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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020804018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902080401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902080401
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-08
- Tag 1902-08-04
-
Monat
1902-08
-
Jahr
1902
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Bezugs. Preis 1« der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgrholt: vierteljährlich ^l 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung in« Haus.41 5.50. Durch die Post bezogen für Dt utschland u. Oesterreich vierteljährliche-6, tär die übrigen Länder laut ZeituogspreiSliste. Ne-acttou und Lrpe-Mo«; Johannisgassr 8. Fernsprecher ISS und 2S2. Fittal eupeditiorr ei»: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7, ——4-V> Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstrabe 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. - —a«» Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 33S3. Morgen-Ausgabe. UpMer. Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Aathes und Volizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen«Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiennach- richten («gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenannahme LS H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pvlz in Leipzig. Nr. 391. Montag den 4. August 1902. 96. Jahrgang. Amtlicher Theil. Mliothkk der Handelskammer. Die Bibliothek und der Lcsesaal der Handelskammer bleiben grmätz 8 1 der BibliothekSordnunq vom 4. bis mit 23. August d. I. geschlossen. Patentschriften können auch während der obigen Schlußzelt eingesehen werden, ebenso werden Adreßbücher auf Wunsch im Patentschriftenzimmer vorgrlegt. Leipzig, den 9. Juli 1902. Die Handelskammer. Vorsitzender. Vr. zur. Wendtland, Syndikus. Bekanntmachung. Die Lieferung der Kohlen für die Dampfkesselheizung in der städtischen Markthalle (Steinkohlen und Braunkohlen) soll für das Jahr 1902/3 vergeben werden. Die Lieferungsbedingungen sind von der Nuntiatur — Rath- hauS, I. Saal — gegen Erlegung von 0,30 zu beziehen. Angebote sind verschlossen und mit der Ausschrift ..Kohlen- lieierung-Markthalle" versehen, bis zum S. August dtcsrS AahrcS, Mittag 1.2 Uhr» bei der Nuntiatur elnzureichen. Ablehnung aller Gebote, Auswahl der Bewerber und Thellung der Lieferung bleibt Vorbehalten. Leipzig, den 2. August 1902. Der Rath der Stadt Leipzig. Id. 3694. vr. Tröndltn. vr. Neumann. Ueber da» Vermögen der zum Betriebe einer Verlags- und Reisebuchhaudlung unter der Firma Bulitta L Co. bestehenden Commanditgesellschast in Leipzig, Marienstraß« 19, ist heut«, am 17. Juli 1902, Nachmittags 5 Uhr das Konkursverfahren eröffnet worden. Verwalter: Herr Rechtsanwalt Zieger hier. Wahltermin am 6. August 1902, Vormittag» II Uhr. Anmeldefrist bis zum 20. August 1902. Prüfungstermin am 30. August 1902, Vormittag» II Uhr. Offener Arrest mit Auzeigepflicht bis zum 16. August 1902. Köntgl. Amtsgericht Leipzig, Abt. Ü^', Rebenftelk, JohanntSgafse L, 1„ den 17. Juli 1902. Stötteritz. Im hiesigen Rathhause ist in der m. Stage r. eine der Neuzeit entsprechend herrschaftlich eingerichtete Wohnung, bestehend aus 3 Stuben und reichlichem Zubehör, per 1. September oder später zum Preise von 550 pro Jahr zu vermirthen. Nähere Auskunft wird während der GrschästSstundrn im Rath jause, I. Etage, von dem Unterzeichneten gern ertheilt. Stötteritz, am 1. August 1902. Der Srmeinderath. R. Paulherr, Sem.-Aelt. Aus der Geschichte der Molailürche. Der große Umbau de« Aeußern unserer Nikolaikirche lenkt die Blicke unwillkürlich in die ältere Baugrschichte der Kirche zurück, um so mehr, al« bei dem Umbau eine Anzahl Bautherle mit romanischen Bau- und Schmuckformen zu Tage gekommen sind, die unzweifelhaft von der ältesten Nikolaikirche au» dem elften Jahrhundert stammen. Die Bauleitung hat sie, zu einer Gruppe vereinigt, an der Außen wand de« Chore« wieder einmauern lassen, wo sie nach Be seitigung der Planke sür die Freunde der Stadtgeschichle zu sehen sein werden. Die Nikolaikirche ist die älteste Kirche unserer Stadt. Sie wird schon 1017 genannt, zwar nicht mit Namen, aber die Kirche von Leipzig, die in diesem Jahre erwähnt wird, kann keine andere gewesen sein al« die Nikolaikirche. Vielleicht stammt von diesem ältesten Bau noch der untere Theil der Thurmanlage. Im Laufe de« Mittelalter» hat die Kirche natürlich vielfache Umgestaltungen erfahren, dock lassen sich über deren Geschichte au» den Bautheilea selbst nur unsichere Vermuihungen aufstellen. Urkundlich bezeugt ist zuerst der Anbau einer Capelle im Jahre 147S; der Natb lieh dazu den Kirch vätern 100 Gulden. 1476 wurde die Capelle geweiht. Der Bischof von Merseburg war in diesem Jahre in Leipzig und weihte eine ganze Anzahl kirchlicher Neubauten. Dreißig Jahre später stellte sich aber die Nothwendigkeit eine» größeren Umbaues berau», denn 1505 wurde.Konrad Schwabe", d. i. Konrad Pflüger, von der AlbrechtSburg in Meißen, an der er baute, nach Leipzig gerufen, um die Kirche zu besichtigen. Maa begann aber den Umbau erst 1513. Daß man sich dabei bewußt war, ein wichtige«, größere» Werk vorzunehmen, zeigt die Tbatsache, daß man am dritten Ostertage 1513 (22. März) feierlich einen Grundstein (lnpl» augular») legte. Die Urkunde, zwei Bleiplatten, in die der Text der Inschrift mit Buchstabenpunzen emgeschlagen ist, wurde bei der Ein richtung der Heizanlage der Kirche wieder aufgefunden und wird jetzt aus der Stadtbibliothek aufbewahrt. Sie ist vor Allem deshalb wichtig, weil am Schluß der Baumeister (artikex comontarjur) genannt ist: Benedictu« Eisenberg. Auch die beiden Kirchvater werden rühmend erwähnt: der RathSherr Ulrich Lindacher (exaetttLimao circa otructuram tuüas eocleüao ckillgsntias) und Michel Puffler (non wluoris älitgentlae). Al» .Steinmetze zu S. Niclau» allhie* wird fünfzehn Jahre später im RathSbuche Michel Bentz genannt, der aus der Gegend von Rothenburg a. d. Tauber stammte. Er war nach Beendigung deS Baues in Leipzig geblieben, war 1528 hier gestorben, hatte sein kleines Vermögen den hiesigen Spitalern und Klöstern vermacht, und e» kamen nun ein Bruder und rin Schwager von ihm auS der Heimath und ließen sich für arme Verwandte des Verstorbenen eine Kleinigkeit vom Rathe herauszahlen. Leider wissen wir gar nicht, wie lange dieser Umbau ge dauert hat. Daß er 1521 noch im Gange war, geht daraus hervor, daß der Rath in diesem Jahre 60 Gulden dazu au« einem Nachlaß gab. Die Chroniken berichten, die Kirche ser 1525 an der Mittwoch nach Himmelfahrt (vaS wäre also am 31. Mai) von Bischof Adolf von Merseburg „mit großer Pracht nnd Herrlichkeit" eingeweihl worden. Diese Nachricht kann aber unmöglich richtig sein. Im Mai 1525 bat in Leipzig Niemand an Kirchweih gedacht. In diesem Monate wllthete der Bauernkrieg in Thüringen. Am 15. wurden die Bauernhaufen Thomas Münzers bei Frankenhausen von den verbündeten Fürsten vernichtet, und dann in Frankenbausen selbst ein großes Blutgericht gehalten. Am Himmelfahrts- tage rückte daS siegreiche Heer in Mülhausen ein, wo Münzer enthauptet wurde. In Leipzig blickte Alles angsterfüllt nach dem Kriegsschauplätze. Herzog Georg war Anfang Mai nach Leipzig gekommen. Am 4. war er mit seinen Söhnen, seinen Räthen und seinem Hofgesinde aus dem Rathhause gewesen und hatte .die ganze Gemeinde erfordern lassen", offenbar um ihr ins Gewissen zu reden und sich von ihr die Mittel zum Kriege bewilligen zu lassen. In den Stadtrechnungen hat der Stadtschreiber verzeichnet: .Unserm gnädigen Herrn Herzog Georgen auf seiner f. G. gnädige« Gesinuen und Beschluß der andern Näthe hat der Rath wider die aufrührischen Bauern, so im Lande .. zu Thüringen zu Mülhausen, Frankcnhausen und andern Örtern aufgeslanden, Klöster und Kirchen beraubt, zerstört, auch Schlösser und Höfe der Edelleute spoliret und verbrannt, Klosterjungsrauen geschändet und viel Unfugs getrieben, unter welchen Thomas Münzer der Hauptmann gewest, dieselbigen zu dämpfen und gemeinen Landfrieden zu erhalten, als dann fein f. G. in eigner Person wider sie gezogen, seiner f. G. zugrsagt und bewilligt 300 Knechte zween Monden lang zu versolden, thut in Geld« 2400 Gulden, welche sein f. G. gefodert und empfangen Hal Sonntags Jubilate f7. Mais, nnd tbun in Münze 840 Schock." Sv lange draußen der Kampf dauerte, berichtet der Stadtschreiber weiter, habe man sich „allhier auch Aufruhr besorget, derhalben der Rath 12 Leinewcberbürger gehalten, die Tag und Nacht auf dem Rathhause im Harnisch gewacht, ob sich etwas begeben würde". Außer diesen hielt man noch 40, später 35 „Knappen" unter dem Befehl des Hans von Schleiz, die ebenfalls „Tag und Nackt aus dem Rathbause gewacht und auf den Rath 'm Harnisch gewartet." Diese doppelte Wache wurde sieben Wochen laug, von Jubilate bis Johanni, beibrhallen. Am Trinitatissonntag (ll. Juni) kam Herzog Georg au« dem Felde nach Leipzig zurück; der Rath begrüßte ihn als Sieger und schenkte ihm „einen vordackten gülden Kops (einen Deckel becher) mit Adam und Eva und hundert Gulden in Gold darinnen". Die Chroniken erzählen von einer großen Unter suchung und einem strengen Gericht, die der Herzog dann in Leipzig abgehalten habe. Er habe am 15. Juni acht Bürger mit dem Schwert hiurichten und fünfzehn stäupen und de» Lande» verweisen lassen; „folgenden TageS darauf, war das Fest Johannis de« Täufers" (falsch!), habe er den Rath und die ganze Bürgerschaft auf« Schloß fordern und ihnen andeuten lassen, es siünden noch dreihundert im Verzeichnis die es mit den Aufrührern gehalten; denen habe er zwar das Leben geschenkt, sie aber eine Zeit lang mit Gefängniß gestraft. „Bei dieser Gelegenheit" seien auch u. A. zwei Leipziger Bürger, die „der evangelischen Wahrheit halben in Verdacht kommen waren", von denen der eine ein Ringschmidt gewesen, der andere Uebel- acker geheißen, auf dem Markte enthauptet worden. Diese äußerst verworrenen Nachrichten sind wohl nichts als Fabeln; in den Stadtrechnungen ist von alledem keine Spur weiter zu finden als die eine kahle Zeile: „Sabatho Johannis Baptistas f24. Junis dem Totengräber von dem Rinkenschmidt zu begraben 5 Groschen". Eine Hinrichtung hatte also in der Tbat am Johannistage stattgefundrn, und zwar, nachdem der Herzog am 20. Juni mit seinem Sohne Friedrich und dem Hofgesinde „einen Vogel auf der Pfingstweide mit den Bürgern abgeschofseu" hatte! Ja den Tagen aber, wo er noch draußen im Felde stand, wird man schwerlich in Leipzig eine glänzende Kirchweih veranstaltet haben. Ter Bischof war allerdings um diese Zeit in Leipzig; er war Anfang Mai da, als der Herzog inS Feld zog. Er blieb auch längere Zeit bei Herzog Friedrich auf dem Schlöffe; der Rath spendete beiden ein Faß Eimbeckisch Bier. Von Ausgaben für eine größere kirchliche Feier aber, wie sie sonst stets bei solchen Gelegenheiten in den Stadtrecknungen ver zeichnet sind, ist im Jahre 1525 keine Spur zu finden. Nun schreibt aber Vogel, die Einweihung der Nikolai kirche habe den 16. Mai, „war Mittwoche nach Himmelfahrt", stattgefunden. Diese Angabe ist falsch, denn Mittwoch nach Himmelfahrt siel eben 1525 auf den 31. Mai. Die falsche Angabe tönntc aber vielleicht auf die richtige Spur führen. Auf den 16. Mai nämlich siel der genannte Tag im Jahre 1526. Es liegt also die Vermuthung nahe, daß in den Chroniken die Nachricht unter ein falsche« Jahr gerathen, der Tag aber richtig sei. Leider findet sich aber auch in den Stavtrechnungen von 1526 keine Spur eine- Kirchweihfestes. Daß der Bau um diese Zeit zu Ende gegangen sein muß, scheint daraus hervorzugehen, daß 1525 der Schieferdecker 50 Groschen erhält „von der neuen Wache auf S. Niclas Thurme mit Schiefer zu decken." Den Endpunkt de« Baurs aber genau festzustrllen, fehlt jeder Anhalt. Daß trotz der feierlichen Grundsteinlegung im Jahre 1513 her Bau kein Neubau, sondern nur riu Umbau war, der sehr allmählich und schrittweise vorwärts ging, und brr dem die Benutzung der Kirche nicht unterbrochen wurde, dafür giebt es eine Menge Beweise. Ich führe nur einige an. Der Thürmer wird die ganze Zeit über besoldet, auch sür das Seigerstellen, er läutet „zum Wetter", in der Fastenzeit wird die Beteglocke geläutet usw. 1518 stiftete vr. Heinrich Schmiedeberg zur Erinnerung an seinen verstorbenen Vater vr. Valentin Schmiedeberg da« köstliche kleine Bild von LucaS Cranach in die Kirche, da- jetzt in Feuilleton. Zweierlei. Skizze von Heinrich Lautern (Plauen). ViaLtrus vrrtote». Ein Salon im „Europäischen Hof", Dre-ben, Prager straße. Auf der Straße, auf der Hotelsaqabe die Julisonne, grell, weißlich, prallend. Hinter herabgelassenen Jalousien und cremefarbenen Stores angenehme Dämmerung, ein gelblich abgcdämpstcs Licht, in dem die luxuriöse Ein richtung mit mattgoldencn, hie und -a metallisch flim mernden Contourcn andeutungsweise hervortritt. Auf einer Ottomane die elegante, etwas beleibte Figur eines Herrn, Ende der Dreißiger, bequem ausgestreckt, schlafend. In der Mitte des Salons, mit graziösen Hüft- schwingungen auf einem der dunkelrothen Streifen des Persertcppichs balancirend, eine Dame, schlank, blond, jugendlich, lautlos-schwebend vom Fenster bis zum Spiegeltisch und wieder zurück bis zum Fenster. Immer hin und her. Plötzlich macht sie Halt und ihr Blick sucht an den Wänden nach der Uhr. Auf dem Schreibtischaufiatz tickt eine Pendule. Sie geht bis an den Rand des Teppich«, beugt sich vor, um aus der Entfernung die gravtrten Zahlen auf dem Metallzifferblatt zu erkennen. Halb vier r i. Schon! Sie seufzt. Halb ist der Tag vorbei! Kopfschüttelnd beginnt sie wieder umherzügehen. Kopf schüttelnd bleibt sie schließlich vor der Ottomane stehen. Der Herr liegt unverändert, daS Gesicht vom Blut andrang, von der Weinnachwirkung stark gervthet, bas Unterkinn aus dem hohen Stehkragen gepreßt hervor quellend. Die mattglänzende Westenknopfreihe hebt und senkt sich regelmäßig. Leise pfeift der Athcm. „So schläft er nun seit zwei Stunden", denkt sie, ihn betrachtend, „so schläft er jeden Tag. Erst essen, dann schlafen. Dann wieder von vorn. Er wirb ungeheuer bequem, faul, direct fett. Diese- Kinn, diese- Gesicht — nein, s o gefällt er mir nicht. Einen Schritt zurücktretend sieht sie sich abermals im Salon um. Ihr Blick wird schließlich durch seinen Spazier stock festgehaltcn, der lose an den Falten der Portisre lehnt. Sie lächelt, nickt und geht, immer den Stock im Auge, quer über den Teppich bi- zur PorttSre. Hier neigt sic sich ein wenig zur Sette, da- Kleid hebt sich schräg vom Boden, ein schmale-, perlgraue- Wtlblederschuhchcn lugt unter dem Saum hervor, ein leichter Stoß — gleich darauf fällt der Stock glatt und lautschallenb auf- Parkett. Während des Falles hat sie die kleine rosige Unterlippe -wischen die Zähne gepreßt. Nun bückt sie sich, hebt den Stock auf und lehnt ihn aufathmend an die Porti-re zurück. Der Herr ist natürlich erwacht. ^Nanu, wer schießt da?" Sie lacht. „Dein Stock langweilte sich, Viktor. Da fiel er um." Mit den : er Der Herr hat sich inzwischen aufaerichtet. Mit l Handflächen über Stirn und Augen streichend, fragte gähnend: „Wieviel Uhr, Lotti?", „Bald vier." Er gähnt abermals. „Scheußlich — so'n Sonntag!" „Du schläfst auch ohne Sonntagsruhe, mein Lieber." „Was soll man machen?" seufzt er, die Anne reckend. Sie hat ihr ruhelose- Hin- und Hergehen wieder aus genommen. „Gott ja, Viktor, in Hamburg und zu Hause läßt man sich's gefallen. Aber wir reisen doch, nicht wahr? Und wozu reisen wir? Hast Du schon genug von Dresden?" „Ja, Kind, ich weiß nicht — wir waren in der Gemälde galerie, im Grünen Gewölbe, im Johanneum, Belvedere, Großen Garten — was willst Du denn noch?" „Wir waren, wir waren — sag' lieber: wir sind den ganzen Tag im Taxameter herumgeraffelt und haben uns zwischendurch manchmal wo eingestellt." Er sicht sie aus aufgerissenen Augen an. Nach einer Pause: „Sag' mal, Lotti, hast Du Kopf schmerzen, brauchst Du 'n neue- Kleid, 'n Hut?" „Ach nicht doch", sagt sie, den Kopf aufwerfend, „ich möchte mal au- der Stadt hinaus, daS malerische Dresden in seiner berühmten Umgebung mvcht' ich sehen: die Löß nitz, Tharandt, da- gräflich Sumtn-ki'sche Schloß, von dem Muckt so geschwärmt hat —" Gähnend, ächzend erhebt er sich. „Gut. Fahren wir nach Tharandt." „DaS heißt, Btcki, wir gehen auch ein Stück — ja? Steh mal, sonst verlernst Du'S ja." „Meinetwegen", nickte er seufzend. Während sie Kaffee auf dem Zimmer trinkens fliegt der Kellner nach der Droschke. Vom Hotel ViS zum Bahn- Hof — die Entfernung ist gering — Taxameter; dann ab DreSden-Altstabt Hauptbahnhof erste Elaste. In Hains berg verlassen sie daS schwüle, dick- und blauaepolsterte Toups. Lotti hat sich nämlich au-gebacht, den Rabenauer Grund zu besuchen. Zu Fuß natürlich. Rückwärts kann man ja mit der Secundärbahn fahren. Zögernd willigt er ein. Hinter Hatn-berg blendende Kornfelder, Wiesen, ein paar schwar-grüne Teiche, auf denen da- Sonnenlicht brütet. Biel Staub und viel Menschen auf der Straße. Endlich der Grund und — ah — Schatten! Da- Sonnenlicht fluthet majestätisch über die Buchen wipfel hin. Unten ist es dämmerig, die Luft kühl von fließendem Wasser. Der Boden feucht, dunkel, mit flim mernden Lichtkringeln gesprenkelt. Felsen rechts, links, Porphyr mit Flechten bewachsen, die weißlich, wie ge pudert, aussehen. Tannenstände zwischendurch, bloßgelegte Wurzelzacken im Wege, die Luft bann jedesmal trocken, würzig und warm. Ueberall Ruhebänke, hallende Bohlen brücken, Treppchen hinauf und hinab, schmale, fast er heiternd niedliche Secundärbahnvtaducte, unter denen der Weg hinburchführt, immer am Ufer der Weißeritz entlang, die hier glatt und dunkel strömt, schwar-grün wie ge schmolzenes Flaschcuglas, und dort brausend über moos bedeckte Felsblöcke schäumt. „Großartig!" sagt Lotti aus einem Gefühl ehrlicher Be wunderung heraus. „Nur hätten wir daS Bähnchen benutzen sollen." „Komm, mein Armer, setzen wir uns. Dort oben steht eine hübsche Bank." Sie hat Mitleid mit ihm. Er hatte soviel Mühe bisher, die eleganten, gelben Chikstiefel nngefährdct über allerlei Wurzeln und kantige Fclsdurchsetzungen hinweg zu bringen. Auf der Bank oben sitzt man von Zweigen verdeckt, abseits, völlig ungesehen. Umgekehrt aber liegt der Weg frei thalauf- und abwärts. Erst hören sie Stimmen hinter sich, Lachen, dann kommt, denselben Weg wie sic, ein zweites Paar unter den Tannen vor, ein Svnntagspärchcn, Arm in Arm. Ein armer Teufel von Burcaugehilfe, engbrüstig, vornüber gebeugt, mit billiger, sehr billiger Eleganz gekleidet. Sie — ebenso schlank, ebenso blaß, ebenso mager. Nähmädel oder Hinter- haushcimchen, leichtfüßig schreitend im weißen, frisch auf gebügelten Sommcrsonntagsfähnchcn. Nicht schön und nicht häßlich, und auch nicht mehr ganz jung. Beide nnbändig glücklich. Man hört das aus ihrer lebendigen Art zu plaudern heraus. Man siehtS an ihrem Lächeln, ihren leuchtenden Augen, ihren langen Küsten. Sie wissen nicht, daß sic be obachtet werden. Sie haben kein Gefühl für die Welt, für das enge, gebundene Leben, dem sie auf einen Tag, auf Stunden entronnen sind. Sie bleiben ebenso plötzlich stehen, als sich die Worte ihres Gespräches verlieren. Brust an Brust, sich fest umschlungen haltend und die Augen halb geschloßen, überlassen sie sich willenlos den süßen Srrömen, von denen ihre Herzen überquellen, und die von heiß zu- sammengepreßten Lippen immer leidenschaftlicher zurück geworfen werden. Viktor dreht ihnen sofort den Rücken zu. „Albern, höchst albern!" brummte er ärgerlich. Lotti behält die Beiden im Auge, bis sie hinter einer Wand verschwinden. Lotti seufzt vom Grunde ihrer Seele auf. — Eine halbe Stunde später sind sie im RestaurationS- garten der Rabenauer Mühle. Von einer Mühle ist nichts zu sehen. Nur Kellner, Bicrgläscr, gedeckte Tische und un heimlich viel Menschen. Gerade gegenüber sitzen auch die Belauschten, eine Mahlzeit vor sich, wie sie ihnen das Leben schwerlich alle Tage bot. Lecker Gebratenes in brauner Sauce und frischem Salatgrün, Compotschüflcln, und zwischen diesen guten Dingen sogar eine langhalsige Weißweinflasche. Sie speisen mit Behagen, vergessen anch das Trinken nicht und sehen sich beim Anstößen jedcSmal tief und glücklich in die Augen. Viktor runzelt die Stirn. „Ich weiß nicht", sagte er, „ich höre so viel von schlechten Zeiten, die Leute, meint man, haben nicht satt zu essen — da sieh' mal, ob's wahr ist." Lotti verzieht den Mund; sagt aber kein Wort. Schließlich hat Viktor ebenfalls NahrungSsorgen. „Kellner, die SpeisekarteI". Der Mann sieht die gelben Schuhe, Viktor's Einglas, und legt ttefgebückt die Karte auf den Tisch. Sülze, Beefsteak, russischer Salat, Moselblümchen, Schweinebraten — Massenabfütterung, bäh! „Eine Flasche Selters, Cognac vom besten.^ Wir speisen nicht!" Die Beiden am Nachbartisch haben inzwischen ab gegessen und ausgetrunken. Behaglich in den Stuhl zurück gelehnt, ein Bein übers andere geschlagen, zieht -er junge Mann eine goldbandclirte Oualitätsctgarre auS der oberen Westentasche, beißt die Spitze ab und nimmt in langen, genußreichen Zügen den Rauch von der Streich- holzflammc. Die Art, wie er ihn wieder von sich bläst, ist entschieden der Situation angemessen. Seiner Gefährtin ist dieses kräftige Raucharoma lieber wie der Duft pon Rosen und Pcau d'Espagne. Während sie bewundernd den stolz aufwirbelndcn Kringeln nachblickt, träumt sie vom Heimweg, von Sternen, Mondschein und Küsten. Ein leichtes Roth steigt in ihr klares Gesicht. Ihre Augen glänzen. Sic scheint viel hübscher geworden auf einmal. „Lotti, wir gehen." Geradenwegs zum Bahnhof Rabenau gehen sic,' die Vornehmen. Eine kleine, verkehrsarme Station, ein stöckig und ganz aus Holz. Im Telegraphenbureau ein Beamter, ein Pult, ein Stuhl, ein Morsewerk. Um so herrschaftlicher knarren Viktor's Chikstiefel auf der schmutzig-grauen Diele. „Wann geht der nächste Zug nach Tharandt, Herr Vor stand?" „In zehn Minuten." „Können Sie mir sagen, welches daS erste Hotel dort ist?" „Nun, wohl's „Deutsche Hau-"!" „Danke. — Kann ich telegraphiren?" „Bitte!" Lotti hört zum ersten Mal in ihrem Leben auS nächster Nähe das Knattern eines Telcgraphcnapparates und be trachtet neugierig den gelben Messingkastcn mit dem langen, bandwurmähnlichen Papierstrcifen. Viktor steht am Pult, zieht den Crayon aus der Westen tasche und schreibt: Hotel Deutsche- Haus, Tharandt. Hähnchen drei, Krebssuppe und Gurkensalat. Zwei Ge decke. Pommery kalt stellen. Eintreffe 744. Chrysclius, Consul. Dem Beamten läuft da- Wasser im Munde zusammen, während er die Worte zählt. „Schön", sagt er, „Pommery ist Champagner. Den haben wir Siebzig aus Eimern getrunken. Die Depesche kostet neunzig Pfennige, mein Herr." Vor dem Einsteigcn — der kleine, trammayartige Se- cundärbahnzug hat nur zweite und dritte Elaste — sieht sich Lotti noch einmal um. Im Thale unten rauscht die Weißeritz. Zwei Landmäbchcn gehen am Ufer und singen. Der Garten der Mühle wimmelt von vergnügten Menschen. Herren, die den Hut abgcnommcn haben, führen junge Mädchen am Arm in den kleinen Tanz- und Gcsellschastssaal. Dort spielt Jemand den Gctsh.awalzer auf dem Elavier. Lotti seufzt.
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