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Beilage zu Nr. 83 der „Sächsischen Volkszeitung". Der internatisnale Verband zum Studium -er Verhältnisse des Mittelstandes isl mm definitiv in der letzten Woche in Brüssel gegründet worden. Schon anfangs Dezember fand in Stuttgart eine vorbereitende Sitzung statt, welche den Statutenentwurf beraten hat. Diese neue Vereinigung ist lebhaft zu be grüben, denn eS ist der erste Verband, der sich dem Studium und der Erörterung der Mittelstaudsfragen widmet. Für die Interessen der Landwirtschaft und des Arbeiterstandes gibt eS bereits solche internationale Verbände, die sehr gut wirken. Wenn es bezüglich des Mittelstandes (Handwerker, Kaufleute usm.) länger gedauert hat, so ist der Grund zu einein guten Teil darin zu suchen, das; die Verhältnisse des Mittelstandes in den einzelnen Ländern sehr verschieden und die Ansichten darüber, wie man dem Mittelstand auf- helseu soll, noch weit mehr auseinander gehen. Deshalb hat der neue Mittelstaudsverband sich auch nicht die Auf gabe gesetzt, direkt auf die Reformen in den einzelnen Staaten einzuwirken; er will nur das Material aus den verschiedenen Ländern Zusammentragen, um so neue An regungen zu geben. Diesem Zwecke dient in erster Linie das ständige Sekretariat, das seinen Sitz in Brüssel hat; an der Spitze desselben steht der Ministerialdirektor Störens aus dein Arbeitsinmisterimn. Die neuauzulegende Bibliothek nnd das Archiv haben dieselbe Aufgabe, ebenso die Volksver sammlungen. In diesem Jahre wird zwar letztere aussallen und erst 100.') anläßlich der internationalen Ausstellung in Lüttich eine solche abgehalten werden. Mitglieder des Vereins können soivohl Einzelpersonen wie Korporationen (Handwerks kammern. Jimnngsverbäude, Negierungen, Provinzialver bände usw.) werden; der Jahresbeitrag ist 10 Mk. Die Gründungsmitglieder setzen sich zusammen ans Deutschen, Oesterreichern, Nüssen, Franzosen, Holländern, Belgiern, Spaniern und Schweizern. Unter den deutschen Mitgliedern finden sich die hervorragendsten Nationalökonomen lind be kannte Mittelstandspolitiker; vom Zentrum gehören diesen an die NeichstagSabgeordueten Erz b erg er, Gröber und Triinborn. ferner nennen wir die Katholikeil Geheimrat Wr. Bödiker-Berliu, Generaldirektor I)r. Pieper-M.-Gladbach, Dompsarrer Dr. Netzbach-Freiburg i. B. Tie deutschen Katholiken sind also in dem Verband, der selbstverständlich politische imd konfessionelle Bestrebungen ansschließt, recht gilt vertreten. Als Präsident des Gesamtverbandes ist für die beiden ersten Jahre der frühere Präsident des Neichs- versicherungsaints, Wr. Bödiker-Berlin, genommen worden, unter dessen sachkundiger Führung sicherlich der Verband rasch sich entwickeln wird. Wir halten die Schaffung des selben für einen sehr klugen Gedanken, der viele Erfolge zeitigen wird. Die Erhaltung und Kräftigung des Mittelstandes ist eine dringende Aufgabe unserer Zeit; ja man darf sagen, das; der Mittelstand das festeste Bollwerk gegen die Sozial demokratie ist. Diese tut deshalb auch garnichts, uni den selben zu retten. Wem aber daran gelegen ist. den Um sturz der bestehenden Verhältnisse zu verhindern, der muh daran arbeiten, dah der Handwerkerstand. Kleinkaufmanns- staud und der Mittelstand im allgemeinen sich erhalten kann. Aus diesem Grunde haben auch die genannten Zentrumsabgeordneten an der Gründung des Verbandes teilgenommen und wollen an der Ausgestaltung desselben Mitarbeiten. Mögen nun die Mitglieder recht zahlreich sich aumelden, namentlich die Handwerkskammern und Ver einigungen der Handwerker! i(. Aus Stadt und Land. —* Die „Dresdner Vereinigung zur Herbeiführung einer staatlichen Pensious- und Hinterbliebenenversicheruug der Privatangestellteu im Deutschen Reiche" veranstaltet Sonnabend, den 10. d. M., abends Uhr im Museu- haussaale, Pirnaische Strahe, einen öffentlichen Vortrags abend. bei welchem Herr Reichstagsabg. llr. Heinz Potthoss ans Berlin über „Staatshilfe und Selbsthilfe für die Privat- angestellten" sprechen wird.' Im Anschluh hieran wird jeder mann freies Wort zur Diskussion gewährt. Indem wir hierzu höflichst eiuladen, bitten wir gleichzeitig, m Be kannten- und Kollegenkreisen auf diesen interessanten Vor trag aufmerksam zu machen. Sonntag, den 17. d. M.. von 11 Uhr ab im Musenhause Versammlung zur Gründung eines allgemeinen Pensions-Verbandes der Privatbeamten im Königreich Sachsen. Jeden 2. Dienstag im Monat, abends O'/y Uhr, im Mnsenhaus Mitgliederversammlung. Tagesordnung: Vorstandsbericht nnd freie Anssprache. Reichenau. Vergangenen Mittwoch, den 0. April, nachmittags -1 Uhr fand die feierliche Grundsteinlegung zu dem hiesigen katholischen Kinderheime statt. Im Beisein der maßgebenden Persönlichkeiten der katholischen Pfarrgemeinde hielt Herr Pfarrer Lange eine Ansprache und bezeichnete den ersten Stein des Baues l. als den Schlußstein langjähriger Bemühungen nnd großer Opfer, hierbei allen edlen Wohltätern innigsten Dank und Gottes Segen spendend; 2. als einen Grundstein, welcher zu den schönsielt Hoffnungen berechtige und zu reichstem Segen unserer katholischen Pfarrgemeinde führen wird; 8. als einen Eckstein, der seine Bedeutung nicht nur für dieses Gebäude hat. sondern der uns auch hinweist auf den Eck- stein Christus, den in unserer Zeit so viele verworfen haben, auf dem aber unser Vertrauen allezeit ruhen wird. Nach der Weihe des Grundsteines erfolgte die Verlesung einer Urkunde, in welcher der kirchlichen und weltlichen Obrig keiten gedacht wurde mit dem Hinweise, daß die Gründung der Anstalt im Jnbilänmsjahre des Dogmas von der Verkündigung der unbefleckten Empfängnis der allerseligslen Jungfrau Maria geschieht. Eine zweite von Herrn Kirch- schullehrer Berit et verfaßte nnd verlesene Urkunde enthielt die Entstehungsgeschichte des Kinderheimes, welches im Hinblicke auf den heil. Josef, den Schutzpatron der christ lichen Arbeiter, den Namen „Josefsheim" führen wird. Beide Urkunden wurden in einem versiegelten Behältnisse in deit ausgehöhlten Grundstein versenkt und eingemauert« worauf Herr Pfarrer Lange die ersten drei Hammerschläge tat, welche sodann auch von den übrigen anwesenden Herren auSgeführt wurden. Zur besonderen Freude gereichte es, daß bei der Feier Herr Fabrikbesitzer Adolf (Nutte seinen an das Kinderheim angrenzenden großen Garten als Spielplatz zur Verfügung stellte. Die Einweihung wird voraussichtlich Anfang Juli statlfiudeu. Adorf. Wie uns nachträglich berichtet wird, brachte am 2. Osterfeiertage der hiesige kath. Männergesaugverein unserem Seelsorger anläßlich seiner Ernennung zum Pfarrer durch Vortrag von Liedern seine Gratulation dar. Für abends 7 Uhr hatte der kath. Geselligkeitsverein einen Familienabend eiuberufen, in welchem Herr Pistor namens des Vereins und der Gemeindemitglieder dem Herrn Pfarrer Mandel in bewegten Worten seine Wünsche ausdrückte. Herr Pfarrer Mandel dankte allen für die ihm bereiteten wohl gemeinten Ehrungen und bat die Anwesenden, auch fernerhin znin Segen der hiesigen Gemeinde mitzuarbeiten. Dem Dirigenten des Männergesangvereins wurde bei dieser Gelegen heit für die vielen Verdienste um denselben durch das Mitglied Herrn Furt ein schöner Elfenbein-Tirigentenüab überreicht. Vermischtes. V lieber einen Fall protestantischer Intoleranz wird dein Deutschen Volksblatt von der baperischen Grenze folgendes berichtet: In Koburg «Gotha» starb am -1. März der katholische Stadlpfarrer Fleischmann nach mehr als l l jähriger segensreicher Missionsarbeit. Mit hoher mini sterieller <!> Erlaubnis durfte, da Koburg zin Erzdiözese Bamberg kirchlich gehört, der katholische Dekan von Ebers feld bei Staffelstein die Beerdigung vornehmen. Auch war bestimmt worden, daß nur der Dekan mW Pfarrverweser im Talar und Ehorrock erscheinen dursten; doch wurde endlich gestattet, daß auch aridere l—0 geistliche Herren Ehorröcke anziehen dürfen. Aber es müsse beim seitherigen Beerdignngsbranche belassen werden. So ging denn der Leichenzng zum Friedhof. Aber keine Glocke läutete; nicht einmal die Glocken der katholischen Pfarrkirche, an welcher der Verstorbene so viele Jahre gewirkt hatte, dursten sich rühren. Laut ministerieller «!» Vorschrift mußte der Herr Dekan die Beerdignngsgebete deutsch beten. Ohne Gebet, ohne Miserere ging es zum Grabe. Das war verboten; doch gottlob! waren noch 8 Vaterunser und der Glaube gnädigst gestattet. Eine Grabrede hatte sich der Verstorbene, verbeten. Ein trauriger Grabgang! So geschehen laut Fr. V. in Koburg an: März l'.tol. Am andern Tag war der Tranergottesdienst: diesen wollte der spezielle Freund des Verstorbenen, früherer Reichstagsabgeordneter Geistlicher Rat Wenzel von Bamberg halten. Aber den öffentlichen Gottesdienst durfte nur der Pfarrverweser halten; hochw. Herr Wenzel durfte nur eine stille heilige Messe lesen, lieber dieses neueste Toleranzstncklein schweigt alles; freilich, inan muß ja über die Jesuiten und den Bischof von Meß schimpfen. Zn anderem hat man keine Zeit. — 76 — würdige Individuen lungerten noch herum, und der schwarze Diener der beiden Damen hielt sich in der Nähe. „Du wirst einen Auflauf verursachen, wenn du jetzt nicht ganz stille bist, Tante," flüsterte May, „komm' zum Wagen, man wird bereits auf- merksam auf uns." Die alte Dame sah sich scheu nach allen Richtungen um, und trotzdem niemand Notiz von ihr nahm, folgte sie willig wie ein Kind. Erst in den grauseidenen Polstern fühlte sie sich sicher. „Also mit den; Gedanken an diese Reise mutzt du dich vertraut machen, Tante," fuhr May eindringlich fort, „ich lasse keinen Einwand gelten!" „Nie! Lieber den Tod! Keine Macht der Welt wird wich auf solch ein schnaubendes, schwankendes Ungetüm bringen, das die Menschen abschüttelt, als seien sie Schneeflocken!" „Aber Tante, wer hat dir denn das eingeredet?" „Niemand, ich weiß, was ich weiß! Und in solch einem abscheulichen Kasten, den sie Bettstatt nennen, holt man sich dann die Seekrankheit. Tn weißt, daß ich mir erst kürzlich zwei Dutzend weißseidene Nachtjacken habe anfertigen lassen —" „Um so bester, Tantchen, die kannst du auf der Reise brauchen." „Was, die prachtvolle Seide sollte ich opfern? Um keinen Preis!" „Nun, nun, in Deutschland gibt es Wäschebazare in Menge!" „Kind, du wirst mich ernstlich erzürnen, »venu du noch ein einziges Mal auf diese unsinnige Idee zurückkommst." „Heute nicht, liebste Tante, aber ein andere- Mal!" Und ans Mahö braunen Augen blitzte der Mutwille. Was sie wollte, das setzte sie auch durch. 18. Herr von Lukado saß am Lager seiner Gattin, welche jetzt in ruhigem Schlummer lag, und ging seinen trüben Gedanken nach. Ilse hatte ihm von WaltenbergS Besuch nichs gesagt, sie wollte ihn, den sie mit so kindlicher Verehrung liebte, und den sie jetzt oft so bedrückt sah. nicht mit neuer Sorge belasten. „Du wirst doch heute, wo die Mama hier krank liegt, nicht noch ein mal drüben zu dem alten Herrn gehen?" fragte er stirncunzelnd, als er sah, daß sie den Hut aufgesetzt hatte. „Ich versprach es. Papa. Unter deiner Obhut ist Mama wohlgeborgen. Ich bleibe auch nicht lange fort." Sie ging. Das Herz klopfte ihr so ungleichmäßig; cö war, als wollte es den Schlag aussetzen, eine qualvolle Angst vor der nächsten Stunde schnürte ihr die Brust zusammen. Und doch war es notwendig. Klarheit zu erlangen, um handeln nnd vielleicht Schlimmes von den geliebten Eltern abwenden zu können. Es war inzwischen Nachmittag geworden. Drüben auf der andere'' Seite des Schlosses saßen die Bödows am reichbesetzten Kasseetische in dem behaglichen Bewußtsein, daß alles nach ihrem Wunsch ging. Ilse war ihnen doch recht im Wege gewesen, das erkannte man erst jetzt, nachdem sie von der Bildfläche verschwunden; daß sie nach jener Zurecht weisung hier wieder erscheinen könne, schien völlig ausgeschlossen. — 78 — „Map, aber Map. ich glaube gar, du weinst, trotzdem du weißt, daß ich Tränen in deinen Augen nicht sehen kann! So will ich es dir denn sagen, was mir fehlt: ich verzehre mich in Sehnsucht nach der Heimat, ich muß Europa und speziell mein Deutschland Wiedersehen, ja, ich muß!" Aller Trübsinn war wie hinweggeweht aus dem lieben, jungen Antlitz Mah's. „Warum hast du nur so lange gezögert, Heinz, »venu ich auch deine Sehnsucht nicht ganz versiehe, folgen kannst du ihr doch!" Die Trennung von dir wird mir schwer — ich wollte dir den Schmerz ersparen!" Sie öffnete weit, wie ein erschrecktes Kind die Augen, aber dann war sie auch schon wieder ganz Zuversicht. „Du nimmst mich mit dir, Heinz, das ist doch selbstverständlich. Tarne Betseh hat zwar einen Abscheu vor dem Wasser, aber mir z» Liebe nimmt sie eS mit der Seekrankheit schon einmal ans." Sie bemerkte garnicht, wie befangen nnd m .wtschlossen er dreinschaute, ihr lebhafter Sinn faßte den soeben ausgesprochenen Plan mit einer fast stürmischen Freude ans. „Du sollst nicht mehr traurig sein, liebster Heinz, ein Glück, daß du endlich gesprochen hast. Hurra! Das soll eine richtige Weltumsegelung werden! Wir fahren —" Er legte den Arm um ihre Taille nnd führte sie nach einer Wandbank, deren Polster mit weißer golddnrchwirkter Seide überzogen war. Zn beiden Seiten des Ruheplatzes breiteten seltsame Palmcnarten ihre tiefgrünen Arme ans nnd persteckte Springbrniuien ließen ihr fröhliches, erquickendes Plätschern hören, auf einer Bronzestange putzte ein Papagei sein herrliches Gefieder, und von Zeit zu Zeit ließ eine Spieluhr, deren Werk nur einmal an jedem Tage reguliert zu werde «brauchte, ihre silberhellen, bestrickenden Klänge hören. Und in diesem reizenden Winkel, der eigens für seliges Lieöesgeflüster geschaffen schien, erfuhr Mar» eine grausame Enttäuschung. Was sie längst geahnt und gefürchtet, ward ihr zur trostlosen Gewißheit: Heinz liebte sie nicht mehr. „Ich muß allein reisen, liebe, einzige Map, und du mußt verständig sein!" Ihr Herz erbebte, sa schnell vermochte es sein Leid garnicht zu fasten. „Nimm mich mit!" flehte sie, „ich beansvruche sicher keine Aufmerksam keiten von dir. Heinz, aber nimm mich mit. verdamme mich nicht zu diesem monatelangen Harren nnd Bangen, das widerspricht meiner ganzen Natur, nimm mich mit!" „Du mußt dich fügen. Map!" lautete die bestimmte, wenn auch im sanftesten Tone gegebene Antwort, „es sind triftige Gründe, die mich ver anlassen, allein zu reisen —" „Triftige Gründe? Mein Gott, dir droht doch wohl nicht eine Gefahr?" „Aber kleines Mädchen, wie kannst du uns beide so nuvloü quälen?" Ein Auslug von Ungeduld klang durch seine Stimme, „weder deinem Ver mögen, noch meiner Person droht ein Verlust, mein Wort darauf. Bist du mm zufrieden, kleine Grüblerin?" Map hatte die Augen gesenkt, die Lippen fest geschlossen, aber in ihrer jungen Brust arbeitete es heftig. Ihr Mädchenstvlz war soeben rief verletzt worden. Man hatte sie unzweideutig znrückgewicscn, und wo sie ans vollem Herzen vertraute, da harrte ihrer die bittere Enttäuschung. it>