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Erscheint täglich uachm. mit Ausnahme der vom»-«. Festtage. Bezugspreis» Vierteljahr!. 1 Mk. 8« Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 8888. Bei autzerdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 1V Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit vucbilruclttttl, Heilalrilsn unü LrzcdattrrteNe» Dresden, Pillnitzer Straße 43. Inserate werden die «gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 18 Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. Redaktions-Sprechstunde: 11—1 Uhr. Fernsprecher: Nmt l. Nr. 1866. Nr. 854. Katholiken» Willibrord. Sonnabend, den 7. November 1903. Protestanten, Erdmann. 8. Jahrgang. Die Stellung der Aerzte zu den Krankenkassen. In Leipzig ist zwischen den Aerzten nnd den Kranken kassen, wie wir schon berichteten, ein Konflikt ausgebrochen. Der Aerztestand sah sich durch die Sachlage genötigt, zur Wahrung seiner Interessen Beschlüsse zu fassen, welche den bisherigen Gepflogenheiten der Krankenkassen entgegen laufen. Nachdem die Reichsgesetzgebung das Berhältnis zwischen Aerzten nnd Krankenkassen nicht festgestellt, so mns; dieses durch freie Uebereinkunft geschehen. Auch hier spielt Angebot und Nachfrage eine große Rolle. Die große Kon kurrenz im ärztlichen Stande berechtigt aber trotzdem die Krankenkassen nicht, diesen verdienstvollen Männern, die voll Aufopferung gegen den leidenden Mitmenschen treu ihre Pflicht erfüllen, die gebührende Honorierung zu entziehen. Das Krankenkassenwesen hat eine Entwickelung ange nommen, die vom Aerztestand immer mehr als schwere wirtschaftliche und moralische Schädigung empfunden wird. Bei der in der letzten.Neichstagssession stattgehabten Beratung der Novelle zum Krankenversicherungsgesetz mußte von einer grundsätzlichen Regelung des Verhältnisses der Aerzte zu den Krankenkassen aus bestimmten Gründen leider Abstand genommen werden. Wie sehr aber auch der Reichstag und insbesondere die Zentrumsfraktion von der Notwendigkeit einer solchen Regelung durchdrungen ist. das beweist die gleichzeitig mit Annahme der Novelle erfolgte Annahme der vom Zentrum eingebrachten Resolution: „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen: 1) Dem Reichstage tunlichst bald, wenn möglich in der nächsten Session, einen Gesetzentwurf zum Zwecke einer eingehenden und gründlichen Reform des Kranken- vcrsicherungsgesetzes vorzulegen; 2) in Vorbereitung dieser Vorlage, den Vor ständen der Krankenkassen, wie auch deu Vertretern des Aerztestand es Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Anschauungen und Wünsche zu geben und diesen, soweit wie möglich, gerecht zn werden; 3) insbesondere in eine Erwägung darüber einzu- treten, ob sich nicht die Bildung von ständigen Kom missionen ans gewählten Vertretern der Krankenkassen vorstände und der Aerzte unter einem neutralen Vor sitzenden (Obmann) empfiehlt, welchem die Regelung der ärztlichen Behandlung nebst Festsetzung eines Tarifes der Honorierung, sowie die Entscheidung bezüglicher Streitig keiten obliegt — mit der Maßgabe, daß alle Aerzte, welche sich dieser Regelung unterstellen, als Kassenärzte im Sinne des 8 6a Ziffer 6 gelten." Unter den Forderungen, welche .die Aerzte an die Krankenkassen stellen, stehen drei im Vordergrund: die Ein führung der freien Aerztewahl, eine genügende Bezahlung der kassenärztlichen Leistungen und die Einsetzung von Kommissionen, die, zn gleichen Teilen aus Kassemnitgliedern und ans Aerzten bestehend, von einem Unparteiischen ge leitet, in allen strittigen und zweifelhaften Fragen und Fällen zn entscheiden haben. Die letztere Forderung hat auch bereits in obiger Resolution Berücksichtigung gesunden. Auch die Berechtigung der zweiten Forderung leuchtet ohne Weiteres ein, wenn mau hört, daß die Aerzte in vielen Orten 50, 30, 20 Pfennige und noch weniger für einen Besuch im Hause des Kranken erhalten. Einer besonderen Beleuchtung bedarf sonach nur noch die Forderung der freien Aerztewahl. „Freie Aerztewahl" heißt, es soll jeder im Bereich der Kasse wohnende Arzt Mitglieder der Kasse behandeln dürfen, wenn er sich den zwischen der Kasse und der Vertretung der Aerzte vereinbarten Bedingungen unterwirft. Gegen wärtig arbeiten bekanntlich die Krankeilkassen nur mit einer beschränkten Zahl von Aerzten, denen sie entweder ein festes Gehalt zahlen oder unter die sie. je nach ihren Leistungen, eine durch die Anzahl der Kassenmitglieder be stimmte Pauschalsumme verteilen. Diese Einrichtung hat aber für die Aerzte ganz erhebliche Nachteile, sowohl für diejenigen, die Kassenärzte sind, wie auch für diejenigen, die eS nicht sind. Für die Kassenärzte liegt der Haupt nachteil darin, daß sie in eine sehr bedenkliche Abhängigkeit vom Kassenvorstande geraten. Die Kassenvorstände nützen denn auch ihre Macht in recht bedenklicher Weise aus. Die Fälle, in denen tüchtigen, gewissenhaften Aerzten ans klein lichen, persönlichen Gründen, auch aus politischen Rück sichten, der Stuhl vor die Türe gesetzt wurde, sind durch aus nicht selten. Für diejenigen Aerzte aber, die nicht Kassenärzte sind, liegt der Hauptnachteil darin, daß ihnen ihr Arbeitsgebiet sehr eingeschränkt wird. In absehbarer Zeit wird die Hälfte aller Einwohner Deutschlands zu irgend einer Kasse gehören, sodaß die jungeil Aerzte, die nach langjährigem, kostspieligen Studium in die Praxis treten, vor verschlossenen Türen stehen. Daß manche der unbeschäftigten Anfänger ans alle Weise versuche», in die Kassenpraris hnieinzukommen, daß dabei persönliche Be ziehungen zu deil allmächtigen Kassenvorständen und Ver tretern eine große Rolle spielen, das ist bis zu einem ge wissen Grade verständlich, aber für de i Aerztestand ganz besonders traurig. Auch sür die Kassenmitglieder ist die freie Aerztewahl der einzig richtige Zustand. Die Hauptsache bei der ärzt lichen Behandlung ist. daß der Kranke zn seinem Arzte Vertrauen hat. Bei der freieil Aerztewahl kann aber der Kranke sich einen Arzt answählen, zu dem er Vertrauen hat; er ist nicht auf den Kassenarzt angewiesen, sondern befindet sich in derselben günstigen Lage, wie der Wohl habende. Die Kassenvorstände geben für ihren Widerstand gegen die freie Aerztewahl verschiedene Gründe an. Als Wichtigstes betonen sie, freie Aerztewahl sei zn kostspielig, sie richte die Kasse finanziell zn gründe. Es mag ja in der Tat Vorkommen, daß einzelne Aerzte gar zu willfährig sind in der Beschaffung von Krankengeld, gar zn viele Be suche machen, gar zn viele Arzneien nnd Stärkungsmittel verschreiben. Diese Gefahr ist aber doch ganz vereinzelt, und es lassen sich Vorkehrungen dagegen treffen. Der wirkliche Beweggrund für das Verhalten der Kassenvorslände liegt ans einem andereil Oiebiete: sie wollen ihre Macht, ihre Herrschaft nicht preisgeben! Die Forderung der freien Arztwahl ist schon seit einer Reihe von Jahren immer wieder ans allen Aerztetagen ausgestellt worden. An verschiedenen Orten, namentlich in größereil Städten, ist die freie Arztwahl auch bereits ein- gcführt. ja die württembergische Negierung hat bereits den Kassen die freie Arztwahl als das weitaus beste System dringend empfohlen. Das Interesse, welches das Zentrum an der Regelung der Stellung der Aerzte zu den Kranken kassen nimmt, bürgt dafür, daß durch Erlaß eines Reichs gesetzes den berechtigten Wünschen der Aerzteschaft in Bälde Genüge geschehen wird. Politische Rundschau. Leutschland. — Der Kaiser hat den Kronprinzen mit seiner Ver tretung bei der Feier für Professor Theodor Mommsen in der Kaiser Wilhelms Gedächtniskirche beauftragt. — Ein Gesetzentwurf über den Bcrsichcrnngsvcrtrag ist bekanntlich im Mai d. I. veröffentlicht worden. Der Verband deutscher Lebensversichernngs Gesellschaften nimmt jept iil einer soeben erschienenen Denkschrift zu diesem Ent würfe Stellung. Der Verband begrüßt den Entwurf „mit ungeteilter Freude" und erkennt an, daß derselbe die Auf gabe. die Vertragsverhältnisse im Versicherungswesen in gesetzliche Bahnen zn leiten, in „bewundernswerter Weise gelöst hat" nnd „daß das Streben nach Gerechtigkeit nach beiden Seiten hin unverkennbar hervortritt". Neben dieser bemerkenswerten Anerkennung enthält aber die Denkschrift auch eine Reihe von Abänderungsvorschlägen, die in An betracht der Stelle, von der sie ausgehen, immerhin ernste Beachtung verdienen. Aufs schärfste getadelt wird gleich an der Spitze der Denkschrift der Ausschluß der öffentlichen Sozietäten von der Behandlung in dem Gesetzentwurf. Gegen die Terminologie des Entwurfes wird eingewandt, daß ein nnd dieselbe Person nach dem Vertragsrechte „Ver sicherer", nach dem Anfsichtsgesetz aber „Versicherungs nehmer" heißen soll. Des weiteren wird kritisiert das Fehlen einer Ueberschrist, welche die Schriftlichkeit für den Blei in» Herzen. Erzählung von I. R. von der Lans. Aus dem Holländischen übersetzt von L. van Heemstcde. <43. Fortsetzung.) (Nachdruck Verbote».! „Nein, ich versiehe nichts davon." entgegnetc sie kühl und abweisend, „ich möchte fast annehmen, daß cs bei Dir nicht richtig im Kopfe ist." „Ich könnte wirklich verrückt werden, wenn ich noch länger schwiege, wenn ich noch länger das schreckliche Ge heimnis, das mir wie siedenes Blei im Herzen brennt, sür mich behielte!" „Es scheint in der Tat bei ihm zu rappelu," murmelte sie, die Achseln zuckend. „Was ist denn das für ein schreck liches Geheimnis, das Dich so quält?" setzte sie laut hinzu. „Ich habe es Dir schon gesagt; das Geld, von dem Du so viel Wesens machst, gehört uns nicht." „Welches Geld? Das, was ich in die Ehe mitge bracht habe?" »Ja!" „Dn wagst also zu behaupten, daß mein Vater, der es uns hinterließ, in ungerechter Weise dazn gekommen ist, daß er ein Dieb war mit anderen Worten?" frng sie mit fast heiserer Stimme. „Lassen wir den Todten ruhen! Der ist schon gerichtet. Möge Gott ihm gnädig gewesen sein! Ich habe genug an der Tilgung meiner eigenen Schuld .... Ich war sein Mitschuldiger, sein Handlanger, sein Werkzeug .... ohne mich hätte er sein Ziel nicht erreichen können.... Er hat den Plan ausgedacht, aber ich war der Mann, der ihn ausführte." „Was hast Du denn ausgeführt?" „Bist Du jetzt gesonnen, mich ruhig auzuhöreu?" „Jawohl!" sagte sie kurz, eine gleichgültige Miene an- nehmend, aber vor Neugierde brennend. Der Doktor setzte sich ihr gegenüber und fuhr in ge- dämpften: Tone fort: „Du weiht, Henriette, daß Deii: Vater, der Notar, auf großem Fuße lebte . . . ." „Das war er seinem Stande schuldig, und er durfte es tun, denn er verdiente viel Geld." „Aber er verspielte noch weit mehr durch seine ge wagten Spekulationen." „Woher weiß Du das denn?" frug sie, zornig auffahrend. „Wenn Dn darauf bestehst, so will ich es Dir morgen aus seineu hinterlassenen Papieren beweisen. Er war sozu sagen ruiniert, als ich Dich kennen lernte, und den Staat, den er machte, konnte er nur mit dem ihm anvertrauten Vermögen seiner Nichte, der jungen Witwe Dingel,nans bestreiten . . ." Der Doktor hielt einen Augenblick inne, um seine Frau anzusehen. Sie hing förmlich an seinen Lippen. „Nim?" drängte sie ungeduldig. „Er war ihr nächster Verwandter nnd einziger Erbe, nnd sie setzte ihr volles Vertrauen in ihn. Er brauchte also nicht zn fürchten, daß sie das Geld je von ihm zurück- fordern würde . . . Der plötzliche Tod ihres Mannes hatte ihr sehr zngesetzt; sie siechte dahin, und es war zn erwarten, daß sie die Geburt ihres Kindes mit dein eigenen Leben bezahlen würde. Ich machte vor dem Notar kein Hehl ! daraus, er war ja ihr einziger Verwandter, ihr vertranter, väterlicher Freund. Von den anderen Dingen wußte ich nichts, ich dachte sogar mit keinem einzigen Gedanken daran. Aber der Notar hatte seine Berechnung gemacht. Starb die Witwe kinderlos, so war er allein der recht mäßige Erbe; hinterließ sie ein Kind, so ging er leer ans. Er wußte es so einzufädeln, daß seine Nichte zn ihm in das Schloß kam — Du warst damals mit einer befreun deten Familie in: Ausland — ihr Zustand verschlimmerte sich mit jeden: Tage, sie war nicht mehr imstande das Haus zu verlassen. Ich behandelte die Kranke und blieb sogar oft während der Nacht in: Schloß, um stets zur Hand zu sein. Der Notar, der, wie Du weißt, als ich so kühn gewesen war. um Dich anzuhalten, nichts mehr mit mir zn tun haben wollte, war jetzt wie nmgewandclt. Er war die Liebenswürdigkeit in eigener Person, er stellte mir das ganze Hans und die Dienerschaft zur freien Verfügung. Ich schrieb diese Veränderung natürlich den eifrigen Sorgen zu, die ich seiner Nichte widmete. . . später gingen mir die Augen auf. ES war in der Nacht, als die Witwe nnd ihr neugeborenes Kind starben . . . Nie werde ich jene schreckliche Nacht vergessen — noch immer sieht sie vor nieinen Augen! Ach! warum mußte jene schreckliche Alter- native, der Streit zwischen Pflicht und Interesse, zwischen meinem Gewissen und der Aussicht auf eine glänzende Zu- knnft, an mich herantreten! Die Versuchung war zu stark! Nicht das Geld. Henritte, sondern die Aussicht, Dich als die Meinige heimznführen, war es, die mich in diesem Streit den Kürzeren ziehen ließ. Deinetwegen beging ich eine Fälschung, eine Missetat . . ." „Du hast sie doch nicht ermordet!" stammelte seine Frau entsetzt. „Großer Gott, wo denkst Dn hin?!" „Aber das Kind?" „Gott sei Dank. nein, ich bin mir bewußt, alles getan zn haben, was die Wissenschaft und der gute Wille ver mochten. um sowohl die Mutter als das Kind zn retten." „Aber was ist dann geschehen?" „Das Kind", fuhr der Doktor mit kaum hörbarer Stimme fort, „das Kind hatte die Mutter nur eine halbe Stunde überlebt. Das wußte ich allein, der ich Mutter und Kind in ihren: Todeskampf zur Seite gestanden halte." „Nun - - und weiter?" „Das Kind hatte die Mutter überlebt, und damit fiel die Hinterlassenschaft den Verwandten der Mutter nnd nicht Deinem Vater zu. Er war verpflichtet, das Vermögen den Erben des Sohnes herauszngeben, und damit wäre er vollkommen ruiniert gewesen. Dem mußte um jeden Preis vorgebengt werden . . . daher suchte er mich dahin zn bringen, eine falsche Angabe über den doppelten Sterbefall zn machen. Ich sollte erklären, die Mutter sei nach dem Kinde gestorben, damit war alles in Drdimng . . . Anfangs schrak ich davor zurück ich sollte meinen Eid verletzen, meine ehrliche Unterschrift z» einer schamlosen Lüge h:r- geben! Aber er wußte mein Gewissen zn beschwichtigen und mir die Ziikmift in den schönsten Farben ansznmalen. Mit ihm würde cs bald aus sein, aber mir stände noch das Leben in seiner ganzen Fülle bevor. Dn würdest die Meine werden nnd mir die ganze Erbschaft zuführen. die ich durch eine unbedeutende Lüge ihn: in die Hand zu spielen vermochte. Ich dachte nicht an das Geld, aber die Aussicht, nach der barschen Abweisung, die all ineine Hoffnungei: zerstört hatte, Dich dennoch zn erringen, ließ mich über alles Andere hinwegschcn . . . Ich erlag der Versuchung und gab unter den Augen des Notars die ver- langte Erklärung ab . . ." (Fortsetzung folgt.)