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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.02.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-02-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080225020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908022502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908022502
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-02
- Tag 1908-02-25
-
Monat
1908-02
-
Jahr
1908
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Vez«g»-Vrerr Abend-Ausgabe v. Lnzeigen-Preis »tertriMrlü» RL.; >eudy »terttl» * rL«. v»rch d«, G»k i» »qtedri,! fl «al «t-U») innerdald Druychlandl mi» der deurlchra Kelevtr» «erteljLhrlich b,L M., «mmUich l,7S M. anlichl. Pop. deftellgeld, PK Oefterrrtch > L 66 Uegar» 8 L vierteljährlich. Ferner «v vel- ,i«a. DLnemarr. de» Dononftaalen. Frank, reich, gralle^ Lniembura, «kderlande, Nonoege», Nuplan», Schweden, Schweiz und Spa««». Za alle» ädrigen Staate» nur derev d»rch di» Srved. d. Bl. erhältlich. ild<m»e»rnd1l»n-dm« > Lag-Pnlplatz 8, dei »niere» Präaer», Flltale», Spediteuren und Lnnahmestellen, töwi» Postämter» ll»a Lk «vq-lo» stkwutier kostet I» G^. «edaktto» »»» «rvedttt»». Soha»»i«gast» 8. r-Iepho- Nr. I««, «r. ldSSch Nr. >«»«. KMM.TagMM Handelszeitung. Ämlsbtatt -es Rates «ud -es Nekizeiamteo -er Lta-t Leipzig. 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' Im englischen Parlament wurde die inhumane Verwal tung des Kongo st aates abermals, auch von Regierungs» seite, scharf getadelt. sS. Ausl.) * Die amerikanische Regierung beabsichtigt, Mauilazu einer starken Festung anszubauen. sS Ausl.) * U n t e r r i ch t s m i n i st e r M c. Kenna hat eine neue Unter, richtsbill im englischen Unterhause cingebracht. Dev wechsel rin Reichsschatzarnt. Aus Berlin wird Ms geschrieben: Der neue Staatssekretär des Reichsschatzamts, Sydow, hat gestern die Geschäfte übernommen. Die Uebcrnahme vollzog sich in den angenehmsten Formen. Herr v. Stengel ist keineswegs, unglücklich darüber, der Last des Reichsschatzamts ent ledigt zu sein, im Gegenteil, er war kein Kleber und kein «Ltrebcr, seine bisherigen Beamten sehen ihn mit Bedauern scheiden, weil er ihnen ein wohlwollender Vorgesetzter war und durch seine Pflichttreue ihnen mit bestem Beispiel voranging. Herr v. Stengel ist gescheitert an der Direktionslosigkeit der inneren Politik des Fürsten Bülow. Es wird doch wohl niemanden in Deutschland geben, der etwa geglaubt hat, Herr v. Stengel hätte das Branntweinmonopol unv die Zigarrcnbanderolesteuer. ausgearbeitet oder ausarbeiten lassen, ohne sich mit dem Reichskanzler ins Einvernehmen gesetzt zu haben. Unsere Offiziösen haben jetzt alle Hände voll zu tun, den sldachweis zu führen, das: die Suche nach dem neuen Schatzsekrctär eine verhältnismäßig ein- lache Sache gewesen sei. Tatsächlich ist bei einer ganzen Reihe von Personen — unter der Hand durch Ver trauensmänner — angefragt worden, ob sie geneigt seien, das Amt zu übernehmen: unter den Ablehnenden befand sich anfangs Herr Sudow selbst, seine Hoffnung ging auf das Reichsjustizamt, aber nicht aus das Neichsschatzamt. Herr Sydow ist ein scharfsinniger Jurist, wie seine Kommentare zu verschiedenen Gesetzzebungswerken beweisen, und in der hohen Beamtenschaft des Reichs galt Herr Sydow seit längerer Beit als der aussichtsreichste Kandidat für den Posten des Staatssekretärs dcS R e i ch s j u st i z a m t s, falls Herr Dr. Nie- berding den Posten zu verlassen wünsche. Herr Sudow bringt eine außerordentliche Arbeitskraft mit, aber für die Geschäfte ist es doch mißlich, daß er zunächst eine „Schonzeit" erbitten muß, um sich ein» zuarbeitcn. Wie halbamtlich mitgeteilt wurde, hat jüngst eine vertrauliche Be sprechung des Reichskanzlers mit den stimmsührenden Bundesratsbevoll mächtigten über die Reichsfinanzcn stattgefunden. Aus dieser Be sprechung ist nichts berausgekommcn und konnte wohl auch nichts Her auskommen: die verbündeten Negierungen halten an dem Entschluß fest, die direkten Steuern für sich zu beanspruchen, nnd wollen unter diesem Gesichtspunkt abwarlen, welches Programm der neue Schatzsekretär vorlegcn wird. Auf der andern Seite ist es so gut wie sicher, daß der Reichstag keine neuen indirekten Steuern auf Genußmittel bewilligen wird, wenn die Bundesregierungen nicht wenigstens die Hand bieten zum Ausbau der Reichserbschaftssteuer. Herr v. Stengel hat sich ein bleibendes Verdienst erworben, indem er die Erbschaftssteuer für das Reich mit Beschlag belegt hat. Adrckes über? -re Justizrefovrn. Wiederum hat der Frankfurter Oberbürgermeister Dr. Adickes in «inen bemerkenswerten Vortrag, den er im Festsaal des preutziichen Abgeordnetenhauses hielt, über die Justizreform geurteilt. Er führte dabei u. s. aus: .. , „Das letzte Biel der Justizreform ist die Stärkung des erschütterten Vertrauens zur Justiz durch die Sicherung schneller und guter Rechts pflege. Das Hauptmoment unseres gesamten öffentlichen Lebens er blicke ich in einem großen Mißtrauen an der Güte unserer staatlichen Einrichtungen, insbesondere aber unserer Justiz. Im Abgeordneten hause ist kürzlich sine Vereinfachung der inneren Der wat- tung gefordert worden. Diese Forderung gilt besonders für die Rechts pflege, und ihre Erfüllung ist recht eigentlich die Quelle, die ihr Er frischung und Gesundung zu bringen vermag. Die erste Ausgabe der Reform mutz die Gewinnung von Persönlichkeiten sein! Die Quantität unserer Juristen drückt notgedrungen auf ihre Qualität." . . . ,,Toch wie und nach welchen Gesichtspunkten soll inan diese schwierige Aufgabe lösen? . . . Man beschränke vor allem den Instanzenzug und statte zu diesem Zwecke die unteren Instanzen mit größeren Befug nissen aus. Es genügen zwei Instanzen völlig. Das Reichsgericht soll fortan nur dem Zweck dienen, die Einheit des deutschen Rechtes zu gewährleisten. Dadurch kann mindestens ein Drittel der höheren Richter erspart werden. Man nehme ferner eine andere Arbeisteilung vor und entlaste den Richter von den untergeordneten Beschäftigungen. Di: Ausnahme von Tatbeständen und die Ausfertigung von Versäumnis urteilen sind z. B. Dinge, die die Arbeitskraft des Richters heute erheb lich absorbieren und gut von einem Unterbeamten erledigt werden kön nen. Des ferneren vereinfache man den Verkehr zwischen Ge- richt und Polizei, der heute viel zu kompliziert gestaltet ist, und schließlich trenne man sich leichter von dem enormen Wust und Ballast d^r Akten! Gewiß! All dem stellen sich große Hindernisse entgegen: die Interessen der fungen Juristen, die ihre Examina gemacht haben und jetzt an die Staatskrippe herankommen wollen, — und ferner das Interesse der Gerichtssitzc! Die Vorteile dieser Ortschaften werden im Parlament vertreten. Deshalb läßt sich eine Reform nur dann durch setzen, wenn die Uebcrzeugung von ihrer Notwendigkeit zur patriotischen Empfindung geworden ist, die alle Sonderinteressen beiseite schiebt! Neben der Gewinnung von Persönlichkeiten für den Nichterstand ist als zweite Hauptforderung die Stärkung der richterlichen Stellung geltend zu machen. Blicken wir nach England! In der großen Metropole London, der riesenhaften Millionenstadt, gibt es nur 26 Polizcirichter. Jeder von ihnen bezieht aber ein Gehalt, das dem eines deutschen Polizeipräsidenten wenig nachsteht und das eines Vor tragenden Nates übertrifft. Diese Richter haben nur den Minister über sich und schalten vollständig unabhängig. Bei uns könnten sie nicht mehr sein als Räte vierter Klasse!" „Msine Herren! In wenigen Monaten sind bunderh Jahre seit der Einführung der preussischen Städteordnung verflossen. Heute ist sie allgemein anerkannt. Damals wurde sie als „republikanisches Ad- ministrationsverfabren" bekämpft! Auch jetzt handelt es sich um einen Neformgedanken. Auck jetzt wird sich Widerstand breitmachen. Aber seien wir unerschrocken und denken wir an die Städteordnung!" Natronallibsvale Disknssions- abende in Chemnitz. Den Beispielen nationalliberolcr Organisationen in anderen deut schen Städten folgend, hat der nationallioer-alc Verein Ehemnitz für seine Mitglieder Disrussionsabendc eingerichtet. Wenn auch in anderen sächsischen Städten eine ähnliche Einrichtung ebenfalls bereits geplant ist, so darf der Chemnitzer Verein, der jetzt über 2550 Mitglieder zählt, für sich wohl den Ruhm in Anspruch nehmen, den Plan zuerst verwirr- licht zu haben. Der viergliedrige Ausschuß, der mit der Vorbereitung dicier Abende betraut war, hatte kürzlich seine Arbeiten beendet, so bau am 22. d. M. bereits der erste Diskufsionsabend stattfinden konnte. Das Ziel, das erreicht werden soll, ist ein doppeltes: einmal Erweckung und Schulung des politischen Verständnisses für die Grundfragen der Politik und weiterhin Heranbildung eines Stammes von Parieimitgliedern, die in der Zeit der Wahlkämpfe als Versammlungsrednm und als Ver sammlungsleiter agitatorisch Mitarbeiten können. Die Sitzungen finden aller 11 'Tage und zwar Sonnabends statt. Es wird ein Vortrag ge- halten, dessen Disposition jedem Teilnehmer an den Diskussionsabcnden zu Beginn der Sitzung einzehändigt wird, und dann wird über das Ge hörte debattiert. Am 22. d. M. sprach Parteisekretär Dr. Gunther über „Ge schichte unb Programm der nationalliberalen Par- t e i". Es hatten sich viele Mitglieder des Vereins, auch von den um- liegenden Ortsgruppen, eingefunden. Besonders hervorzuhcben ist, daß sich auch neun Arbeiter in die Teilnehmerliste cingezeichn.'t haben. Die Debatte war äußerst lebhaft und ließ erkennen, wie fehr erwünscht den Mitgliedern diese neue Einrichtung ist. Weiterhin sind Vortrage in Aussicht genommen über die Reichsverfassung, die sächsische Staats- und Gemeindeversassunz, die deutsche Sozialdemokratie und ihre Ent wicklung, die Programme der übrigen Parteien, Mittelstand und Land wirtschaft, Arbeikergesetzaebung, deutsche Wehr- und Kolonia'.politik, Jusffzwesen und Jusiizresorm, Zölle und Steuern. Damit schließt die erste Abteilung der Diskussionsabende ab. Für nächsten Winter ist be reits eine weitere Abteilung vorgesehen. Es wäre zu wünschen, daß die Art des Chemnitzer nationalliberal«n Vereins, Parteimitglieder zu Te- battcrednern auszubrldcn, auch anderwärts Nachahmung fände. Deutsches Reich. Leipzig, 25. Februar. * König Wilhelm von Württemberg vollendet heute das 60. Lebens- jahr. „Seit mehr als 16 Jahren", so schreibt die „Nordd. Alla. Ztg." aus viefem Anlaß, „waltet König Wilhelm seines Herrscheramtes und genießt bei seinem Volke Liebe unv Verehrung, die ,n diesen Tagen zu besonders warmem Ausdruck gelangen werden. Dem bundestreuen deut schen Fürsten aber bringt die Nation zu diesem frohen Gedenktage ihre aufrichtigen Segenswünsche dar. Möge sich das würltembergisckc Land noch eine lange Reibe von Jahren der glücklichen Regierung seines gütigen und wohlwollenden Königs erfreuen!" — Die Residenz und Hauptstadt trägt, wie uns ein Privattelegramm aus Stuttgart meldet, reichen Ftaggenschmuck. Die Tageszeitungen heben in Fest- artikeln die Volksfreundlichtcit des Königs, sein modernes Fühlen und liberales Walten hervor. Der „Staatsanzeiger" veröffentlicht eine lange Liste von Auszeichnungen. So wurden der Kriegsminister Marchtaier zum Generaladjutanten des Königs ernannt, der Tübinger Kliniker BrunS erhielt den Staatsratstitel, Hofkapellmeister Obrisl die große goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft. irrt. Amtliches über die Unruhen in Kaiscr-Wilhelmsland. Neber die jüngst gemeldeten Unruhen in Potsdamhafen (Kaiser-Wilhclmslandj sind nunmehr nähere Nachrichten an zuständiger Stelle cingcgangcn. Danach bestätigt es sich, daß die Unruhen rein lokaler Natur waren. Tie aufsässigen Orokozalcute, welche seit langer Zeit mit Eingeborenen anderer Stämme in Fehde lebten, wurden mit leichter Mühe zur Ruhe gebracht, und gaben ihrer Absicht, künftig Frieden halten zu wollen, in landesüblicher Weise durch Uebersendung eines Schweines Ausdruck. Feuilleton. Stehl still, ihr ewig rollenden Himmelssphären, Und hemmt die Zeit, daß Mitternacht nie komme. Erwache, schönes Auge dec Natur, Zu ewigem Tag! Dehn' aus zum Jahr die Stunde, Zum Mond, zur Woche, sei's auch nur zum Tage. Marlowe. rNoderne Erzähler. Von Arno Hach (Leipzig). Wer sich einmal die Mühe genommen hat, zu verfolgen, was in unfern Zeitungen und Zeitschriften von Novellen kürzeren Umfangs erscheint, der wird erstaunt und entsetzt sein über den literarischen und künstlerischen Tiefstand, der sich in diesen Erzeugnissen hurtiger Viel schreiber offenbart. Meist ist es irgend eine alberne, läppische Liebes- geschichte, in der in einem zur stereotypen Formel herobgesunkenen Stil breite Bettelsuppen aufgewärmt werden. Man braucht aber noch gar nicht in diese Niederungen herabzusteigen, auch bessere Blätter haben einen gewissen Duktus des Althergebrachten, der sich einem neuen Stil und neuen Inhalt von selbst feindlich gegcnüberstellt. So kommt es, daß sich Talente von sonst guter Begabung, die aus Broterwerb für diese Zeitschriften schreiben, akklimatisieren müssen. Die gute alte Marlitt spukt eben noch immer, wenn auch mitunter in veränderter Gestalt. Eigentlich müßte es jeden, der ein Auge für die genetische Entwick lung unserer Literatur hat, wundern, daß die kurze Erzählung so rasch abgewirtschaftet hat. Die ältere Literatur kennt bekanntlich nur den breit angelegten, großen Roman, der entsprechend seiner Herkunft aus dem Epos großen Stils sich auf einer weiten Basis gleichmäßig aus breiten mußte. Erst die Romantiker wagten es, kürzere Geschichten um ihrer selbst willen zu schreiben, die anderen brachten ihre Erzeugnisse dieser Art in größeren Werken als Einschiebsel unter. Das fand man natürlich, denn der Romanschrciber, der „Stiefbruder des Dichters" brauchte, oder mißbrauchte den Roman noch zu anderen Dingen, z. B. zur Propagierung moralischer, religiöser, politischer oder (wie Hcinse in seinem Ardinghello) ästhetischer Ideen. Ein äußerer Umstand kam dcr kurzen Novelle zu Hilfe. Die Entwickelung des Zeitungswesens und das Bedürfnis der Leser neben einem langen Roman kurze, höchstens ein bis zwei Fortsetzungen umspannende Geschichte», die rasch gelesen waren und eine Spanne müßiger Zeit ausfüllten, in der Zeitung vor zufinden, steigerte den Bedarf. Als dann der Sieg des Naturalismus auf dcr ganzen Linie die Augen nach dem Mutterland«: dicfer neuen Stilart, nach Frankreich, lenkte, da war es vor allem Maupassant mit seinen klaren, wundervoll aufgcbauten, in sich geschlossenen und festige« schlifsenen Novellen, Skizzen und Impressionen, dcr ein Hccr plumper Nachahmer in Deutschland nach sich zog. Auch die Russen, die den Naturalismus sicherer ausgcfaßt und volkstümlicher verarbeitet hatten, als die Deutschen, Tolstoi, Tschechow und Gorki, wurden Vorbilder für eine große Anzahl deutsch schreibender Skribifaxc. Die Intensität, mit der der Naturalismus allenthalben nach geahmt, nachgeäfft und nachempfunden wurde, war naturgemäß propor tional dcr kurzen Dauer seines Bestehens. Nur einzelne artistische Werte, die der Naturalismus in sich gehabt hatte, die Vertiefung des Milieus, die liebevolle Schilderung der scheinbar unwesentlichen Neben umstände, die ohne Höhepunkt verlaufende breite Erzählung bis dahin unbeachteter Einzelciffcheinungen zog mit mathematischer Sicherheit das nach sich, was die literarischen und ästhetischen Etiketteure und Nomen klatoren „Heimatkunst" nannten. Auch diese üppige, scheinbar unver wüstliche Weide für die Vielzuvielen ist nun abgegrast und das betrüb liche Bild gänzlicher Verarmung zeigt sich dem aufmerksamen Beschauer. Nur vereinzelte Stimmen wurden laut, die anders klangen und anderes sagten, als die Herde. Gleichzeitig mit dcr breitgetretenen Hcimatkunst kam etwas in die Erscheinung, das sich wie eine Stimme aus vergangenen Zeiten vernehmen ließ. Es zeigte sich das alte Bild der Wellenlinie in der Entwickelung dieser Kunst: als Reaktion, bewußt oder unbewußt, fing eine Erzöhlerkunst an, die ganz auf die Werte der Phantasie gestellt war; nichts anderes, als ein Wiederaufleben dcr Phantasie, die unter dem Drucke äußerer Sachlichkeit fast ganz in den Hintergrund gedrängt worden war. Tie dichterische Sehnsucht nach einer neuen Kunst, der Wunsch, mehr zu geben, als den äußerlichen Eindruck peinlich ausgetüf- telter genauer Bilder, warf alles über den Hau/en. So kann man wohl mit allem Vorbehalt von einer romantischen Renaissance reden, die sich in unserer neuesten Literatur leise geltend macht. Noch! andere, spezifisch romantische Züge verstärken diesen Eindruck: ein Be tonen naturwissenschaftlicher Spekulationen, die sich schließlich so weit von allen ihren realen Ausgangspunkten entfernen, daß der Leser ge zwungen wird, schlechterdings Unmögliches im Zusammenhang der Ge- schichte doch noch als natürlich und plausibel hinzunchmen. Ein wei teres, allen diesen Schriftstellern gemeinsames Merkmal ist. daß sie darauf verzichten „Charaktere" zu schildern: ihr Bestreben ist es, ein ungewöhnliches, seltsames Vorkommnis unter künstlerischer Überwin dung des Reinanekdotischen in seiner Gesamtheit im Leser zum Erlebnis werden zu lassen. Drei Bücher von drei verschiedenen Autoren sind in letzter Zeit er schienen, auf die die eben gemachten allgemeinen Bemerkungen Anwen dung finden. Die Autoren sind Karl Hans Strobl, Hanns Heinz Ewers und Gustav Meyrink. Wenn die drei auch unter sich grundverschieden sind und wenn auch diese Verschiedenheit und ihre numerisch geringe Zahl von vornherein die Möglichkeit ausscblicßr, von einer neuen „Richtung" in der Literatur zu reden, als typisch für unsere Zeit in ihrem schroffen Gegensatz zu der abgebrauchten, unorigi nellen Art ihrer sonstigen literarischen Umgebung sind sie doch zu be trachten und das gleichzeitige Auftreten ähnlicher Talente ist kein Zufall, 'andern eine Erscheinung der natürlichen Entwickelung der Dinge. Es ist ein Jener, das unter einer großen Fläche geglimmt hat, bis es sich an mehreren Punkten cu gleicher Zeit zur Flamme durchgcfressen hat. Strobl ist der Romantiker pne --nna, der sich in seinem Bucke „B e - denksamc Historien" *) mit Vorliebe zurückt'-äilmt in vergangene Zeiten und der alles, was nach Kultnrhistoric riechen könnte, nach exaktem Auskramen von Altertümern aussehcn könnte, vermeidet, *> „Bcdcnksamc Historien", Neue Novellen, Berlin 1907. F. Fontane L Co. um sich und den Leser ganz dem zwingenden Bann seiner Fabulierkunst und dem Lauf der seltsamen Begebenheiten zu überlassen. Als Bei'piclc für die technische Sicherheit, mit der Strobl seine Leser mitrcißt in die Eigenwclt seines Erlebens, seien noch die beiden, dem masernen 2e^:n entnommenen Geschichten „Mein Abenteuer mit Jonas Barg" und „Lcrertes" genannt. Bei dcr Lektüre dieser Geschichten drängt sich un mittelbar das Gefühl auf, daß in ihnen der Geist eines E. T. A. .Hof mann lebendig geworden ist. Weniger stark scheint Strobls Fähigkeit zu sein, einen ins Groteske gesteigerten Vorgang wicdcrzugeben, wie die Geschichte: „Ter Triumph der Mechanik" mit der matten Pointe zeigt. In Hanns Heinz Ewers' Buch lassen sich am deuilichs en die Spuren erkennen, die den Weg seiner Entwickelung als Erzähler be zeichnen und die äußeren Einflüsse, die auf ihn eingewirkt haben. E. A. Poe und die Franzosen Gautier, Baudelaire, Villiers de l'Islc-Adam sind die unverkennbaren Etappen, die seinen Werdegang markieren. Aber Ewers ist kein Nachahmer, sondern er macht sich zu eigen, was er an Technik und Aufbau von seinen Vorbildern erhaschen kann una ver- arbeitet ganz selbständig die Ideen, die ihm die eigene Phantasie schenkt. Die beste Erzählung des Buches ist „Tic Tomatensaucc", die mit seltener Wucht innerer Anschaulichkeit erzählt ist und die sich in der Art des Vortrags vorteilhaft abhebt von einer gewissen kühlen Lbjckiivircst, mit der Ewers seinen anderen Schöpfungen gcgenübersteht. Ticie unper sönlich-kalte Manier, zu erzählen, bringt cs allerdings in Stücken wst „Ter tote Jude" und „Mamaloi" zu einer starken Wirkung, wehrend sie in der Geschichte „Die Tapharbraut" die innerlich: Wärme dichte rischen Anteils vermissen läßt. Einen Schritt weiter, als die beiden anderen geht G u st a v Men- rink*'), den die eingehende Beschäftigung mit den Geheimnissen des Buddhismus ins Mystische geraten läßt, abgesehen von den Erzählungen, in denen ihm die Miene hassenden Spottes zur höhnenden Grimasse wird. Es ist erstaunlich, unter welchen Verrenkungen Meyrink immer wieder auf sein, aus seinen früheren Büchern sattsam bekanntes. Stecken pferd: TaS Lächcrlichmachen des Militärs, kommt. Ost gefällt er sich auch darin, kunstvoll vorbereitete übernatürliche Stimmungen du>-m ds Hcreinplatzcnlassen kleinlichster Wirklichkeit jäh zu zerstören. 6 erad: auch diese bewußte Jllusionszerstörung ist in ihrer ironi'chen Schärst- („Der Saturnring") typisch für den romantischen Zug in Meyrink. Er erinnert hierin an acwissc Lyriker, die mit einem unvermuteten Sä-lm die Wirkung ihres Gedichtes zerstören. Meyrinks stärkste Potenz liegt aber zweifellos in den Geschichten, in denen cs ihm darum zu t.:n i" traumhaft-alphastc Impressionen zu geben, in denen sich unwesentliche Einzelzüge mit nnvcrhältnismäßiger Deutlichkeit im Gedächtnis pro jizieren. Diekc vertrackte Deutlichkeit einzelner Momente, die irgend woher sprunghaft hastend in das Bewußtsein huschen, um unbestimmt und konturlos darin quälend zu verweilen, während Raum unss Zeit ihre natürlichen Beziehungen zu un-s bis zur Belanglosigkeit zu verlieren scheinen, ist cs, die einzelnen dcr Mcyrinkschen Geschichten, wie „Bal macabrc", „Das Wachsfigurenkabinett", „Tie Pflanzen des Dok tors Cindcrella", „Dcr Albino", ihren ganz besonderen Stempel aus- ") „Das Grauen", München bei Georg Müller, lRVZ. *') «Dos Wachsfigurenkabinett", München, Verlag Albert Langen, 1908.
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