Volltext Seite (XML)
'292 III. Abschnitt. 3. Der Hanf, dessen Zubereitung- und Spinnen. Hanf (chanvre, hemp) ist die gereinigte, zum Spinnen tauglich gemachte Bastfaser der Hanfpflanze. Die Hanfpflanze (Cannabis sativa) steht in der 22. Klasse (Dioecia) des Linne’schen, und in der Familie der Urticeen (Urticeae) des natürlichen Systems. Sie gehört zu den jenigen Gewächsen, bei welchen die Geschlechter dergestalt geschieden sind, dass einige Stämme nur männliche, andere dagegen nur weibliche Blüten tragen. Die Wurzel dauert nur ein Jahr und treibt einen geraden Stengel, dessen schmale, stark gezahnte Blätter zu 3, 5 bis 7 gemein schaftlich an langen Stielen sitzen. Die weibliche Hanfpflanze (Bäst ling, Büssling, grüner Hanf, später Hanf, Kopfhanf, Saathanf genannt) wird auf gutem Boden 1,8 bis 2,4 m hoch; ihre Blüte hat einen ungeteilten oder einblättrigen Kelch, einen kurzen Fruchtknoten mit zwei langen Griffeln und keine Blumenblätter. Die männliche Pflanze (Fimmel, Femel, Sünderhanf, tauber Hanf — letztere Benennung davon herrührend, dass die Pflanze keinen Samen trägt) hat einen weniger hohen und weniger dicken Stengel, in der Blüte einen fünfteiligen Kelch und fünf Staubfäden, aber ebenfalls keine Blumenblätter. Von den Hanf bauern wird sehr oft die weibliche Hanfpflanze, weil sie grösser und stärker ist, für die männliche gehalten und so benannt. Die Fasern (Einzelbastzellen) des Hanfes sind sehr lang (5 bis 55, meist 15 bis 25 mm) •) und dabei von grösser Dünne (16 bis 50, meist 22 mmm). Im ungebleichten Zustande sind sie schwach verholzt und färben sich mit Jod und Schwefelsäure grünlich blau, grünlich oder schmutzig gelb. Der Bau der Hanffaser ist dem des Flachses (S. 223) ungemein ähnlich 2 ). Es treten dieselben knotenartigen Auf treibungen und Verschiebungen auf wie beim Flachs Längsrisse und Querspalten sind häufig. Das Lumen ist meist breit, und wird gegen die Spitze der Faser hm linienförmig. Die Enden der Faser sind stumpf, sehr dickwandig, manchmal mit seitlichen Aus zweigungen versehen. (Vergl. Fig. 104 in q = Querschnitte.) Im Querschnitt ist das Lumen nicht punkt-, sondern linienförmig, häufig auch verzweigt und unregelmässig, ohne Inhalt. Die Beschaffenheit der Hanfstengel ist, so weit sie für die Gewinnung des Bastes als Spinn gut in Betracht kommt, gleichfalls jener der Lein stengel höchst ähnlich. Daher sind, vom Botten angefangen bis zum vollendeten Hecheln, die Arbeiten, welchen der Hanf unterworfen werden muss, wesentlich die nämlichen wie beim Flachse. Der bis zum Spinnen fertig bearbeitete Hanf gleicht an allgemeinem Ansehen dem Flachse, ist *) von Höhnel, Mikroskopie, S. 36. 2 ) Vergl. C. Cramer, Zur Frage der Unterscheidung von Flachs- und Hanffaser, Programm des Züricher Polytechnikums 1881.