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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.01.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080114010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908011401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908011401
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-01
- Tag 1908-01-14
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Monat
1908-01
-
Jahr
1908
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Nr. 13. 102. Jahrg. Herren- und auch deS Abgeordnetenhauses folgen und die Verhütung jeder Verwahrlosung sichern. Auch die weitere Einschränkung, die im 1. Latze in dem Worte „kann" liegt, sollte man fallen lassen und sagen: „Ein Minderjähriger wird der Fürsorgeerziehung überwiesen, . . ." Eine weitere Einschränkung der Wirksamkeit deS Gesetzes besteht darin, daß man die vortchulpslichiige Jugend sowie die über 16 Jabre alte so gut wie auti'chiletzt >8 I, Abs. 2s. Die Fäll« im frühen Kindesalter sind durchaus nicht so selten, wie die Begründung S. l8 Abs. l annimmt. Tie Verwabrlolung im späteren Alter ist ja aber gerade da» Kennzeichen unserer Zeit. Was die Begründung dagegen aus S. 15 berrnft, so ist sie, was die Erfahrungen in Preußen angeht, von dem bekannten Päda gogen Trüper in seiner Schrift: „Zur Frage der Behandlung der lugendlichen Missetäter" schon vor längerer Zeit entkräftet worden. Truper hat »angewiesen, daß die Schuld an den übelen Erfahrungen die uupädagooische Leitung und Einrichtung der Anstalten und der Um stand trägt, daß man viel zu wenig differenziert nach Art und Grad der Verwahrlosung und Verderbtheit. Warum soll man hier die Grenze bei 16 Jahren ziehen? Die Fortbildungsschulpfiicht endet mit vollendetem 17. die Strafunmündigkeit mit dem 18, sviele Juristen möchten fie bis zum 21. hinausschiebens. die Fürsorgeerziehung nach dem Entwurf« selbst mit dem 21. Jahre. Für die vorlchulpslichtige und die schulpflichtige Jugend machen Staat, Gemeinden und öffentliche Wohl tätigkeit große Au'wendungen, für die schulentlassene Jugend wird sehr, sehr wenig getan. Es ist also zu wünschen, daß man die Altersgrenze von 16 fallen läßt. Wenn man die Fürsorgeerziehung im Geiste deS BesserungSver- 'abrenS, wie e? sich in Nordamerika, England, Norwegen, Frankreich nicht ohne Einfluß deutscher Pädagogen herausgebildet hat, betrachtet, ko wird man manches in dem Entwürfe vermissen. Es fehlt vor allem der Ausdruck des Gedankens, daß — eS klingt fast lächerlich — das Hürlorae-Erziebungsversabren vor allem eine Sache der Erziehung ist. Zwar sagt die Begründung, „daß die Fürsorgeerziehung weder mit der öffentlichen Armenpflege sich deckt, noch immer unter den Gesichts punkt polizeilichen Einschreitens fällt . Dieser Gesichtspunkt kommt nicht genügend zur Geltung Man vermißt Ansätze zum Jugendgericht, denen Einführung in Preußen erwogen, vom Deutschen Lehrerverein empfohlen wird, in Frankfurt und einigen anderen Städten bereits -um Teil veiwirklicht worden ist. Es würde beute schon genügen, wenn be stimmt wurde, daß dem Vormundscbaftsgericht bei der Entscheidung, ob und wie das Bewahren einzuleiken sei, pädagogische Beisitzer gegeben würden, wenn allen Personen, die sich von Amts wegen mit dem stalle zu beschäftigen haben, Einblick in den vollen Akteninhalt gestattet würde, damit sie sich dazu äußern können. Zu Leitern und Lelircrn der Er ziehungsanstalten, also zu dem schwierigsten Erziehungswerke, sollte man nur erfahrene, gründlich vorgehildete Pädagogen heranziehen, die päda gogische Beaufstchtigung sollte sich nicht nur aus den unterricht s§ 17 Abs. 31, sondern auch auf die erziehlichen Maßnahmen und die Organ»- sarion dieser Anstalten, ganz besonders aus die Beschäftigung erstrecken. Zum Schluss? sei noch auf eins hingewiesen. Alle Menschenfreunde, Erzieher und Pödagogen, haben immer über die Langwierigkeit des Verfahrens geklagt. Viele Juristen sehen in der Fürsorgeerziehung eine „Humanitätsduselei". Ihnen hält Dr. Baernreither in seinem Werke: „Die Jugendfürsorge in Nordamerika" entgegen, daß dem jugendlichen Tunichtgut daS genau geregelte Austaltsleben eine viel härtere Strafe lei, als das stumpfe Ge'öngnisleben. da? seinen Gewohnheiten viel mehr entspricht. Man hat bei dem Durchstudieren des Entwürfe? da? Gefübl. als ob di? Garantien für die Abkürzung de? Verfahrens fehlten. Zusammenfassend muß man seiner Freude über die gesetzliche Rege lung der Materie Ausdruck geben, aber zugleich auch dem Wunsche, daß Sachsen nicht nur die anderen Staaten auf diesem Gebiete einbole, 'andern auch einige Schritte darüber hinaus in dem oben skizzierten Sinne tue. Deutscher Reich. Lctpjtq, 14. Januar. * ReichStagSinlevpellationea Die für heute im Reichstag in Aus sicht genommene Beantwortung der Interpellation deS Grasen Kanitz über die Erböbung deS Bankdiskont« wird durch den SlaaiSsekretär Dr. v. Bethmann-Hoüweg erfolgen. Im Anschluß daran wird jedenfalls auch der neue Präsident des ReichsbankdirckioriumS Haven- stein Gelegenheit haben, feine eigenen Anschauungen hierüber zu ent wickeln. Am Mittwoch gelangen aller Voraussicht nach die drei Inler- pellat onen der Wirtschaftlichen Bereinigung, deS Zentrums und der Soz-aldemokratie über die Reform des Knappschaftswesen» im Reichstag zur Verhandlung. Die Beantwortung übernimmt einmal wieder Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg. * Preußischer Landtag Die gestrige Sitzung des preußischen Ab geordnetenhauses brachte noch eine kleine Sensation. Der Frei konservative v. Zedlitz hatte bereits an der EtalSlechnik deS Finanz- Leipziger Tageblatt. Ministers eine ziemlich herbe Kritik geübt und dem Minister vor- geworseo, die Grundlagen seine« Eiatü seien teil- unsicher, teils zweifelhaft, teil» geradezu unrichtig. Ein Vorwurf, der im Hause, aus dem Munde dieses Redners kommend, lebhafte BewegunH bervorries. Aber Herrn v. Rheinhaben sollte noch schlimmer mitgespielt weiden Der nationall'berale Etairedner Dr. Friedberg, rer Rachsolger SatilerS als Etat'precher, ging mit dem Minister bös in- Gericht. Er warf ihm vor, daß sein Etat aui absout falichen BorauStryUligkn ausgebaut sei; daß das System, nach dem der Minister den Etat auistelle, 'chon im Jabre 1907 zusammengebrochen sei und daß eS das höchste Befremden seiner Paitei erregt habe, wenn der Min ister eS gewagt habe, trotzdem wieder mit einem aus diesem System ausgebauten Etat vor das Haus zu treten. Der nationalliberale Revi er icheute sich nicht, dem Minister in dürren Worten eine verlchleierie Bilanz vor-uwersen, allerdings nicht in sub jektivem Sinne, wie er späier begütigend hinzu ücke, sondern in ob» jekiivem. Die Erklärung erregte Sonsat on. Sic bewies, daß die Naiionalliberalen die Kampagne gegen den Finanzminisier, die er durch seine vorweibnachilichc Rede im ReichS'ag gegen die Partei he,aus beschworen bat, noch nicht aufgegeben haben und auch nicht auszugeben gedenken. Rund erklärie Dr. Friedberg, ehe der - preußische Etat nicht gemäß den Vorschlägen, die feine Freunde demnächst einbringen würden, auf eine andere kalkulatorische und finanztechnische Basis gestellt sei, würden die Nationallibcralen sür leine neue Steuer zu haben sein. Der Redner trat dann unter entschiedener Wendung gegen den Kinan;- mmister für die direkte NeichöstcUer ein. Der Minister verteidigte sich erregt, aber nicht sonderlich geschickt, und der allgemeine E ndruck war ver, daß die Kampagne der Nationalliberalen, die seinerzeit durch PaascheS verunglückten Feldzug gegen Einem in eine Schlappe ver wandelt schien, mit ziemlich günstigen Aussichten wieder ausgenommen worden ist. * Tte KommifflonSbefchlüfse zur Polenvorlage. Nach den Beschlüssen der Kommission lauten die Haupibestimmungen der Polenvorlage letzt folgendermaßen: Der b sher der R-g'-rung zur Vertilgung gestellt Fonds wird um 200 Millionen Mark (Vorlage 300) erhöht, von denen 7K Millionen sür Regulierung bäuerlicher Güter zu verwenden sich. Die Ansiedelung von selbständigen deutschen Arbeitern aus Renien- giitern und ans anderen größeren Gütern ist du>ch Prämien zu fördern. Der Regierung wird ein Fond» von KO Millionen zur Ver fügung gestellt, um größere Güter mit der Beiiimmung zu er- weiben, sic im ganzen als Rentengüter gegen vollständige Schadlos haltung deS Staates zu veräußern. Aui solchen Gütern sind in möglichst weitem Umlange selbständige deutsche lanrwirtschaitliche Ar beiter auf Nebenstellen anzusiedeln. Der Ausnihrungslommstsion sollen zwei Mitglieder angeboren, von denen je eins auf Grund einer min destens drei Personen enthaltenden Vorschlagsliste der LandwirtichaflS- kammern sür Po'en und Westp-eußen ernannt wird. Zur Sicherung de« gefährdeten Denlschtums wird dem Staate behufs Abrundung und Stärtung der bestehenden Aniiedelungszruppen in den Kreoen (je eine Ansiedelungsgruppe in jeder Provinz) das Recht zur Euteianung solcher Grundstücke verlieben, die zu diesem Zweck erforderlich sind. Ausge schlossen ist die Enteignung von Kirchen- und Begräbnisgrundstücken. Die Enteignung erstreckt sich auf das Zubehör des Grund stücks. Auf Verlangen des Eigentümers sind daS zur Bewirtschaftung ces enteigneten Giunbstücks nicht unbedingt ersorderlicbe Zubehör und die gehaltene S ammherde von der Enieignung auSzmchlicßen. Bei be wohnten Grundstück,n muß dem abstehenden Eigentümer eine angemessene, nicht unter drer Monaten zu bemessende Frist sür Räumung deS Wobn- hauieS durch die Ansiedelungskommusion bestimmt werden. Der im tz 1 des Gesetze» von 1902 ver Siaatsreaierung zur Verfügung gestellte Fonds wirv um 25 Millionen (Vorlage 50) erhöbt. — Die Bestimmungen über den Beirat, wie sie die Vorlage enthielt, fallen fort; statt 400 Millionen werden nur 275 Millionen bewilligt. * Vernleichsvcrhaudlungen im PeterS-Prozeh. In dem Prozeß de» ehemaligen ReichökommiffarS Dr. PcterS gegen die „Kölnische Zeitung" sind seitens der beklagten Partei VeraleichSvorschläze an geboten worden. Der Verteidiger des Kläger», Juftizrat Dr. Sell», hat die Geneigtheit zu einem gliilichen Vergleich zu erkennen gegeben, fall» seinem Klienten genügende Erklärungen abgegeben und sämtlich? Kosten von der beklagten Seite übernommen werden. * Tte Berliner Stratzendcmonstrationen. Wie amtlich bekanntge geben wird, wurden am Sonntag im ganzen 108 Personen, darunter 6 Frauen, sistiert. Die Zahl der amtlich bekannt gewordenen Verletzten ist 30, von denen 4 namentlich festgestellt werden tonnte. Nach Ansicht Dienstag, 14. Januar 1ÄV8. der Polizei sind die Demonstrationen von de« Genossen selbst auf da« gründlich'«« vorbereitet worven. So war z. B. den einzelnen T'Upp» von Demonstranten den Weg genau vorgeschrieben, den sie eiuschlagen sollten. Pseijeo unv Johlen war unterlagt worden. Bei fernerer Gelegenbelt sollte versucht werden, einzeln durchzukommen. Auch sollten die Museen zahlreich besucht werden, um von dort aus vorbrcchen zu lönnen. Viel fach beobachtete man Frauen, welche an Häu ern unv Mauern rote und weiße Plakate anbrackten mit ver Aufschrift: .Heraus mit dem neuen Wahlrecht!" Außerdem wurden größere Plakate anaebracht mit ver Aufschrift: .Nieder mit dem Dreiklass »Wahlrecht, heraus mit dem neuen Wahlrecht sür Männer und Frauen!" Die Anarch sten benutzten diese Gelegenheit, um ihre verbotenen Druck schriften zu verbreiten. Einer von ibnen wurde verhaktet. -- Die gesamte englilcbe Press? ohne Unterschieo der P irteirichiung, so gar hoctstonservatwe Bläner, verurteilen die Berliner Vorgänge. Wie „Pall Mall Gazette" empfehlen die Liberalen Zugeständnisse zur Be seitigung der tief wurzelnden Unzukriedenbeit über das Wahlrecht, unv die offiziöse „Tribüne" meint, der Krawall Werve Bülow hoffentlich belehrt baben, daß er das Problem zu leicht auisasse. Die brltochc Geschichte beweise, daß versäumte Ncsoimen um so schwerere Strafe» nach sich ziehen. Die „Times" urteilen, der letzte Schatten einer liberalen Aera in Deutschland ler verschwunden. * Kleine Nachrichten. Graf Kuno Moltke tritt in den nächsten Tagen eine Mitlelmee, fahrt an. Die Heimkehr erfolgt zum Revisionsielmiu Ves Harden-Prozesses. — Ein deut'cbes Reichskomitee bat sich sür den sechzehnien tniernat analen medizinischen Konareh Pest 1909 gebildet: »S gehlsten ihm Beitreier der Regierung, ter großen Ctäote und ver Universitäten an. Der Vorsitzende des Komitees ist Professor Waloryer. Ausland. Italien. * Zum Zwischenfall in Venadir telegraphiert uns unser römischer ?-Korre>ponvenl vom 13. b M.: Dar Versprechen der oeut'chen Reichsregieruoz, das imlieniche Genugtuungsbegehren bei bem Negus diplomatisch unterstützen zu wollen, machte hier vorzüglichen Eindruck Im ü rigen eriedi.it MeneitkS Veisi berung, den stniuz guo erhalten und Genugtuung «eben zu wollen sie abesiinifche Affäre sür Italien iin weient ichen. zumal die ilolien sche Reg'erung weder zur die militänsche Verteidigung Benadirs noch sür die definitive Grenz regulierung zur Sicherung Lughs ernste Magnahmen zu ergreifen disponiert ist. Rußland. * Die Mohammedaner in der Duma. Unerstiitzt von einigen oppo sitionellen Ncichsdi'.mapartcicn beabsichtigen die muselmanischen Reichs- oumamitglieder der Neichsduma eine Interpellation zu unterbreiten, um eine Klärung der muselmanischen Frage herbeizusühren, da die vom Minister Stolypin schon vor längerer Zeit gegebenen Versprechungen, die vom muselmanischen Kongreß und von der Geistlichkeit oorgelcblage- nen Reformen im Interesse der in Rußland lebenden Muselmanen zu prüfen, noch immer nicht verwirklicht sind, anderseits aber die russischen Administrativbchörden gegen die Führer,der muselmanischen Parteien in rücksichtsloser Weise Vorgehen. Bevor jedoch die Partei ihre Wünsche dem Plenum unterbreitet, soll noch ein Versuch mit einer Beschwerde del dem dirigierenden Senat gemacht werden. * Die Wodka wird teurer! Ter russische Finanzminister, Staats sekretär Kokowzow verfügte, daß die Preise sür „Negierungswein" alias Wodka und Alkohol im Jahre 1808, also vom 14. d. Mts. an, eine Preiserhöhung erhalten und wie folgt verkauft werden: Regie» rungswein 40 Grad Stärke 8 Rubel pro Eimer; rektifizierter Spiritus 20 und 21 Kopeken pro Grad; Tisch-„Wein" 11 Rubel pro Eimer und wasserfreier Alkohol 22 Rubel pro Eimer. — Hoffentlich sind die Russen fo patriotisch, tüchtig „indirekt für den notleidenden Staat zu steuern! Türkei. " Rüstungen in Mazedonien. Aus Konstantinopel wird vom 13. d. M. telegraphiert: Die im Umlauf befindlichen Nacbr chten über besonders große Kriegsvorbercitungen in Mazedonien stad unzutreffend. Es lann nur eine be sondere Maßnahme konstaiiert werden, nämlich die bereits signalisier«» zwei malige E nberuiung von Rediss und jetzt auch Rekruten vom nächsten Jahre für die Verstärkung der Nizam-Bataillone des 3. Korpsbereiches (Salonni). Da die Ltanbesverhältniffe per Baiaillone keineSweaS so niedrig sind, wie kürzlich gemeldet wurde, sondern im Gegenteil ganz günstige, W ergibt sich nach Vollendung der in Durchführung begriffenen zweiten Redls- und Rekruteneinberufung für alle 124 N i z a in-B a i a il lone des besaaten KorvSbereiches der volle Kriegs stand Die im albanesis: en Gebiete uns an der serbischen, sowie an der montenegrinischen Grenze dislozierten Bnlaillonr werden aber wohl wie di her, auch nach erfolgter Durcbiü rung dieser Maßnahmen nicht auf den v'llen Lians gebrach» weiden. — Diese dr- merkenswerle Kraftanstrengung kann als besondere Vorsicht und Vorbereitung Feuilleton. Adolf Vogls Oper „Maja". Stuttgart, 12. Januar. Unter KüstnerS Direktion erschien in Leipzig am 21. September 1824 als interessante Novität daS einaktige Trauerspiel ,Der Paria" von Michael Beer, dem jüngeren Bruder Meverbeers. Der Liebling der Leipziger, der genial veranlagte jugendliche Heldendarsteller von Treuenrels, genannt Stein, spielte die Titelrolle, Madame Mledke die weibliche Hauptrolle Maja und Emil Devrient die wichtige Episode deS indischen Edlen Benascor. Beers Dichtung machte damals unt Erfolg die Runde über di« deutschen Bübuen und fand auch bei der Kritik warme Anerkennung. Selbst Goethe hat sie gelobt. Die Symbolik deS Stückes, hinter der der JudenemanzipationSgedanke sich barg, muvre ihn ebenso anjprechen als die Einfachheit und die Oekonvmie der Dar- stellung, Elgenschazten, die chm gerade damals als die wertvollsten er schienen. „Ter Paria", lietz Goethe durch Eckermann lobend aus sprechen, „kann füglich als Symbol der herabgesetzten, unterdrückten, verachteten Menschheit aller Volker gelten, und wie ein solcher Gegen stand allgemein menschlich erscheint, so ist er dadurch höchst poetisch. Nicht weniger ist der Verfasser wegen der in der Behandlung seines Gegenstandes bewiesenen großen Oekonomie zu loben. Ohne Zwang sind alle jene tragischen Motive in einen einzigen Akt zusammengcoracht, die Handlung entwickelt sich an einem einzigen Lite und der bandelnden Personen sind nur drei. Aehnliche Anerkennung wurde dem „Paria" von vielen Seiten zuteil lange bat er sich aus den Bühnen behauptet und zur Besiegung des Vorurteils kräftig mitgewirkt. Beers Dichtung lebt nun wieder auf «n der neuen zwelaktigen Oper ..M a i a" von Adolf Vogl, die am letzten Sonntag von der Stutt garter Hoibuhne ins szenncbe Leben eingetuhrt wurde. Auf der Grund- läge des^alten Trauerspiels hat Vogl ein großes Mufikdrama voll pathe tischen Schwunges und ernster Tiefgründigkeit geschaffen. Vogl, 1873 in München geboren, erhielt in seiner Vaterstadt leine Ausbildung so wohl auf dem Gebiet der Musik als auch auf dem der Geschichte und Philosophie. Kurze Zeit war er an verschiedenen Bühnen szuleht in Berns als Kapellmeister tätig, brach dann ober daS Dtrigentenwirken ab, um^in München unter Enthebrungen ganz seinen Studien und freiem Schaffen zu leben. Unter dem Truck materieller Sorgen drang er da immer tieier ein „in die Mysterien des inneren Ledens". Er -chreibt selbst: „Ein Suchender wurde ich da, voll von Sehnsucht, durch JrrniS und Tornen, über die eigenen Leiden und die der Erdcnkind-r in jenes Unbekannte einzudrinaen, in dem alle» Problematische sich w-e im Nirwana auflöst. Aus diesem Wege lernte ich die Not kennen und den Hunger mit allen Folgen für Leib und Gemüt." Neben einer großen Sinfonie, etlichen Liedern kleineren Tonschöpsungen, entstand in diesir Zeit sein Musikdrama „M a j a", ^u dem er sich durch BeerS Dichtung mächtig angeregt kühlte. Gegenwärtig ist Vogl mit der musi- kalilchen Ausgestaltung einer großen Tragödie .,Golgatha" beschäftigt. Vogl bat sein „Maja"-Textbuch nach dem Beerschen Trauerspiel frei und selbständig ausgestaltet; wie in icr Komposition ist er auch in der Tertbearbeitung WagnerS Spuren gefolgt. Stellenweise verwendet auch er den Stabreim fz. B.: „Wenn wobr da» Work, da- wütend mich zehrt, wenn fluchbeladen die- freie Haupt . . . ,"j. Da- Musikdrama nährt uns im ersten Akt aus rin indisches Leickienseld bei der Stadt Benares. Maja, die Gattin eine- verstorbenen vornehmen Indiers, soll dort au dem Scheiterhaufen den von Brahma vorgefchriebenen Ditwentod finden. Maja, voll Lebens- und Liebesverlangcu, lehnt sich aus wider das ihr unb-grenliche Gebot, einem ungeliebten Mann in den Tod zu folgen. Vergeblich bestürmt sie den Brahmanen, sie zu ritten, mit ihr zu fliehen. Trotz seiner Liebe zu Maia widersteht der Drahmane ihrem Flehen; als Maia dann in wilde Gotteslästerungen ausbrickt. spricht der Drahmane über fie den Fluch aus, der sie in die geächtete Kaste der Pariakafte binokfftößt. Alle- flieht vor der Aus- gestoßenen, »umal ein fürchterliches Unwetter dem Fluche folgt und ein Dlittitrohl den Scheiterhaufen mit dem Marterpsahl entzündet und verzehrt. In schauerlicher Einsamkeit erwacht in Maja die Sehnsucht nach einem „ungekonnten, mächtigen Gott, dem Walter der Liebe'. In dieser Sehnsucht begegnet sie sich mit Makaranda, dem Paria. Beide fliehen nach dem Walde, um in der Verborgenheit ihren neuen Gott zu suchen und sich auf die Verkündigung desselben für alle Menschen vor- zubereiten. Ter zweite Akt zeigt zunächst Maia und Makaranda in ihrem weltabgewandten LiebeSglück im Walde. Ein Sohn, Rahula, er höht ihre stille Freude. Da naht ihrer Hütte der auf der Jagd ver irrte nnd verwundete BenaScar. Durch heilende Krauter rettet ihn Maja vom Tode. Zum Danke will er die Retterin von seinem Ge folge als Sklavin wegsühren lassen, um sie seinen Lüsten zu opfern. Da erfahrt er, daß die Frau des Paria leine eigene Schwester ist. Nun will er die Schwester und ihr Kind beschützen, den Paria aber dom Tode durch Priesterhand Preisgaben. Indem Maja den Saft einer giftigen Frucht genießt, folgt fie ihrem Gatten in den Tod. Erschüttert gesteht nun der Brabmane seine Liebe zu Maja. Da erklingen die Gesänge der Menge, an deren Spitze Buddha, der neue, liebckündende Gott, durchs Land zieht: „Nirwanas Heimat ist errungen; Natur, die alles wirkt und schafft, — Durch Liebe ist es ihr gelungen; durch froh ertragner Schmerzen beiltät'ae Wunderkraft!" DaS neue Musikdroma ist eine ernste künstlerische Arbeit voll pathe tischen Schwunges, reich an dramatischen und musikalischen Effekten. Im ersten Akt interessiert besonders die Begegnung Ma,aS mit dem Paria. Ten Glanzpunkt der Oper bildet das Lchlußensomblc mit dem Erscheinen Buddhas: es ist wirklich von großartiger, hinreißender Wirkung und löste stürmischen, begeisterten, allgemeinen Beifall aus. Tie Aussübrunm seit langem sorgfältig vorbereitet, nakm unter Hof kapellmeister Bands musikalischer und Opernregisseur Dr. Löwenfelds szenischer Leitung einen glänzenden Verlauf. Die Titelpartie wurde von Frau Senger-Bettaque darstellerisch und gesanglich ausgezeichnet, »oll Verve und Feuer durchgeführt. Weil war ein stimmlich prächtiger Paria; die andern Hauptrollen fanden durch die Herren Erb, Nendörfser und Holm gute Vertretung. Die neuen Dekorationen und Kostüme trugen auch zu dem günstigen Ge samtrindruck der bedeutsamen Premiere bei. VV. XVickärama. M * -rank Wedekind in sranzdflschem Lickt. Da« Ausland beginnt sich mit Frank Wrdekwd zu beichäfitirn. In Rußland bat er rin» Begeisterung bervorarrufen wie kein aneerer moderner deutscher D chter und „Frühlings Er wachen" ist überall gegeben worben, wo es nicht wie in Moskau veiboten wurde, „weil die Kiichdofsszene daS nligiöse Empfinden der Au sä au er bele-diaen könnte." In der „Revue" veröffentlicht nun L. Rsau einen ausführlichen Ausiatz über den Dichter und eine besonders eingehende Analyse von ..Frühling« Eiwacben", von bem eine iranzvsffcbe Ueberseyung in nächner Zeit erscheinen w rd. Webe kind rrpräienlleri tür den Franzosen den Dichter, der die Tendenzen der neuen Generation auSvrücke. Er siebt in ibm den frühsten Gegner des konsequenten Natura lismus, der zu einer Zeit, da L'auvtmann „Tie Weber' veröff, «Nicht», bereits in We Bahnen der idealistischen Aruromantik »inichlug. die jetzt die Herrschaft in der orulichen lüterainr errungen haben. „Webekind ist sicher mit Drdinet und tzoknonntihal der tvpischsir Vertreter der Neuromnntik, die die Parole der jungen Tichiergene- ration ist. Die neue Lehre hat in ihm einen ihrer ersten Antünger gesunden; er ist ihr entschlossenster Vorkämpfer geblieben". „Wer ist nun di« er rinz>g- artige Echrsilsteller. gevrir'en von den einen, ge chmähi von den andern, zugleich überschätzt und mißachtet? Es scheint, man kann von ibm nicht kaltmütig sprechen und ihn nack seinem wabren Wert ein chLtzen ohne Uedertreibuna in Lob und Tadel. Die Verzückten vergleichen ihn m t Ehakeipeare. dir Pdori'Ser b-bandeln ihn olS Pornographeu, die einen wie die andern ealbebren in gleicher Weise der rewten Beunrilunq. Kkstperlicsi ist Wed-kind ein kleiner Mann w't etwas schweriälliqem Gang, drn schweren Kovs aus eckigen Schultern, ein fleischs- ges, glaitrasieilr« Lchouipielergesichl, sinnliche, frinichineckrrisch« Lippen, fast siet» gesenkte kurzsichtige Augen. Co macht er den Eindiuck eine» traurigen Wollüstigen ein«» Schüchternen, der sich mit Frechheiten verteidigt und mit 'einem Kynismus pnrabirrt um sein Innere» zu verbergen. Seine nirgends von kunsilelis i em Feuer oder genialen LicbtbUtzen gewogene Unterhaltung, die aber durch unvermutete Wensungrn ubeiro'ch», ist die eine- sedr kluien Manues, der das Leben asi» ironischer und amüsierter Zuschauer betrachtet." -iöan rrleaat die künstlerischen Fehler, die in den moralisierenden und persönlichen Tendenzen der Wedekindschen Dichtung liegen und betont das Grotesie uns Satirische seines Stil». „Fiüdlinas Erwachen" ist ihm rin Clück, „da- die MiOelmäßigkeit de» gegenwärtigen d-uischen Theaiers doch überragt." „Der Freimut, mit dein Wedetind dieses physiologische, psychologiiche und pädaoogiiche Problem der Pubertät anqesaßt bat, ve> dient liniere ganze Achtung." Dabei versteigt er sich aber zn der 'L chauplung, daß daS Werk einen Einfluß ans die deutiche Empfind samkeit gewonnen Kobe, der in einigem Äbsians mit der des „Weither" ver glichen werden könne. Musikchronik. Ermano Wolf-Ferrari» dreiaktig« lyrische Over „Der Schmuck der Madonna" soll in diesem Frühjahre ihre Uraufführung erlebe«. — Ein vom Berliner Tonkün si ler-Verein sür den 9. Dezember 1907 angezeigter, sorgsam vorbrreiieler „pävagogijcher Abend", an bem zwei außerhalb deS P. rein» stehende Pädagogen idie Leh,methode vorsilbren wollten, konnte nicht stollfin.eu, weil von den 600 Milglievern deS Tonkünsilcr-Verein» — außer zwei Borslandsmitgliedern — kein einziges erschienen war. — Der Neubau einer Over in Berlin am Pariser Platz durch ein amerikanisches Konsorlium dem auch Dir. Conrieo angebört, ioll gesichert sein. Bon der Französisch,n Bot choft bis an dir Neue Wilhelmsüraße wirr sich die Front des Neuen OoernkauseS erstrecken. Die Pläne sind von dem Architekten Kopi aus Froalsurt a. M. eat- Worsin. — Für Musikstudierende besonders geeignet ist ein neuer Klavierausrug der „Meistrriinger", den da) Berlu ShauS B. Schotts Söhn« in Mainz üerausgebracht hat. Am Rande >eder Seite sind die einzelnen Motive und deren Eintritt genau bezeichnet. — Ein Grammovbon-Muieum, daS dir Stimmen einer Reibe der größien »ritgenöistschen Sänger uns Sängerinnen, wie auch KubeliiS Geiikwpiel und Raoul PumoS Klavierooiträge vereinigt, ist in de« Magazinen der Pariser Opernbiblioth«k eingewe bt worden. — Pfingsten >908 soll in Tilsit das 5 litauische Musiksest siattsinden. Geplant sind untek Mitwirkung der Oraiorienveieine von Gumbinnen, Inste,bürg, Memel und Tilsit und mehrerer Männer- und Fraurnchöre große Tborwerke mit auswär tigen Solisten und Oicheurr. — Auch in Königsberg soll auf Anregung veS Prinzen Friedrich Wilhelm im Sommer rin erstes Musiksest siallfinsen. " Kleine ilhrouik. Bei Esisigellbeit der Beisetzung von Wilhelm Busch legte, wie die,2ranni<1w. Neuesten Nachrichten" meldeten, Negieiungs- präfident Fromm«, HilteSheim. im Auftrage des Kaiser» einen Kranz am Grobe des DichlerS nieder. Ten Präsiden»« begleitete Landrat von Stock bausen. — Ter Großderzog von Sachsen-Weimar ernannte aus Anloh der Eröffnung deS neuen Ho tbeaters den Dresdener Hosichauwieler Wieck«, zum Ehrenmitglied deS Weimarer Theaters unv den Dresdener Hosibeater- koslümmaler Fanto zum Prosisior. — Frank Wedekind lat ei« neues Trania vollenkrt; es hat drei Akte und führt den Titel „Die Zensur". Da» Werk wird in kurzem in der Aeitichiiit „Morgen" reröfienllicl t weiden. — Rudolf Christians, der bekannllich früher der Operette anarhörle und noch türzlich anläßlich eines Gastspieles al- Eiiensirin in der „Fledermaus" am Siadllbealer in Leipzig grove Erfolge erzielte, wird ein ähnliches Gastspiel am Theater an der Wien ad'oivieren. Ter Künstler wurde von der Direktion der genannten Bühne »inoelnden, in der nächsten Premiere der LrhLr'che« Operette „Der Maon mit den drei Frauen", die am 2l. d. M. siaiifinoet dir Bonvivantrolle dnrzustellen. Der Künstler begibt sich am Mittwoch nach Wie«, nm die Proben mitznmachen. Nach Beendigung deS Gast vieles, das sür 30 bis 4" Abende berechnet ist, tritt Christians eine vierwöchige Gastivietr'ise durch Deusichland in 'einen Cchauipieliollen an und beginnt dann seine Tätig keit am Berliner Neuen Tdeater wsidrr am 1. April. — In Eger werden im Juli dieses Iovre» zum ersten Mole W a l l r n st, i n - F e st l p i e 1 e stottfinden. Nach einem Festzuge, der drn prunkvollen Einzug Wallensteins in Eger dar- slellt, und einer seierOchrn Begrübuiig am Mar'tplatze gelangt tas Festspiel „Die Gründung Soers" aus der Ruine Kaiserburg zur Aufführung, woran sich dann eine Aufführung von „Wallensteins Laier" aus der Brüolwirs« im Ege» tal onichlirßen wird. An der ganzen Veranstaltung w rkrn etwa taufend Pe». sone« mit. Der Entwurf der Festlichkeiten und da» Festiviel leibst stamme« vou Dr. Ditimar in Nürnberg. Außer bem Fest pielauKchusse mit Vi»bürger- mristrr Tr. Beruarvin an der Sviy« baben sich auch Ler Landesverband für Fremden verkehr in Deulsch-Böbmen und der Verein „Deufiche Heimat" tu Wien in den Dienst der Sache gestellt. (Die Kritik befindet sich auf der nächste« Leitet
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