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Beilage zu 262 ,,>äc6sii<chen Oolkszeitung^ Aus Stadt und Vaud. —* Eine neue Kampfesorganisation gegen Roin! (kz vergebt nahezu keine Woche, in wel- ckter nickt in unserem deutschen Vaterland irgend ein Fähn lein sich sammelt, das gegen das böse Nom anstürmen will. Der Synodalentag in Worms ist noch in aller Er innerung; aber nach dem Geständnis protestantischer Blätter ist derselbe bös verkracht. Von 18 000 preußischen Syno dalen waren gegen 15 Mann erschienen und was sonst in Worms sich tras, waren nahezu nur Pastoren, die ohnehin schon gegen Nom Sturm laufen. Jetzt ist in Leipzig eine „freie deutsche evangeli'ckte Konferenz" gebildet wor den! Ten Vorsitz führt der Geheime Kirchenrat Pank, der auch Vorstand des Gustav Adolph-Vereins ist; diese ..neue Personalunion", sowie die Gegenwart des Herrn I». Meyer aus Zwickau ist nickt ans dem Auge zu lassen. Wir habet! in der letzten Nummer von der Bedeutung der neuen Kör perschaft als Regulativ der protestantischen Selbständigkeit außerhalb des Evangelischen Bundes gesprochen; die Leip ziger Vereinigung hat hier für das gleichmäßige Vorgehen zu sorgen und unbotsaine Vereine zu Paaren zu treiben. Heute wollen wir auf den Standpunkt übergehen, den die Vereinigung zur katholischen Kirche eiiiniinint. Aus der Anwesenheit der Rom hassenden BundeSsührer kann inan bereits daraus schließen; die Tatsachen beweisen es. Als Redner traten auf Professor W a ch - Leipzig, der immer mehr in die Reihen der Noinhasser abschwenkt, und General superintendent 5t aftan - Kiel. Beide Referenten wiesen „mit Nachdruck aus das wachsende Fortschreiten des Ultra- montanisiiius und die Ohnmacht der evangelischen .Kirchen im öffentlichen und politischen Leben Deutschlands hin. die immer energischer und unaufhaltsamer zuin Sammeln nnd Zusammenschluß hindräugeu. Die evangelische Kirche be anspruche durchaus, ein selbständiger Faktor in unserem ofentlicken Leben zu sein." Und dann kam »nieder der Jammer über die Aufhebung des Artikels 2 des Jesuiten- gesetzes. Tie neue Gruppe bildete sich und will nun e»t- ichieden in den Kamps eintreten. Tie deutschen .Katholiken können nun gar bald die Zahl der protestantischen Organi sationen. die gegen sie gegründet »norden sind, nicht mehr überblicken: aber es wird ihnen deshalb noch nicht bange; ihre Einigkeit und das Vertrauen ans die gute Sache, die sie vertreten, gibt ihnen Kraft und Mut. alle»» Angriffen zu widerstehen. - * Aus der Mitte des sächsischen Gemeindebeamten- vereins ist die Einrichtung eines Familienrates f ü r G e in e i»» d e b e a in t e n angeregt »norden. Dieser Ge danke hat unter den Mitgliedern lebhaften Anklang und rege Befürwortung gefunden. Dieser Familienrat soll die Aufgabe haben, den Vereinsmitgliederu und den Hinter bliebenen auf Wunsch, insbesondere aber beim Tode von Vereinsmitgliedern der Witwe oder den sonstigen Hinter- lassenen mit Rat und Tat unentgeltlich zur Seite zu stehen, die Wege und Besorgungen, überhaupt die Erledigung aller mit dem Todesfälle in irgendwelchem Zusammenhänge stehenden Obliegenheiten abzunehmen und die Interessen der Hinterbliebenen im weitesten Umfange zu wahren. * Wo ist die Hilfe? Wie kann es der Pro- teslantisnius allein erreichen, die ..Zentrumsherri'chaft" iin Deutschen Reiche abzulösen und seine an deren Stelle zu setzen? Ter nationalsoziale Erpastor und Wanderredner Naumann hat am Sonnabend in Heidelberg, wo er einen Vortragszyklus hält, das Rezept verraten. Nach der „N. Bad. Ldsztg." (Nr. 521) sagte er: „Wenn der Pro testantismus wieder eine führende Stellung in der deutschen Geschichte einnehnien soll, so kann es nur geschehen durch die S o z i a l d e in o k r a t i e und den Liberalismus!" Nun begreifen »vir auch, daß der Evangelische Bund mit vollen Segeln im liberalen Fahrwasser schwimmt, »nd daß man der glaubenslosen Sozialdemokratie vor den christlichen Mitbrüdern katholischer Konfession de» Vorzug gibt. Ans alle Fälle ist es aber konsequent, vom Liberalismus und der Sozialdemokratie Hilfe für den Protestantismus zu erwar ten. Tenn der Vater des Liberalis in n s i st d e r P r o t e st a n t i s in u s, » nd der V ater der Sozialde in okratie i st der LiberaIi s in u s ! Tie komeguente Durchführung der protestantischen G rund p r i n z i p i e n s ü h r t zur Soziald e in o - kratie! Wurzen. Am letzten Sonntage hat die hiesige katho lische Pfarrgenicinde ein K i r ch weihfe st gefeiert wie nie zuvor. Durch die Mithilfe frommer Frauen war das Gotteshaus geradezu herrlich mit Blumen nnd Gnirlanden ausgeschinückt worden. Der Leipziger Kirckenchor der Trinitatiskirche hatte Mühen und Geldopser nickt gescheut und war 30 Mann stark ins nachbarliche Wurzen gekommen, um unter Leitung seines tüchtigen Dirigenten I. Hugo Löbmann in unserer Herz Jesu-Pfarrkircbe »nährend des feierlichen Hochamtes eine herrliche vierstimmige Messe zur Aufführung zu bringen. Meisterhaft löste der erakt ge schulte Elior seine Aufgabe: bald mild und leise, bald mächtig ertönte der a <mp,-IIri°Gesang nuiso ergreifender, als »vir ja sonst — da die so notwendige Orgel noch immer ebenso »nie das Gold zur Tilgung der drückenden Schulden last fehlt »nr die Klänge eines altersschwachen Harmo niums und oft ebenso schwachen .Kindersingens gewöhnt sind. Die ausgezeichnete Akustik der Kirche ließ anck die feinsten Nuancen deutlich wahrnehmen. Ergreifend wirkte vor dem heiligen Segen die immerschöne .Komposition des Dirigenten: „Was will das .Kreuz, das am Wege stellt?"; lautlos, als wenn niemand in der doch bis aufs letzte Plätzchen gefüllten .Kirche wäre; tiefe heilige Andacht atmend, betete die Gemeinde den an. Eine Marien.Komposition deS erbaiienden Gottesdienst. — Nicht gntbesnchte Nachmittagsandacht. O Gemeinden, die es immer so haben. An» Abend war das Kirchweihvorzeichen. Der große Saal des Bürger garte»" war bis ans den letzten Platz gefüllt, teilweise noch encharistischen Heiland Dirigenten schloß den minder schön war die wie glücklich sind jene der Nebensaal. Herr Pfarrer L a n g e bezeichnete in semcr Anspractx' als die fünf Mittel zum Zusammenschluß der Katholiken den Gottesdienst-, Vereins- und Religionsunter- richtsbesuch, das Halten einer guten katbolisckten Zeitung und Geselligkeitsabende. Ter Leipziger Kirchenchor hatte den Löwenanteil am Programm und Erfolge mit seinen gemischten Ebören, Solos und Zitbervorträgen, besonders zum Schlüsse mit dem innigen, meisterhaft dirigierten und gesungenen ..Winzerliede". Tie Bilder des Schnellzeichners Tr. Fir, Herrn Lehrers Rößler-Leipzig, unren bestens gelungen nnd riefen Beifallssturm hervor; einige Be geisterte bestellten zur Erlernung dieser Kunst schleunigst Herrn Rößlers Lehrbuch „Ter Schnellzeichner". Natür lich waren die trefflichen Darsteller im „Lieder!ictten Klee blatt", im „Sächsi'chen Nordpolsahrer" und in „Leiiebachs Ferienreise" »nieder Mitglieder des Leipziger .Kirchenchores; sie rnteten verdienten ranschenden Applaus. Tan» war Ball, bei schneidiger Mnsik des vollzähligen Stadtmusik chores. Tas diesjährige, unvergeßlich schöne Kirchweihfest hat sicherlich reichste Früchte des Glaubens und der An dacht. sowie des innigeren Zusammenschlusses der Pfarr- gemeinde gebracht, Früchte, die für de» opfersrendigen Leip ziger .Kirchenchor und seinen Dirigenten »vobl gewiß der schönste Lob» nnd Tank sind. Rödliti. Infolge epidemischen Auftretens der Maiern mußte hier die Schule geschlossen werden. Rhcinsdvrs. Einer schweren Scharlach- und Tipbte- ritisepidemie sind zahlreiche .Kinder zum Opfer gefallen. Gestern starben in einer Familie drei .Kinder. Lauter. An den Folgen einer schweren Verbrennung verstarb liier vor einigen Tagen die Tochter des Korb machers Brelm. welcher zwei Tage vorder durch Unvor sichtigkeit beim Eingießen von Petroleum in Brand geraten und alsdann ans die Straße geeilt war. Vermisstes V M e i n K iIId lügt! W i e t o IN IN l e n n dazu? io fragt bestürzt nnd bekümmert manche Mutter nnd trägt dock oft die meiste Schuld daran, daß ihre. Knaben und Mädchen lieber mit schlau ersonnenen Aus flüchten sich aus der Patsche Helsen, anstatt irgend ein Ver sehen ehrlich einzngestehen. „Wie die Alten snngen io zwitschern auch die Jungen." Tie Kinder hören, daß Mutter vor einem ungelegen kommenden Besuche sich verleugnen läßt, anstatt die wahre Auskunft zu geben; sie sei nicht zu sprechen. Sie achtet nicht der Gegenwart der .Kinder, wenn sie hinter einer Person her, der sie eben die schönsten Dinge ins Gesicht sagte, in markanter oder lästernder Weise redet. Wie oft sucht sie mit Hilfe der .Kinder irgend etwas von ibm zu erreichen. Wie häufig werden die.Kinder selbst belogen, indem man ihnen bei Anfällen von Trotz nnd Ungezogen beit goldene Berge verspricht, Wunderdinge znsagt, die nie Wahrheit werden. Man droht ihnen mit allein Möglichen, oder richtiger Unmöglichen, was passiere» wird, wenn . . .. oder man läßt sie an Bekannte, den Lebrer nsw. irgend eine — 130 — Kindes gewährt mir viel Vergnügen," murmelt Holdsworth, vergeblich be müht, seinen Worten Festigkeit zu geben. Es war vielleicht dies Zeichen unverkennbarer Erregung, was Dolly veranlaßte, ihn plötzlich schärfer anzusehen. Er schlug die Augen nieder, aber er fühlte, »nie ihre Blicke auf seinem Gesicht hafteten und dasselbe zu erforschen strebten. Doch wenn ibr seine Stimme auch eine teuere Erinnerung wachgerufen batte, so stand doch ihre Ueberzeugnng vom Tode desjenigen, an den diele Stimme sie erinnerte, so fest, daß der gespannte Ausdruck ihrer Mienen bald wieder in die frühere ergebungsvolle Gleichgültigkeit zurücksank. Wie hätte es auch sein können? Nicht fünf- nicht zwanzig Jahre, nicht ein ganzes Menschenleben voller Leiden und Mühsale hätten sein Gefickt so verändern können, daß ihre Liebe nicht die Maske durchdrungen hätte. Doch das unbeschreibliche Elend jener zehn Tage im offenen Boot hatte ihn dermaßen verwandelt, daß selbst das Auge der Liebe getäuscht wurde. Und doch, wer die Frau aufmerksam beobachtet und bemerkt hätte, wie sie den Fremden ansab, der sich beinahe ängstlich im Schatten der Wand zu verbergen suchte, »ver ihre gespannten Mienen, ihre unwillkürlich vornüber geneigte Gestalt gesehen hätte, der würde geglaubt haben, die Entdeckung stehe unmittelbar bevor. Die Stimme des Mannes hatte sie aufgeregt, doch sein Gesicht, seine ganze Gestalt gab ibr die Ruhe »nieder. Wohl legte sich ein Schatten von Traurigkeit auf ihre Züge, der vorher nicht dagewesen »var, dock unbefangen sprach sie »veiter: „Ich hoffe. Nelly ist artig gewesen. Herr Hampden?" „O gewiß, sehr artig!" Er schien zu denken, daß die Krisis überstanden sei, denn er atmete freier und nahm die Hand von der Stuhllehne. „Sie haben meinem Kinde so große Freude gemacht. Die Spielsachen sind eigentlich viel zu schön. Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen meinen Dank ausdrücken soll." „Von Dank kann auch gar nicht die Rede sein. Die Gesellschaft Ihres Töchterchens gewährt mir so viel Vergnügen, daß allein ich derjenige bin, der danken müßte." „Frau Parrot erzählte mir. daß Sie ein großer Kinderfreund wären. Wenn Sie Nelly einmal wieder haben wollen, schicke ich sie Ihnen gern." „Sie würden mir eine große Freude damit machen. Ich stehe ganz allein in der Welt und das muntere Geplauder des kleinen Mädchens erheitert mich nnd tut mir wohl." Dolly warf einen schnellen mitlcidgen Blick auf ihn und seufzte leise. Es fiel Holdsworth aus, daß ihr Anzug abgetragen aussah. trotzdem fand er sie aber nock schöner wie damals vor fünf Jahren, als er sie verlassen hatte. Ihre entwickeltere Schönheit verriet größere geistige Reife, und eine gewisse Mattigkeit ihrer Sprache und Bewegung gab den edlen Formen etwas Rührendes. Sie beugte sich zu dem Kinde nieder und streichelte ihm das Köpfchen. „Nun ist eS aber Zeit für uns zu gehen, Nelly. Gib Herrn Hampden einen Kuß und danke ibm artig für die schönen Spielsachen, die er dir ge schenkt hat." - 133 — Endlich schob Ncllv Teller nnd Tasse zurück. Holdsworth klingelte und gab Fra» Parrot heimlich den Auftrag, den .Kuchen und die anderen Süßig keiten in ein Paket zu packen, welches die .Kleine mit nach Hanse nehmen könne; dann faßte er sein Töchtercken an der Hand und ging mit ihm in den (Karten, wobei dasselbe die neue Puppe im Arm hatte nnd er das Pferd nnd den Wagen hinter sich Herzog. Im Garten »var ein Rasenplatz, ans welck>em eine Bank stand; hier setzte Holdsworth sich nieder, während Nelly zu seinen Füßen mit ihrem Spiel . zeug spielte. Es »var ein geräumiger altmodischer Garten, umgrenzt von einer alten Mauer, »velckie die Spuren mancher Jahrzehnte trug und mit Schlingpflanzen bewachsen »var. Mehrere große Birnbäume gaben etwas Sckxitten und an einem gebrechlichen Gitterwerk rankte einiges Spalierobst. Auf den Kies wegen wuchs das Gras wie ein Teppich und der Buchsbanni, der die Beete einsaßte, n>ar ungleich nnd buschig. Am Ende des Gartens stand ein alter Hühnerstall, de» ein Tralitgitter einhegte, und hinter diesem befanden sich Hühner, die in der Erde nach Würmern scharrten nnd innnter gackerten. Es gibt Stimmungen, in welchem ein Ort wie dieser uns zusagender ist. als ein Garten, der im Schmuck erotischer Gewächse prangt und mit höchster.sinnst gepflegt ist. Unser -Herz findet oft etwas so Friedcvolles und Besänftigendes in einfachen Sträuchern und alten Obstbäuinen, zwischen denen sich Hühner aus warme» Stellen sonnen oder in selbstgescharrten Gru ben im Sande bade», wie es kein Flöten der Nachtigall in stilvollen Park anlagcn ihm zu geben vermag. Auch Holdsworth empfand den wohltätigen Zauber seiner Umgebung und vergaß fast sein Leid in der Freude an seinem Kinde, das jetzt io mütterlich seine Puppe »tmzieren fuhr. Er überließ die .Kleine ihrem Spiel; erst als er glaubte, daß sie müde sein müsse, ries er sie zu sich. Eilig kam sie gesprungen und er hob sie auf sein .Knie. „Jetzt fürchtet sich doch Nelly nicht mehr vor mir?" „Nein, Nelly forchtet sich nicht; Nelly ist dir dut." „Wirst du jetzt jeden Tag kommen, um mich zu bestickten?" Die Antwort bestand in einem bejahenden Kopfnicken. „Ist dein Papa auch gut zu dir?" Er dachte, sie »näre gelehrt worden, den Zahnarzt als ihren Vater zu betrachten, darum stellte er die Frage in dieser Form, so schrrx'r ihm das auch wurde; aber es lag ihm daran, zu erfahren, ob sei» .Kind von seinem Sties Vater gut behandelt würde. Tic Frage setzte sie offenbar in Verlegenheit. Sie war noch sehr klein und besonders im Sprechen sehr zurück; indessen gerade deshalb war es uni so rührender, zu sehen, wie sie die zierlichen Augenbrauen zusanimenzog und Holdsworth mit ernstem Sinnen und halbem Verständnis ansab. Gleich allen Kindern, die eine Frage nicht zu beantworten wissen, blieb sie jedoch still. „Bekommst du genug zu essen?" Sic nickte »nieder. Eigentlich hätte sie hier ihr Köpfchen schütteln können; doch Holdsworth. welcher damals die Art der Kinder nicht kannte, fühlte sich beruhigt, denn er »nußte nicht, daß dieselben, so lange sie klein sind, häufig ihre Antworten so