Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.08.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070827010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907082701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907082701
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-08
- Tag 1907-08-27
-
Monat
1907-08
-
Jahr
1907
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Morgen-Ausgabe L. BezugS-Prei» für Lelpzia und Vorort, durch uns«, Trtger und Lpeditrurr in, Hau, gebracht: Au,gab« L (nur morgen,) vierteljährlich 3 M, monaUich 1 M., Auigobe 8 (morgen, und abend,) viertel, jährlich 4.50 M., monatlich 1.50 M. Durch die Voft bezoaen: (2 mal täglich) innerhalb Deutschland, und der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. aukjch!. Post- bestellgeld, iür Oesterreich 8 L 66 ü, Ungarn 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahme: August«,vlatz 8, bei unseren Lrägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne Stummer kostet Ist Pfg. Redaktion und Expedttioa: Johanni,gasse 8. Delevhon Nr. 14S92, Nr. 146S3, Nr. 14694. Berliner Nedaktion«-Bureau: Berlin dllV. 7 Prinz Louis Ferdinand- Strahe I. Telephon 1, Nr. 9275. MMcr Tagchlatt Handelszeitimg. IMisvl-tt -es Rates und -es Rolizeramtes -er LLa-t Leipzig. Anzeigen-Preis fstr Inserat« au, Leipzig und Umgebung di» «gespaltene Pctltzeil« 25 P'., stnanzielle Anzügen 30 Pf., Retlamen I M.; von au,wärt« 30 Pf., Reklamen 1.20 M.: vom Ausland 56 Pi., finanz. Anzeigen 75 Pf.. Reklamen 1.50 M. Inseraten. Behörden im amtlichen Teil 40 Pf. «eilagegebühr 5 M. p. Tausend exkl. Poft, gebühr, «eschästtan,eigen an bevorzugter «teile im Preis« erhäht. Rabatt nach Taris. Fest erteilte Aufträge künnen nicht zuriilk- gc,oge» werden. Für da« Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Aiqeigen. Annahme: AugustuSplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen. Expeditionen de« In- und Au-lande«. Haupt-Filiale Berlin: Earl Duncks., Herzog!. Bayr. Hofbuch» handlung, Lützowstrahe 10. (Telephon VI, Nr. 4603). 1V1. Jahrgang. Nr. 237. Dienstag 27. August 1907. Das wichtigste vom Tage. * Der Kaiser ist gestern in Hannover cingetrosfen und festlich empfangen worden. sS. Ttschs. N3 * Wie verlautet, wird Kaiser Franz Josef vom Könige von Italien demnächst in Wien besucht werden. Es ist nicht aus- geschlossen, daß sich gleichzeitig auch Kaiser Wilhelm nach Wien begibt. sS. Letzte Dep.) * Gegen Morenga kommt es jetzt zu einer gemeinsamen deutsch, englischen Aktion. sS. d. bes. Art.) * Auf die Eingabe des K a u fm a n n s g er i ch t s München an den Reichskanzler wegen Errichtung eines Reichskaufmanns, gerichts erging aus dem ReichSamt des Innern dec Bescheid, daß der Bundesrat beschlossen habe, der Eingabe kerne Folge zu geben. * Die Absetzung des Sultans Abdel Aziz von Marokko durch eine Nvtabelnversammlung in Marrakesch wird amtlich bestätigt. sS. Ausl.) , * Der elfte Kongreß des internationalen statisti schen Institutes wurde gestern mittag im Kopenhagener Neichstagsgcbäude durch den Kronprinzen Christian als Ehrenpräsi» deuten eröffnet. * Die japanische Untersuchung des Vorfalls bei den Pribylow-Inseln hat ergeben, daß die Amerikaner das Feuer auf die japanischen Robb en fang er ohne jede Veranlassung eröffnet haben. sS. Ausl.) Line öeutsch-englische Aktion gegen Moverraa. Eine amtliche Meldung aus Windhuk besagt: Nach einer Meldung von Kundschaftern und englischen Hottentotten ist Morris am 20. d. M. mit zwei Hottentotten und 37 Pferden zu Morenga gestoßen. Morcnga ist an geblich von Bakrivier wieder in die Berge gezogen. Eine amlliche Meldung deSGouverneurS dcrKapkolonie bestätigt die AuwesenheitMorengaS auf eng lischem Gebiete bei Bakriviermund. Alle verfügbare britische Polizei ist dorthin entsandt worden. Nach einerMitteilung des Generalkonsuls plündern MorengaS Leute auf englischem Gebiete. Das Kapministerium hat seinem Anträge, einen Generalstabsofsizier nach Kapstadt zu entsenden, um die Wünsche und Pläne des Truppenkommandeurs dem Ministerium und dem Polizeibefehlshaber mitzuteilen, entsprochen und zugestimmt, daß jener alsdann dem kommandierenden Polizeiosfizier des Gorvonia-Distrikts attachiert wird zwecks Herstellung einer Verbindung zwischen den deutschen und den englischen Streitkräften. In Aussicht genommen ist vom Truppenkommandeur mit dem Einverständnis des Generalkonsuls Hauptmann von Hagen. Also hat sich die Nachricht von MorengaS Aufenthalt auf englischem Boden bestätigt. Wie man aus der Meldung sieht — zum Nachteil MorengaS. Denn daß er, anstatt auf deutsches Gebiet einzubrechen und zu plündern, das englische hierzu ausgewählt hat, dient, wie erfreulicherweise aus der ganzen Meldung hervorgeht, dazu, nun eine völlig gemeinsame Aktion Deutschlands und Englands gegen Morenga zustande zu bringen. Auch die größten Optimisten hatten dies noch vor einer Woche kaum zu hoffen gewagt. Damals sah man eS schon als reichen Gewinn der Annäherung zwischen Deutschland und England an, daß Morenga keine Zuflucht mehr auf englischem Gebiet finden sollte. Der Schritt von da zu gemeinsamen Aktionen deutscher und englischer Streitkräfte gegen Morenga schien aber noch groß. Jetzt ist er erfolgt. Morenga selbst hat durch sein Verhalten ihn herausgefordert und damit erleichtert. Für ihn bedeutet das freilich das Ende. Auch die letzte Hoffnung, den Europäern zu entschlüpfen, ist für ihn dahin, mag auch bei der Schwierigkeit LeS TerrainS noch einige Zeit vergehen, bis Morenga zur Strecke gebracht ist. In der Geschichte der deutsch-englischen Beziehungen beginnt ein neues Kapitel. Die alte Kolonialmacht, die mit Mißgunst und Miß trauen so lange Zeit auf die Entwicklung von Deutsch-Südwestafrika sah und indirekt ost genug diese Entwicklung zu hemmen gesucht hat, reicht der neuen afrikanischen Kolonialmacht, Deutschland, die Hand, um einen gemeinsamen Feind nieoerzuwerfen. Man braucht noch nicht so weit zu gehen, in dieser jetzt beginnenden gemeinsamen deutsch-englischen Aktion gegen Morenga den Anfang einer Aera zu sehen, in der überhaupt die europäischen Kolonialstaaten die Verschiedenheit ihrer Interessen gegenüber der Wichtigkeit des gemeinsamen Kampfes gegen die Eingeborenen zurückstellen. Das bleibt noch Zukunftsmusik. Aber in der Geschichte der deutsch-englischen Beziehungen, die gerade auf dem Gebiet der Kolonialpolitik so viele ernste Reibungsflächen gezeigt hat und noch weiter zu zeigen drohte, ist es von hoher Bedeutung, daß man nach den Tagen deS Grolls und der Mißgunst zu einer solchen gemeinsamen Aktion schreitet. WilhelmShöh« fängt an, immer reichere Früchte zu tragen. Die Intrigen chinesischer Diplomaten. Die Verschlagenheit asiatischer Politiker und Diplomaten ist bekannt, und größte Vorsicht im Verkehr mit ihnen ist daher am Platze. Be sonders die Chinesen genießen wegen ihrer Verschmitztheit, mit der sie nicht nur geschäftliche, sondern auch politische Angelegenheiten behandeln unv zu erledigen suchen, einen wohl begründeten Ruf. Es läßt sich venken, daß sich diese» Talent zum Intrigieren in der mannigfaltigsten Spielart bei der augenblicklichen Reformtatigkeit in China geltend macht und daß dabei Fähigkeiten entwickelt werden, die bei unS Westlandern geradezu Staunen Hervorrufen. Ein recht lehrreiches Diplomaten- stückcken, das bezeichnende Streiflichter auf die inneren politischen Ver- hältnisse des Landes wirft uns den Vorzug besitzt, in allen Punkten wahr zu sein, hat sich kürzlich im Reiche der Mitte ereignet. Es ver- dient, auch bei unS bekannt zu werden. Infolge der Schwierigkeiten, die durch die Eisenbahn von Hankau nach Kanton bervorgerusen waren, hat der Vizekönig der beiden Kouang, Tscn-tchoun-Hinan in Kanton vielen Aerger gehabt. Tsen, ein Mann von tadellosem Ruf, hatte auch bei Hose in der letzten Zeit viele scharfe Anfeindungen erfahren. Aber trotz deS vielen AergerS in Kanton fühlte sich Tsen hier glücklich, weil er den geeigneten Boden zu einer ersprieß- lichen Tätigkeit vorfank. Um so überra'chtcr war er, als ihm vor einigen Wochen ein Dekret zugina, daß er als Vizetönig nach Setschucn gehen solle. Aber Tsen zeigte sich mit dieser Versetzung wenig zufrieden unv schien keine Eile zu haben, sich auf seinen neuen Posten zu begeben. Seine Gesundheit vorschützend, blieb er zunächst auf seinem alten Poften. Plötzlich erfuhr man, daß er fick doch zur Reise entschlossen habe und sich bereits auf dem Wege nach Selschuen befinde. Einige Zeit verging, ohne daß man von ihm Näheres hörte. Plötz lich verbreitete sich das Gerücht, Tsen lei in Peking. Als er nämlich im Laufe seiner Reise nach Setschucn in Hankau angekommen war, hatte er plötzlich die Richtung gewechselt und war, ohne daß jemand eS geahnt hatte, sofort nach Peking mit dem Expreßzug gefahren, der in 36 Stunden dorthin gelangt. Sein Eintreffen in der Hauptstadt wirkte wie ein Blitzschlag! Der Schrecken war groß unter den Feinden TsenS — unv sie waren zahlreich —, da sie all ihre Hoffnung auf seine möglichst weite Entfernung von Peking gegründet hatten. Man wußte zu gut, daß er ehemals sich des Vertrauens der Kaiserin-Witwe erfreut batte, aber, nach dem fernen SeNchuen verbannt, war er nickt mehr gefährlich, und seine Verleumder batten leichtes Spiel, seinen Kredit zu untergraben. Er mußte in Wahrheit des Erfolges sicher sein, um auf diesem Wege nach der Hauptstadt zu kommen, ohne vorher die Genehmigung nachgesucht zu haben, sich der Kaiserin vorstellen zu dürfen. Der kühne Streich TsenS schien völlig gelungen zu sein; er gewann wieder das Vertrauen der Kaiserin derartig, daß diese auf keinen anderen Rat mehr hören und nur noch „durch seine Augen" sehen wollte. Der Kaifcr seinerseits erwies ihm die hohe Gunst, ihn drei Tage nacheinander in Audienz zu empfangen. Das Resultat blieb nicht aus. Tsen wurde sofort zum Direktor des wichtigen, neuerdings geschaffenen Ministeriums der Posten und des Verkehrs ernannt, das unter anderem die General-Direktionen der Eisenbahnen umfaßt. Diese Stelle war frei infolge des Todes Tchang-po-sis, und indem fick Tsen zu stimm Nachfolger ernennen ließ, erhielt ec mit dem ersten Schlage eine hohe, anresehene Stellung, die ihm außerdem den ungeheuren Vorteil verschaffte, in der Hauptstadt in der Nähe deS Hofes zu wobnen. Dieser Ernennung folgte eine große Anzahl Absetzungen unv Degradierungen. Tfen übte Rache uns ging mitleidslos gegen seine Feinde vor, ohne einen einzigen zu schonen; im Laufe von vier bis fünf Tagen waren ein Vizeminister, sechs Generäle, drei Präfekten abge'etzt. Aber seine Kühnheit ging noch weiter! Er hat eS Hewagt, IM. glieder der kaiserlichen Familie anzugreifen und unter diesen die erste Persönlichkeit des Reiches, den Prinzen King selbst, dessen Stellung unerschütterlich schien, ra er eine laue Laufbahn hinter sich bat und mit Gunstbezeugungen des Hofes überhäuft worden war. Dieser hohe Würdenträger, dessen 62. Geburtstag ras Land unv das diplomatische Korps soeben feierlich begangen hatte, schien auf dem Höhepunkt der Ehre und des Reichstums angelangt zu sein. Präsident des großen Raies, Präsident des Rates der Reformen und des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten, vereinigte er in seinen Händen die wich tigsten Aufgaben und wurde all inmitten allgemeiner Achtung und all- gememer Furcht. Tsen kam nach Peking, und der Prinz King wurde nun unter An klage gestellt. Ein Zemor, namens Tschao-Ki-l'ir, augenscheinlich von dem ehemaligen Äizekönig von Kanton ermuntert, erstattete an den Thron einen Bericht, der in der offiziellen Zeitung vom 8. Mai publi ziert wurde, in dem er den Prinzen King denunzierte unv der Bestechung anschuldigte: er habe noch ganz türzlich von einem hohen Beamten, der soeben zum Gouverneur einer der drei Provinzen der Manischurei er nannt worven war, ein Geschenk von 100 000 TaelS erhalten zu dem Zwecke, ihm seine Gunst zu bewahren. Der Sohn des Prinzen Kmg, Prinz Tsai-Tschen, Präsident deö Handelsministeriums, deS Ackerbaues und der Industrie, wurde m gleicher Weise beschuldigt; dieselbe Persönlichkeit habe ihm eine Theaterdame zum Geschenk ge macht, die jener mit 12 000 TaelS bezahlt habe. Der Bericht schloß mit der Erklärung, raß die beiden Prinzen sich nur darauf ver stünden, Geschenke einzuheimsen und den Hof zu täuschen. Groß war das Erstaunen, solche Anschuldigungen gegen so hochstehende Personen formuliert zu seben. Es war klar, daß der Prinz King in jevem Falle aus dieser Affäre mit geschwächtem Ansehen hervorgehen würde. UebrigenS bewies schon die Tatsache allein, daß ein Untersuchungs komitee, an dessen Spitze der Kaiser seinen eigenen Bruder stellte, ein gesetzt wurde, wie sehr die Stellung Kings erschüttert war. Nach Verlauf einer Woche fällten die Untersuchungsrichter ihren Spruch: Der Prinz King und sein Sobn wurden von jedem Vorwurf frei gesprochen, während der Zensor abgesetzt wurde, weil er angeklagt habe, ohne reiflich nachzurenken. Indessen geschah dieser Spruch in verhältnis mäßig nachsichtigen Worten. Der Prinz King sollte aber auch jetzt noch nicht triumphieren. Am Tage nach dem günstigen Spruch bot sein Sohn seine Demission als Präsident des Ministeriums deS Handels an. Er legte auch seine sämtlichen Aemter nieder, besonders auch das des Großkanzlers des Palastes und das des Kommandanten der Garde des Kaisers. Der Hof nahm seine Demission sofort an, und die Ungnade des Sohnes erschüttert« weiter die Stellung deS Vaters. Die Affäre ist damit noch nicht zu Ende; die Zensoren sollen die Absicht haben, ge meinsam gegen die Absetzung eines ihrer Kollegen zu protestieren und die gegen den Prinzen King gerichtete Anklage zu erneuern. Sie wollen sogar soweit gehen, die Mitglieder ter Untersuchungskommission unv den Bruder des Kaisers zu denunzieren, daß sie sich eines falschen und parteiischen Urteils schuldig gemacht haben. In dieser Zeit hat Tsen seine Stellung als Minister der Posten und deS Verkehrs anaetreten. Er scheint große Projekte hinsichtlich des EisenbahnbaueS zu haben, der augenblicklich in China am meisten er örterten Frage. Manche Zeitungen berichten, daß er wegen der Schwierigkeiten für den Bau der Linie Kanton-Hankau ausschließlich chinesische Kapitalien zu bekommen, die Absicht habe, eine große aus ländische Anleihe aufzunehmen. Tsen setzte seine Angriffe gegen die «inen fort, während er andere von der Ungnade befreit. Man spricht sogar davon, daß ver Bizekönig von Kanton nächstens in den Großen Rat eintreten würde, der nur 5 Mitglieder zähl». Er ist brüsk auf getreten und hat ganz China in Atem gehalten, er kämpft gegen den Prinzen King, und er ist vielleicht auf dem Wege, die wichtigste Persön lichkeit des Reiches zu werden. Niemand kann das Resultat des Streites zwischen Tssen und King voraussehen. Schon oft hat man im Lande der Mitte die mächtigsten und gefürchtetsten Personen plötzlich verschwinden sehen, ohne daß noch jemand von ihnen gesprochen hat, und ebenso oft hat man Dummköpfe von heute auf morgen zu den größten Stellungen gelangen sehen; denn die Korruption, diese Wunde am chinesischen Staatskörper, wüiet von der untersten Sprosse der Mandarinenleiter bis zu den höchsten Stufen. Und welche Achtung können dem Volk diejenigen einslößen, die mit seiner Negierung beauftragt sind, wenn sie im gegenseitigen Kampfe zu Mitteln greifen, unter denen die Denunziation noch das vornehmste ist. Was China vor allem not tut, das ist — mehr Ordnung, Disziplin und Ehrenhaftigkeit unter seinen Beamten und ein wenig mehr Logik in seiner Politik. Schon wenn es diese einfache Reform bewirkt, würde eS einen ungeheuren Fortschritt machen. Deutschlands weltpolitische Aussichten. Was ist der Sinn aller Weltpolitik? .... Die enorme — intensive wie extensive —Ausdehnung des Verkehrs in unserer Zeit hat die Inter- cssensphären der Handvoll Kulturstaaten derartig ausgeweitet, daß Aus- gangspunkte ihrer Kämpfe um Lebensinteressen nicht mehr notwendig in dem eigentlichen Gebiet dieses Staatenkreises liegen müssen, sondern daß sie an jeder Stelle der gesamten Erdoberfläche aufflammen können. Von den Dingen, zu denen uns diese Entwicklung Hinführt — wir haben ja auf dem Wege zu ihnen erst ein paar kleine Schritte zurückgelegt — möchten wir wohl gern einiges wissen; was wunder, daß sich in wachsen der Zahl Berufene und Unberufene bereit finden, den Fragern Antwort zu geben, daß uns die politisch-volkswirtschaftliche Literatur tagtäglich einen dichteren Schneefall bedruckten Papiers beschert. Indes das sich bei jeder literarischen Produktion einstellende Ml 'Verhältnis zwischen Quantität und Qualität des Gebotenen bleibt auch hier nicht aus, za vielleicht wird es sich hier sogar besonders kraß gestalten, denn wer in diesen Fragen wirklich etwas zu sagen hat, der wird nicht nur in weiten Wissensgebieten völlig zu Hause sein, es wird ihm auch eine gewisse künstlerische Gestaltungskraft nicht fehlen dürfen: seine Ideen werden einer durch den Sinn für die Tatsachen disziplinierten Phantasie ent springen müssen Und solche Voraussetzungen findet man nicht zu oft erfüllt. In einem klugen und anziehend geschriebenen Buche,*) das kürzlich erschienen ist, hat Tr. Bosberg-Rekow, der bekannte Wirtschafts politiker und nationalökonomische Schriftsteller, gezeigt, daß er zu jenen gehört, denen cs sich lohni, zuzuhören, wenn sie von politischen Dingen sprechen. „Lose aneinander gereihte Aufsätze" nennt Dr. Vosberg-Rekow die Kapitel seines Buches, und die bunte Mannigfaltigkeit des Inhalts scheint in der Tat einen inneren Zusammenhang zwischen ven ver schiedenen Abschnitten auszuschließen. Dennoch besteht ein solch innerer Zusammenhang, und gerade die Grundgedanken, die immer wieder her» vorleuchtcn, sind es, die dem Buche seinen Wert verleihen. Zunächst der allgemein-volkswirtschaftliche: Denen gegenüber, die sich durch die märchenhaften Fortschritte der Industrie so haben blenden lassen, daß sie meinen, alles Volks- und weltwirtschaftliche Geschehen müsse mit der Zeit völlig in industrieller Tätigkeit aufgehen, wird hier wieder einmal — und mit Recht — betont, daß schließlich doch der Ackerbau die Grundlage bleibt, auf der sich Zivilisation und Kultur aufbauen, und daß alle weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Entwick lungen, mögen sie auch noch so divergierend verlaufen, darin wohl stets übcreinstimmcn werden, daß genügend viel Menschen den Acker bestellen, damit die übrigen zu essen haben. Selbst von den vollkommensten Industricerzcugnissen kann man allein bekanntlich noch nicht leben, auch wenn man oft — ungeschickt genug — sagt, die Industrie vermag mehr Menschen zu ernähren als der Ackerbau. Aus dieser Erkenntnis folgt jedoch durchaus nicht als Nutzanwendung, daß der industriellen Entwick lung Deutschlands Hemmschuhe anzulegen seien, wohl aber, daß ein Pa- rallelismus im Fortschreiten von Industrie und Landwirtschaft das zu erstrebende sei: „Eine kraftvolle Landwirtschaft gehört in Deutschland, wie früher, so auch heute noch zu den Grundpfeilern unserer nationalen Wirtschaft." Eine billige Weisheit! wird man vielleicht einwcnden. In des sic steigt doch erheblich im Preise, wenn man daran denkt, wie sie ge wonnen wurde: gewissermaßen auf einer Reise, die uns durch alle als Getreideproduzcnten in Betracht kommenden Länder führt und bei der sehr sorgfältig geprüft wird, inwieweit auf ihre Ernteüberschüsse in kommenden Tagen zu rechnen ist. Dann der innerpolitische Grundgedanke: Der gegen- wärtige Stand der Entwicklung stellt sich so dar, daß einerseits die alten, privilegierten Klassen, wie sie insonderheit durch die Großgrundbesitzer vertreten sind, eine heftige Abneigung zeigen gegen das, was sich mit einem vielleicht etwas verschwommenen, aber doch recht bequemen Aus- druck: moderne Forderungen nennen läßt, und daß anderseits die orga nisierten Massen des vierten Standes gegen den bestehenden Staat an dringen. Die Formel, mit deren Hilfe diese Spannungen nach oben wie nach unten sich lösen lassen, kann aber kaum eine andere sein, als daß mit überlebten Negicrungsmethoden gebrochen wird. Nicht darauf kommt es ja an, die alten, sozialen Machthaber völlig auszusckalten, son dern das Wichtige ist, die, Bedeutung der im Volke wirkenden Kräfte richtig cinzuschätzcn und ihnen den gebührenden Einfluß zu gewähren. Der agrarischen Gentry mag also immerhin eine den faktischen Verhält nissen entsprechende Machtportion neidlos gegönnt werden, doch auck die „Regierungssähigkeit der arbeitenden Klassen soll man ehrlich an erkennen. „Man gewöhne sich daran" — ich möchte hier Dr. Vosbergs eigene Worte zitieren — „die Grundideen des Sozialismus auf ihre Richtigkeit zu prüfen, und man suche zu der Erkenntnis zu kommen, daß unsere Arbeiterschaft gebildeter und intelligenter wird von Tag zu Tag und unserer Gesellsckast näher kommen wird, je näher sie der wirklichen Macht und dem wirklichen Einfluß kommt. Aber die Elastizität, die hierzu gehört, die fehlt unserem Staatsorganismus noch sebr, und an den verschiedensten Stellen des öffentlichen Lebens macht sich das peinlich bemerkbar. Man denke nur an den Bureaukratismus mit all seinen üblen Begleiterscheinungen, an die Rückständigkeit unserer Diplomatie und sonst noch an das viele, viel zu viele, das uns durch ewige Wieder kehr verdrießlich stimmt und die Politik verleidet. Doch dies betonen, bedeutet gewiß nicht schon Sckwarzschen und Sckwarzmalen; wohl aber erweckt es den lebhaften Wunsch danach, den häßlichen Kontrast zwischen dem Dunkel dieser Flecken und und dem hellfarbigen Gesamtbild der Entwicklung, Deutschlands zu tilgen. Und schließlich der außenpolitische Grundgedanke: Auch hier kein hastiges, draufgängerisches uebertreiben; die gleiche Sicherheit des Urteils, die trotz der innerpolitischen Unerfreulichkeiten keinen grämlichen Pessimismus auskommen läßt, weiß auch die Hoff nungen für die deutsche Zukunft im Zügel zu halten. Dr. Vosbcry- Rekow führte mit Gründen, deren Stichhaltigkeit jeder mit dieser Ma terie nur einigermaßen Vertraute zngeben wird, den Nachweis, daß uns nach Lage der Dinge die erste Rolle im Bereich der Kulturvölker nicht mehr beschieden sein wird. Deshalb freilich liegt noch kein Anlaß zu müder Resignation vor: Die Welt ist groß genug und „wir haben das Zeug dazu, auf den Märkten der Welt einen würdigen und einträglichen Platz zu behaupten und noch neuen Raum und Absatz zu finden." Die ') Dr Vosberg-Rekow. Ration und Welt — Bctrach- tungen über Grundlagen und Aussichten der deutschen Weltpolitik. lBerlin 1907; Allgem. Verlag für Deutsche Literatur.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite