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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020709025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902070902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902070902
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-07
- Tag 1902-07-09
-
Monat
1902-07
-
Jahr
1902
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70-—. Ännahmeschluß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Ahr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr, Anzeigen sind stets an die Ex-edition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SO. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Juli. Zu dem Beschluß des Centralvorstandes Ver national liberalen Partei, im Herbst d. I. einen Parteitag ab zuhalten, bemerkt ein Berliner Organ der Freisinnigen Ber einigung: „Es fehlt nicht an Politikern, die den Muth des nalionalliberalen Centralvorstandes bewundern, gerade „in diesen schwierigen Zeiten" einen allgemeinen Delegirtentag einzuberufen. Den» keine Partei steht dem Zolltarif so ohnmächtig gegenüber wie die nationallibcrale; Agrarier und industrielle Schutzzöllner sitzen neben Abgeordneten, die wenigstens den Versuch machen, die Fluth der Tariferhöhungen etwas einzudämmen." Die „Politiker", die das freisinnige Blatt inspirircn, er mangeln des sür Leute, die für wirkliche Politiker gepalten werden wollen, nvthigen Existenzminimums an Logik, Kein Mensch, weder innerhalb noch außerhalb, hat die national liberale Parteileitung gezwungen, jetzt einen Deügirien- tag auszuschreiben, die Einberufung ist auch nicht aus dem Lande heraus veranlaßt worden. Ter Gedanke ist vielmehr geistiges Eigenthum ter Partei leitung und hat allerdings, nachdem er von dieser aus gesprochen war, allenthalben im Kreise unserer politischen Freunde Beifall gefunden. Die Parteileitung, das ist auch den Herren von der freisinnigen Bereinigung nicht unbekannt, kennt die Stimmungen und Strömungen innerhalb dcö eigenen LagerS und im Centralvorstande, der die Abhaltung des DelegirtentageS beschlossen hat, sind alle Schattirunzen, die die nationalliberale Parteisarbe ausweist, vertreten. Wenn nun diese Stellen eine allgemeine Aussprache herbei führen, so ist, da ihnen in der nationalliberalen Partei überhaupt selbstmörderische Absichten nicht uachgesagt werden, die Bewunderung deS „MutheS" des Centralvorstandes, mit der sich ernstfreisinnige Politiker haben erfüllen lassen, eine ganz unnöthige und unmotivirte Gefühlsbewegung. Ein Unternehmen, daS muthig genannt werden darf, muß mit einer Gefahr verbunden sein, und eine solche erblickt innerhalb der nationalliberalcn Partei für die Partei Niemand. Wenn man „Selbstsicherheit" statt „Muth" gesagt hätte, so wäre das Unheil verständig gewesen. Es darf allerdings nicht jede Partei, in dieser Zeil, die nur ein Thor nicht für „schwierig" ansehen wird, dem frischen Luftzug einer Aussprache von Partei genossen aus allen Theilen des Reiches sich aussetzen. „Meinungsverschiedenheiten", darin hat das Berliner Blatt recht, werden in Eisenach zu Tage treten, möglicherweise sogar, wie eS meint, „tiefgehende", aber Meinungsverschieden heiten, die der Rede werlh sind, bilden den einzigen Existenz grund sür allgemeine Parteiversammlungen. Wenn man nur zusammenkommt, um sich zu sagen, daß man sich eigentlich nichts zu sagen hat, so bleibt man besser zu Hause oder besucht irgend ein Fest, bei dem die Zwecklosigkeit programmatisch ist. Man merkt dem Ausspruch des Berliner Blattes an, daß die Herren der Freisinnigen Vereinigung aus der von Eugen Richter befehliglen deutschfreisinnigen Partei hervor- oder durch sie hindurchgegangen sind. Wer, wie heute noch in der freisinnigen Volkspartei geschieht, Jahre lang die Knute KirchhosSruhe hat erzwingen sehen, dem muß die Schaffung, sozusagen die Anordnung der Gelegenheit zu freiem Meinungsaustausch und zu ungescheulen Willenserklärungen freilich, besonders in der nationalliberalen Partei, imponiren. Die Meinungsverschiedenheiten, die wesent lichen wenigstens, sind wirthschaslspolitischer Art, und eine weitgehende Freiheit auf diesem Gebiete gehört bekanntlich seit achtzehn Jahren zu den Grundgesetzen dieser Partei. Umgekehrt ist die freisinnige Vereinigung gerade diejenige Partei, die auf nichts Anderem, als der Gemeinsam keit wirthschaftlicher Anschauungen beruht. Sie zählt zudem so wenig Köpfe, daß eS kein Wunder ist, wenn in ihr nicht „viel Sinn" auftaucht. Und dennoch ist auch in diesem engen Kreise mehr als einmal ein Apfel vom Baume der Erkenuiniß genossen worden, die nicht die Elkenntniß der, wenn der Ausdruck noch erlaubt ist, Gesammtheit war. Die Mittellaudcanalvorlage z. B. ist doch eine wirthschaftliche Angelegenheit. Als sie erschien, fand sie einen ihrer ent schiedensten und rührigsten Gegner in einem Mitgliede der freisinnigen Bereinigung, die ihrerseits Feuer und Flamme für die Wasserstraße war. Erst als aus der wasserwirth- schaftlichen Vorlage etwas wesentlich Anderes wurde, als sie ursprünglich gewesen, schwand diese wirklich tiefgehende Meinungsverschiedenheit aus der Fraction. Daß dieser übrigens auch ein Mann angehört, so agrarisch, daß Herr Richter von ihm gesagt hat: „Ein schöner Liberaler", sollte doch einem Preßorgan der freisinnigen Vereinigung ebenso bekannt sein, wie die Thatsache, daß in keiner der Parteien rechts vom Freisinn so viel Aus sichten auf eine schließliche Einigung, sür die Regierungs vorlage nämlick, vorhanden sind, als in der national liberalen. Die dem Zolltarif gegenüber angeblich „ohnmächtige" Partei wird sür den heikelsten Theil des RegicrunasentwmfS nahezu so viel Stimmen stellen, als sie Mitglieder zählt. Die Freisinnigen, die sich zu den lantwirlhschastlichen Zöllen rein negaiiv verhalten, haben es in diesem Puncte leicht, „geschlossen" anszntreten. Wir wollen aber abwarlen, ob bei der letzten Ent- süi.iLung über die Jndustriezölle bei gewissen Positionen aus der freisinnigen Bereinigung heraus nicht verschieden votirl werden wirb. „Ohnmächtig" werden wir aber auch das nicht nennen. Das Wort bezeichnet einen Zustand, der bei der Gruppe Rickert-Barth ein Geburtsfehler ist und über einen solchen soll man nicht spotten. Nachdem Herr v. Lo'e sich mit so herzlicher Anerkennung über Cardinal Nampolla und dessen bekannte Gesinnung gegenüber Deutschland ausgesprochen, konnte man sich schon auf einige vaticanische Liebenswürdigkeiten gefaßt machen. Diese liegen jetzt gedruckt vor; es sei hier wiedergegeben, was der „Osservalore Caltvlico" auf die Rede Herrn v. Loö's zu erwidern bat. Bemerkt sei, daß dieses Blatt sich der unmittelbaren Inspiration Nampolla's erfreut, sür dessen Eingebung man es auch nehmen muß, wenn cs heißt: „Nach der Aachener Liede Les Kaisers die Bonner Rede seines Generals! Man sieht, Alles war gut vorbereitet. Kaiser Wilhelm, vertrauend auf die Bekräftigungen seines Abgesandten, be kräftigte, daß der heilige Vater gesunden habe, Deutschland sei unübertrefflich an religiöser Duldsamkeit. Natürlich machten die deutschen Katholiken ihrerseits Vorbehalte über die Bekräftigungen des Herrn von Loo. Darauf bekannte dieser Farbe in Bonn. Er sprach vorn Hl. Vater, von Frankreichs Heer und vom Cardinal Rampolla. Soweit es sich um die französische Armee handelt, bittet jetzt die Pariser Zritungswelt den „guten" Preußengeneral, gefälligst seine Nase in die eigene Küche zu stecken und ganz still zu sein. Die Worte des Heiligen Vaters und diejenigen des Cardinals 3i am polla betreffend, würde der „gute" General gut daran thun, sich etwas mehr in Acht zu nehmen um dadurch die Absicht dieser letzten Manöver weniger durchsichtig werden zu lassen und damit die Grundlage von Allem I" Das ist grob, aber lehrreich. Was von der aufrichtigen Deutschfreundlichkeit Nampolla's zu halten sei, dürfte nun auch Herr v. Los zu erkennen vermögen. Der Bctter-Handcl setzt immer noch Hunderte von Fevern in Deutschlano wie in der Schweiz in Bewegung, ein Beleg dafür, daß demselben doch eine liefere Bedeutung beizumessen ist. Dem wird jetzt allerdings von Schweizer Seite wider stritten. So erhalten wir folgende Zuschrift: Uns will scheinen, man messe in Berlin dem Senatsbeschluß der Berner Universität sowohl als dem Rücktritt des Professors Vetter und der ganzen Affaire eine Bedeutung bei, die ihr im Grunde nicht zukommt. Weder die Katzenmusik (an der übrigens das Corps der Helveter nicht theilnahm), noch der Senatsbejchluß dürfen als Ausdruck der politischen Gesinnung Les Schweizervolkes aufgefaßt werden. Die Rede Vetter's war vielmehr nur der willkommene Anlaß, um d e persönliche Abneigung gegen Len Herrn Professor, der sich schon seit längerer Zeit mißbeliebt gemacht hat, ein mal ausdrücklich zu sormuliren. Daß Herr Vetter die Katzenmusik nicht hinnahm als das, was sie ist, eine ebenso traditionelle als über- mülhige Form, ans welche die akademische Jugend als ein Hoheits recht pocht, um einem Professor ihr Mißfallen zu bezeugen, beweist nichts Anderes als eine allzu große Empfindlichkeit dieses Herrn. Er hätte sich ein Beispiel nehmen sollen an einem Rector der Züricher Hochschule. Als dieser den Beschluß der Stu denten vernahm, daß sie einem Professor ein derartiges „Ständchen" bringen wollten, machte er sie darauf aufmerksam, daß die Gemahlin des betreffenden Professors krank Larniederliege. Tie Studenten bedauerten, behaupteten aber, der einmal gefaßte Beschluß müsse ausgesührt werden. Darauf half ihnen der Rector aus der Verlegenheit, indem ec die Studenten einlnd, die Katzen musik ihm selber zu bringen. Bei einem gemüthlichen Schoppen in einer benachbarten Gartenwirthschast wurde der „tragische" Conflict dann gründlich ausgetragen, und Alles löste sich in Wonne auf. Daß Oberlichter Hcllmnller, der Len giftigen Artikel gegen Vetter schrieb, diesem persönlich abhold war, geht daraus hervor, Laß er selber an der Katzenmusik theilnahm, was gegen alles Herkommen geht. Wie viel persönliche Rancünen dann in einem Cenatsbeschluß gelegentlich zum Durchbruch kommen können, weiß jeder, der je hinter die Coulisjen von UniversitätSbehürLen gesehen hat. Die schweizerische Presse hat denn auch aus dem Fall kein Aus heben gemacht und ihn im Großen und Ganzen als das betrachtet, was er ist. Mit Recht giebt sie dagegen dem Bedauern darüber Ausdruck, Las I. W. Widmann, der geschützte Nedactcur Les Feuilleton Les „Bund", in welchem Blatte Ler Hellmüller'sche Artikel erschienen war, seinen Rücktritt von der Redaction erklärte, um gegen die Ausnahme des unwürdigen Geschreibsels zu protestiren. Widmann hat dem Fall zu viel Ehre erwiesen. Daß man in der Schweiz im Allgemeinen über das Verhältnis; zwischen dem kleinen Staat und dem großen Deutschland ganz anders denkt, als die paar studentischen Hitztöpfe in Bern, beweist u. A. die günstige Aus nahme, welche Ler kürzlich auch im „Literarischen Ccntralblalt sür Deutschland", begr. von Fr. Zarncke, als ein bedeutendes Werk be sprochene Roman Adolf Vügtlin's, „Das neue Gewisjen", in der Schweiz gefunden hat, und der vor einigen Monaten in zweiter Auslage erschienen ist. Dieser Roman hat Le» Lcutfch- sranzösischen Krieg und den sogenannten „Deutschenhaß" der Schweizer zum Hintergrund, und es wird darin dem Schweizervolke im Kriegs fälle ein noch engerer Anschluß an die deutsche Nation dringend nahe ge legt. Das Buch bat den Beifall Les Volkes sowie aller Gebildeten gefunden; es ist sogar von einem Professor der Theologie im Seminar mit den Studenten behandelt worden, ohne den geringsten Anstoß zu erregen. Ferner haben hochstehende schweizerische Ojsi- ciere öffentlich in Broschüren von Ler Nothwendigkeit Les Zusammen, wirkens der schweizerischen Armee mit der deutschen — im Falle eines europäischen Krieges — Zeugniß abgelegt und benutzen die Forderungen, welche Deutschland sür einen solchen Fall an die Kriegslüchtigkeit unserer Armee stellen müßte, als Motiv und Hebel, um diese so rasch als möglich zu heben und zu reorganisier». Die Vorschläge sind trotz Ler Neutralitätserklärung der Schweiz in der Presse mit dem nölhigen Ernste besprochen worden und haben dem Volke die Augen entschieden geöffnet. Diese Thatsachen sprechen deutlich genug dafür, daß die Schweizer im Allgemeinen nicht nur ihrer Bluts-, sondern auch ihrer Interessengemeinschaft mit den Deutschen bewußt sind. Wie wohl sich ferner die in dec Schweiz reisenden Deutschen hier aufgehoben fühlen — Aus nahmen gibl's ja selbstverständlich immer, so lange es rauh beinige Schweizer und rauhbeinige Deutsche gibt — braucht nicht erörtert zu werden; die 44 000 Deutschen, die im Sommer 1901 Luzern besucht haben, mögen es bestätigen. Die hauptsächlich in den Städten Zürich, Basel und St. Gallen ansässigen Deutschen, welche hier ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, werden ebenfalls nicht zurücksteheu, wenn es gilt, zu bezeugen, daß der Schweizer unter den Ausländern am liebsten mit dem Deutschen verkehrt und daß er dessen gute Eigenschaften nicht nur wohl zu schätzen weiß, sondernihmSympathie entgegenbringt. Die Blutsverwandtschaft, die Gemeinschaft der Sprache und der culturellen Interessen, nicht zuletzt Ler materielle Verkehr sind Bande, welche unser Volk immer enger mit der deutschen Nation verbinden müssen. Schiller's „Tell" ist nicht umsonst unser erstes „Nationaljchauspiel" geworden. An dem geistigen Zusammenwirken der Schweiz mit Deutschland, an dem immer enger werdenden Zusammenschluß der beiden Völker sollen Schildaer Stücklein, auch wenn sie in der Bundesstadt Bern gespielt werden, nichts ändern! Also nur nichts ausbauschen! Ein Schweizer. So ganz harmlos, wie eS hier geschildert wird, erscheint uns und dem größten Theile der deutschen und auch der deutsch-österreichischen Presse der Fall. Letter freilich nicht. Jedenfalls hat man es nicht blos mit einer halb ernst, halb scherzhaft gemeinten Studentendemonstration zu thun, über die allerdings ein sonst tüchtiger Hochschul lehrer, ohne seiner Autorität etwas zu vergeben, mit einem gewissen Lächeln ruhig hinweggehen kann. DaS Entscheidende ist hier der Umstand, daß der ganze Lehrkörper der Universität Bern aus Anlaß dieses Studenten-„Ulkeü" gegen Vetter Stellung ge- genommen hat. DaS läßt sich nicht lediglich aus persön licher Rancüne heraus erklären. Aus verschiedenen Commen- taren schweizerischer Blätter geht ja auch deutlich hervor, daß der Berner Senatsbeschluß eine politische Spitze hatte und haben sollte. Immerhin begrüßen wir die obige Zu schrift mit Genugthuung, denn sie zeigt, daß die wirklich ge bildeten Schweizer großen Werth darauf legen, der ganzen Affäre ihren Stachel zu nehmen, sie zu entschuldigen und, wenn möglich, ungeschehen zu machen. Sie sind sich ihrer geistigen Zusammengehörigkeit mit Deutschland Feirilletsn. Susanna. 13j Roman von B. H erw i. Nachdruck verboten. Zweites Capitel. Dieser Maskenball hatte zur Zeit ungemein viel von sich reden gemacht. Die höchst gelungenen Arrangements, die kostbaren Toiletten der vornehmen Gesellschaft, die bedeutende Summe, welche zu Gunsten einer besonders sympathischen Wohlthätigkeitsanstalt ei.igekommcn war, sollten noch lange Gesprächsstoff bleiben, mehr aber, als alles dies zu sammen, hatte die Crvnique seandaleuse, die sich so gern an dergleichen heftet, ihren Stoff in dem sensationellen Er- lebniß gefunden, das eine hoch angesehene, überall beliebte Familie des Adels betroffen. Trotz des Stillschweigens, das die zunächst Betroffenen übten, trotzdem jede noch so discret gehaltene Frage un beantwortet blieb, war das Gerede, das Gerücht immer lebhafter anfgetaucht . . . auS Bermuthungen, Argwohn, geringen Zugeständnissen hatte sich allmählich ein pikanter, kleiner Roman hcranSgebildet, dessen Uebertragung ins Leben dadurch besondere Unterstützung erhielt, daß die Haupthcldin desselben fast sofort nach dem Balle vom Schauplatz verschwunden war. Das (Äne stand fest, daß die entzückende Diavoletta des Festes die junge Frau von Lessen gewesen war, die sich arg compromittirt haben sollte. Daß man mit großer Skandalfreude das Bielen be kannte Verhältnis; der pikanten Dame zu dem Star des Eirens Marö damit in Verbindung brachte, war natürlich. Acutzcrst streng war die Abgabe der Ballbillcts gehand habt worden, man wollte eben durchaus im cxelusivcn Kreise bleiben, so hieß eS allgemein, daß der Kunstreiter, wie man ihn verächtlich nannte, nur durch eine List seiner Prvtectvrin Eintritt erlangt haben könne. Frau Selma habe die Ihren mit dem Nvnnengcwandc täuschen wollen, der auf Reisen befindliche Gatte wäre überraschend hcimgekchrt, hätte das Paar beobachtet, furchtbare Sccncn wären die Folge davon gewesen, am anderen Tage hätten alle LcffcnS Königsberg verlassen, mit Ausnahme der jungen, schuldigen Frau, welche bei einer bekannten Dame geblieben und dann dircct zur Schwester Edna nach Hannover gefahren jvar. Madame Cronigue seandaleuse blätterte dann in ihrem Tagebuche weiter nnd man erfuhr, daß Selma er klärt hätte, nicht mehr nach Alserischken zurück zu wollen, sondern ihrem Mephisto in seine südliche Hcimath zu folgen und sich womöglich ganz der edlen Reitkunst zu widmen, worauf der sehr verletzte Gatte die Scheidung eingeleitet hätte und der Name Selma's in dem ganzen Familienkreise nicht mehr genannt werden durfte. Thatsache war, daß Grita nach der ersten Nachricht, die sie von den Ihren empfing, sich vorbereitete, ihre Mal studien aufzugebcn und Berlin zu verlassen. Während ihres dortigen Aufenthaltes hatte sie nichts unversucht ge lassen, Susaiina's Aufenthaltsort zu erfahren, ja, sie hatte selbst daS Begegnen mit dem ihr so unsympathischen Barnewitz nicht gescheut, in der Hoffnung, durch ihn genaue Nachrichten zu erhalten, aber vergebens — ein „trostloser, verzweifelter Vater, der das nicht um sein geliebtes Kind verdient, rang die Hände und klagte den grundlosen, schrecklichen Mädchcncigcnsinn an, der durchaus eigene Wege wandeln wollte." Grita in ihrer Ehrlichkeit gab ihm deutlich zu verstehen, daß ihr der Grund der Trennung vom Vater nicht ganz unbekannt wäre, der Schauspieler wand und krümmte sich vor ihr in unglaublicher Verlegenheit, vermochte aber mit allem komödiantenhaften Wesen das kluge Mädchen nicht zu täuschen. Resolut ließ sie sich das Atelier aufschließen und nahm das in der VerlobungSzcit begonnene Bild ihres Bruders mit nach Hause. Die Eltern gestatteten ihr, bei Achim zu bleiben, ihm die Einsamkeit und alle traurigen Eindrücke weniger fühl bar zu machen. Ihr gesunder, fröhlicher Sinn heiterte ihn auf, wenn er müde und bedrückt von seiner Berufsarbeit nach Hause kam. Er widmete sich der Landwirthschaft mit vollem Eifer, Grita hielt die Gastfreundschaft hoch; so verging der Sommer ganz angenehm, der Frieden ward nur durch die häufigen Reisen Achim'S nach Königsberg und durch die unliebsamen juristischen Erörterungen, die einer Ehe scheidung vvrangehen, unterbrochen. In zartester Weise suchte Grita ihn dann nach seiner Heimkehr zu zerstreuen, aber von der Vergangenheit ward nie gesprochen, nie Susanna'S Name erwähnt. Ob er ihrer wohl manchmal dachte ? Diese Frage durchzog Grita'S Sinn, aber sie wagte doch nicht, unvor sichtig die Wunde zu berühren. Noch schien ihr die rechte Stunde nicht gekommen, sie wartete darauf, treu und ausdauernd, nie an der Freundin zweifelnd, obwohl dieselbe sich ihr ganz entzogen, auf keine forschenden Fragen reagirt hatte. Sie saß an dem schönen Sommcrnachmittag in ihrem Zimmer und bemühte sich, Achim's unfertiges Bild zu vollenden, um der Mutter damit eine Freude zu machen. Es schien ihr gar nicht mehr ähnlich. Wie hatte sich der Ausdruck so verändert. Damals durchleuchtete das Glück, die Lebensfreude, die hübschen, kräftigen, jugendlichen Züge, jetzt beschattete meist ein tiefer Ernst das Männerantlitz, die bitteren Er fahrungen hatten ihren Stempel hinterlassen, die trüben Wolken, die so oft die hohe Stirn umzogen, waren nicht ohne Spuren geblieben. Dabei war Achim's Gesicht jetzt schöner, cnergicvoller, und wenn der Contrast der Schwester auch weh that, dachte sie an die Ursachen der Veränderung, so erstickte sie doch jedes Klagen und studierte leise vor sich hin: „Halt nur aus, Bruderherz, über ein Stündlein ist Dein Herz voll Sonne." Heute sollte der Schlußtermin in der Stadt sein, vor dem späten Abend konnte sie ihn nicht znrückcrwarten. Die Arbeit sollte ihr über die bangen Stunden hinweg helfen. Sie mar so eifrig mit Malen beschäftigt, daß sie das Vorfahren eines Wagens ganz überhört hatte. „Nievlai Woronsow" stand auf beiden Karten, die der Diener abgab. Darunter „Groß-Wclankcn". Staunend las eS Grita. Das kleine Wort bezeichnete den Fürsten als den Be sitzer der großenHerrschaft imSamlandc, die bis vor kurzer Zeit Nataliens Eltern gehört hatte. Diese waren aus Ge sundheitsrücksichten nach dem Süden gezogen, von einem neuen Eigenthümcr hatte man bis jetzt noch nichts gewußt, die Ueberraschung war vollkommen. Im Salon erwartete Grita den Besuch, in der freudigen Hoffnung, nun endlich etwas über Susann« zu hören. Leit dem damaligen Zusammentreffen im Louvre hatte sie den Fürst nicht wieder gesehen, nur später brieflich durch die Ihren erfahren, daß er vom Gute der Schwieger eltern ans Lessens einen Besuch abgcstattet hatte. „Willkommen, Durchlaucht!" rief sic ihm herzlich ent gegen, „wenn die Botschaft dieser kleinen Karle nicht täuscht — unser neuer, wertster Herr Nachbar." „Ich komme, mich Ihnen als solcher vorzustellen, meine Gnädigste", dankte Woronsow mit ehrfurchtsvollem Hand kuß, „das kleine Geheimniß, daß ich der Käufer bin, hat sich gut bewahrt, selbst Ihr Herr Bruder, den ich heute früh bei unserem gemeinsamen Anwälte fand, wußte nichts da von." „Achim wird sehr bedauern . . . er ist . . . er hat heute in Königsberg einen schweren Tag. . ." „Ich bin unterrichtet, mein gnädiges Fräulein, Herr von Lessen selbst sagte mir die Bedeutung seines Dort seins." Der Fürst nahm Grita gegenüber am Fenster Platz. Von dort aus konnten sie den Weg erblicken, der zum Herrenhause führte, eine von den Strahlen der Nach mittagssonne goldig durchwebte Buchenallee. „Mein armer Achim", sagte das Mädchen leise, und wie von einer inneren Eingebung getrieben, sich angstvoll zu ihrem Gegenüber neigend, setzte sie fragend hinzu: „Hat er mit Ihnen, o, sagen Sie mir die Wahrheit, Fürst Woronsow, hat er mit Ihnen über Susanna ge sprochen, nach ihr und ihrem Ergehen gefragt'?" Der Fürst schüttelte den Kopf. „Nein, Gnädigste, mit keinem Wort, der Name ward zwischen uns nicht genannt." „Aber Sic wissen doch von ihr? Sie können mir von ihr erzählen? Ach, cs ahnt Niemand, wie unruhig ich ihretwegen bin. Wenn ich Ihren Aufenthaltsort früher gewußt Hütte, Fürst Woronsow, so Hütte ich Ihnen ge schrieben und Sie um Nachrichten gebeten, sic ist meine liebste Freundin gewesen und sollte mir mehr, viel mehr wcrdcn.aber da kam das harte Geschick und ist so grenzenlos ungerecht mit ihr umgegangcn, und ich, ich mußte auf und davon, durfte ihr nicht bcistchen, mußte den Mund halten und schweigen, aber nun ist die Zeit gottlob um, bitte, bitte, sagen Sie mir Alles von ihr, vielleicht ist es uns ver gönnt, daß wir vereint das liebe Geschöpf noch glücklich machen können." Sie schwieg erregt. „Wir — vereint?" Woronsow sprach die zwei Worte bedeutungsvoll. Dann nickte er schwermüthig und sagte: „Mir allein ist es auch nicht gelungen, obwohl ich es ihr kund gethan, vor mehr denn einem Jahre, daß ich die Stacheln, die des Lebens Dornbusch ihr geboten, in Rosen verwandeln, daß ich sie anS Herz nehmen und behüten wolle, als Freund, als Gatte. Sie behauptete, sich von ihrem besten, helfenden Freunde, den sic in der erlösenden Arbeit gefunden, nicht trennen zu können. „Die Arbeit soll Ihnen an meiner Seite die größte Freudenspendcrin werden, Susanna", so bat ich, warum wollen Sie nicht
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