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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.02.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-02-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080224028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908022402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908022402
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-02
- Tag 1908-02-24
-
Monat
1908-02
-
Jahr
1908
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Sezug-.Prel» Kr «» »«ch »»1er« Lrt-ee Illi Ppedtteur» t»1 Ha»1 gebracht, «utgatx Li« »wrgeLsi »tertillthrltch » Ä.. maaatlich I Pl.; Autaad« » (mora»»1 »nr abend«) viertel« jährlich LL0 M„ m»»alltch lchv vt. Durch dt« Du« ,» dezlebeui <2 mal tLgltch) inner halb Deullchlanb« und der deutschen kolaniru »lerreljahrllch H.2L M., manaUiib l,7L M. »uljchl. Post, bestellgelb, jür Oesterreich » L SÜ st, Ungar» 8 ll »ierteltährlich Kerner ln Bel gien, Dänemark, dro Dvaaullaalen, grank» reich, Jlalle», Luremburg. Niedrrland«, Staewegeu, btutlan», Schwede», Schwel» und Svallle». I» alle» adrige» Staate» nur dlretl durch dl» Eived. b. Bl. erbtltllch. «bonnemeutchiunadaw, >»st»st»1vl«tz 8, bei anlere» Prager», Ml täte». SvedUeureu und Lao ahme stellen, lüwt« PostLmteru ll»d vnenrtger». Dt» elngel n» »ta mmer koche» IS Vfg. aledaktto» »»» Lrvedttto», I»dau»tHg,st« li. L-l-vha» »r. »4«, «r. I4SU, lllr. l«S»L Nr. 5L Montag 24. Februar 1908. Abend-Ausgabe 8. np.rigtrTagMM Haudelszett««g. NmLsvratt des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Luzeignr-Prei- str Hnierat» au» LeidMg »»d Umgebung dt« Ügespaliea« Pelitteil« 2i Pt., ftnangleü« «lnzeige, SÜ Pi„ »ieklame» 1 M. i »o» au«wLrlt SV Pt., «leName» 1.20 M; dowLutlaodiOPt., stn»»». kln»etgen7LPI.. ««Name» Li0 M. gnlrrat» ». Beh-rde» im «utllchrn Pell «0 P> Bellagegebüdr bM. P. Lautend erst. Poti- gebühr. isteicbSlttametgen a» beoorrugle, Stell« tm Prell« erhitzt. Rabatt nach Taris. FeftertrUIe Aut trüg« kSuaeo »ich, zurück- aerogea werde» Für da« Lrlchelnen au iestiLMtr» Page» »ad PlLhe» wirb lein, charanrl» übernommen. Inzelgen-Puaahme, AugustuSvlatz 8, bet lümtllcheu Filiale» u. allen Annoiice»' rrpedüi,»«» de« Io» «U> Lutlande«. -«»vr-StNul» verllu, Iirl Luncker, tzer^l. Paar. Hosbuch' Handlung, Lützowstratze IL delepho» VI. Sic. «S0H. 102. Jahrgang. Das wichtigste vorn Tage. * Der Gesundheitszustand des englischen Kabinettschefs Campbell-Bannerman ist sehr beunruhigend. Der Minister verbrachte eine äußerst schlechte Nacht. * Eine Herabsetzung des englischen Flotten-Budgets um 7 bis 9 Millionen soll von der Negierung zuge standen sein. lS. Ausl.) Die sächsische Gen-arinevieanftalt. Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung der Zweiten Kammer steht unter anderem die Schlußberatung über den schriftlichen Bericht der Finanzdeputation .4. zum Kapitel 47 des ordentlichen Etats über die sächsische Gendarmerieanstalt. Dieser Bericht, der voraussicht lich zu einer lebhaften Debatte Anlaß geben wird, hat durch einen Zufall ein gewisses kulturhistorisches Interesse bekommen, nachdem die Staats- regierung von der Kommission ausgefordert worden ist, die Beantragung von 18 neuen Stellen eingehender zu motivieren. Die Regierung tut dies zunächst mit dem Hinweise^auf einen Vergleich mit den Verhältnissen in anderen Staaten. Diese Statistik ist ledoch mangelhaft, denn sie gibt nur die nackten Ziffern, und das einzige, was man daraus er- sehen kann, ist, daß in Bayern auf einen Gendarm 28 Quadratkilometer mit 2460 Einwohnern, in Böhmen 20 Quadratkilometer mit 2450 Ein wohnern kommen, während der sächsische Gendarm 35 Quadratkilometer mit nicht weniger als 10500 Einwohnern zu beaufsichtigen hat. Das ist allerdings ein Verhältnis, welches allein schon die Mehranstellungcn rechtfertigen könnte, wenn es nicht ganz selbstverständlich wäre, das hier neck ganz andere Ziffern und Faktoren zu berücksichtigen sind. Auch wären Vergleiche mit anderen deutschen Bundesstaaten recht interessant gewesen; diese konnten aber nicht gezogen werden, weil die dazu not wendigen Unterlagen fehlten. Die Kammer wird also vermutlich dieser Statistik keinen besonderen Wert beilegen, denn wenn schon mit statistischem Material gearbeitet wird, dann muß diese auch voll ständig und umfassend sein. Mit so ein paar hingeworscnen Zahlen ist gar nichts gesagt. Die Regierung weist dann weiter darauf hin, daß die Inhaber der 331 Gendarmeriestationcn des Landes bei dem Mangel jeder Reserve in folge von Beurlaubungen, Erkrankungen, Vakanzen, Abbesehligungen zu den Mar.övern, zu Streiks, Jahrmärkten und aus anderen Anlässen einen mehr oder weniger großen Teil des Jahres aus der Station abwesend ünd. Eine solche Entblößung der Distrikte von Gendarmerie auf längere Zeil müsse immer ein gewistes Gefühl der Unsicherheit in der Bevöl kerung Hervorrufen, besonders wenn man sähe, daß eine ganze Reihe von Verbrechen und Vergehen offenbar die Folge von unzureichender Aufsicht zu sein schienen. Das ist ohne Zweifel ein Argument, das im Plenum der Kammer voll und ganz gewürdigt werden dürfte, um so mehr, als es in folgenden Ausführungen der schriftlichen Begründung der Regierung eine wirkungsvolle Unterstützung erhält: Dazu kommt, daß die Industrie im ganzen Lande noch immer im Aufschwünge ist und daß die Zahl der ausländischen Ar- beiter in verschiedenen Zweigen der Industrie und des Gewerbes stetig zunimmt, so zum Beispiel in der Stein- und Glasindustrie, in der Jutesäbrikation, bei den Erdarbciten aus Anlaß von Bahn- und Talsperrbautcn usw. Diese Ausländer bilden aber ein ganz besonders unruhiges Arbeiterelement, das der Gendarmerie, wie sich in allen davon betroffenen Distrikten deutlich nachweisen läßt, eine außerordentliche, wachsende Arbeit verursacht, vor allem in bezug auf Eigentums- und SittlichkeitS- vergehen, Körperverletzungen usw." Weniger glücklich scheint uns die weitere Begründung, daß der fort schreitende Ausbau der sozialen Gesetzgebung der Gendar merie ebenfalls unausgesetzt neue Aufgaben bringe, und zwar auch dort, wo an und für sich die Ortsbehörden zuständig seien. So müßten die Gendarmen zur Unterstützung der Ortsbehörden vielfach mit tätig sein bei der Kontrolle der Maße und Gewichte, bei Ueberwachung der Vorschriften der Bäckcreiverordnung, der Vorschriften über den Kinder schutz usw. Es ist gewiß nichts dagegen cinzuwenden, wenn die Gen darmerie, — soweit dasmöglich ist, ohne daß der eigent liche Sicherheitsdienst darunter leidet — hier und da zur Unterstützung der Ortsbehörde eingreift, aber eine Stellenver mehrung mit solchen Aufgaben zu begründen, scheint doch wohl nicht ganz am Platze, besonders wenn man sich erinnert, welchen Verlauf die Debatte über die Interpellation Kühlmorgen und Genossen über die Handhabung der Bäckereiocrordnung genommen hat. Damals war es bekanntlich nur der sozialdemokratische Abgeordnete Goldstein, der seine Stimme zur Unterstützung des Ministers des Innern erhob, auf diese Unterstützung wird aber Graf Hohenthal für die heutige Debatte nicht rechnen können, denn die Begründung der Regierung schließt mit folgen den Sätzen: „Die Zahl der öffentlichen Versammlungen, in welche die Gendarmerie zur Aufsichtsführung befehligt wird, hat in den letz ten Jahren nicht zum wenig st en durch die unausgesetzte Agitation der Sozialdemokratie ganz außerordentlich zugenommen, so daß die Gendarmen auch hier in immer steigendem Maße in Anspruch genommen werden, um so mehr, als sie bis in den Ort der Versammlung oftmals weite Wege zurückzulegen haben und sich die Versammlungen so weit binausziehen. daß der Gendarm sich der etwa gebotenen Gelegenheit, die Eisenbahn zur Rückfahrt zu be- nutzen, nicht mehr bedienen kann. Er kommt dann erst spät nach Hause, ist am anderen Morgen nicht frühzeitig wieder arbeitsbereit und muß andere Dienstobliegenheiten vernach- lässigen. Daß die Zunahme der Streiks und der dabei vorkommen den Ausschreitungen Streikender eine häufige Zusammenziehung von Gendarmeriemannschaften zur Aufrechterhaltung der Ordnung ver anlaßt, ist eine ebenso wahrnehmbare Erscheinung der letzten Jahre wie die Zunahme der öffentlichen Volksversammlungen. . ." Daß bei Volksversammlungen, bei denen die Ursache der Einbe rufung, die Persönlichkeit des Hauptredners oder andere Umstände irgendwelche Unruhen möglich erscheinen lassen, die Gendarmerie auf dem Posten sein muß, ist selbstverständlich und wird von der ganzen Kammer gegen die Stimme des sozialdemokratischen Abgeordneten zu gegeben werden. Anderseits kann aber auch nicht in Abrede gestellt wer den, daß gerade auf dem Gebiete der Ueberwachung von Versammlungen oft des Guten zu viel getan wird. Lsnrarch Der Tov ces berühmten Arztes und Gelehrte», den wir schon heute früh meldeten, ruft allenthalben die Erinnerung an sein arbeitsreiches und mit Erfolgen gekröntes Leben wack. Der berühmte Chirurg, deu in ihm Deutschland verloren hat, wird schon allein durch die Erfindung der segensreichen HilsSmcthode, der künstlichen Erzeugung von Blutleere bei der Ausführung großer, tieseinschneidender operativer Eingriffe unvergessen bleiben. Und was er an geregt und geleistet hat bei der Anlage von Feldlazaretten und Verbandplätzen, bei dem ersten Verband auf den Schlachtfeldern, der ersten Hilfe bei Verletzungen und Unglücks fällen, das wird immer in dankbarer Erinnerung sestgehalten werben. Wir würden heute ohne ihn ja auch nicht das woblgeregelte Sama riterwesen haben, das seiner Arbeit und Organisation so vieles zu verdanken hat. All diese Verdienste seines reichen Lebens stehen in engstem Zusammenhang mit seiner Persönlichkeit. Er selbst war ein Samariter voll herzlichen Erbarmens mit der leidenden Menschheit, von hingebenderLiebe an dieKranken undVrrwundeten.Gerade diese liebens würdigen Charakterzüge trieben ihn dazu an, immer auf neue Mittel zu sinnen, um bei UnglückSfällcn und vor allem auf dem Schlachtfeld für eine erste gute Hilfe zu sorgen und den operativen Eingriff so schmerz los wie möglich zu gestalten, sowie dem vorzubeugen, daß der Heilungs prozeß durch allzugroßen Blutverlust des Kranken in Frage gestellt werde. So hat er in dem Elser, die vorgeschrittene chirurgische Technik in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen, als ein Wohltäter der Menschheit gewirkt. Dem entsprach auch die linde, freundliche Art seiner UmgangSsormen, die sonnige Natur, die er zeigte. Auch nach seiner viel besprochenen Verheiratung mit einer deutschen Fürstin, der Prinzessin Henriette von Schleswig-Holstein, durch die er ein Onkel des Kaisers wurde, blieb er der einfache Mensch, der er von jeher war. Er besaß auch ein starkes Heimatsgefühl. Selbst die glänzendsten Anerbieten konnten ihn nicht bewegen, Kiel und damit seine engeres Heimatland zu verlassen. Durch ihn aber wurde diese Uni- versilät gerade in deur Spezialfach, daö er vertrat, ein AuziebungS- punkt für ungezählte deutsche Mediziner. Dabei hatte niemand während seiner Jugendjahre vermutet, daß er ein hervorragender Ge- lehrter werden könne. Nur mit Mühe und Not kam er auf dem Gymnasium vorwärts, blieb wiederholt „sitzen" und be stand zuerst das Abiturentenexamen nicht. Ein Beispiel dafür, wie wenig die auf unseren Gymnasien gestellten Anforderungen schon ein Maßstab sind für die Begabung eines Menschen. Reiche Ehrungen wurden Esmarch am 9. Januar 1903, seinem acht zigsten Geburtstag, zuteil. In seinem Hause erichienen vierunvzwanzig Abordnungen des In- und Auslandes. Der Deutsche Samariterbund ließ eine Esmarch-Medaille überbringen, das Komitee zur Errichtung eines Esmarch-DenkmalS in des Gelehrten Geburtsstavt sand sich ein, Bergmann, Trendelenburg und Bier waren persönlich unter den Gratulanten. Im Jahre 1901 schied Esmarch seines hohen Alters wegen auch aus dem Mcdizinalkollegium für Schleswig-Holstein aus. Vor drei Jahren war er schwer erkrankt; er fiel aus dem Bett und brach sich das linke Schlüsselbein. Sein Sohn, der Göttinger Professor der Hygiene, Erwin v. Esmarch, entstammt Friedrich EsmarckS erster Ehr mit einer Tochter seines früheren Lehrers und Chefs Strohmeyer. Esmarch litt seit einer Woche an Influenza. Ein Lungenkatarrh trat hinzu, vor drei Tagen reizte sich starkes Fieber. Am Sonnabend schien «ne auffallende Besserung einzutreten. Esmarch las seine Zeitungen, unterhielt sich mit den Angehörigen und aß mit sichtlichem Appetit, nachmittags traten entzündliche Herde in der Lunge auf, das Frehrr stieg auf 40 Grad. Abends wurde er bewußtlos. Gestern gegen 3 Uhr morgens verschied er, ruhig und schmerzlos. Prinz Heinrich er-, schien vormittags als Erster im Trauerhause. Beileidstelegramme sandten außer dem Kaissrpaare Herzog Karl Theodor in Bayern, Prinz Friedrich Leopold von Preußen, Prinzessin Heinrich, Herzog Ernst Günther. Das Telegramm des kaiserlichen Paares an die Witwe, das kurze Zeit nach dem Tode eintraf, lautete: „Wir sprechen Dir unser von Herzen kommendes Mitleid aus. Gott tröste Dich in Deinem liefen Schmerz. Wir haben den Geheimrat stets sehr verehrt. Wilhelm und Viktoria." Deutsches Reich. Lel-zts, 24. Februar. * Katsermanöver. Im Jahre 1908 halten das 15. und 16. Armee korps Kaisermanöver ab. Beide Armeekorps haben große Parade, und zwar das 16. Armeekorps am 27. August, das 15. am 29. August, Feuilleton. In meinem Traum bewegt sich Eines seltsamen Waldes Rauschen. Das drängt zu mir her und regt sich. Will mich betören, berauschen . . . Und schweifte sie sonst in die Ferne, Meine Seele kommt still zu lauschen. Henri de RSgnier. * TLnrit Hamsun. Von Hans Benzmann. Vor einigen Jahren wurde auch in den deutschen Zeitschriften und Zeitungen ein norwegischer Dichter gerühmt, von dessen Entwicklung man sich viel versprach, Knut Hamsun. Damals hatte er gerade seinen mysteriösen Roman: „Pan" geschrieben und den anderen weniger mysteriösen: „Mysterien". In der Tat offenbarte sich insbesondere in dem ersteren ein außerordentlich starkes inbrünstiges poetischesEmpfinden, ein Naturgefühl, das der vegetativen Empfindungsweise eines Böcklin ähnlich zu win schien. Knut Hamsuns weitere Entwicklung hat dann ein wenig enttäuscht. Er war allerdings von vornherein ein Problematiker des Stils und des poetischen Empfindens: Bald schuf er Gesell- fchaftsromane, in denen zwar das nordische Milieu und gewisse indivi duelle Typen interessierten, die aber im Grunde bessere Unterhaltungs romane waren, bald Dichtungen, die tiefstes mysteriöses Fühlen und Denken verrieten. Seine weitere Entwicklung aber ließ aufs deutlichste erkennen, baß sein Talent in der Tat ein höchst problematisches und ein- seitig gerichtetes war und ist. Er wiederholte sich in den Motiven und Charakteren und blieb schließlich nur ein Meister in kleinen realistischen Novellen, deren Entstehung auf irgend ein merkwürdiges Erlebnis oder einen geistvollen Einfall zurückging. Neuerdings ist wiederum eine selt- 'aine dramatische Dichtung von Hamsun in deutscher Nebersetzung er- schienen: „Munken V e n d't" seinzige berechtigte Nebersetzung auS dem Norwegischen von Gertrud Jngeoorg Klett: Verlag von Albert Langen, München). Das ist ein echter Hamsun: Mnnken Vendt, dieser überkluge und verschlagene Naturmensch, dieser gutmütige, einfältige Germane, dieser von unstillbarem Freiheitsdrang erfüllte und bis zur Knechtschaft demütige Mensch ist — Knut Hamsun, in besten Wesen sich gesundes, natürliches und modernes, übersensitives Empfinden nicht zu vereinen vermögen. Hiermit habe ich das Problem des ProblematikerZ Hamsun bloßgelegt. Er ist vielleicht bas Problem des modernen Künst lers, des modernen Menschen überhaupt. Ich möchte hierzu bemerken, daß der moderne Mensch in seinem überfeinen Empfinden dem Natur menschen in vielem ähnlich ist, daß gerade eine hohe Kultur die Seele des Menschen wieder fähig macht, aus alle intimen Reize der Natur zu reagie ren, die Natur bewußt so zu fühlen, wie der naive !-turmcnsch sie unbewußt fühlt und als Lebenselement hinnimmt. Aber die Kultur der Jahr gemäß gezeichnet und an den Prang das Milieu erschöpfender dargestellt Hunderte hängt sich wie Ketten an die Seele des sich in der Natur wie neugeboren fühlenden Kulturmenschen.... Diesen Typus schildert Knut Hamsun in fast allen seinen Romanen, die um dieses Problemcs willen stets zu den wichtigsten und wertvollsten literarischen Dokumenten unserer Zeit gehören werden. Von diesem Gesichtspunkte aus möchte ich die Entwicklung des Dichters in dem Folgenden an der Hand der ein zelnen Romane schildern. Ich werde dabei auf sein Hauptwerk „Pan" und auf das berühmte interessante, aber gänzlich undramatische und stellenweise unkünstlerische Drama „Munken Vendt" ausführlicher ein gehen. Zu den besten Romanen Hamsuns gehört der erste: „Hunger" falle in dem Folgenden besprochenen Werke sind in deutschen Uebcrsetzungen in dem Verlage von Albert Langen, München, erschienen). Es ist ein Roman ohne Handlung, in dem nur geschildert wird, wie ein junger Mann, der einmal bessere Zeiten gesehen hat, der studiert hat und schließ, lich Literat in Christiania geworden ist, in Not gerät, und zwar so sehr, daß er Hunger leiden muß und von den Qualen, die ihm der Hunger bereitet. Tag und Nacht in der Stadt, in seiner Wohnung hin und her getrieben wird. Der Hunger wird hier zum Schicksal, an dem ein be gabter Mensch zugrunde geht. Aber hierauf kam es dem Dichter nicht in erster Linie an. Das Originelle dieses Romanes ist zu suchen in dem merkwürdig kindlichen, vertrauensseligen Wesen dieses Jünglings, der gut und liebreich bleibt unter allen Schrecknissen. Dieser sensible moderne Mensch überläßt sich wie ein Kind, wie ein Tier des Waldes seinem Schicksal. Halb betäubt von den Qualen des Hungers — auch dieses pathologische Moment verwertet der Dichter —, vermag er sich doch seinem eigentümlichen Trieb- und Traumleben, seinen Vorstellun gen und wunderlichen seelischen Regungen ganz hinzugeben, bis ihn endlich aus diesen passiven, somnambulen Stimmungen ein plötzlicher instinktiver Entschluß herausreißt, bis er sich, gerettet, dem Leben wieder zuwendet, um Arbeit zu suchen. Hiermit schließt der interessante psychologische Roman, der uns den Hamsunschen kindlich-genialen, frei unfreien Menschen gleichsam im Keim: enthüllt. Hamsuns nächster Roman „Neue Erde" ist an sich nicht unbedeutend, für die individuelle Entwicklung des Dichters bedeutet er aber wenig. Er ist ein guter, unterhaltender, wenn auch nicht gerade spannender Gesell- schaftsroman, tendenziös gefärbt insofern, als er sich gegen das dekadente Treiben der jungen norwegischen Dichtergcnerativn wendet. Diese entnerv ten und blasierten Dichterlinge werden in dem Roman der Wahrheit gemäß gezeichnet und an den Pranger gestellt. Die Handlung ist, well das Milieu erschöpfender dargestellt werden sollte, breit angelegt und zerfällt in Episoden. Den Kaffeehaushclden werden zwei gesund und ehrlich fühlende Kaufleute gegenübergcstellt. Ein interessanter Gegen satz zwischen zwei Frauennaturen wird außerdem durchgeführt: Eine ehebrüchige Frau kehrt rcm.'miitig zu ihrem Gatten zurück, der mit ihr eine neue Ehe schließt. Ein anscheinend unverdorbenes junges Mädchen bricht dem Verlobten bei erster bester Gelegenheit die Treue und sinkt moralisch immer tiefer In seinem Verhältnis zur Gesellschaft wird der eigenartige Ham- sunscke Mensch in dem Roman „Mysterien" dargestellt, in seinem Ver hältnis zur Natin in dem Roman „Pan". Dieser Hamsunschc Mensch wird nie mit sich fertig, noch weniger natürlich vermag er sich mit der Welt, mit der Menschysit abzufinden. Er folgt den Eingebungen des Augenblicks: bald wandelt er wie ein Träumer umher, bald scheint er alle Geheimnisse der Natur und der Menschenseele zu verstehen; bald ist er mißtrauisch, wie ein sich beobachtet wähnender Verbrecher, bald ver traut er wie ein Kind in unbefangenster Weise dem ersten besten seine intimsten Geheimnisse an. Dieser individuelle Stimmungsmensch er- scheint in dem Roman „Mysterien" als Typus, gewissermaßen stilisiert. Er hat sich in dem Roman nicht allein mit der Gesellschaft, sondern auch mit der Liebe abzufinden. Wir folgen den Jrrgängen einer psycho- logischen Tragödie. Ter Liebende wird von den seltsamsten Vorstellun gen seiner Phantasie, von Mißtrauen, Eifersucht umhergetrieben, bald unterschätzt er Hch, bald überschätzt er sich, er kann in diesen sich rastlos bekämpfenden Stimmungen zu keinem Entschluß kommen und reibt sich selbst vollständig auf, bis ihn der Wahnsinn umfängt. . . . Tas ist das Ende des Hamsunschen Menschen. Ter große und originelle Dichter Hamsun dagegen kommt neben dem Psychologen in dem wunderbar poetischen Roman Lan" zu Worte. Man weiß nicht, ob man den Titel des Buches auf o llclv oder rö ?»«»- beziehen soll. Beide Worte bedeuten ja im Grunde oder besser im über- tragencn Sinne dasselbe: Natur als All der Einzelerscheinung gegen über,, als Offenbarung und Gebeimnis, als liebendes und hassendes llrprinzip, als Allgefühl. Das Mysterium der Liebe, die eigentümlich göttlich tierische Natur des Menschen, die bald sich hingibt, bald egoistisch nach Alleinsein mit sich ebenso instinktiv und elementar verlangt, die mystischen, sich anziehenden Kräfte, das Tricbleben der Sinne und der Seele, — alle diese Probleme, Stimmungen, Zustände, diese rätselhafte Mystik des Natur- und Geschlechtslebens werden in diesem lyrischen Roman in einem geradezu bannenden Stile, der gleichsam unsere tiefste Seele sucht und auch findet, dargestellt. Prachtvolle Naturstimmungen wechseln mit balladenartigen Episoden. Oben im Waldgebirge haust der Leutnant Glahn. Er hat sich ganz der Einsamkeit, der Natur und dem anfälligen Erleben, seinen Trieben hingegeben. Er fühlt sich eins mit der Natur: aber oft versteht er sie nicht. Er empfindet dann, daß etwas Fremdes in uns und auch in ihr lebt, etwas Unbegreifliches und doch Verwandtes, ein Zwiespalt, der doch gerade unser Wesen ist, unsere Einheit, die Einheit zwischen der Natur und allen Kreaturen. Leben wie das Gras auf dem Felde, wie der Baum im Walde, sich immer mehr und mehr eins mit der Natur fühlen, ohne Zwecke und Ziel, in „Abgeschiedenheit", wie der große deutsche Mystiker Ekkehart es nennt, leben und unmerklich vergehen — das ist die Erlösung! „In dem Hamsunschen Buch", sagt ein Kritiker, „liegt etwas von jenem schreck haften Gewahrwerden dessen, was hinter den Dingen liegt. Aber es ist ein bewußtes Aussuchen dieses wollüstigen Schreckens." Ich erinnere noch einmal an Böcklin, an besten Bild: „Schweigen des WaldeS" — auf einem Einhorn mit rätselhaften, tierisch-dämonisch blickenden Augen reitet ein Mädchen durch den dämmernden Wald — ich bei dem Lesen die'cs Romanes stets wieder denken muß. Der Roman ist daher ganz und gar romantisch. Eigenartige Liebesepisodcn beleben die lyrische Stimmung. Das seruellc Empfinden ist das Grundempsinden der Seele, ist der Wurzelboden für alle Regungen, und insbesondere auch für alle religiösen und künstlerischen Empfindungen. — Allein der moderne Mensch ist kein Naturmensch, er ift Kulturmensch, er ist Ver standesmensch, und die Natur kann den nicht erlösen, der den immer instinktiven Zusammenhang mit ihr verloren hat, der sich nicht selbst — kraft seiner individuellen menschlichen Eigenart, kraft seines Willens
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