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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.03.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-03-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080310021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908031002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908031002
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-03
- Tag 1908-03-10
-
Monat
1908-03
-
Jahr
1908
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vezugS-Preit M >»ch,ta mld Serert» lmrch unser» LrLger und LpeLtteur» tu» Han» gebracht! Tutgab« L (nur morgen») dlerteljLtzrlich S M., »aaarlich 1 M.; «u»gabe S (morgen» und abend») viertel» jährlich «.IN M., monatlich l.S0 vt. Durch dt« P»ft ,» »qte-e«: (2 «al täglich) innerhalb Deutschland» und der deutschen Aolonien diertelithrlich 5,L M., monatlich 1,78 M. au»schl. Post, deftellgeld, tür Oesterreich 8 L 66 n, Ungarn 8 L vierteljährlich. Kerner in Bel gien, Dänemart, den Lonaustaaten, Frank reich, Italien, Luxemburg, Riederland«, Norwegen, Ruhland. Schweden, Schweig und Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch bi« Lxped. d. Bl. erhältlich. «bonnement-Snaabme, Augustnäplatz 8, bei unseren Drägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briestrtgerm Li» ringeln« Nummer kostet 10 Pfg. Redaktion und Expedition: Johanni»gaff« 8. D-lephon Nr. 14SS2, Nr. I46S3, Nr. I4SS». Nr. 89. Dienstag 10. März 1908. Abend-Ausgabe 8. eiWgcr.TagMalt Handelszeitung. Amtsblatt des Aales und des Nalizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigeu-Prei» sstr Inserat« au» Leipgia and Umgebung bi« 8-eipalten« Petitgeil« 25 Pi., stnani^iell« mngelgea 8V Pi., Reklamen l M.; von autwärt» 8l) Ps., Reklamen 1.20 M.; vomSu»landSOPi., stnan,. Antigen7LPs , Reklame» l-LO M. Inserat« ». Bedärden im amtlichen Dell «OPI Beilagegebäbr S Ni. p. Daujead exkl. Post gebühr. Geichäitdangeigen an beoorgugier Stelle im Preiie erhbht. Rabatt nach Darii Festerteilte Luiträg« kännen nicht zurück- gezogen werben. Für da« Uricheinen an bestimmten Lagen und Plagen wird kein, Garantie übernommen. Rngeigen-Nnnachme: Eugustuäplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoueen- Lxpeditionen de» In» und Lallende». Haupt-Filiale Berlin: Ctrl Luncker, Herzogs. Baar. Hosbuch Handlung, Lützowstrabe 10. (Telephon VI, Nr. 4608). 102. Jahrgang. Dar wichtigste vsin Tage. * Es wird jetzt auch offiziös bekannt gegeben, daß König Friedrich August bei seiner bevorstehenden Reise auch Bozen besuchen und daselbst die Prinzessin Pia Monika be- grüßen will. * Die WahlrechtSkrisiS scheint sich zu verschärfen und nimmt auch den Charakter einer Personenfrage an. (S. d. des. Art ) * In London ist eine internationale Konferenz zur Bekämpfung der Schlafkrankheit zusammengetreten. sS. Ausl.) * In Kanton wird ein Boykott der japanischen Waren geplant. Eine große Versammlung protestierte gegen die »frei, gäbe des beschlagnahmten Dampfers. lS. Ausl.) * In Bulgarien ist eine Herabsetzung der Heeres- Präsenz in Aussicht genommen. sS. Ausl.) Der Vries rin englischen j)arlainente. Der Tweedmouth-Brief wird zunächst aus der Diskussion ver schwinden müssen. Der Empfänger hat jede öffentliche Erklärung über seinen Inhalt abgelehnt. Was er sagte, bezog sich ausschließlich auf ')ie Form des Schreibens und diente zur Begründung der ablehnenden Antwort an die Frager, deren Neugier so sehr berechtigt war. Man hätte sie nicht erwecken sollen. Daß die Existenz des Briefes der ^essentlichkeit bekannt geworden ist, bleibt sehr bedauerlich. Die Schuld des Lords an der Indiskretion mag so geringfügig sein, wie sie will: richtig wäre gewesen, er hätte außer den amtlich zum Schweigen ver« pflichteten Kollegen niemandem Gelegenheit gegeben, die heikle Ge« schichte in die Kaffeekränzchen hineinzubringen, deren Einfluß auf die Nochrichtenverbreitung den der gedruckten Werkzeuge dieser Aufgabe bei weitem überragt. Wir werden also vorderhand ans sachliche Erörterungen des Vor falles verzichten müssen. Die Mehrheit der englischen Blätter ualt nach den gestrigen Erklärungen im Lber« und Unterbanse den Zwischenfall für ab geschlossen und nimmt zu dem Kaiserbriefe als solchem jetzt eine 'rrund- lichere Haltung ein. Nur „Morning Star" besteht weiter auf der Forde- rung, man möge beide Völker über den Inhalt der Korrespondenz auf klären durch Veröffentlichung deSBriefes mit Genehmigung des Teutichen Kaisers, und zwar gleichzeitig in Deutschland und in England. „Daily Expreß" drückt die Hoffnung aus, daß fortan alle Korrespondenzen ,wischen hohen englischen Beamten und fremden Staatsoberhäuptern aus dem üblichen diplomatischen Wege durch'Vermittlung des Ministers des Aeußern erfolgen mögen. Es ist nackte Heuchelei, wenn behauptet wird, nunmehr sei alles gut, und es werde kein Bodensatz von Verstimmung zurückdleiben. Die Offiziösen freilich tun so. Tas Neutersche Bureau ist ermächtigt, amt- sich sestzustellen, daß die Meldung, es hätte zwischen der englischen und der deutschen Negierung ein Meinungsaustausch stattgefunden im Hin- blick auf den Brief des Kaisers Wilhelm oder eine Herabsetzung der Marinerüstungen, unwahr sei. Die Ansicht der englischen Regierung über den letzteren Punkt sei bekannt, und sie habe keine Aenderung er fahren. Noch weniger Wahrheit sei in der Unterstellung, der gegen Feuilleton. Sentenzen können Trost und Schmerz bereiten, Sind doppelsinnig, stark auf beiden Seiten. Shakespeare. O Franz Liszt» „llarmonles poötiyavu et rell8leu868". (Ein musikalisch-exegetischer Versuch.) Von Eugen Segnitz (Leipzig). Schon während deS Aufenthaltes in Frankreich und England, noch vor des Vaters Tode s1827j stand der junge Franz Liszt unter dem Eindrücke tiefinnerlich religiöser Empfindungen und Stimmungen, die in dem poetischen und mystischen Kultus der katholischen Kirche noch festeren Boden und stete Nahrung fand. Unablässig beschäftigte sich Liszt damals schon mit der Lektüre der Schriften des Thomas a Kcmpis, des Neue.: Testaments und der Heiligengeschichte. Sein nie rastender Geist 'uchte überall Erkenntnis und Wcchrzeit zu finden, machte sie sich nun bei Montaigne oder Lamcnnais, bei Voltaire oder Lamartine, bei Rousseau oder Chateaubriand ihm offenbaren. Er gesellte sich den Saint- Simonisten zu und besuchte als Gast ihre Versammlungen, weil ihre christlich-philosophische Anschauung vom Wesen der Künsl teilweise sich mit allem Schönen und Wahren deckte, das er selbst innerlich erlebt hatte, dem er unausgesetzt mit asühendem Eifer nachjagte. Zudem fand er sich durch seine unglückliche Liebe zu der fungen Gräfin Saint-Crig in neue, unbekannte Welten versetzt. Und als er unter schweren Kämpfen der Geliebten entsagen mußte, war „ein Frauenbild, keusch und rein wie dec Alabaster heiliger Gesäße, die Hostie", die er „unter Tränen dem Gott der Christen dorbot. Entsagung alles Irdischen war der einzige Hebel, das einzige Wort jener Tage". In vielem wurde Liszt noch be- stärkt durch seinen Freund Urhan, einen positiven Christen, Schwärmer und Mystiker, der Violinist an der Großen Oper und Organist an Saint Vincent de Paul war und der Viola d'amour, seinem Lieblingsinstru mente, wahrhaft seraphische Klänge zu entlocken wußte. Leben, Menschen. Religion und deren sichtbare Erscheinung in der katholischen Kirche maßten notwendigerweise auch in Liszts Klavier werken einen musikalischen Niederschlag bewirken. Bekannte doch der Meister später lin einem Briefe an die Fürstin Wittgenstein), die reli giöse Musik sei Fleisch von seinem Fleische und Nerv von seinen Nerven, Allein unter diesem Gesichtspunkte wollen und können die meisten dieser Torigedichte nach ihrer Entstehung aus der eigenartigen metaphysischen Welt des religiös-romantischen Gefühls wahrhaft erfaßt und richtig beurteilt werden. Hierher gehören die „Harmonies posticiuss st roli- reisuses". Diese Sammlung von zehn Klavierstücken trägt denselben Titel wie da« 1830 erschienene Liederbuch Lamartines. Liszt setzte vor leine Stücke auch des französischen Poeten Vorrede, deren Inhalt ja auch wärtige Zwischenfall werde einen schädlichen Einfluß ausüben auf die guten Beziehungen, welche glücklicherweise zwischen den beiden Ländern bestehen. Durch die Erklärungen, welche in beiden Häusern des Par laments abgegeben wurden, sei der Zwischenfall zum Abschluß gebracht worden. — Der argwöhnische Leserkreis der „Times" wird sich nicht von dem Glauben abbringen lassen, daß ein Versuch gemacht sei, in die eigensten Angelegenheiten Englands durch auswärtige Beeinflussung hineinzugreifen, gemacht von maßgebendster Stelle. Hüben wird man den Aerger nicht loswerden, daß man jenseits des Kanals am ver antwortungsvollsten Orte mit kaiserlichen Handschreiben privatester Natur nicht vorsichtig genug umgeht. Wie stark der englische Hof interessiert war, geht auch daraus her vor, daß der Oberhaussitzung der Prinz von Wales beigewohnt hat. Man sah ihn vor der Eröffnung in einem langen Gespräch mit dem Minister. Gewiß ist jedes Wort der Erklärung Tweedmouths aufs sorgfältigste abgewogen, damit keines zu viel gesagt wurde. Ob nicht etwas zu wenig? Wir müssen gestehen, daß wir doch etwas mehr er wartet hatten, und wäre es bloß eine unverbindliche, ganz allgemein ge haltene Erklärung gewesen, daß in dem Briefe nichts Verfängliches stand. Dann hätte man sich beruhigen müssen. Und wenn schließ lich der Wahrheit ein bißchen Gewalt angetan wäre! Bezeichnend war, daß dem Intermezzo im Unterhause eine — Marinedebatte auf dem Fuße folgte. In ihr bemerkte Unter staatssekretär im Marineamt Robertson, daß England 1910 neun Schlachtschiffe der „Treadnought"-Klasse und drei Kreuzer der „Jnvin- cible"-KIasse, Frankreich drei Schlachtschiffe und keine Kreuzer, Deutschland vier Schlachtschiffe und zwei Kreuzer derselben Klassen haben würde. Im Frühjahr 1911 würde England 14 solcher Schiffe gegen 12 Schiffe Deutschlands und Frankreichs zusammengenommen im Besitz haben. Das Schiffsbauprogramm des letzten Jahres sei durchaus hinreichend, um den Zwei-Mächte-Standard zu behaupten. Also es bleibt dabei: Eng land stärker als Deutschland und Frankreich zusammen! Tas Unterhaus bewilligte schließlich auch den im Marinebudget verlangten Efsektivbestand von 128 000 Mann. Zur sächsischen Wahlrechtsreform. (Von unserem Dresdener Korrespondenten.) Dresden, 10. März. (Privatteleqramm.) In auffällig raschem Tempo wurden gestern di« ersten Punkte der Tagesordnung in der Zweiten Kammer erledigt. Man hatte es offenbar kehr eilig, denn der öss-ntlichen Sitzung folgte noch ein: vertrauliche Be sprechung der Abgeordneten im Plenum und dieser sollten Fraktions sitzungen folgen. Es handelt sich offenbar zunächst um eine Aussprache über die in der Wahlreformangelegenheit zu befolgende Taktik, der in der Zwischenzeit von Freitag bis Montag schon eine Fühlungnahme der Parteiführer vorausgegangen war. Heute vormittag haben die Wahl rechtsdeputationen selbst ihre Arbeiten, die am Donnerstag voriger Woche so jäh unterbrochen worden waren, wieder ausgenommen und in der heutigen Sitzung muß zunächst einmal die Entscheidung darüber fallen, wie man sich zu dem Ultimatum des Grafen Hohenthal stellen wird. Denn das darf man nicht vergessen: direkt zwingen kann der Minister die Deputation zur Beratung der Regierungsvorlage nicht. Es können zu dem grundlegenden 8 1 des Wahlrechtsentwurfs so viele Abänderungen und Gegenanträge eingebracht werden, wie es den Deputationsmitgliedern beliebt, und es ist lediglich eine Zweckmäßig keitsfrage für die Deputation, ob sie nach der Erklärung des Ministers noch solche Anträge weiter beraten oder sich spieziell dem Wortlaut des 8 1 der Regierungsvorlage zuwenden will. Dieser lautet: „Die Zweite Kammer der Ständeversammlung wird aus 82 Abgeordneten gebildet, die auf Grund nachstehender Vorschriften zu einem Teil von den amtshauptmannschaftlichen Bezirken und den Städten Dresden, Leipzig, Chemnitz, Plauen und Zwickau, zum andern Teile in direkter geheimer Verhältniswahl gewählt werden." Bisher hatte man sich damit geholfen, daß man alle entscheidenden Worte aus diesem Paragraphen zurückstellte, so daß nur etwa folgendes Gerippe blieb: „Die Zweite Kammer der Ständeversammlung wird aus Abge- ordneten gebildet, die auf Grund nachstehender Vorschriften gewählt wer- den." Das verpflichtet zu nichts und ließe Amendements usw. weiten Spielraum. Man hatte aber damit nicht die Schwierigkeiten über wunden, sondern lediglich die nächsten Wahlen beiseite geschoben. Tritt man jetzt an ihre Beseitigung heran, so muß der Würfel über das Schick sal der Wahlreform und damit auch über das des Ministers des Innern fallen. Der Minister hat mir neulich noch persönlich erklärt: „Sie können sich darauf verlassen, ich gehe, wenn es mir nicht gelingt, die Wahlreform zustande zu bringen." Er klebt durchaus nicht an seinem Amt, im Gegen- teil wäre er viel lieber noch auf seinem Gesandtenposten in Berlin oder lebte im Sommer auf Knauthain bei Leipzig und im Winter an der Riviera. Wohl aber hat er den ehrlichen Wunsch, Sachsen von dem Dreiklassenwahlrecht zu befreien und etwas Besseres, Direkteres an dessen Stelle zu setzen. Gelänge ihm das, so wäre das Ergebnis eine staats männische Leistung. Will Graf Hohenthal diese aber vollbringen, so muß er sein Lieb lingskind, die Wahl eines Teiles der Abgeordneten durch Kommunal verbände, opfern. Denn ein solches Wahlsystem, das weiter nichts dar stellt, als eine neue indirekte Wahl, werden die Nationalliberalen, die Freisinnigen und der sozialdemokratische Vertreter niemals bewilligen. Das sind 32 Stimmen, die unbedingt gegen den Hohenthalscheu Entwurf abgegeben werden. Da aber nach 8 152 Abs. 2 der Verfassung zu einer Verfassungsänderung die Anwesenheit von der verfassungsmäßigen Zahl der Mitglieder in der Kammer und eine Stimmenmehrheit von zwei Drittel der Anwesenden notwendig ist, so können die 50 konserva tiven und freikonservativen Stimmen allein den Entwurf des Grasen Hohenthal nicht retten. Tie nicht zur konservativen Fraktion gehörenden Kammermitglicder haben vielmehr die Möglichkeit schon durch ihr ein faches Fernbleiben von der Abstimmung den Entwurf zu Fall zu bringen. Will also Graf Hohenthal etwas erreichen, so muß er sich auf die Mit- Wirkung der Nationalliberalen stützen. Diese werden aber, wöe erwähnt, dem Punkt der Abgeordnetenwahl durch Kommnnalverbände niemals zustimmrn. Es rächt sich nun an dem Minister,Daß er das Wahlrecht reformieren wollte, bevor er die WahlkreiSeinteilung neu gestaltet hatte. Bei einer solchen, die die Verdoppelung der Bevölkerung seit 1868 be- rücksichtigt und infolgedessen eine Vermehrung der Wahlkreise mit s gebracht hätte, wäre eine Zustimmung der Konservativen möglich gewesen, denn der allgemeine Wahlkampf bei einer völligen Erneuerung der Kammer würde sämtliche Parteien zur Anspannung aller Kräfte ver anlassen, und es würde dann eine völlige Neugestaltung des Besitzstandes der Parteien eintreten, von der auch die Konservativen zu profitieren hofften. Graf Hohenthal hat die Klippe umschiffen wollen, die der Widerstand der Konservativen gegen die Aufhebung des Unterschiedes zwischen städtischen und ländlichen Wahlkreisen darstellt. Jetzt liegt für ihn die Gefahr bei dem Widerstand der Liberalen aller Schattierungen gegen die Wahlrechts-Kommunalverbärche. Die Krisis in der Wahlrechtsreform droht den Charakter einer Personenfrage im Ministerium anzunehmen. Man spricht schon von einem Nachfolger Hohenthals. Das dürfte verfrüht sein, zeigt aber den Ernst der Situation. seinen Kompositionen Sinn und Richtung gab. Denn Liszt war fnach Lamartines Wort) eine jener kontemplativen Seelen, „welche sich von der Einsamkeit und der Betrachtung unwiderstehlich zu den unendlichen Jbeen, zu Religion entrücke kühlen . . .; in sich und in der sie umgebenden Schöpfung suchen sie in Begeisterung und Gebet emporzusteigen zu Gott, suchen sie nach Ausdrucksarten und Bildern, ihn sich und sich ihm zu offenbaren." Auch Liszts Herz war „gebrochen von Schmerz, zer treten von der Welt" und strebte, „in die Welt seiner Gedanken, in die Einsamkeit seiner Seele zu flüchten, um zu weinen, zu wachen und zu beten." Den musikalischen Niederschlag solcher Stimmungen finden wir in dem Stück: „Dons so ckss Llorts", das schon 1835 erschien und später s1853) in neuer Gestaltung den „Harmonie«" einverleibt wurde. Welt verlassenheit und Schmerz, der sich allmählich in sanfte, von aewisser Zuversicht einstiger Wiedervereinigung gehobene Trauer auflöst, geben hier das charakteristische Gepräqe. Der lunae Liszt, der schon langst aufgehört hatte, „le psüt Dir-" der ihn umjubelnden und vergötternden Pariser zu sein, gab hier eines jener Seelengemälde", die auch für die damalige Literatur so überaus bezeichnend waren: ein Monolog, worin sich Ergießungen eines stark empfindenden Herzens mit den Elementen des positiv christlichen Glaubens eng verbinden. Das Ganze ist kühn hingewort'en, unmittelbarer Eingebung entsprungen und ebenso schnell fixiert, ohne ängstlich um Darstellung und Form besorgt zu sein, immer aber angeglüht von dem allein herrschenden Doppelgedanken an Ver gänglichkeit, Auferstehung und Wiedervereinigung. Inmitten aber dieser Exeguien am Flügel der alles übertönende Schrei nach Er- börung, das „De prokunciis clamavi ack ts Dornins!" — dann nach kurzer Wiederholung des Hauptmotivs, der Nänie, tritt der sanfte G-Tur-Gesang als Apotheoie und Schluß des Ganzen auf. Auch nach stilistischer Seite ist das Stück interessant. Denn Liszts eigentümlicher Klavierstil mit seiner deklamatorischen Präzision und Hinneigung nach wörtlicher Fassung macht sich darin schon entschieden geltend. Die Freiheit in der Wahl manruasacher Taktartesi '/«, und „senza Tempo") ist geboten durch das freie Hervortreten einer gewaltigen Empfindung, die, dem Tonsetzer selbst so gut wie neu, eben täglichen sich ihr zeigenden Weg nnichlägt. Schon damals brach Liszt mit der Form, weil eben der Gedanke formbildend aufrat. Erst später, in der Zeit der Muße auf der Weimarer Altenburg, entstanden jene anderen Stücke, die dann die Sammlung der „llar- mouiss" bildeten. Zunächst die sin der neuen Redaktion als Nr. 1 bezeichnete) „Invoostion". Sie entstand der musikalischen Prägung nach wieder aus Lamartines poetischem Vorbilde und deckte sich in der Stärke und Bedeutung deS Gedankens vollkommen mit jenem, dem Vor- bilde eigenen pantheistischen Grundzuge. Ihre Stimmung aber ist eine von jener der „ksnsös" durchaus verschiedenen. Dort vorwiegend Niedergeschlagenheit und Trübsal, hier „ein grenzenlos erhabener Gottesdienst", ein freudiger Gruß an den „tzuell und das Ziel der Dinge", den ein Zeuge der göttlichen Macht selbst entbietet. Die „la- voeation" ist eines jener vielen Zeugnisse, wie sehr es den Meister ver langte, sich Gott zu nähern und sich ihm mit unendlichem Heilverlangen hinzugeben. Nur so kann man den Inhalt dieses Stückes in sich auf nehmen, das eine gewisse generelle Verwandtschaft mit Sankt Fran- ziskus' „Sonnengewng' ausweist, wo nach Lamartine „der Sphären stolze Harmonien tönen", in deren überwältigenden Zusammenklang auch des Tondichters bewundernder Gesang hineintönt. Während in der „Dons4o cksg Claris" noch ein geringer Rest von Freude an hin reißender Virtuosität sin den eingestreuten Kadenzen) sich bemerkbar macht, spricht jetzt allein der Musiker zu uns. Im Gegensatz zu dem fast sieghaften Ton der „luvooarion" steht die ausschließliche Ruye- empfindung der „Dsnockiotiou cks Disu ckans la Lolibucks" ein Hymnus des Dankes für endlich erreichte Loslösung von allen hemmen- den Sorgen und beunruhigenden Zweifeln. „Es wächst der Horizont und unter ihm erglänzt Unendlichkeit im Strahle neuer Sonnen." Von gesichertem Ruhehafen aus erschließen sich des Ton dichters trunkenem Blicke fremde, schönere Welten, und in seine Ein- samkeit hinein ertönt das geheimnisvolle Orakel ewiger GoieSIlcb^ Ein lyrischer Zwischensatz lD-Dur) verstärkt noch diese Empfindung, schließlich ^u erhebender Gewißheit wird, bis der erste Gedanke, dies mal als Oberstimme auf breiter, klanggesättigter Akkordunterlage, wiederkehrt. Zu den beiden eben besprochenen Stücken bildet der „Onni raus ck'^.arour die abschließende Ergänzung: ein hohes Lied der Li ve, jener Seelenliebe, die, fern von aller dogmatischen Beimischung sich hock emporhebt über alles Irdische, eine -nusikakjche Meditation, die aus menschlicher Sehnsucht hinweg zur ^rendlichkeit führt. Die wohl lautende, durch keine Absonderlichkeit geirübte Sprache läßt so recht Li > S unbedingtes Gefühl für lautere Kunstschönheil empfinden. Wie die Me- lodie selbst groß und bedeutend ist so ist auch die instrumentale Fai ung glänzend und erhaben und zeiat alüber-d', ?at" T^nsarben auf goldenem Grurrde, vergleichbar etwa den malerischen Schilderungen der Himmel- fahrt Mariä eines Palma Vecchio oder Paoo Veronete, wo alles Un bestimmte und Dunkle zurncklrill und oas Auge sich in herrlich lichtvoller Unvergänglichkeit badet. Man darf dieses Ltück zu den schönsten der neueren Klavierliteratur überhaupt rechnen. Die „Harmonie«" sind durchaus subjektiver Art: Stimmungs reflexe aus Liizts innerem und äußerem Leben. Ein guter Patrroi, ba:tc auch Liszt immer die Schicksale seines ungarischen Vaterlandes un Auge behalten. So galten die „Orin« ra i Iles" dem Gedächtnisse dreier ihm befreundeten Landsleute, dem Fürsten Lichnowsky und den beiden Grafen Batthiany und Telcky, die als Opfer der revolutionären Kämpfe der 1840er Jahre fielen. Es ist ein Stück voll Pathos und Größe, eine Trauermusik, die anfangs Glockengeläut und rhythmische Klange der ungarischen Heimat erklingen läßt, im Mitteliatzc aber auch allgemein Men'chlicheS ergreifend ausspricht, so daßman ihm wobl das Trio des Chopinichen Traucrmarsches aus der B-Moll-Sonate gleichsiellcn darf. An dieses, von der Poesie des Schmerzes verklärte Stück schließen sich noch die folgenden an, die wieder völlig auf dem Boden religiöser Empfindung stehen. In der „.Vnclante Iaccrimo;o" überschriebenen Komposition klingen verwandte Töne wieder. Nur noch um vieles wchmuiigcr, weicher und weltabgeschiedener: eine stille Abendieicr, bevor die Nacht mit den tröstenden Sternbildern über den andächtig Schauenden herein bricht. Wieder anders geartet, diesem Andanie doch naheitebend ist das ^lissrsre, gleichsam eine Fortsetzung und Ergänzung der „Danses -Iss Hs orts" nm ihrem klagenden Rufe „cko sirosnnckis". Das ikckisc-roro, ein Beicht- und Sundenbetcnntnis in unmkalijchcr Fassung.
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