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Zweites Blatt Gammi»" »iiNkszemrna »ow 29 Oktober Zum Ksnfesfionsfiieden bringt die jüngste Nummer (43) der „Münchener Allge meinen Rundschau" eine sehr bemerkenstverte Kundgebung des protestantischen Stadtpfarrers Julius Schiller in Nürnberg. „Es ist ein wahres Kreuz und fast eine Schande zu trennen," so sagt der Verfasser einleitend, „daß alle Ver suche, tvelche in den letzten Jahren unternommen worden find, um den konfessionellen Frieden in Deutschland herbei- zufllhren, bisher auf den unfruchtbarsten Boden gefallen sind. Ta wären alle Bedingungen zu einem friedlichen Zu sammenleben der Konfessionen gegeben: Handel und Ge- werbe, die lange daniederlagen, s'nd im Aufblühen be- griffen, die Evangelischen in katholischer Umgebung haben nichts zu klagen, der Papst seinerseits versichert, daß seine Glaubensgenossen gerade in Deutschland wohl zufrieden fein dürfen, Kleriker und Laien, Bischöfe und Professoren mahnen zur Eintracht: aber es ist alles umsonst. Schreier undHetzer führen das letzte Wort. Ihnen paßt der Friede nickst. Darum geht das Gezanke weiter, mag das Volk, welclies von dem Hader nichts wissen will, unter diesen Zuständen auch auf das schwerste leiden." Dann kommt Herr Pfarrer Schiller auf die Entwicke lung der jetzigen Spannung zu sprechen, indem Deutschland gleich nach seiner Gründung der Schauplatz des unseligen Kulturkampfes geworden ist, und sagt: „Die preußisch» Maigesetzgebung übersah, daß geistige Strömungen nicht mit Gesetzesparagraphen reguliert werden können. Die abgesetzten Bischöfe wurden als Märtyrer verehrt. 1400 katholisst« Pfarreien standen verwaist, ohne Pfarrer da. Endlich entschloß sich die deutsche Negierung zum Rückzug. Darüber war das Jahr 1887 angebrochen. Noch sind die Kämpfe in beiden Lagern unvergessen. Die konfessionelle Haderflamme brennt und flackert bis heute fort, und nie mand kann sagen, wann diese Flamme erlöschen wird. Soll es besser werden, dann muß auf beiden Seiten ge bremst werden: denn in beiden Lagern wird gefehlt." Diesen Satz führt der Verfasser folgendermaßen aus: „Gerne nehmen wir Kenntnis von dem Geständnis Dr. Hackenbergs auf der Wormser Tagung des Evange lischen Bundes: „Wir haben oft im Zorn gehandelt, wo wir friedlich handeln sollten. Das im engen Kreis gesprochene Wort hat eine ganz andere Wirkung, wenn es in der Oeffentlichkeit erschallt, das haben wir oftmals nickst be dacht." Ja, so ist es. Wie oft kann man bei uns der Mei- mrng begegnen, daß katholisch sein und deutsch empfinden ganz unverträglich sei, es sind nicht wenige, weist« die ka tholische Kirche für etwas Unberechtigtes halten, welche aist der Gegenseite keinen Unterschied machen, sondern alles für Jesuitismus, Ultramontanismus, Vaterlandslosigkeit, für Nacht und Verderben, für Irrtum und Lüge, für Götzen dienst und Aberglauben erklären. Wir meinen aber, daß der Zelotismus, wenn er sich bei Evangelischen findet, die sich so gern ihrer geistigen Freiheit rühmen, besonders ab stoßend und verwerflich ist. Nur soll damit in keiner Weise gesagt sein, daß nur die Protestanten eine Schuld an den verfahrenen Zuständen trifft. Dies wäre ganz unge rechtfertigt. Nein, wer die Lage objektiv betrachtet, kann auch vielen Gliedern der katholischen Kirche den Vorwurf nicht ersparen, daß sie die Evangelischen gar oft recht bitter reizten, so daß unser Gefühl sich empören mußte. Zwar wäre es unbillig, zu vergessen, daß heutzutage nicht wenige Oberen auf Bischofsstühlen und Kathedern in dankens wertester Weise zum Frieden reden, wo sie nur können, und auch mit bestem Beispiel vorleuchten. Aber was nützen die Generale ohne nachfolgende Truppen? Fährt man drüben mit evidenten Rechtsverletzungen fort, wie Taufen von Kon- t«rtiten, mit dem Versagen notwendiger Zeugnisse, mit der Herabwürdigung der protestantischen Trauung, mit Be schimpfungen und unwahren Verunglimpfungen unserer Reformatoren, mit der Weigerung, den evangelischen Kran ken Seelsorger ihres Bekenntnisses herbeizuholen, mit dem Sicheindrängen in gemischte Ehen, mit der Verleitung un mündiger Kinder, mit lieblosem Vorgehen bei Bestattung evangelischer Christen in der Diaspora — dann soll man sich nxrhrhaftig nicht wundem, wenn der Evangelische Bund zu einen 300 000 noch weitere Hunderttausende heranzieht." Nach Zusammenziehung aller nur möglick«» Be schwerden kommt der Verfasser auf jenen Punkt zu sprest«n, der von seiten der Protestanten immer als.Hauptbesstmerde genannt wird und sagt: „Man hat protestantischerseits den Frieden davon abhängig gemacht, daß der Papst sich end lich dazu entschließen müsse, die evangelische Kirche in ge wissem Sinne anzuerkennen. Allein dahin wird eS so bald nicht kommen. Ties steht im Widerstreit mit den Grund prinzipien der katholisst«n Kirst«. Warum konnte man sich zur Zeit unserer Großväter vertragen, wo von solcher Aner kennung ebensowenig die Rede war? Und worin tverden wir Erxrngelisch-c gehennut, nas schadet es uns denn, n>as geniert es uns, wenn die römische Kirche die Existenzberechtigung nur sich allein zugesteht? Auf evangelischer Seite wird auch der katholisst«» Kirche die Existenzberechtigung abge- sprochen. Die Welt geht destvegeu doch fort, die Kultur sstn-est t deslxüb doch weiter . . Die Korrektur, welche Auss reitungen auf katholisck>er Seite fast in jeder Wost« von sühnenden katholischen Zeitungen, wie der „Kölnischen Volkszeitung", erfahren, zeigt dock) klar, daß die Zeiten schon in etnas sich geändert haben, und wenn protestantische und katholische Abgeordnete im deutschen Reichstag Schmier an Schulter gemeinsame Feinde bekämpfen und in hoch wichtigen vaterländischen Angelegenheiten ihren Patriotis mus bekunden, so sind dies doch Erscheinungen, an denen jeder echte Deutsche seine Freude haben muß. Solche Tar sachen sind uns auch wertvoller als die ungeschickten, wenn auch gutgemeinten Versuche eines Seltmann, eine deutsche Nationalkirche anzustreben auf der Grundlage von Ver handlungen, nielche die lutherischen Bekenntnisschriften mit den Tridcntiner Konzilsbeschlüssen zu vereinigen suchen müßten. Nein, das sind Luftschlösser und Utopien. Von den evangelischen Bekenntnissen führt keine Brücke zu dem Tridcntinum und Vatikanum. Hier ist eine „Kluft", über die es keinen rettenden Steg gibt. Hier stoßen zwei Welt ausstellungen aufeinander, die sich ausschließen. Auf diese Weise gelangen wir zu keinem Frieden. Tie Kirchenspaltung im 10. Jahrhundert erfolgte «gewiß nickt ohne göttliche Kulastnua. Wir haben sie nickst veranlaßt. Ist nun aber Nr. 249 einmal in Deutschland die christlick« Religion in den Formen der evangelisck>en und der katholischen Konfession vorhanden, dann ist es unsere Ausgabe, dieselben anzuerkennen, nicht bloß als geschichtlich erwachsene Gebilde, sondern als Träge rinnen des Christentums, welche unser Volk religiös zu er bauen, sittlich zu erziehen haben. Nur so wird man beiden gerecht, nur so kann ein gangbarer Wog zum Frieden ange bahnt lverden. Wir müssen wieder lernen uns gegenseitig zu schonen, zu achten, zu lieben. Die andere Kirche muß von uns so behandelt und gewürdigt werden, wie sie es verdient. Aber auch wir verlangen von ihr das gleist«. Warum stellen sich so viele an, als wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit? Noch ist die Schar jener ka- katholischen Mitchristen unübersehbar, weist« das deutsche Volkstum auf das beste vertreten. Andacht und Weihe z'.el«n sich durch die deutsck«n katholischen Gottesdienste. Es fehlt nickt an Mustern aufrichtiger und tiefer Frömmigkeit. Ein ganzer Chor strebsamer katholisst«r Forsst«r straft den Vorwurf der geistigen Inferiorität Lügen. Majestätisch ra«ren katholisst« Tome gen Himmel. Zivanzig Millionen Menschen zählen die Katholiken allein im Deutsst«n Reich. An all dies zu erinnern, ist heute nicht überflüssig: denn dis Verhältnisse >obren nicht so verfahren, wenn dies mehr be achtet würde. Es ist doch ein starkes Stück, tvenn man den Katholiken zu sagen tvagt: Jeder katholisst« Beamte ist eine latente Gefahr für den Staat, oder: Man muß der arnien römisst«n Kreatur das Evangelium bringen, oder: Die katholisst« Erziehung führt zu sittlicher Erschlaffung, zu politischem Ehnreiz und zu nationalem Niedergang. Was würden wir dazu sagen, wenn solches grobes Geschiltz gegen uns außzefahreu würde? Auf den Katholiken tage n hat man es sich ganz abgewöhnt, mit protestantischen Angelegenheiten sich zu befassen. Mit Reckst. Aber der Evangelis che B u n d läßt auf seinen Kongressen kaum eine Sitzung vorübergehen, ohne des Kampfes mit Rom zu gedenken. Wann N«rden wir lernen, bei den Auseinander setzungen alles Persönlich«, Unbegründete, Herausfordernde, Verletzende, Kränkende und Gehässige auszuschalten? Noch immer geschieht es, daß man jedes Wort, jede Tat, die sich ein exzentrischer Gegner zu schulden kommen läßt, genau notiert und dann mit entsprechenden Glossen verall gemeinert. Und da erwartet man ein Zurückgehen der kon fessionellen Erregung und Nervosität? Was beide Kon fessionen braust«», ist eine Neubclebung und Vertiefung ihrer religiösen Gesinnung. Hier wirten konfessionelle Kämpfe mir hemmend und störend. Die beiden Mahnungen Tsstasterts sind: T a s T r e n n e n d e z u r ü ck z u st e l l e n. das 01 e m e i n s a m e Pfleg e n. Was die Vergangen heit Beleidigendes für uns mit sich gebracht haben mag es soll begraben lein. Wenn römische Katechismen die pro testantischen Sekten für Teufelswerk erklären, so sollen wir dies nicht so tragisch nehmen. Man mache auch die Zeit genossen nickt verantwortlich für Ddartyrien unserer evan gelischen Glanbesgenossen in früheren Jahrhunderten und umgekehrt. Wir haben ferner kein illestst, in die Heiligen- Verehrung, in Mariendienft, Reliquienkultus, Wallfahrten und Ablasgvesen uns einzumischen. Das sollen wir ruhig den anderen überlassen. Uns geht es nichts an." Pfarrer Schiller schließt: — 88 — Auch heute wartet Graziella wieder auf die stille bleiche Gestalt zum Frühstück. In ihrem jugendgefunden Magen regt sich ein tvahrer Heiß hunger: aber sie k;at es sich angewöhnt, stets auf die Schwester zu warten. Doch keine Clelia erscheint. Graziella wartet eine halbe Stunde — eine Stunde nichts. Sie wird ungeduldig . . . dann besorgt. Ein paarmal horchte sie sst«n. an der Tür zu Clelias Schlafgemach. Doch alles blieb ruhig drinnen. Schließlich hält sie es nicht mehr aus vor Hunger. Hastig nimmt sie ihr Frühstück zu sich — zum ersten Male allein, ohne die Schwester. Dann schleicht sie sich auf den Fußspitzen wieder hin zu Clelias Zimmer und legt das Ohr ans Schlüsselloch. Horch! Ist das nicht leises Weinen? Unterdrücktes Schluchzen? . . . Und jetzt ein Seufzer, so aus tiefster Seele, so herzbrechend — Graziella er schauert bis ins Innerste. „Clelia! Clelia!" ruft sie angstvoll, an der Türklinke rüttelnd. Zuerst keine Antwort. Plötzlich ein schroffes: „Geh fortl Ich mag dich nickst sehenI" Tann erneutes, nur noch heftigeres Weinen und Schluchzen. Graziella bricht in Tränen aus. Mein Gott, was tun? In ihrer Rat losigkeit rennt sie zu der alten Kammerfrau und klagt derselben ihr Leid. Die brave treue Seele, die Witwe und Mutter ist, versieht ihre junge unglückliche Herrin besser, als das unerfahrene Kind es kann. Sie tröstet Graziella, so gut es geht, und begibt sich lest« nach Clelias Zimmer. Drinnen wieder alle- ruhig. * ' Die alte Nina drückt auf die Türklinke; der Riegel ist bereits zurück- geschoben. Vorsichtig steckt sie den Kops durch die Türspalte. Sie sieht ihre Herrin am Schreibtisch sitzen. In nervöser Hast fliegt di: Feder über das Papier. Jetzt wirft Clelia den Kopf zurück und greift mit der Hand an die Kehle, als fehle es ihr an Atem, als fürchte sie, zu ersticken. Dann schreibt sie wieder weiter — hastig, nervös, fieberhaft . . . Einmal, durch ein Geräusch aufmerksam gemacht, wendet sie das Ge sicht nach der Tür. Zwei große rote Flecken brennen auf den abgezehrten Wangen. Verständnislos starren die übergroßen Augen ins Weite . . . Tief erschüttert zieht die alte Kammerfrau die Tür wieder zu. „Herr Gott im HimmelI" murmelt sie mit gefalteten Händen. „Schütze nieine arme junge Herrin, sonst wird sie noch wahnsinnig! . . . O, dieser Blick — dieser Blick Barmherzigkeit!" Seit Clelia und Graziella das Elternhaus verlassen haben, erscheint der alte graue Palazzo Borgoni wie ausgestorben. Schweigsam, finster verbringt der Oberst die Tage zum größten Teil hinter seiner Zeitung; aber selbst die getvohnte Pfeife will ihm nicht mehr schmecken. Schweigsam, mit noch strengerem, undurchdringlicherem Gesicht als sonst geht Frau Albino ihren häuslichen Pflichten nach. Schweigsam, ernst huscht auch die Dienerschaft durchs Haus. Sie fühlt, ein große-s Unglück ist über ihre Herrschaft hereingebrochen, wenn sie auch nicht weiß — was. — — 85 —- Lord Tickleton springt zur Seite. Sein langes Gesicht drückt zur Ge nüge die Angst aus, die er vor der ihn mir mehr denn Haupteslänge über ragenden kräftigen Jünglingsgestalt empfindest. Doch er versucht, seine-Unbel-aglichkeit hinter einer hochmütigen Mene zu verstecken. „Wenn Sie glauben, mit mir anbandeln zu können, so irren Sie, bester Herr." näselt er gönnerhaft dal«r, indem er abermals das Monokel ins Auge Hemmt und sein Schnupftuch mit dem großen Monogramm etwas weiter hervorzieht. Dann nrendet er sich und sst«eitet gravitätisch wie ein Truthahn von dannen. Obgleich Arturo di Rudeni recht weh ums Herz ist, kann er sich dost) nicht enthalten, bei dem komisst«n Anblick l«ll aufzulachen. Indes der andere hält es für ratsamer, das beleidigende Lachen nicht zu hören. Mit der Nase in der Lust, das Spazierstöckcken in der gelbbeland- schuhten Rechten hin- und («rschwingend, stolziert er würdevoll weiter, dem Musikpavillon zu. Langsam, in sich versunken, geht auch der junge Conte zu der aufge reihten Wagenburg zurück, mir die Karosse seiner Mutter wieder zu besteigen. Er sieht, wie die Contessa soeben der Frau Bertinetti abnstnkt, wie diese sich jedoch durchaus nicht zurückn«isen läßt. „Ah, liebster Conte!" ruft die kleine Dame mit ihrem süßesten Lächeln. „Endlich bekommt man Sie wieder einmal zu Gesicht. Weslalb lassen Sie sich denn gar nicht mehr sehen? Meine Bibiana hier ist sstwn ganz traurig. Nickt nähr, mein Engel —" sie wendet sich an ihre in knallroter Seide ge- kleidere, verlegen nickende Tochter — „du warst doch traurig, daß der Herr Conte dick gar nicht mehr zum Gesang begleitet? „Ich kann nie so gut singen, als wenn der Conte di Rudeni mich begleitet" — sagst du nicht immer so, mein Herzcbcn? Und dann hat man dost) auch so viel zu besprechen! Zum Bei- stnel — unsere gute Clelia —" „Verzeihen Sie, meine Gnädigste —" fällt Arturo brüsk ein — „eine Wespe will Sie stechen —" „Wo? Wo?" schreit Frau Bertinetti. „Direkt auf Ihrer Zunge, meine Gnädige." Frau Bertinetti schlägt ein paarmal in die Luft. Dann wendet sie sich wieder dem jungen Manne zu. „Sie kommen doch recht bald, lieber Conte? Bibiana bat eine neue Canzomtta einstudiert: „Ter Zauber der Liebe" — Sie können sich gar nicht denken, wie gut das Lied ihr liegt. Nicht nähr, meine kleine Lerche? Ich habe auch eine neue Nachricht über das Zerwürfnis des Marchese Orlando mit seinc' Frau — eine ganz neue Version! Höchst interessant. Also, wann darf ich Sie erwarten, bester Conte? Morgen?" „Bedaure, rneine Gnädige. Morgen bin ist versagt," erwidert er achsel zuckend. ,.O, wie schade! Tann übermorgen?" „Leider ebenfalls versagt." „Ebenfalls? . . . Nun, so sagen wir überübermorgen. Ja, Donnerstag — ganz bestimmt am Donnerstag, nicht wahr?" „Ich bin diese ganze Woche versagt, Gnädigste."