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str Leipsta und Bor orte d»rch »nsereTrüq« und Spediteur« in» HauS erbracht: Aus- gabe (nur morgen») viertetiahrlich 3 M., monatlich 1 M.: '-luSgave U i morgens und abends) viertelfährlich 4.50 M., monatlich 1.50 M. Durch die Post bezogen (4 mal täglich) innerhalb Dentichlands und der deutschen Kolonien oierteljäbrlikb 3 M., monatlich I M. ausschl. PoslbesleUgetd, für Oesterreich-Ungarn vierteljährlich 5 L 45 b. Abonnement-Annahme: Augustusplatz 8, bei unsereu Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzeln« Nummer kostet 1V Pfg. Neöaktion und ErpedMour Iohannisgasse 8. Telephon Nr. 153, Str. 222, Nr. 1I7L. Berliner Nedattions-Bureau: Berlin XVV. 7, Prinz Louis Ferdinaud- Strage 1. Telephon 1. Nr. 9275. Abend-Ansgabe 8. Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. für Inserate aus Leipzig u. Umgebung die 6gespaltene Petitzeilr 25 Pf., finanzielle An zeigen 30 Pf^ Reklamen 75Pf.; von auswärts 30 Ps., RrNamen I M.; vom Ausland 50 Ps., sinanz. Anzeigen75 Pf., Reklamen l.50 M. Inserate ».Behörden im amtlichen Teil 40Ps. Beilagegebühr 5 M. p. Tausend exkl. Post gebühr. Geschäft San zeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarir Festerteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für das Erfcheinen an bestimmt« u Tagen nud Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeige» - Annahme: Augustusplan 8, bei sämtlichen Filiale» u. allen Annoncen- ^peüitiouen des In- und Auslandes. Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncke r, HerzgllBayr-Hofbuchhandlg., Lützowstraße 10 (Tel. VI, 4603). Nr. 127. Mittwoch 8 Mai 1907. 101. Jahrgang. Vas Neueste vom Lage. (Dir nach Schluß der Redaktion eiugegaugenen Depeschen stehen auf der S. Seite des HauytblatteS^ Teriiburgs golonialretse. Wie die „T. R.^ erfährt, wird die Reise des Kolonial- cirektorS Dernburg erst nach der Organisation des KolouialamteS, also erst im Juni, erfolgen. Bo» Scr Friedens-Konferenz. Wie in Rom verlautet, toll zwischen den Mächten über oie Erörterung der Abrüstungsfrage auf der Haager Konferenz eine Berstänviguog erzielt sein. England werde sich damit begnügen, seinen Borschlag einzubriugeo, aber darauf ver zichten, daß er von den übrigen Mächten gutgeheiße» werde. Die Vertreter der Hauptmächte würden sich zeder Beschluß fassung über diese Frage enthalten. Eine amtliche Bestätigung ser Meldung liegt übrigens noch nicht vor. Zum deutsch-spanischen Grenz-Streit. Eine Note des spanischen Ministeriums deS Aeußern stellt fest: Der Fluß Campo dient unr von der Mündung bis zum 19. Grad östlicher Länge von Greenwich als Grenze zwischen Kamerun und Spanisch-<Iuiuea und tritt weiter auswärts in deutsches Gebiet. In diesem letzten Teile seines Laufes fließt der Campo durch daS Gebiet des Stammes Esnangon, von dem ein Teil auf spanischem Gebiete wohnt. Die Note fährt fort: Bor kurzem widersetzten sich Eingeborene von dem in Kamerun wohnenden Stammesterle dem Durchzüge einer deutschen Kommission. Es ist natürlich, daß die Behörden der deutschen Kolonie daraus hielten, die Unbotmäßigkeit der in Rede stehenden Eingeborenen zu strafen. Es ergab sich daher für die zu diesem Zwecke entsandten Truppen die Notwendigkeit, den Campo zu überschreiten, lieber die angebliche Fortnahme einer spanischen Fahne durch deutsche Truppen erklärt die Note, die Sache sei unmöglich; denn in dem fraglichen Ge biete seien niemals spanische Flaggen verteilt worden. Hin sichtlich der Waffen, mit denen die Eingeborenen angeblich versehen seien, stellt die Note fest, daß sich alle afrikanischen Faktoreien bemühten, Waffe» zu vertreiben. Ausgenommen seien einige Firmen von Bedeutung, namentlich die Faktoreien der Compania TrauSatlantica nnd andere spanische Faktoreien. Tic Kolonial-Konferenz. In der gestrigen Sitzung der Kolonial-Kvnferenz betonte der Unterstaatssekretar für die Kolonien, Winston Churchill, die ungeheuren Schwierigkeiten, die sich der Bewilligung der Borzugsbehanolung der Kolonien entgegenstemmen. Die Regierung sei der Ansicht, daß das System der Borzugübeband» lung an sich verfehlt sei. Kolonialiekretär Elgin erklärte, die Regierung sei außerstande, der Neubekränigung der in dieser Frage auf der letzten Konferenz im Jahre 1902 an- genommenen Resolution znzuslimmen, soweit diese eine Aenderung des zollpolitischen Systems des vereinigten König reiches in sich schlössen. Darauf wird die namens der Re gierung gestellte Resolution angenommen, in der anerkannt wiro, daß die Förderung des Handelsverkehrs inner halb des Reiches am besten gesichert werde, indem zedem Teile des Reiches die Freiheit seines Borgehens gelassen wird. — Ein Privattelegramm unseres Londoner Korre spondenten beurteilt die Borgänge der gestrigen Sitzung: Für die Protektionisten ist es ein großer Schlag, daß in der gestrigen Kolonial-Konferenz gerade Laurier, also der Minister der angeblich preference-freundlichsten Kolonie, die Versammlung zur Annahme der Resolution der Konferenz von 1902 be stimmte. Diese befürwortet eine engere politische Berbiudung mit dem Mutterland, bespricht die Preference aber nur ganz platonisch als ein hypothetisches Mittel wirtschaftlicher An näherung. Daß die Reichsregierung noch ausdrücklich ihre Stellung selbst zu dieser Form der Preserence-Empfeh- lung sich vorbehielt, und daß eine weitere Resolution Laurierö Annahme fand, daß Kolonien und Mutter land volle Unabhängigkeit in Tariffrageu haben sollen, bedeutet die vorläufige völlige Beiseitelegung des ZollvereinsgedaukenS. Sie dürfte auch den übrigen Kolonien den von Kanada bereits beschrittenen Weg zu selbständigen Handelsverträgen mit Europa öffnen. Die RegieruagSvorvehalte bedeute«, daß England seine Zu- stimmung zu solchen Verträgen als Kompensation für han delspolitische Zugeständnisse an sich selbst benutzen will. Die irische Bitt dürfte die Aufmerksamkeit Englands vorläufig einigermaßen von der unglückseligen „Friedeus"»Konferenz ablenken, welche in diesem Sommer durch ein feindliches Gestirn uns be- schieden ist und schon so lauge ihre Schalten vorauswirst. Ueber den Schluß der Sitzung wird gemeldet: Nach längerer Debatte, die sich gegen Schluß sehr erregt gestaltete, wurde die erste Lesung der Vorlage über den irischen Verwaltungs rat mit 416 gegen 12 ^stimmen angenommen. — Daß schon hei dieser Abstimmung 12 Gegenstimmen vorgekommen sind, ist ein bedenkliches Zeichen. Nach englischem Brauch pflegen die nichts bedeutenden ersten Abstimmungen mit Einstimmig keit Vie Vorlagen passieren zu lassen. Das Gegenteil steht etwa unserem deutschen „Begräbnis zweiter Klaffe" gleich, wie eS einst der „Zuchthaus-Vorlage" zu teil wurde, die der Reichstag ohne Kommissions-Beratung ablehnte. Aue per französischen Kammer. Die französischen Kammern sind, wie schon früher an gekündigt war, gestern endlich aus ihren Osterferien zurückgekehrt, die sie wohl ihren russischen Verbündeten zu liebe bis zu dessen julianischem F.-sttermin hinauögeschodeu hatten. Ringsum hat sich in der langen Feierzeit der Himmel des Ministeriums Clemenceau mit Wetterwolken bedeckt. Am Eröffnungstage gewahrte man au den auf springenden Windstößen, daß das Gewitter heranzieyt. Besonders am Schluß der Sitzung wurde es recht lebhaft. Es kam zwischen dem Unlerftaatsfelrclär für die Poften und Telegraphen Simyan und den Deputierten IauräS und Preffeufä wegen der Entlassung von Briefträgern zu einem lebhaften Wortwechsel, in dessen Verlauf Prassen,« dem Kabinett eine Infamie (!) vorwarf. Iauräs und Prvssensö erklärten, die Kammer müsse sich darüber aussprechen, ob sie das Vorgehen der Regierung billige. Japans Verträge. Der Pariser japanische Botschafter Kurmo bestätigte einem Mitarbeiter des „Tempo", daß das französisch-japanische Abkommen Bürgschaften für die Unabhängigkeit uno In tegrität Chinas sowie für den Besitzstand der beiden Ver- lragsstaaten enthalte. Der Vertrag sei rein politischer Natur, er enthalte weder ein kommerzielles noch ein Schiffahrts- übereintommen. Er werde in Paris in zwei bis drei Wochen unterzeichnet und sodann veröffentlicht werden. Was die jüngsten russisch-japanischen Uebereinkommen aulange, so beseitigten diese endgültig jede Schwierigkeit zwischen Ruß land und Japan. Tie offene Tür. Die japanische Regierung verständigte die auswärtigen Missionen, daß von nun an den Ausländern gestattet sei, auf der Liaotung-Halbinsel sich anzusiedelu und Grundbesitz zu erwerben. Ter Prozcf; Hammer. * Wegen qualifizierter Untreue und Unterschlagung wurde der Rechtsanwalt Hammer vom Landgericht Leipzig zu acht Monaten Gefängnis und zwei Jahren Ehreurechts- Verlust verurteilt. (S. Gerichlssaal.) politisches. Die Heimarbeit. Der Zentralaus schuß B<-r.l.in<^ !auf- uläntll scher, gewerblicher u«d industrieller Vereine und der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller haben in ihren Sitzungen vom 29. April und 6. Mai d. I., in denen die dem Zentral ausschuß angeschlossenen 64 Vereine durch ihre Delegierten vertreten waren, zu der Frage der gesetzlichen Regelung der Heimarbeit Stellung genommen und einstimmig folgende Beschlüsse gefaßt: 1) Die Verpflichtung der Arbeitgeber, für Zwecke der Aufsicht, Versicherung und Statistik über die von ihnen un mittelbar beschäftigten Zwischenmeister, Hausgewerbe treibende oder Heimarbeiter einen fortlaufenden Nachweis zu führen, wird ausdrücklich als Vorbedingung und Grund lage aller Reformen anerkannt. 2) Einer Vorschrift, nach welcher die Lohnbedingungen vor Aushändigung der Arbeit schriftlich festzusetzeu sind, stehen erhebliche Bedenken nicht im Wege. 3) Die Ausdehnung der ZwangSversicherung auf die Heimarbeiter, sowie die Errichtung von Auskunftsstellen und Arbeitsnachweisen ist wünschenswert. 4) Auf das nachdrücklichste wird vor einer Verallgemeine rung aller Maßregeln ^warnt, welche die Bericht eden- heiten in den einzelnen Orten R>er Betriebszweigen un berücksichtigt lasten würden. 5) Soweit Maßregeln über die vorstehend aufgeführten Punkte hinaus ergriffen werden sollen, kann dies nur durch Spezchlgeseße und Verordnungen geschehen. 61 Rcsormversnche, die die Eristenzmöglichkeit für Arbeit geber und Arbeitnehmer in Frage stellen würden, und die vitalsten Lebensintcressen der unteren Volksschichten gefähr den und schließlich untergraben müßten, sind entschieden zu verwerfen: so gibt allein die Berliner Heimindustrie bei einem Jahresumsatz von 600 Millionen Mark 120 000 Men schen Beschäftigung und Unterhalt. 7> Vor Einführung gesetzgeberischer Maßnahmen ist es notwendig, die von der Regierung in die Wege geleitete Be- sclmffung authentischen Materials über die Lage der Heim arbeiter abznwarten und die Resultate der Enguetc den be teiligten Kreisen zur Beratung vorzulegen. Das Präsidium wird beauftragt, die vorstehenden Be schlüsse den Reichsbehörden, sowie den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches zu übermitteln. * >. Landtagswal,lkrcis der Stadt Leipzig. Man schreibt U'N's: Zu einer Besprechung über die Wiederwahl des Land- tagsabgeordnaten Herrn Fabrikbesitzers und Ingenieurs Otto Rft'iller in Firma Schön und Sohn zu L.-Neuschönefeld batten sich die Vertrauensmänner des Wahlbezirkes sehr zahlreich gestern abend in den „Drei Liften" zu L.-Reudnitz eingefunden. Nach einem kurzen, mit Beifall aufgenommeneu Referate des Vorsitzendem des 400 Mitglieder zählenden Wahlkomitees, ides Herrn Reaftchuldirektors Prof. v. Brause, über die Wichtigkeit der bevorstehendem LandtagLwah.en be richteten die Lchmänner der einzelnen Wahlbezirke und konnte erfreulicherweise fsstgestellr werden, daß die Wiebcrkandi- datur des bewäirrien bisherigen Vertreters den ungeteilten Beifall der neuesten bürgerlichen Bcoolkerungsschichten findet und umsomehr als gesichert erscheint, als auch die Homsbesitzer und verschiedene Vereine des Ostons, wie zahl reiche Industrielle, Kaufleute, sehr viele Handwerker und große Beamtem- nnd auch Avbeiterkroffe sie zu der ihrigen gemacht haben. — Zum stellvertretenden Vorsitzenden des gtschäftsfnhrenden Ausschusses wurde der 1. Vorsitzende des Hausbesitzer-Vereins Leipzig-Ost Herr Prokurist Otto Haufe gewählt, der die Wahl annähm. Ein Aufruf wie weitere Ver- ^.mmlnngen sollen die WcchlLewegung fördern helfen. Die Aufstellung der Wahlmänmer bleibt den einzelnen Bezirken überlassen und dürfte sofort erfolgen, wenn die Wählerlisten erst vorliegen. Die motweickügem Vorbereitungen dazu sind bereits getroffen. k. Deutsch - türkische Handelsbeziehungen. Aus Berlin wird uns geschrieben: Dem Reichstage ist, wie bereits ge meldet, eine Zusatzübereiakunft zum Handels- und Scbfffahns- vertrage zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkei vom 26. August 1900 zugegangen. In dieser Uebereinkunft erklärte sich nach dem Vorgang anderer Staaten auch Deutschland mit der von der Türkei beabsichtigten Erhöhung der Werteinsuhr zölle von 8 auf 11 Prozent einverstanden. Die Türkei be gründet ihr Verlangen damit, daß ihr durch die Mächte erheb liche finanzielle Verpflichtungen namentlich wegen Makedoniens auferlegt feien und daß sie diesen Verpflichtungen infolge Mangels anderer Einnahmen nur Nachkommen könne, wenn die Mächte, mit denen sie Handelsverträge abgeschlossen, ihr gestatteten, höhere Einfuhrzölle zu erheben. Diesem Ver langen haben bereits mehrere Mächte entsprochen, und so blich auch Deutschland nichts anderes übrig, als auch seiner seits ein Opfer zu bringen und sich dem internationalen Vorgang anzuschfteßen. Allerdings bringt Deutschland bei seinen regeu Handelsbeziehungen zur Türkei das größere Opfer, allein die Rücksichten auf die hohe Politik haben es der Reichsregierung offenbar rätlich erscheinen lassen, daS größere Opfer zu bringen und sich ihren Einfluß auf die Eniwicklung im Orient zu sichern. Die deutsche Handels- Welt wird nicht erbaut sein von den bevorstehenden Zoll erhöhungen, zumal die türkische Regierung den im Handels- vertrag vom 26. August 1890 vereinbarten Tarif übeLhcuz^ noch nicht durchgeführt hat. Das neue Abkommen soll nur gelten bis zur Durchführung dieses Tarifs. Zum Entgelt für die zugcstandenen Zollerhöhungen sichert die türlifche Regierung eine ganze Anzahl von Erleichterungen der Zoll abfertigung zu, die allerdings in befonterem Maße der deutschen Einfuhr nach der Türkei zustatten kommen wer den. Die dem Reichslage zugegangene Vorlage enthält zahl reiche diplomatische Schriftstücke. * Mitteleuropäischer Wirtschastsvercin. In der les.cn Ausschußsitzung des Mitteleuropäischen Wirtschaftsvcrcins in Deutschland wurde Geheimer Regierungsrat Dr. Henry von Boettinger, Mitglied des preussischen Abgeord netenhauses, Direktor der vormaligen Baversichen Farb werke in Elberfeld, ins Direktorium gewählt. Tic erste ordentliche Generalocrsammlung des Vereins findet am 27. Älftii im Belvedere zu Dresden statt. Der König von Feuilleton. (Ä Gustaf vf.Geijerstnin. l?- V Sein Hcimatsort ist einem Mann. Was einem Baum sein Wurzelgrund: — Wenn man ihn da nicht brauchen kann. Verstummt sein Mund, verfällt sein Pfund. Ibsen. Es sind die Dilettanten des Lebens, die mit ihrem eigenen Leben und dem der anderen wie mit einem Ball spielen; sic sind es. die die schlechte Kunst schaffen, möge sie nun weltlich oder aka demisch heißen, diese seelenlose, nichtssagende barocke Abart der Kunst, die sich hinter das leere Schlagwort ,, l'nrr ponr start/' verkrochen har, die Kunst nur der Kunst wegen. Sie sind es. welche das Ehrfurchtsgcfühl vor dem Leben gerötet haben, die stets an dem vorübcrgcheii, was am tiefsten liegt. Gravitt rrKflstkirtseff. Bei einem Aufenthalt in Petersburg fiel mir im Mu- ieuni Alexanders III. ein Bild — ein Armeleutmädckxn hüllt sich unter einem defekten Regenschirm in ihren Schal ein — deswegen auf, weil cs modern in der Fähigkeit war, einen zufälligen Moment so wiedcrzugebcn, das; er suggestiv nnd eindringlich wirkte. Als Maler dieses .,lo punuplnio" bezeichneten Bildes war Maria Bajhkirtscfs angegeben; der Name weckte in mir keine andere Vorstellung als die, ibm in Zeitschriften der Frauenbewegung begegnet zu sein. Später erfuhr ich, daß diese Russin aus dem Friedhof zu Paffy in einem von Maurice Barrcs entworfenen Mauso leum begraben liegt, nachdem sic in ihrem 24. Lebensjahre gestorben war; daß im Luxembourg ein paar gleich ein dringlicher Bilder von ihr hängen^und daß die Erinnerung an sie einem kleinen Kreise von schriftstellern teuer ist — aber geistig brachte ich sic immer noch in der Kategorie nnier, in die russische Studentinnen, soziale Kämpferinnen, modern« Frauen gehören. Man kann diese Auffassung cft gedruckt ':nbeu. Ein« neue Ausgabe ihrer Tagebücher, die neulich bei Herman» Seemann Rach?. erschienen ist, hat sic uns wieder näher gebracht: cs wird sich zeigen, daß man ihr Bild ganz zu ändern hat. Maria Bafhkirtseff war nicht einmal unbewußt, durch die Wirkung ihrer Existenz etwa, das Vorbild einer Vor kämpferin, denn sic Istitte voll Hochmitt den Gedanken, sic vertrete in ihrem Verlangen nach geistigem Ankleben die Sache vieler anderer Frauen, lächerlich gesunden. Sie hatte gar kein Solidaritätsgefühl, sic war eine extreme In dividualistin, und in ihre Träume von neuen Wegen ver irrte sich nie der Gedanke an eine soziale Betätigung. Ja sie war nicht einmal ein moderner Mensel;, da ihr Bewußt sein nicht durch die wundervolle Stimmung moderner Ent wicklungen geweckt worden ist: siebt man genau zu, so wurde ihr Temperament durch die modernen Verhältnisse nicht gefördert, sondern gehemmt. Als sic ihr Tagebuch beginnt, ist sic ein Mädchen von sech zehn Jahren, das nach einer internationalen in Rom been deten Erziehung soeben in die Gesellschaft des Fanbourg St. Germain eingesührt wird. Man prophezeit ihr einen bei spiellosen Erfolg, aber man sagt ihr damit nur etwas, was sie selbst weiß. Sie ist sehr schön, von schlanken, vollen For men, für die sic eine eigene antikisierende Toilette in Mode bringt. Man macht Pläne, nm sic zu verheiraten — sie interessiert sich insofern dafür, als sic weiß, daß sic den Mann ihrer Ansprüche nicht finden wird. Ein vornehmer junger Politiker, von dem die Sechzehnjährige nach der ersten Be gegnung mit einer staunenswerten Sicherheit schreibt: „ein Vollblutfranzose, halb Kanaille, halb Weltmann, anscheinend liebenswürdig, im Herzen sinnlich und böse, eitel nnd miß günstig, witzig nnd dumm", tritt als einer dieser Bewerber ans. Sic weist ihn zurück, nicht weil sic den brutalen Handel, dessen Zeuge sic ist, verabscheut, sondern weil ihr der Ge danke kommt: „Wer im Verkehr so gleichmäßig bezaubernd, geschmeidig nnd zuvorkommend ist, muß ein harter, unan genehmer nnd böser Mensch sein. Sie ist zu aristokratisch erzogen worden, nm etwas sen timental zu nehmen. Tragisch dagegen und leidenschaftlich zu fühlen, dazu wäre sie sicher imstande; aber da sie in ihrer selbständigen Art erst bei einer gewissen Höbe der Tempera tur sich erwärmen wird ,bleibt sie vorwiegend kühl. Aber sic denkt auch nicht daran, sich in dieser Gesellschaft, die sie durch- ichaur, nnd in diesem außerordentlich mondciincn Pariser Leben unglücklich zu fühlen, in dem sic Aufsehen erregt, das für ihre Jugend, ihre Lebhaftigkeit, ihren Geichmack den un entbehrlichen Hintergrund abgibt. Es gefällt ihr, die Sprech stunde von Wahrsagerinnen aufzusncheii, wie alle vor- nehmen Damen eS tun; aber sic tni cs in einer anderen Art. Wenn sie arrogant und eigensinnig ist, bat sie doch von sich selbst das Gefühl der Fülle nnd vieler Möglich keiten. Eine Frau kann zweierlei werden, 'Dame ober Weib, raffinierte Ziviliscttivn oder Ursprünglichkeit, — Marin Bnsdkirtsess fügte noch eine dritte Möglichkeit, die der Kunst, hinzu. Bewunderungswürdig ist, wie dieses .Kind einer vornehmen Familie, die noch weniger als ein abweisendes Verhältnis zur Kunst, nämlich gar keines, hatte, trotz ferner Erziehung so selbständig blieb, daß es den Kern seines Wesens, das Verlangen nach einem leidenschaftlicher und bedeutungsvoller geführten Leben, srcilcgcn konnte. Sie setzte es durch, ernsthafte Studien in Paris beginnen zu dürfen, indem sie in das Atelier des Malers Julian eintrat. Es ist bezeichnend, daß sie nicht daS Verlangen empfand, Schauspielerin zu werden. Was sic bei Dandcts „Sappho" ausseht, daß die Grenzen der Gefühle ineinander übergingen und man ganz verwirrt werde, spricht nicht von einer unmittelbar leidenschaftlichen Begabung, die sich in den Strom der Dinge stürzt: ihre Malerei verrät eine zujammcnfasscnde, den Dingen gcgen- ü b erst eh ende Phantasie. Es erhellt ihren Charakter, wenn man sagt: Hölle sie unter gleich hcrvorragenden gesellschaftlichen Verhältnissen in den Talons des 18. Jahrhunderts gelebt, so hörte sic sicher ihre Fähigkeiten in dem Dasein einer großen Tamc organisch entfaltet und befriedigt; vielleicht wäre sie diesem Ideal nabegekommcn, von dem man so viel spricht, nnd das doch nie existiert hat, da keine seiner Vertreterinnen menschlich bedeutungsvoll genug war. Ninon de Lenclos war zu ausschließlich erotisch, andere zu ausschließlich po- litisch oder literarisch -- Maria Bafhkirtseff kann man sich als einen ;'nsammenklang denken. Sie konnte von feder dieser Möglichkeiten sehr viel sein, ohne es doch ganz zu sein: in der Souveränität, den letzten Schritt oor dem Ak>° gründ der Leidenschaftlichkeit sodee Ernsthaftigkeit) zu per- meiden, bestand das Wesen der Kultur vor der Revolnlion. Maria Bashkirticsf fühlte das Geheimnis dieser Wcl: in ihrem Blute; die gesellschaftliche Form war ftir sie nicht ein Resultat der Erziehung, sondern der unmittelbare Ausdruck dieser spielerischen Geschmeidigkeit der Seele; sie fühlte sich in ihrer Vollkommenheit so legitim, daß sie es sich gestattete, nachlässig und arrogant zu sein. Sie war ferner stolz nnd ehrgeizig; ihre (klugheit und Menschenkenntnis ergriff früh mit Wörme die Idee, eine politische Rolle zn spielen, und sie flammt aus, wenn sie sich nnsmalt, wie das wäre, ein solches Leben Icbenswertcr ge macht durch „Kunst, Politik und berühmte Männer". Ebenso wie sie nicht kokett ist, aber eine Liebhaberin roman- lnfftcr Tinge, lacht sie, frei von jeder Kleincmädchenscnti- mentalität, über den Bramarbas Bonlanger, ist aber von dem „herrlichen Tribunen" Gambctta hingerissen, bei dessen Tode sic erschüttert denkt, was er aus ihr batte machen können, ivenn sic im Leben sich gei'und-n hätten, ftnd wie kann jemand Clcmeneran richtiger erfassen, als damals vor 25 Jabrcn dieses Mädchen'? Sicherlich hätte sic es in Zeiten, in denen sie ein geeig netes Milieu vorgefimden hätte, weit gebracht. Man muß beachten, daß bis zum 19. Jahrhundert alle früheren Epochen nacheinander eine Reibe solclier deutlicher Milieus l>crvorbrachten, nnd daß die Menschen bereitwilliger wie beute Kinder dieser Milieus gewesen sind. Wir beute kennen diese ausichlicßlichc Herrschaft einer sozialen Aus- druckssorm nicht mehr, dafür müssen wir die für unsere Begabung passenden Verhältnisse nicht nur zuerst erobern, sondern meist erst schaffen. Und große Talente gehen daran zugrunde, daß sie infolge «v»«r gewissen Scheu vor dem Kampfe nie den Boden finden, in dem sie blühen werden, während das Schicksal sic nur in eine der -chärfcr ausge prägten Zeiten hätte versetzen brauchen. Diese Natnicn, die in den modernen Tagen zahlreich sind, fühlen eine Menge von Möglichkeiten, zn denen sie sich entschließen könnten; aber die Jahre verfliegen ihnen, indem sie sich in jeder ohne die entfcheidendc Leidcnfchtstlichkcit versuchen. -Tie Fähigkeit, leidenschaftlich sein zu können, ist das Grundproblem moderner Seelen. Man fühlt sich der Leidenschaftlichkeit fähig, aber man fühlt auch zwischen der gewöhnlichen Konstitution, in der man sich besinget, und der Tiefe, in der jene glüht, eine (vielleicht nur dünnes Scheidewand. Man ist von seiner eigenen Phantasie ge trennt, die Leitung ist an einer kleinen Ansangssteilc unter- brochen. Infolgedessen erwartet man, statt selbst sich in den Abgrund der Leidenschaftlichkeit zu stürzen, von außen, von anderen, vom Leben den Antrieb, der uns ihm ent- gegcnfnhrcn soll. Nnd man wartet meist vergeblich; die wenigsten sind solche Glückskinder, daß das Leben sic an die Hand nimmt, aber es streift an allen vorbei, nm sich er greifen zu lassen. Maria Bashkirtscsf gehörte zn denen, die von ihrer Pbon- lasic getrennt leben, die vom Schicksal die kleine Explosion erumrien, die sic hinübcrschlenden in ein heftiger und be deutungsvoller geführtes Dasein. Wenn ihre arlstatraniche Erziehung ihr den «ngeborenen Vorteil geboten halte, daß sie nicht erst mühsam sich durch die allzu schwere Betrach- tnng der Gefühle und Ideen zur Distanz von ihnen bin- dnrchzukämvscn brauchte, io enibilllte sich fetzt chrc Kehrseite. Wenn solche Menschen sich nicht damit begnügen wollen, eine Existenz in den Salons zn führen, vor allem, wenn sie das Ziel schöpferischen Künstlertums ins Auge fassen, müssen sie wieder naiv werden, des Rausches fähig werden, un mittelbar werden. Beschäftigen wir uns mit den Tagebuch blättern Maria BaihftrNcffs aus den Jahren 1883 und 188s. den beiden letzten ihres Lebens. Es sind sieben Jahre ver gangen, seit wir sencs Wunder eines erwachsenen Kindes kennen lernten. In diese sieben Jahre brach nie der hin reißende Taumel eines Erlebnisses, während Maria Bashkirtscsss Entwickelung immer mehr verriet, daß sic jeder Probe des Ungewöhnlichen gewachsen gewesen wäre. Sie wird tragisch, weil sie starb, ohne in einem der großen Gc- fühle des Lebens einmal ganz nntergegangcn zn sein, ohne stark geliebt oder stark gehaßt zu haben: ohne sich gesunden zu haben. Sie batte begonnen, ihre Kräfte auf die Malerei zu werfen, aber trotz aller Erfolge sühllc sic selbst, daß man es fanatischer tun müsse, um ein großer Künstler zn sein. Ihre Leidenschaftlichkeit war mehr Forderung al - Selbstverständ lichkeit. Lic beschäftigt sich viel mit der Liebe. Gambctta hatte vermocht, aus der Aristokratin eine entflammte Re. publikanerin zu machen, aber so wenig wie sie mit ihm zu sammentraf, ebenso kreuzte kein anderer Mann mit einer starken Seele ihren Weg swcil ihr die Energie fehlte, ihn zum Erscheinen zu zwingens. So arbeitet sie tagsüber, und wiegt sich abends durch Träume von LiebeSf-euen in Schlaf.