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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020527028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902052702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902052702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-05
- Tag 1902-05-27
-
Monat
1902-05
-
Jahr
1902
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Gleichzeitig wäre es verfehlt, anzn nehmen, daß die Boeren schon auf dem Standpuncte angekommenwären,Beding ungen zuoffe- riren, mit denen sich England einver- standenerklärenkönnte. Ihre Art, zu verhandeln, wobei Vorschläge und Gegenvorschläge in allen ihren Ein zelheiten gründlich erörtert werden, habe sie aller Wahr scheinlichkeit nach unter einander selbst noch nicht einig werden lassen. Alles, was bis jetzt gesagt werden könne, sei, -aß der Frieden bedeutend näher gebracht sei durch einen Meinungsaustausch, der einen großen moralischen Eindruck hervorbringen müßte, ob nun dadurch ein end- giltiger Abschluß erreicht würde ober nicht. Die „Times" weisen dann darauf hin, baß eine große Anzahl der Unter händler selbst im Falle eines Friedensschlusses nicht gerade die günstigsten Aussichten im bürgerlichen Leben vor sich hat. Diese würden natürlich einen definitiven Abschluß der Feindseligkeiten so lange, wie irgend möglich, hinauszu schieben versuchen. Aber je länger die Verhandlungen dauern, je mehr sich die einzelnen Abgesandten mit Lord Milneri verständigten, desto geringer würde der Einfluß der „Unversöhnlichen" werden. Das Blatt kommt zu dem Schluffe, es sei gar nicht unwahrscheinlich, daß allerbingsdie „Unversöhnliche »"einedefi nitive Entscheidungvereiteln, aber sie würden dann die dem Frieden Geneigten nicht davon abhalten können, ihrerseits die Waffen niederzulegen, und sich auf eigene Faust mit der britischen Regierung zu verständigen. In solchem Falle würde natürlich das Schicksal der Weiter kämpfenden noch rascher besiegelt sein. „In jedem Falle", sagt daS Blatt, „können wir uns auf eine ganzeMassc individueller Actionen gefaßt machen, unab hängig von der Controls einer Majorität. Der Bortheil einer FriedenSproclamation durch Majoritätsbeschluß wird hauptsächlich darin liegen, daß die widerspenstige Minorität bald von der großen Masse der Boerenbevülkerung ebenso, wie von uns selbst, als vogelfrei angesehen werden wird." Oder auch nicht. Man lese folgende, viel wahrschein licher klingende Auffassung: * Pretoria, 26. Mai. t„Reuter'S Bureau ") Be- iresfs der FriedenSverhaudlungcn hat man in Südafrika vorwiegend h offn u« gSvokle f?!j Aussichten, und es muß gesagt werden, daß diese Aussichten eine solide Grund lage haben. Die Verlängerung der Conferenz ist nicht nothwendiger Weise ei« hossnuugsloses Zeichen. Wenn auch die Delegirten die Hoffnung aufgegeben haben, die Unabhängigkeit der Republiken zuwahren, so eS giebt eS doch noch mancherlei andere Puucte, über die eine Einigung noch nicht erzielt worden ist. SS besteht immer «och eine hartnäckigeMinder- heit,, die thatsächlich die Wiederaufnahme der Feind seligkeiten für -en beste« Ausweg ans der gegenwärtigen Lage ansieht. Jede« Angenblick können die «och nicht erledigte« Streitpnuct« zu eiuemAbbruchederVerhandlungensühre», und es ist höchst unwahrscheinlich, daß Die jenigen, die für den Frieden sind, den Kampfaufgeben,folangeei«ehi«reichende Minderheit den Kamps foptzusetzen wünscht. Alle diese Puucte find in Betracht zu ziehen, ehe man zu einem Urtheile über -en eventuellen Ausgang -er Verhandlungen gelangen kann. * Lon-o«, 26. Mai. Für morgen ist ein Cabinets» rath einberufen, wie man glaubt, um über die Antwort aus Pretoria auf die letzte Depesche -es Cabinets zu be- ratheu. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. Mai. Das officielle Organ des bayerischen Cen trums hält die Auflösung des Reichstags im Falle des Scheiterns des Zolltarises für ausge schlossen. Der Regierungsentwurf finde in unveränderter Gestalt fast nur den Beifall der Rationalliberalen, aber noch nicht einmal aller Mitglieder dieser Partei. Würde die Regierung den Reichstag auflösen, dann würde sie mit ihrer Wahlpolitik haltlos in der Luft schweben, denn un möglich könne sie sich stützen auf „die altersschwache undinsichgrenzenlvszerfahrenenational- liberale Parte i". Es ist ein arges Mißgeschick, daß in demselben Momente, in -em ein klerikales Blatt so von oben herab über die angebliche Zerfahrenheit der nationalliberalen Partei aburtheilt, ein anderes Blatt dieser Richtung den Beweis liefert, daß die Zerfahrenheit anderwärts zu suchen ist, als innerhalb der nationallibc- ralcn Partei. Die streng katholische „Rhein. Volkssttnrme" fällt in einem Artikel mit der wohlwollenden Ueberschrist „Will das Centrum seine treue st en Wähler vor den Kopf stoßen?", über den Centrumsführer Retchsgerichtsrath vr. Spahn her, der in einer Ver- trauensmänner-Versammlung in Bonn erklärt hat, die Commission werde hinsichtlich der Vichzölle zur Nachgiebig keit bereit sein müssen. Dazu bemerkt das rheinische Blatt: „Die Interessen derViehzucht sollen zu Gunsten der Industrie verschachert werden. Im eigensten Interesse des Centrums rathen wir, den Bau einer goldenen Brücke für die Regierung zu unterlassen. Die Baumeister könnten sehr leicht Schaden dabet nehmen." Seien die Minimalzölle für Vieh und Viehproducte nicht zu erreichen, so möge man den ganzen Tarif schwimmen lassen. Deutlicher kann die Zerfahrenheit innerhalb einer Partei doch nicht wohl documentirt werden. Ein Centrumsführer hofft, durch einen Compromiß mit der Regierung den Entwurf noch zu Stande zu bringen, und ein am Niederrhein einflußreiches klerikales Blatt verwirft jeden Gedanken eines Compromisscs! Und mit diesen beiden Gruppen innerhalb des Klerikalismus ist es noch nicht abgcthan) ebenfalls am Niederrhein macht die bisher dem Ccntrum so getreue katholische Arbeiterschaft mobil gegen die agrarischen Neigungen des Ccntrums. So sind also thatsächlich innerhalb der Wahlkreise des Centrums drei Gruppen vorhanden. Diese Zerfahrenheit der Partei ist im Uebrigen nichts Neues) sie hat sich im letzten Jahrzehnt wiederholt und ge rade bet den wichtigsten Fragen gezeigt, nämlich bei den Handelsverträgen von 1893/94 und bei den verschie denen Forderungen für die Verstärkung der Wehrkraft. Die nationalliberale Partei hingegen ist in den Wehrsragen vollkommen geschloffen, während in den zollpolitischen Fragen nur geringe Bruchtheile von dem Standpuncte der großen Mehrheit der Partei nach rechts und links etwas abweichen. So kann die nationalliberale Partei den künftigen Wahlen, die ja auch im Falle der Nichtauflösung bereits innerhalb Jahresfrist stattfinden, mit sehr viel mehr Ruhe entgegcnsehen, als das Ccntrum, das insbesondere in Oberschlesien und am Niederrhein heftige Kämpfe innerhalb seiner Anhängerschaft durchzufechten haben dürfte, Kämpfe, die in manchem Wahlkreise den Socialdemokraten, vielleicht auch den Polen, zu Gute kommen werden. Daß die natio nalliberale Wählerschaft mit der Haltung ihrer Partei ein verstanden ist, hat sich erst vor Kurzem bei den Reichstags ersatzwahlen in Celle und in Saarbrücken gezeigt) ob die Centrumswählcrschaft ebenso mit der Haltung ihrer Partei einverstanden ist, wird sich ja vielleicht demnächst bei der Ersatzwahl im Lieber'schen Wahlkreise herauszu stellen haßen, wiewohl von vornherein bemerkt sei, daß die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Centrums selbst dort nicht so zum Ausdrucke gelangen werden, wie es etwa bet einer Ersatzwahl in Düsseldorf oder Kempen am Niederrhein oder Beuthen oder Kattowitz der Fall wäre. Ihrem Mißbehagen über die neue Polenvorlagc und deren in Aussicht genommene parlamentarische Behandlung giebt die „Germania" folgendermaßen Ausdruck: „Am DienStag soll im Abgeordnetcnhause die erste Lesung der neuen Polenvorlage beginnen und damit sogleich die durch die Psingstserien unterbrochene Arbeit des Plenums wieder aus genommen werden. Den einzelnen Abgeordneten ist diese Vorlage in ihren Ferienaufenthalt nachgesandt worden,sodaß immerhin die geschäftsordnungsmäßige Frist, nach welcher ein Gesetzent wurf auf die Tagesordnung einer Plenarsitzung gesetzt werden kann, gewahrt wurde. Aber es wird nicht in Abrede gestellt werden können, daß dieser Vorgang ungewöhnlich ist, da den einzelnen Fractionen des Abgeordnetenhauses auf diese Weise so gut wie gar keine Zeit und Gelegenheit gegeben ist, sich auf die erste Berathung dieses Gesetzentwurfs in der her gebrachten Weise vorzubereiten, obschon derselbe einerseits so wichtig, andererseits aber nicht so dringlich ist, um eine der artige ungewöhnliche Beschleunigung der ersten Lesung als nothwendig erscheinen zu lassen. Es ist bisher immer die Regel gewesen, daß die Fractionen bei so wichtigen Vorlagen für die Vorbesprechung in den FractionSatzungen einen Referenten und einen Correferenten ernennen und dann erst nach Anhörung der beiden Referate in die DiScusfion einlreten. So wird es wenigstens in der Centrumssraction gehalten. Im vorliegenden Falle ist es aber so gut wie ausgeschloffen, da die Abgeordneten, selbst wenn sie Montag Abend wieder in Berlin eintrafen, kaum noch ein paar Stunden Zeit haben, mit ihren Fractiouscollegen über die neue Polenvorlage sich zu besprechen, die überdies in Betreff des Ankaufs neuer Domänen zugleich eine wesentliche Neuerung enthält. Wie wir hören, hatte ur sprünglich Herr Abg. Roeren die Absicht, am Dienstag zur neuen Polenvorlage zu reden; derselbe ist jedoch daran ver hindert, da ihm der Arzt wegen eines starken Bronchial katarrhs das Reisen vor Mitte der nächsten Woche untersagt bat. Im Uebrigen sind von demselben bereits am 16. v. M. bei den Etatsverhandlungen deS Abgeordnetenhauses über den AnsiedlungSfondS die Grundsätze des (Zentrums in dieser Frage dargelegt und die entschieden ablehnende Haltung des EentrumS gegenüber diesem System der Bekämpfung des PvlenthumS eingehend begründet worden." — Wir müssen gestehen, daß auch unS die schleunige Berathung der Vorlage nicht sonderlich gefällt. Man hätte ohne jeden Nachtheil den Fractionen vor der ersten Lesung Zeit zu einer gründlichen Besprechung lassen können. Daß daS nickt ge schieht, wird den kleinen Theil des CentrumS, der die Nolh- weudigkeit der Grundzüge des Entwürfe» nicht verkennt, schwerlich vergrößern. Nicht minder bedauerlich ist eö übrigens, daß der Abg. Roeren nicht gegen die Vorlage sprechen kann. Er würde eS mit seinem bekannten Uebereifer vielleicht fertig gebracht haben, schwankende Parteigenossen in das Lager der Freunde der Vorlage zu treiben. Nach einer anscheinend sehr genauen Statistik giebt es in Russisch-Polen gegenwärtig rund 850 000 Kleinbauern ohne einen Morgen Land, und etwa 600 000, welche nur einen Morgen, oder höchstens einen und einen halben Morgen Land besitzen und von ihm etwa drei Scheffel Getreide oder 12 Scheffel Kartoffeln ernten. Man kann also sagen, daß die kleinbäuerliche Bevölkerung, welche ohne Land besitz lebt, etwa ein Sechstel der Gesammtbevölkerung Russisch-Polens — nach der letzten Volkszählung etwas über 9 Millionen Köpfe — ausmacht. Hieraus erklärt sich die geradezu unheimliche Auswanderung aus Russisch-Polen, die von Jahr zu Jahr zuntmmt. Denn von den 10 Gouvernements Russisch-Polens haben nur zwei, Warschau und Petrikau, Industrie, in der die besitz losen Kleinbauern Beschäftigung finden. In den übrigen acht Gouvernements giebt cs weder eine Hausindustrie, noch hat -er Bauer Gelegenheit, durch Lohnfuhren u. s. w. etwas dazu zu verdienen. Die Besitzer der kleinen Güter and Vorwerke zahlen die denkbar niedrigsten Löhne nnd beschäftigen obendrein, besonders in -er Zeit der Ernte, sobald die Feldarbeiten dringlich sind, Militär, das noch niedriger gelöhnt zu werden braucht und außerdem in Massen zu haben ist. Wie sehr die Auswanderung in Russisch-Polen um sich greift, ersah man in diesem Früh jahre auch daraus, daß z. B. im Bezirke Lvmza mehr als die Hälfte aller Gestellungspflichtigen nach Amerika aus gewandert war und die andere Hälfte in Folge einer durch aus ungenügenden Ernährung für den Militärdienst größten- thcils untauglich war. Denn in der Hauptsache besteht die Ernährung des Kleinbauern aus Kartoffeln, Kraut, Butter milch und etwas Brod, während Fett und Schmalz schon als Luxusartikel gelten, von Fleisch u. s. w. ganz zu schweigen. Die russische Regierung hat nun vor einigen Jahren ein großes Uebersiedelungsbureau eingerichtet, welches die Aus. Wanderung aus dem europäischen Rußland, und besonders aus Westrußland, nach Mittelasien, dem Kaukasus und nach Sibirien leitet und organisirt. Jetzt wird nnn von diesem amtlichen Uebersiedelungsbureau auch tn Russisch-Polen und ganzWestrußland ein klcinesBuch inHunderttausenden von Exemplaren verbreitet, in welchem die Auswanderung nach Sibirien, nach den Ländern am Stillen Ocean, nach dem Berglande des Altai, das an die chinesische Mongolei an grenzt, empfohlen, und von -er Auswanderung nach Kanada, der nordamerikanischen Union, Brasilien, Argen- tintcn u. s. w. abgerathen wird. Trotzdem gehen aber — wohl überwiegend aus religiösen Rücksichten — die pol- Fsttillrtsn. 8s Gesellschastssünden. Bon Irmgard Sorrau. ttlle Sitchtc vorbrbaltm. Der Doctor zerbrach sich den Kopf, wie er wohl ein baldiges Wiedersehen ermöglichen könne, aber es wollte ihm gar nichts einfallen. „Nein", sagte er wehmüthtg, „es giebt wahrhaftig gar keinen Aufenthalt für einzelne Damen hier in diesem Neste. Verkehren Sie denn nicht mit einer der Stadtfamilten, zum Beispiel mit Bürger meisters?" „Nein, gar nicht, wir verkehren viel mit Fermann'S und Ukenkühl'S und mit noch ein paar anderen Familien, außerdem hat man ja so viele Verwandte. Wissen Sie, das ist so bei unS, man hat solch' regen Familiensinn. Jeder wird als verwandt gerechnet und wcnn's um tausend Ecken geht. SS ist aber sehr hübsch so. Bei Ihnen wird wohl nicht so gerechnet ?" „Nein", entgegnete er, und ein Schatten flog über sein Gesicht. „Baronesse müssen nicht vergessen, baß ich nur schlicht bürgerlich bin, nicht einmal vornehm bürgerlich", setzte er mit leiser Ironie hinzu, als er ihr erstauntes Ge sicht sah. „Ich kenne überhaupt sehr wenig Menschen auS Ihren Kreisen, ich habe mich mit Absicht stets davon fern gehalten." „Wie schade, dann kennen Sie also Niemand von all' Denen, die ich gern habe. Herr Doctor, Sie sind doch nicht etwa ein AbelShafser?" „Nicht ganz, nur halb, mein gnädiges Fräulein. Sie brauchen mich deswegen nicht so erschrocken anzusehcn, ich bin ein harmloser Mensch und thue Keinem ein Leid an. SS ist überhaupt ganz natürlich so, ich liebe meinen Stand und der paßt in Manchem schlecht zu dem Ihren." „Oh, Herr Doctor, und ich liebe meinen Stand. E» sreut mich, daß wir unS darin so gut verstehen können, ich glaube, bi« Liebe zu seinem Kreise ist dem Menschen angeboren, meinen Sie nicht? Halten Wie unS eigentlich für schlechtere Menschen?" Der junge Mann war sehr nachdenklich geworben. „Nein, für schlechtere gewiß nicht", sagte er träumerisch. „Es giebt sehr viel« Tdelinge, aber ich halte sie für Sonbernaturen, das heißt für Menschen mit besonderen LebenSansichten, besondevcn Vorlieben und besonderen Traditionen, die sich immer weiter erben. Meist sieht man's sogar am Acußeren, wer Aristokrat ist." „Sieht man eS mir an?" Der Gefragte sah das junge Mädchen prüfend an, nach einer längeren Pause gab er widerstrebend zu: „Ja, auch Ihnen sieht man's an." Darauf erhob er sich plötzlich, machte eine tiefe Verbeugung und cngagirte Minntc Bolz zur Quadrille. „Thor, Thor"", sagte er zu sich selbst, „wie kannst Du mit Deinen schroffen Ansichten Dich tn eine Baronesse Attenburg verlieben!" Er war auffallend liebenswürdig zu seiner Tänzerin, die ihm dafür sehr dankbar war und getreulich von allen kleinen Ereignissen berichtete, die kürzlich in Schwetzstedts Mauern vor sich gegangen waren. Charlotte stand ihm gegenüber an der Seite des Forst- afsefforS, er hörte, -atz sich die Beiden angeregt unterhielten nnd daß er ihr viele Schmeicheleien sagte, was ihn verdroß. Er sah hinüber — von dem Augenblick an war er ihr wieder verfallen. „Warum soll ich sic denn nicht lieben, warum überhaupt nicht heirathen, waS hat solch ein siebzehn jähriges Mädchen für feste Lebensansichten, es sind nur Schwärmereien und Ueberschwänglichketten, wenn die Liebe erst zu ihr kommt, wirft sie alle Bedenken über Bord nud gehört doch mir, und ich bin reich und unabhängig, ich licbe sic, sie soll Alles haben, was sie nur will und wird nichts vermissen, was ihr lieb ist." Er ließ seine Dame ruhig erzählen, that, als höre er aufmerksam zu und dachte dabet an Charlotte Attenburg als an seine Braut, als seine Frau, an all' das Glück, und wie schön eS erst wäre, wenn sie ganz ihm gehörte, wenn er Jedem, zum Beispiel eben dem Forstasscflor, verbieten könne, mit ihr zu sprechen nnd ihr Schmeicheleien zu sagen, wenn er sie küssen dürfte, so viel er mochte, wenn er sic plaudern und lachen hörte. Richtig, da lachte sie auch schon und ries zu ihm herüber: „Aber, Herr Doctor, Sie machen ja einen Fehler nach dem anderen, es ist doch jetzt die dritte Tour und nicht noch 'mal die zweitel" Er wurde roth und paßte nun bester auf) wenn er sich so hlamirte, konnte er ihr doch unmöglich im- poniren. Um halb zwei Uhr fuhren die Wagen wieder vor, bald darauf trennten sich auch die Schwetzstebter. Nur die jungen Herren blieben zurück und die Alten — soweit sie durften. Man ging noch in den RathSkeller, trank, rauchte und tauschte feine Ansichten auS, sie waren fast Alle be geistert von irgend einer der Damen. Der Forstaffcssor fang daS Lob von Charlotte Attenburg. Doctor Bütten hätte ihn dafür erwürgen mögen, stand aber doch lieber auf, grüßte hastig und trat den Heimweg an. Unterwegs wurde ihm aber so glückselig und so sehnsuchtsvoll zu Sinn, daß er umkchrte und ansing, denselben Weg ins Freie zu gehen, den „ihr" Wagen gefahren sein mußte. Nach un gefähr einer Stunde blieb er stehen, schüttelte den Kopf, sah träumerisch die schnurgerade Strecke entlang, die vor ihm im Dämmcrschetne lag und trat zum zweiten Male seinen Heimweg an. Von diesem Gcsellschaftstage an war er ein Anderer ge worden — er litt an der Sehnsucht nach ihr, war aufgeregt und nervös. Ging er Abends zu den Herren ins reservirte Zimmer, so war er anfangs auffallend lebhaft, erzählte, ließ sich erzählen, spielte mit Passion Scat, was er sonst nie gern gethan hatte, wurde dann unmotivirt schweigsam und finster, stand vorzeitig auf und ging nach Hause. Jeden Tag nach seinem Dienste wählte er denselben Spaziergang, cs war der Weg, der nach Erlcnhof führte, wo die Alten burgs angesessen waren, und jeden Tag ward er dabei auf geregter auf dem Hinwege nnd elender auf dem Rückwege. Nach ungefähr vier Wochen sah er den bekannten Wagen mit den Rappen von Weitem angcfahrcn kommen, und je näher das Gefährt ihm rückte, desto heftiger schlug sein Herz und alles Blut strömte nach seinem Kopfe. — Im Wagen saßen die Baronin, Baroneß Stbonie und eine fremde junge Dame, Charlotte war nicht dabei. Bor Schmerz über diese neue Enttäuschung hätte er aufschreien mögen. — Seit jenem Tage ging er nie wieder den Weg. Im Erlcnhof ahnte man nichts von Allem, was der Doctor empfinden mochte. Man war damals nach jener Gesellschaft wegen des durch Regen anfgewcichten Weges zwei Stunden bis nach Hause gefahren, unterwegs wurde wenig gesprochen, gegen Ende der Fahrt überhaupt nicht mehr, Jeder lehnte in seiner Wagcnecke, schlief oder träumte vor sich hin. In ihrem Zimmer thanten bann die jungen Mädchen wieder auf, fingen an abwechselnd zu er zählen, lachten über die komischen Damen, die sie von Zeit zu Zeit so sonderbar strafend angesehen hätten, Uber das spaßhafte Souper, und als sie gar nichts Besseres mehr wußten, über den Violinspieler mit der Künstlermähne nnd wie er seinen Kopf nach dem Tacte hin nnd her bewegt hätte. Kurz, die Beiden waren sehr übcrmüthig und ver- gnügt. Charlotte stand vor dem Spiegel und flocht ihr lange» blonde» Haar. „Sah ich eigentlich hübsch au», Donie?" „Ja, Lotte, Du sahst sogar schön auS. Und wie sah ich denn auS?" „Oh, auch sehr hübsch, auffallend hübsch * „Du bist viel, viel schöner als ich, Lotte!" „Ach, Unsinn!" „Nein, doch, ganz sicher. Ich kann Dir das gleich be weisen. Du bist erst siebzehn Jahre alt, es ist Dein erster Ball, und gleich hattest Du zwei Curmacher. Mir ist in Dornstedt so was nicht passirt, ich hatte zuerst gar nicht so viel Glück." „Dafür hast Du jetzt Baron Grüneberg, der überhaupt nicht von Deiner Seite wegzubringen ist, weder mit List, noch mit Gemalt." Sidonie lächelte glückselig. „Das ist wahr, Lotte, aber ich bin auch schon neunzehn Jahre alt, das ist ein großer Unterschied. Freilich ifts dafür auch ein Baron", setzte sie wichtig hinzu. „Na, siehst Du, zu einem Baron habe ich's noch nicht gebracht, die beiden Herren, die besonders nett zn mir waren, der Referendar und der Assessor, die sind bürger lich, schlicht bürgerlich, und der Eine davon ist noch da;u ein halber Adelshasser! Aber daS ist mir ganz gleich, wenn mir nur die Menschen gefallen und ich ihnen." „Aber, Lotte, waS für Ansichten bas sind, wenn daS nun die Eltern hörten. Du darfst doch nie einen solchen Herrn heirathen!" „Ach, Du Weise! Nicht? Warum denn nicht? Wenn er mir gefüllt und ich ihn licbe und er mich auch liebt, dann hetrathe ich ihn doch, gerade erst recht, weißt Dn! Es ist mir toutv ob er da bürgerlich ist, oder ein Prinz vom Südpol. Ich hetrathe ihn eben! Weshalb soll ich überhaupt Ansprüche machen? Ich muß froh sein, wenn mich ein Mensch gern hat." „Ach, Lotte, Du bist doch noch ein rechtes Kind. Froh sein, daß Dich Jemand leiden mag, wenn man so schön und so gut ist wie Du!" „Ich bin dafür arm." „Eben, gerade deshalb mußt Du Ansprüche machen. Wir muffen hochkommen, die Menschen sollen vor nns Respcct haben, und um das zu erreichen, müssen wir resch und vornehm heirathen und in den Kreisen verkehren, denen wir einmal durch unsere Geburt angehvren. Hei- rathet ein reiches, vornehmes Mädchen au« Liebe einen armen Mann ans einfacher Familie, so wird ihr -icS nie mals etwa» schaden, eS wird sich stet» Geltung verschaffen nnd — vor den Augen der Welt hat sie ihn au» Liebe ge nommen. Nnn umgekehrt, eS heirathet ein arme», vor nehmes Mädchen einen reichen Mann au» dem Kreise, auch auS Liebe — so werden ihr LaS die Wenigsten glauben
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