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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020816027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902081602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902081602
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-08
- Tag 1902-08-16
-
Monat
1902-08
-
Jahr
1902
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Jedenfalls betrachtet d,e klerikale bayerische Presse die Kundgebungen ganz anders und nutzt sie genau nach den Anweisungen der „Germania" aus. So schreibt der „Bayer. Kurier", das Hauptorgan des bayerischen CentrumS: „Wären wir von parteipolitischem Egoismus erfüllt, so würden wir Victoria rufen, denn eine bester« Hilfe hätte das Centrum sich gar nicht wünschen können, als sie ihm durch dieses Kaiser telegramm zu Theil wird; denn eS ist der schwerste Schlag, der gegen das Ministerium Crailsheim geführt wurde. Die bayerische Regierung-Politik ist so schwach und unselbstständig, daß schon solche Reizmittel angewendet werden, wie sie das Kaiser- telegramm zeigt. Unterstützung von auswärts, von Preußen her, muß ihr zugeführt werden, um sie anzustacheln und ihre Autorität aufzufrischen. Aber nicht blos die Schwäche der bayerischen Regierungspolitik in den innerpolitischen Verhältnissen wird durch daS Kaifertelegramm in so drastischer Weise beleuchtet, soudern auch gegenüber dem Reiche und Preußen. Soweit hat es die bayerische Regierung durch ihr ewiges Nachgeben in der Reichspolitik gebracht, daß man im Reiche und in Preußen es für etwas ganz Selbstverständliches und Natürliches ansieht, offenkundig und vor aller Welt in bayerische Angelegenheiten «inzugreifen. Der Schatten, der dabei auf das HauS Wittel Sb ach fällt, wird wohl auch von der bayerischen Regierung peinlich empfunden; denn das Telegramm des Kaisers drängt geradezu die Frage auf: w«n nun einmal durch fürstliche Privathilfe die ver- lorenea Auustpostulate deS Landesbudgets ersetzt werden sollen, warum hat denn nicht das bayerische Königshaus, das ein erheblich größeres Hausvermögen besitzt, als die Hohen- zollern, nicht selbst und zuerst die Mittel gegeben? „Zugleich bitte ich Dich, die Summe, welche Du be- nöthigst, Dir zur Verfügung stellen zu dürfen, damit Du in der Lage seiest, im vollsten Maße die Aufgabe auf dem Gebiete der Kunst, welche Du Dir gesteckt hast, zur Durchführung zu bringen", heißt es in dem Kaisertelegramm. DaS ist sonst nicht die Sprache, wie sie zwischen Souveränen herrscht. Wenn man Almosenier ist, dann kann man gnädig und herablassend scheinen. Weit größer noch ist natürlich die Tragweite deS Kaisertele gramms in staatsrechtlicher Hinsicht. Nach ihr ist die Kund- gebung deS Kaisers zugleich «ine eminente Angelegenheit deS Reiches. Wir halten es mit Rücksicht auf das mon- archische Princip für höchst bedenklich, wenn ein Monarch in eigener Person sich in die Parteikämpfe stellt. Aber wogegen wir hier schärfste Verwahrung einlegen müssen, ist die Einmischung des Kaiser- in die Angelegenheit der Bundesstaaten. Mit dem Telegramm au den Prinz-Regenten Luitpold bezieht sich der Kaiser in das Gebiet Bayerns, und da ruft ihm das bayerisch« Volk entgegen: Majestät, noch ist das Haus Wittels- bach innerhalb der blau-weißen Grenzpfähle souverän, noch ist «S Herr im eigenen Hause. Der Kaiser hat nicht die geringste Competenz dafür, die bayerische Abgeordneten- kammer wegen deren Verhalten in einer rein bayerischen An gelegenheit der „schnöden Undankbarkeit" zu zeihen und seine „tiefste Entrüstung" und „Empörung" über sie auszudrücken. Diebayerische Abgeordnetenkammer wird entschlossen die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Landes wahren und das Telegramm des Kaisers zurückweisen. Aber auch der deutsche Reichstag wird nicht umhin können, Stellung zu diesem Telegramm zu nehmen; denn die Consequenzen, die man aus dem Kaiser-Telegramm ziehen kann, sind sür das Verhältnis der Bundesstaaten zu einander überaus bedenklich. Wenn das üblich wäre, was hier in dem Kaiser telegramm zum ersten Mal geschehen, dann würden für die bundesstaat liche Gliederung des Reiches schlimmeConflicte entstehen. Die Ant wort desPrinz-Regenten ist eine ablehnende. Hier, wie bei den Krisenvorgängen der jüngsten Zeit hat der Regent das Muster eines konstitutionell regierenden Herrschers gegeben, und die Dankbar keit durch ein streng loyales monarchisches Verhalten zu beweisen, ist eine Pflicht aller Centrumswühler. Das Kaisertelegramm wird in allen Kreisen ein Echo des verletzten Bolksempsindens wecken, im Sinne eines Triumphes über die Regierungspolitik der autoritätlosen Schwäche, die Bayern in solche Wirren versetzt, die Krone und Staat in die durch das Kaisertelegramm geschaffene Lage gebracht." Ganz im gleichen Sinne, nur gröber und noch giftiger, werden die übrigen bayerischen klerikalen Blätter sich äußern. Und wäre der Landtag versammelt, so würde in ihm ein noch ganz anderer Sturm sich erheben, als der, den die „Ausschiffung" deS Cultusministers v. Landmann entfesselte. Bor Allem würde daS Cabinel Crailsheim Antwort geben müssen auf die Frage, ob dem Wolff'schen Bureau wirklich, wie eS behauptet, der Wortlaut der Depeschen von München aus mitgetheilt worden ist. Bejahte es diese Frage, so würden die Fragesteller allerdings sehen, daß ihnen die kaiserliche Rüge von der eigenen Negierung um die Hälse gehängt worden wäre und di: Regierung also die Absicht hätte, den Kampf gegen daS Centrum mit aller Energie auf- zunehmen; ob aber dadurch die klerikale Kampsesweise gemäßigt würde, ist bei der Natur der Anhänger der Herren Schävler und Orterer doch noch sehr fraglich. Verneinte er die Frage, so würde sich die Wuth mit ver doppelter Schärfe gegen daS NeichSoberhaupt kehren. Dawider der Prinz-Regent, noch sein Ministerium daS wünschen können und daS Bekenntniß zu der Veröffentlichung der Depeschen auch nicht ohne Bedenken ist, so wird die Frage vorläufig Wohl ungelöst bleiben —wenn nicht das „Wolff'sche Bureau" redet, was nicht eben wahrscheinlich ist. Um so intensiver wird die Wühlerei im Lande betrieben werden. — WaS die außerbayerische klerikale Presse betrifft, so hat sie sich von der ersten Ueberraschung bereits erholt und tröstet sich ähnlich wie der „Westfäl. Merk.", der u. A. schreibt: „Das kaiserliche Telegramm erinnert in dem ungedämpften Ausdruck des ersten Gefühls an das bekannte „Entrüstungs"- Telegramm von 1895 nach der Ablehnung der Bismarck- Ehrung durch den Reichstag. Dem neuen Präsidium, das unter der Fahne des Cent rums stand, wurde von den Gegnern daraufhin «in schweres Leben in Ungnade und ein baldiges schlimmes Ende prophezeit. Das Centrum stellt aber noch heute den Präsi- Identen, und allerseits hat man sich mit den Folgen der Katastrophe von 1895 ausgesöhnt." Das letztere ist allerdings nicht richtig, jedenfalls aber hat daS Centrum die Erfahrung gemacht, daß nicht alle Blitze zünden und daß es selbst, auch wenn eS weder seine Natur, noch seine Ziele und seine Taktik ändert, im neuen Reiche nach Regen auch wieder Sonnenschein erwarten darf. Ungemein rührend ist es, zu beobachten, wie unsere poli tischen Gegner von rechts und links sich den Kopf der national liberalen Partei zerbrechen darüber, welchen Ausgang der allgemeine Telcatrtentag zu Eisenach nehmen werde. Diese merkwürdige Theilnahme an den Geschicken und Maßnahmen der nationalliberalen Partei dalict nicht erst von heule und gestern. Seit einer langen Reibe von Jahren bewachen unsere Gegner mit ArguSaugeu jeden kleinen Vorgang in der Partei, um durch eine etwaige abweichende Haltung eines oder auch mehrerer vereinzelter parlamentarischer Mitglieder einen trennenden Keil in die Gesammlbeil der Partei zu schieben. Derartige Anstrengungen ckarakterisirte der dahingeschiedene unvergeß liche Rudolf v. Bennigsen treffend auf dem Delegirtentag im Jahre 1898, unterließ aber dabei nicht, auf die Ge fahren der wirthschaftlichen Gegensätze hinzuweisen. Er führte damals u. A. aus: „Freilich droht uns die Gefahr, daß die wirthschaftlichen Gegen- sätze, die schon einmal zur Secession führten, eine Spaltung unter uns Hervorrufen. Doch muß ein Ausgleich gefunden werden; es muß der Kampf auf das Nothwendigste beschränkt werden um des allgemeinen Wohles willen. Vor Allem ist daher Eins nöthig, daß wir die größte Schonung und Rücksichtnahme auf die einzelnen Classen der Bevölkerung walten lassen. Wir selbst müssen wissen, was wir in unserem wirthschastspolitijchen Haushalt zu thun haben, und dürfen uns an die Rede» der Gegner nicht kehren. Früher las man in den radikalen Zeitungen, die National liberalen wären Knechte Bismarck's und thälen Alles, was er haben will. In konservativen Blättern stand zu lesen, daß die National liberalen dem Fürsten Bismarck ihre verderblichen Ideen auf gedrängt hätten. So ist es auch heute: Bald heißt es, wir hätten uns Len Agrariern verschrieben, bald, wir seien die Partei des Capi- taliomus und der Ausbeutung. Dadurch müssen wir uns nicht beirren lassen. Ich glaube, daß wir, die wir die Freude gehabt, die Einheit des Vaterlandes zu erleben, auch in der weiteren Entwicke lung des Vaterlandes mitarbeiten werden. Die nationalliberale Partei kann auf eine große Vergangenheit zurückblicken. Ich hoffe, daß sie sich in aller Zukunft ihrer großen Vergangenheit eingedenk und würdig erweisen wird." Diese Worte des Begründers der nationalliberalen Partei werden als sein Vermächtniß auch den Delegirtentag in Eisenach beseelen! Neber die künftige Haltung der Boercn äußerte einer Haager Depesche der „Daily Mail" zufolge der ehemalige Staatssekretär Transvaals, Reitz, sich jüngst wie folgt: „Ich unterzeichnete das Friedensprotvkoll in meiner Eigenschaft als Staatssekretär. Francois Willem Reitz als Individuum wird den Kampf fortseycn. Nein, wir gehen nicht unverzüglich nach Madagaskar. Es bleibt noch viel für die Afrikander zu thun übrig. Wir wollen fortab für die Gegenwart wirken. Ich bleibe hier. Weder Steijn, noch ich, werden den Kampf aufgeben. I)r. Leyds habe ich nicht gesehen. Mehr will ich nicht sagen." Die Bverengeneräle Botha, Delarey und DeWet sollen heute in England eintrcffcn. Bei ihrer Ankunft in Southampton werden sic von Vertretern des Eolvnialamtcs und auch von Lord Kitchcner empfangen werden. Alsdann werden sie an Bord eines Admiralitäts dampfers Zuschauer der Flottenrevue auf Spithead sein und Abends die Illumination der Flotte besichtigen. Morgen wird der König sie in Cowes an Bord der könig lichen Jacht in Audienz empfangen. Es ist möglich, daß sie vor der Weiterreise nach Holland auf einige Tage nach London kommen. Wie verlautet, sind die Vocrendclc- girtcn Wvlmarans, Fischer und Wessels nach Lonthamptou unterwegs, um Botha, De Wet und Delarey zu veranlassen, die englische Gastfreundschaft nicht anzu nehmen und dircct nach Brüssel zu reisen. Naturgemäß spielt bei den DiSeussivnen über die Verhältnisse in Süd afrika die A u s w a n d e r e r f r a g c eine hervor ragende Nolle. Lord Milner scheint sich darüber aller dings im Klaren zu sein, daß, wenn sich nicht geeignete Einwanderer in Transvaal und dem Oranjestaatc nieder lassen, die Aufschließung beider Länder sich noch lange hin ziehen mag; auch Chamberlain scheint die Ansiede lung von Engländern in den neuen Colonien für wünschcuswerth zu erachten. Englische Zeitungen, vor allen Dingen die „Times", geben von Zeit zu Zeit allerlei Anregungen, wie die Auswanderung zu fördern sei, und sind anscheinend ungehalten darüber, daß die Regierung bezüglich der Angelegenheit noch keine bestimmte Initiative ergriffen hat. Auch die„MorningPvst"beklagt sich darüber, daß bis jetzt nur Dienstboten in einzelnen Fällen Reise unterstützung gewährt wird, und macht darauf aufmerk sam, daß gerade im jetzigen Augenblicke Neigung zur Auswanderung nach Afrika bestehe und das Eisen ge schmiedet werden müsse, so lange es mann sei. Chamber lain solle ohne Verzug eine Erklärung abgeben, daß ge eigneten Applikanten freie Reise gewährt werde. Die jetzige Politik in Südafrika sei zn sehr darauf bedacht, eine Aussöhnung mit den Boeren hcrbeizuführen, während man die Interessen der eigenen Landsleute außer Acht lasse. Damit verhalte cs sich genau so, wie mit dem Freihandel, der anderen Staaten zu Gute komme, England selbst aber nur wenig Gewinn bringe. ve. EgaS Moniz, Professor der deutschen Sprache am staatlichen Gymnasium zn Bahia, ist ein muthiger Mann, denn er hat eS gewagt, in den brasilianischen Urwald m ara Sm u s hineinzuleuchten, ja, mehr noch, vor einem brasilianischen Gouverneur, vor brasilianischen Beamten und vor zahlreichen anderen Brasilianern ein Lob lied zu singen auf deutsche Culinr. Die Gelegenheit dazu gab ihm die Feier der Gradertheilung an die LaotiÄvois om 8eiv»cia8 « Istti-as, die etwa unserer Abiturienten entlassungsfeier entspricht. Hierbei richtete er nach dem „Urwaldboten" folgenden Mahnruf an die brasilianische Jugend: „In gleichem Maße wie der Patriotismus er lischt, wächst der jacobinische Geist erschreckend empor, jenes beklagenswertste Gefühl der unfähigen und daher neid erfüllten Völker. Statt, daß wir gewissenhaft den ernsten und fortgeschrittenen Nationen, als deren Urtyp Deutsch land zu bezeichnen ist, nachzueifern streben, äffen wir Frankreich alles nach, was es an Niedrigem und Lächer lichem besitzt. Wir geben zu, daß das brasilianische Volk zu 85 Proccnt in grausamstem Analphabetismus dastinlcbt, wir gestatten, daß man nationales Territorium theilt; wir schämen »ns nicht, daß Brasilien um Almosen bettelt, und mit der Aufgeblasenheit von Botokuden im Cylinderhut begnügen wir uns, auf unsere jungfräulichen Wälder, unsere Goldminen und unfern Amazonas hinzuweisen, während andere Völker studiren, arbeiten, vorankommen und mit gerechtem Stolze auf ihren Goethe, Schiller, Tante, Victor Hugo und Shakespeare weisen können." Dann verglich der Redner den gegenwärtigen Zustand der Feirilletsn. ... Das Fräulein von Saint-Sauveur. 12j Roman von Grsville. (N-LdruS verboten.) Langsam, gleichsam geblendet, schritt sie dahin. Er er griff ihren Arm, um sie zu stützen. „Setzen Sie sich hier einen Moment nieder", bat er. „Ich will nur einen anderen Rock anlcgen und komme so fort wieder." Damit verlieb er sie, die sich auf eine halbkreisförmige Marmorbank niedergelassen hatte, die unweit des ehr würdigen Gebäudes von einem ausgedehnten Eichenhaine beschattet war. Ungefähr in der Mitte der Bank sprudelte eine Quelle hervor, deren Wasser von einem kleinen Becken aufgefangcn wurde. Es war das ein herrliches Fleckchen Erde, wie geschaffen, um auszuruhen und nach- zudenken. Mit einem Male wurde sich Antoinette bewußt, wie absonderlich cs doch sei, daß sie sich hier bet Landry be finde, ohne Begleitung, ohne daß die Ihrigen Kenntniß davon hatten. Ueberwältigt von den blitzschnell aufetn- ander folgenden Ereignissen vermochte sie sich nur mit einiger Mühe der eigentlichen Veranlassung ihrer An wesenheit an diesem Orte zu entsinnen. Der letzte Seufzer des kleinen Knaben, das Gebet, das sie unbewußt gestammelt — hatte er es wenigstens vernommen? War sich die schwache, zarte Seele, die der verstümmelte Körper nicht mehr festhalten konnte, ihrer Worte bewußt ge wesen? Oder wenigstens ihrer Absicht? Sie hätte es so gern gewußt. Sie sah Landry wieder vor sich, wie er sich blutbedeckt zur Erde neigte, und mit einem Male erinnerte sie sich auch an den furchtbaren Schrecken, der sie herbcigetricben hatte.. . . Und da ward sie sich des Kummers, der Thränen gleichfalls bewußt, die sie vergaffen, bevor sic hierher ge kommen war. „Ach, Landry!" rief sie aus und preßte ihr Taschentuch an den Mund, nm ihr Schluchzen zu unterdrücken. Sic erhob sich, um nach Saint-Sauveur zurück- zukchren; er sollte sie nicht in Thränen gebadet sehen, sollte nicht wissen, daß sic um seinetwillen Thränen ver soffen. . . - Doch da war er -ereits zurückgekehrt, und vor sie hintretend, versperrte er ihr den Weg. Sie wäre fast versucht gewesen, zu glauben, daß sie nur der Spiel ball eines häßlichen Alpdruckes war; denn ihr Vetter, -er jetzt vor ihr stand, glich auf ein Haar der Person, die sie täglich in ihm zu sehen gewöhnt war. „Es war unrecht von mir, daß ich Ihnen zu bleiben gestattete", sprach er bedauernden Tones. „Ich habe Ihren Nerven zu viel zugemuthct . . ." Und als sie, statt zu antworten, nur verneinend den Kopf schüttelte, fügte er hinzu: „Seien Sie versichert, daß ich die Sache von ganzem Herzen bereue. Ihr Vater wird mit Recht auf gebracht sein." „Das ist cs nicht", erwiderte das junge Mädchen mit einem gewaltigen Versuch, seine Festigkeit wiedcr- zugewinnen. „Ich gebe ja zu, daß mich der Tod des armen Knaben aufgeregt hat, aber. . . aber . . ." „Also was denn?" fragte Landry, indem er sich angst voll über sie neigte. Er hatte sie gezwungen, sich wieder zu setzen, und als wollte er sie den Blicken Unberufener entziehen, blieb er dicht vor ihr stehen. Sie zerrte mit den Fingern an ihrem Taschentuch; dann blickte sie ihm frei und offen ins Gesicht, indem sie sprach: „Landry, Sie sind weit besser als ich! Und ich schäme mich, ja, ich schäme mich wahrhaftig darob, daß ich Ihnen Kummer bereite, ich, die ich Ihrer so wenig würdig bin." „Ich habe nur Kummer, wenn Sie welchen habcir", erwiderte er leise und nicht ohne Anstrengung. „Wenn Sie glücklich wären, so glaube ich, ja, glaube ich allen Ernstes, daß auch ich mir ein gewisses Glück zurcchtlegen würde, inmitten meiner Thiere und Angestellten." „Sie sind gut", sagte sic, „man liebt Sie, Sic machen sich nützlich! Ich dagegen bin zu nichts Anderem vor handen, als anderen Leuten Kummer gu bereiten — und mir selbst auch", fügte sic leiser hinzu. Er schwieg, da er seinen Gedanken keinen Ausdruck verleihen wollte, ans Furcht, daß er sic verletzen könnte. Sie war so rührend in der neuen Beleuchtung, in der sic sich ihm zeigte. Das war ja nicht mehr die alte Antoinette, und dennoch fürchtete er, sic für alle Zeiten zu verlieren, wenn er spräche. „Sie haben in Ihrem Leben zu wenig Pflichten zu er füllen", Hub er endlich langsam zu sprechen an, als suchte er seine Gedanken zu sammeln. „Erst die Pflicht verleiht uns Kraft und Muth. . . . Häiffig werden wir nur durch das Gefühl der Pflicht, namentlich der Pflicht gegen Andere, am Leben erhalten." „Vermöchte er denn anders -en Kummer zu ertragen, den ich ihm bereitete, wenn er diese Kraft nicht besäße?" fragte sie sich im Stillen. „Man hat Sie zu sehr verwöhsit, zu sehr verweichlicht, und trotzdem ist Gott mein Zeuge, daß kein Schatten Ihr Leben trüben würde, wenn es nur von mir allein ab hinge." „Ich weiß das", murmelte sic, „und ich danke Ihnen dafür." „Daß Sic leiden, muß Jeder sehen, der Augen im Kopfe hat. Wissen Sie aber auch, weshalb Sie leiden?" Sie schüttelte verneinend den Kopf, und das Gesicht des jungen Mannes erhellte sich. Mit einer plötzlichen Aufwallung sagte er: „Autoiuettc, sagen Sie mir die Wahrheit; ich habe ein Recht, Sie zu kennen. Lieben Sic Jemand?" „Nein!" erklärte sie entschieden, obwohl sich ihr Gesicht blutroth färbte. „Niemand!" „Dann verstehe ich wahrhaftig nicht . . ." „Nein Niemand!" wiederholte sic. „Nicht einmal Sie, mein armer Landry!" Sic hatte sich erhoben und sich weinend an seine Brust sinken lassen, beide Arme um seinen Nacken schlingend, wie zur Zeit der Kindcrjahre. Wie oft hatte er sic derart über ihre kindischen Leiden hinweg getröstet! Und so sprach er einfach: „Weinen Sic sich aus; machen Sie Ihrem Schmerze Luft. So wie ich wird Sic Niemand lieben." Sie ermannte sich alsbald, und die Augen noch voll Thränen, blickte sie ihn voll Dankbarkeit an. „Wie gern würde ich Sic lieben, Landry, wenn ich nur könnte!" sprach sic. „Allein ich sehe selbst nicht klar in mir, und dann fürchte ich . . „Was fürchten Sie?" „Daß ich Sie ohne Liebe heirathcn und dann einen..." „Einen Anderen lieben oder zn lieben glauben könnte?" ergänzte er mit ernster Stimme und wich einen Schritt zurück. „Wenn dem so ist, Antoinette, so staben Sie vollkommen Recht. Gott beschütze uns beide vor einem solchen Unglück. Gegen ein solches Unglück gäbe es leine Hilfe. Lieber möge Alles so bleiben, wie es ist . . . da Sie noch Niemand lieben. Und nun kommen Sic; ich will Sic nach Hause begleiten." Schweigend, niedergeschlagen und trotzdem gleicher Weise von einer schweren Befürchtung befreit, der ge heimen Befürchtung vor einer unbekannten Katastrophe, schritten sie dahin. Er hatte allzu sehr davor gezittert, daß sic Jehan lieben könnte, als daß er die Art und Weise, in welcher sic mit ihm gesprochen, nicht als Wohlthat empfunden hätte. Mit einem Male kam ihm ein anderer Gedanke. „Aus welchem Grunde waren Sie denn herbcigceilt?" fragte er. „Der furchtbare Schrei, der Stillstand der Maschine ... Sie hatten so absonderlich ansgesehen, als Sie von mir gingen . . ." Er zwang sic, still zn stehen, indem er ihr die Hand auf den Arm legte, und mit feierlichem Ernste sprach er: „Niemals, Antoinette, hören Sie wohl? Niemals werde ich eine Feigheit begehen. Denn eine solche wäre cs, in Ihnen Gewissensbisse zurückzulassen, und eine Feig heit wäre es nicht minder, so vielen wackeren Leute», die aus mich zählen, den Rücken zn wenden! Leien Sie ver sichert, daß ich nicht fahnenflüchtig werde. Und Sic . . . Sie hatten Furcht um mcinctstalbcn, und darum eilten Sie herbei? Oh, meine gntc Base . . ." Er wendete sein Gesicht ab, damit sie dessen Ausdruck nicht scheu könne; das junge Mädchen aber meinte: „Welch' ein Unglück, daß ich Sie weder lieben kann, wie Sic eS wünschen und verdienen, noch ohne Sie zu leben vermag!" Wie gerne Hütte er sie wieder an sich gezogen wie vorhin unter den Eichen, angesichts der verschwiegenen Quelle! Vielleicht hätte er den Versuch gemacht, diese noch schlummernde Seele für sich zu erwecken; allein da waren sie schon im Garten unter den Fenstern des Schlosses angelangt. „Sie werden voraussichtlich niemals erfahren", hob er sanften Tones von Neuem zu sprechen an, „wie kostbar mir die Worte sind, die Sie vorhin gesprochen, noch welche Dankbarkeit ick, Ihnen dafür weihe, daß Sic in einem ver meintlich gefahrdrohenden Augenblicke zu mir eilten. Sie werden cs nur in dem Falle erfahren, wenn Sic mir das Recht geben, Ihnen alle meine Gedanken zu enthüllen. Ieyt lann ick, Ihnen nur das Eine sagen, daß ich Isincn von ganzem Herzen danke." „Antoinette!" rief schon von Weitem Tante Laurence, die in höchster Aufregung hcrbeicilte. „Wie konntest Du nur hinübereilcn, um das schreckliche Unglück mit an- znschen? Das hättest Du nicht sollen . . ." „Antoinette ist untadclhast zu Werke gegangen und
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