegangen waren. DaS war auch eine bestimmte revolutionäre Doktrin, die den revolutionären Intelligenzlern vorschrieb als „fliegende" Agitatoren über Land zu gehen oder sich unter Bauern oder Arbeitern anznsiedeln, mit ibnen zusammen z» leben, sie zu beeinflussen und zu gewinnen. I» dieser jahrzehntelangen llebnng lernten sie, daß der russische Bauer jede Politische Propaganda ablehnt, und daß ihn ein einziger Wunsch beseelt: Mehr Land und vor allem daS Land de? Gutsherrn! Ans dieser Erkenntnis entwickelte Lenin seine Taktik gegenüber der russischen Bauernschaft. Die politische Inter esselosigkeit und der Landhunger der hundert Millionen russischer Bauern sind einer der Grundpfeiler der bolschewikischen Herr schaft. Auch für daS zaristische System war dieser indolente russische Bauer ein ungeheuer bequemes Element gewesen. Der rührte sich nicht und verhaftete, verprügelte, erschlug wohl gar den ..Weißhändigen" ,Intelligenzler), der als revolutionärer Agitator zu ihm hinauSkain. Der ganze Haß des zaristischen Apparate? richtete sich gegen diele zum überwiegenden Teil eben der Intelligenz entnommenen Agitatoren. Untereinander lebten diese bänfig in der bittersten Feindschaft und diese Feindschaft hat sich imgeschwächr auf die Emigrantenkreise übertragen. Zwischen diesen meist bettelarmen, existenzlosen, von einen; gemeinsamen Femd in die Fremde verjagten Menschen, die viel fach die zaristischen Gefängnisse, das zaristische Sibirien und die zaristische Knute kennen gelernt, deren nächste Verwandte diesem System zum Opfer gefallen waren, die haßten einander mit einem vollen, satten Haß. Sie haßten einander, während sie sich im Ausland hernmtrieben, sie haßten einander, als sie nach der Februarrevolution von 1917 noch Rußland zurückkehrten und der Haß blieb unvermindert, als dis Bolschewiken zur Herrschaft gelangten. Tie furchtbaren Verfolgungen, denen gerade sozia listisch!- Gruppen »nd Personen in Sowjetrußland anSgesetzt sind, haben wohl in vielen Fällen an einem Kaffeehaustisch in Lau sanne oder in London ihren Ausgangspunkt genommen. Die Zwistigkeiten der Nevaluionäre untereinander änderten nichts an ihrer gemeinsamen Verfolgung durch die zaristische Macht. Es war ja auch zu ärgerlich; im ganzen Reich wäre alles in Ruhe »nd Ordnung gegangen, wenn nicht eine Handvoll In. telligenzler immer wieder versucht hätte, das brave Volk zur Revolution aiifzuwiegelii. So malte sich das Bild in den Köpfen der dritten Abteilung, der Generale und der Gouverneure. Mit dieser Handvoll Intelligenzler würde man doch noch fertig werden. Rn den Galgen mit ihnen, in die Bergwerke, auf den 8000 Kilo- Meter langen Leidensweg, nack Sibirien! Die Gegenwirkung konnte nicht anSbleibcn. DaS Volk, daS man befreien sollte, hielt zum Väterchen Zar »nd schlug seine Befreier tot, eS verlor seinen Nimbus in den Augen der Revolutionäre, und gegen die herr schende Schicht entspann sich die Blutrache. Diese herrschende Schicht übertrug ihren Haß gegen die revolutionäre Intelligenz ank die Intelligenz überhaupt. Studenten, Professoren, Schrift steller. alles da- waren in den echten russischen Kreisen anrüchige Berufe. So wurde die Intelligenz mehr oder minder zu den Revolutionären hinübergetrieben. Begabung an und für sich war verdächtig, Selbständigkeit ein Verbrechen, und je mehr die ruffi. scheu Revolutionäre sich zur Propaganda der Tat entwickelten, desto schärfer wnrde der Kampf der Reaierung gegen die In» telligenz und desto mehr fand die Intelligenz die Gewalttaten entschuldbar oder doch verständlich. Die ungeheure Unterstützung, die in diesem Verständnis, in dieser Entschuldigung liegt, haben die Bolschewiken der Intelligenz nicht gelohnt. Im Vergleich zu einem Professor im heutigen Rußland war ein Professor im zaristischen Rußland ein freier Mann und ein glücklicher Mann. Lenin war von allem Anfang cm entschlossen, diese bürger» liehen Schichten zu benutzen, sie arbeiten zu lassen, aber im ent scheidenden Augenblick sie nicht um ein Haar besser zu behandeln als irgend einen zaristischen Polizeichef. Diese autogonistischen Schichten hatten kein« Almnna davon, daß sie einmal von den nämlichen lettischen und chinesischen Henkern in» Jenseits beför dert werden würden. Es war ihnen nickt klar, daß sie unterein ander dasselbe tragikomische Spiel aufführten, wie die einander befehlenden Revolutionäre. Der furchtbare Druck deS zaristischen System» hat in Ruß land seit jeher daS Entstehen geheimer Gesellschaften geradezu erzwungen. DaS ist die sogenannte „Podpolsa", die unterirdische Bewegung. Zu diesem System wurden schließlich alle Revolu tionäre gezwungen und dieser Umstand w»r ein fast unwider legliches praktisches Argument für die. die sagte;; „Für da» Volk, Her nicht durch da» Volk". Wenigsten» für da» Stadium der Revolution unwiderleglich. Man konnte gar keine Massenorgani sation schäften, man konnte nicht trachten, die Majorität der hundertfünfzig Millionen Untertanen des Zaren auf seine Seite zu bringen. Man mußte Leute baden, die Gefängnis. Tod und Folter nicht scheuten, mit anderen Worten, die revolutionäre Elite. Dazu kam noch die Verbindung mit den Emigranten im Ausland, daS unaufhörliche Hin- und Zirrücktrmwn von Nachrichten, Fragen, Befehlen und Signalen, daS Einschinuggeln von Ballen um Ballen von Provagandaschriften, und die? alle? bei der unge heuer scharfen Aufsicht und Kontrolle der russischen Behörden. Alle Zeremonien der Paßrevision, die wir sonst erst seit 1914 kennen gelernt haben, waren in Granica und Wirballen schon vor dem Krieo etwas Selbstverständliches. Einen russischen Paß ans re,-fliläre Weise zu erlangen, war nur für den neu» Mal dnrch- gesiebten möglich. Aber in; lieber Gottl Um wieviel war der Mut und der Scharfsinn der russischen Revolutionäre den russi schen Behörden überlegen! In dieser viele Jahrzehnte langen Schule haben die Bolschewiken die Verschlagenheit, die Verstel. lungSkunst. die organisatorische Gewandtheit, die Allgegenwart und Unauffindbarkeit g-ckernt, die die kommunistische Propadanda heute in der ganzen Welt so gefürchtet macht. Sie rechnen weder in Rußland, noch sonstwo auf die Massen, und wenn die Welt revolution nicht gelungen ist. so geben sie die Schuld daran nicht den Völkern s.mdern den kommunistischen Parteien in Deutsch, land, Frankreich. Italien usw. Sie haben ja in Rußland gezeigt, wie man mit einer Handvoll Menschen ein Hnndertmillionenreich revolutioniert, und wenn die anderen da» nicht zustande bringen, so sind sie eben unfähig. In ihrem furchtbaren Kampf gegen die zaristischen Machthaber hoben aber die Bolschewiken auch noch etwas anderes gelernt, die vollständige Gleichgültigkeit gegen daS als notwendig erkannte Mittel. Diese Leute hohen Jahre und Jahrzehnte so Unerhörte» mitgemacht, so Unermeßliches erduldet, daß sie, die nicht zusammengebrochen sind, verhärtet sind. Man kann wohl annehmen, das; die Exekutiborgane der Außerordent lichen Kommission znm großen Teile bestialische Geschöpfe waren, denen da» Meer von Blut und Tränen, da» sich über Rußland ergoß, ein tsnflischeS Vergnügen bereitete. Dagegen ist eS viel schwieriger, sich ein Bild der Psvchologie ihrer Auftraggeber ^;n machen, und aller derjenigen, die um die Hölle wußten, die di« Kommission in Rußland anfgericbtet hatte. Es ist mir nicht er. innerlich, daß die sozialistischen Parteien, solange der Terror gegen das Bürgertum in Rußland wütete, so flammende Worte des Protestes und der Verurteilung gefunden hätten, wie gegen den weißen Terror oder gegen den faschistischen Terror, der. an jenem Terror gemessen, doch nur ein Stäubchen gegen eine« Berg ist. Alle diese Tatsachen der Entwicklung haben dem Bolschewis mus die Fähigkeit gegeben, die Herrschaft an sich zu reißen »nd z» bebanpten. Selbstverständlich konnte diese Fähigkeit nur ans der Grundlage der historischen Ereignisse, auf dem Boden wirksam werden, den die lange Kette der russischen Revolutionen seit 1825, den insbesondere die Revolution von 1905, den der moralische Zn- sammenbrnch der russischen Gesellschaft, wie er sich namentlicü in; rnssisch-iapanischen Krieg äußerte, vorbereitet batte. Nicht minder selbstverständlich ist eS, daß die Tatsache, die Dauer und der Ver lauf de» Weltkriege» die Voraussetzung der Oktoberrevolution von 1917 gewesen sind. Aber alle diese Voraussetzungen können »nS die diktatorische Herrschaft der Bolschewiken über Rußland nur sehr schwer begreiflich machen. Um auch nur den Versuch zu macken, diese» Phänomen zu verstehen, muß man die revolu tionäre Entwicklung in Rußland pragmatisch und psvckoloqisck in sich anfzunehmen trachten. Ans dieser Folie tritt uns die über lebensgroße Gestalt Lenin» entgegen, an dem vor allem andern eine Eigenschaft in» Auge springt: die intolerante. Hartnäckigkeit, mit der er an jedem Detail seines revolutionären Konzepte» (nicht seiner wirtschaftlichen OrientiernngN festhielt. Jene Eigen schaft. die, wenn sie nicht berufen wird, sich an leitender Stelle auszuwirken, alz Borniertbeit der Lächerlichkeit verfällt, und die al« daS untrüglichste Zeichen de» handelnden Genie» gerübmt wird, wenn eS ihn; gelingt, die Ereignisse de» wirklichen Leben» nach ihren phantastischen Einfällen zu modeln.