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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.10.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071019027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907101902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907101902
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-10
- Tag 1907-10-19
-
Monat
1907-10
-
Jahr
1907
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Abeud-Ausaabe 8. 3 w., inoxatUch 1 M., illl»«t>r I (morgeia xxd abe»d«) vtertil» jährlich 4.50 mvaatlich 1.8) M. Durch dir P»U <2 »al täglich) innrrhald und drr drutschen Kolonien vierte 5,25 W., «onatltch 1,75 W. beftellgeld itr Oesterreich s Ungarn 8 L »trrtrl^hrlich. d« lich «ldoonexnt-AiNialmie: LngustnHptnH 8. bei unsere» Driiger«, gilialen, Spediteure» r»d uv» Die einzelne «ummrr kostet K> Slrdakttou »ud lstrpedtttow: Johanmsgafte «- r«i«»o» Nr. EL «r. Elz «r. Et. Berliner Slrdaktiva« vurrnu: Berlin k->V. 7, Prinz Lvuit gerdiuaub» Straße 1. Deiephou 1, Nr. 0275. «r A». Handelszettung. Nmtsölatt -es Nates und -es Nottzeiamtes -er Ltadl Leipzig. Anzeigen-Preis sttr Inserate au» Leipzig und Umgebung di« 6 gespaltene Petitzeile 25 Ps., stnaazleü« Anzeige» 3V Ps., Reklamen 1 W.; van au «wärt« 30 Ps., Reklame» 1.20 M.. vom Ausland 50 Ps., ftnanz. Anzeigen 75 Ps. Reklame» 1.50 M. Inserate v Arbürdcnimamtlichen TeU40Pi Beilagcgebulic 5 M. p. Tausend cjkl. 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Wenn auch die offizielle Bekanntgabe der Ernennung des bisherigen stellvertretenden Buudesratsbevollmacktigten Dr. Paulßen als Nach folger des kürzlich verstorbenen Wirki. Geh. Rats und Departements» chess im Weimarischen Staatsministerium v. Wurmb noch nicht erfolgt ist, so ist sie doch vollzogene Tatsache, ebenso wie die bereits erfolgte De signierung des bisherigen Ministerialdirektors im Departement der Finanzen Dr. Nebe zum Bevollmächtigten beim Bundesrat. Dr. Paul- ßen vertrat im Bundesrat nicht allein das Großherzogt um Sachsen- Weimar, sondern auch das i^rzogtum Sachsen-Altenburg, sowie die Fürstentümer Schwarzburg-Lwndershauscn, Schwarzburg-Rudolstadt und die beiden Reuß, also sechs Bundesstaaten mit je einer Stimme. Das gleiche wird bei seinem Nachfolger der Fall sein, da zu einer Acn- derung in dem bisherigen Verhältnis keine Veranlassung vorliegt. Der neue Departementschef im Weimarischen Staatsministerrum, Dr. Paulßen, ist entschieden neben dem leitenden Staatsminister Dr. Rothe und dem Chef der Finanzen, Geh. Staatsrat Dr. Hunnius, der fähigste Kopf in der hohen Beamtenwclt des Großherzogtums. Der 48iährige hat eine geradezu glänzende Laufbahn im Verhältnis zu seinem Alter zurückgelegt. 1864 in Sömmerda geboren und nach glatter Absol vierung des Gymnasiums sowie der juristischen Staatsprüfungen war Dr. Paulßen 1895 als 31jähriger bereits Finanzrat und vortragender Rat im Staatsministerium, sowie Geheimer Referent beim Großhcrzog Karl Alexander; 1M9 wurde er Geheimer Lcaationsrat und stellver tretender Bundesratsbevollmächtigter und 1905 Großherzogl. Sächsischer Staatsrat. Die Ernennung Paulßcns zum Departemcntschesi dem die Leitung der inneren Angelegenheiten des Landes anocrtraut ist, ist in allen Kreisen mit Genugtuung begrüßt worden, denn neben seiner her vorragenden Begabung vertritt er einen wesentlich liberaleren Stand punkt wie sein Vorgänger Herr v. Wurmb, dem trotz seiner trefflichen persönlichen Eigenschaften mancher Erfolg versagt blieb, da er den weitaus liberalen Elementen im Lande und im Landtag Konzessionen nicht machen wollte. Seinenr Nachfolger Dr. Paulßen geht der Ruf voraus, in seiner politischen Stellungnahme weniger engherzig zu sein, und es unterliegt keinem Zweifel, daß, sofern sich dieses Gerücht bestätigt, der bürgerliche Departementschef mehr erreichen und im Lande einen festeren Rückhalt gewinnen wird als sein adliger Vorgänger. Das Land Schillers und Goethes ist eben kein Feudalstaat und wird niemals ein solcher werden. Man darf gespannt sein, wie Staatsrat Dr. Paulßen sich zu den drei großen Geietzesmaterien, bezüglich derer mit Herrn von Wurmb eine Verständigung nicht zu erreichen war — es handelt sich um das abgelehnte Gesetz über die Sonntagsheiligung, ein Vereins- und Dersammlungsgesetz und ein neues Landtagswahlgesetz — stellen wird. Hio Ubockus — bio sults! wird es also im Frühjahr im Landtag heißen und Paulßen dürfte nach alledem, was von ihm in die Öffentlich keit gedrungen ist, die in ihn gesetzten Erwartungen kaum täuschen. Die Verhältnisse am Hofe, welche ja in jedem kleineren Bundesstaat in ge wissem Sinne und bis zu einer gewissen Wegstrecke mit denen der Re gierung parallel laufen, sind dem lüngsten Staatsrat und Departements chef so günstig wie möglich, denn in den höchsten Hofämtern sehen wir junge Kräfte, die auf den jungen Fürsten bei ihrem ständigen Umgang mit ihm vielleicht einen besseren Einfluß auszuüben vermögen, als unter den früheren trostlosen Verhältnissen es gut- und wohlmeinenden Menschen möglich war. Auch der leitende Staatsminister Dr. Rothe — oer dem Lande und dem Herrscher noch lange erhalten bleiben möge — gewinnt an dem neuen „kommenden Mann", wie überhaupt die Hoff nung, daß eine freiere Lust „droben" wehen möge, nicht unbegründet ist. Staatsminister Rothe, Geb. Staatsrat Hunnius und Staatsrat Paulßen bieten persönlich wie sachlich die Gewähr dafür, daß das Großherzogtum L>achsen-Weimar nach jeder Richtung hin einer besseren Zeit entgegen geht, als ihm in den vergangenen zwanzig Jahren beschicken gewesen ist. Herr Roeren und die Seinen. In Saarlouis hat der Abgeordnete Roeren eine große Heerschau über seine Wähler abgehalten, um sestzustellen, vermutlich, ob sie auch nach dem Prozeß Noeren-Schmidt die alten geblieben sind. Mit brausenden Hochrufen und Händeklatschen begrüßt, beeilte sich Herr Roeren zu erklären, daß er in dem freundlichen Empfange die Zustimmung zu seinem Streben nach Beseitigung der Kolonialskandalc „finde". Da auch dieser Rocrenschc Fund seinen Getreuen Bravorufe entlockte, wird Herr Roeren gehobenen Mutes sein Spezialgebiet auch in Zukunft beackern. Auf die Reichstagsauflösung ging der findige Mann nur mit längst bekannten Wendungen ein. Dann richtete er besonders stark gepfefferte Angriffe gegen den Freisinn. Vom Freisinn als einer Volksparrer könne man nicht mehr reden, er sei die Vertretung der Bank- und Geld aristokratie, die nur solange mit den Konservativen streite, bis sie rn deren Stellen einrückc. Immerhin rechnet Herr Roeren mit dem Block „auf mehrere Jahre". Bewilligen werde der Block alles, aber die Er. Nüchterung komme beim Bezahlen. Die schlimmsten Wirkungen davon prophezeit Herr Roeren teils dem Freisinn, teils den Komervativen. Denn das Gros der Freisinnigen sieht er der Sozialdemokratie zufallen und die Konservativen sieht er innerlich und äußerlich so geschwächt, daß sie als Bundesgenossen bei der Lösung christlicher und sozialer Fragen immer weniger leisten können. Solche düsteren Aussichten für rechts und links zur Erzielung einer «reisinnig-konservativen Blockscheu noch unendlich wirksamer zu gestalten, schreckt Herr Roeren selbst vor den kühnsten Prophezeiungen nicht zurück. „Ist die konservative Partei", sagt er laut der „K- V.-Z.", „so geschwächt, daß sie mit dem Zentrum nicht die Mehrheit bilden kann, dann wird eine Vereinigung des Libe ralismus mit der Sozialdemokratie erfolgen, ... es wird dann der Kampf der christlichen Ideen gegen die unchristlichen folgen; in diesem Kampfe wird das Zentrum den Mittelpunkt bilden." Der Abg. Trimborn spann in Saarlouis denselben Faden weiter. Er nannte die Vermehrung der sozialdemokratischen Wählerstimmen eine große Gefahr und empfahl zur Ueberwindung der Sozialdemo kratie das Zentrum als diejenige Partei, „die bisher am erfolgreichsten dagegcngewirkt hat". Angesichts der letzten Reichstagswahl nehmen sich solche Aeußerungen der Zentrumssührer wie Selbstironie aus! Man vergißt einfach das Stichwahlbündnis, welches das bayerische Zentrum mit der Sozialdemokratie abgeschlossen und gegenüber dem Widerspruch der Erzbischöfe von München und Bamberg auf das leiden schaftlichste verteidigt hat. Und man vergißt auch, daß das Zentrum in Preußen, Hessen, Baden usw. mit der Sozialdemokratie in 11 Wahl kreisen paktiert hat. So schaui —MUg abgesehen von dem katholischen Oesterreich, in dessen Volksvertretung die Sozialdemokratie die stärkste Partei ist — das „erfolgreiche" Wirken des Zentrums gegen die Sozial demokratie aus. An derartigen Tatsachen gemessen, bekommt Herrn Trimborns Versicherung, keine Partei stelle sich auch im öffentlichen Leben so entschieden auf den Boden des Christentums, einen Stich ins Groteske. Nicht anders mutet gerade jetzt die vom Abg. Oberlandes- grrichtsrat Marx, ebenfalls im Verlaus der Heerschau Roerens, erhobene Forderung an. den katholischen Orden volle Bewegungsfreiheit zu gewähren und den Rest des Jesuitengesehes zu beseitigen. Nachdem die Enzyklika Pius' X. und der neue Syllabus die Unduldsamkeit der vom Jesuitismus beherrschten römischen Kirche von neuem handgreif lich enthüllt haben, lassen sich mit jenen klerikalen Ladenhütern keine politischen Geschäfte machen. Demokraten und Nationalliberale. Von Bedeutung für das Verhältnis der Demokraten und National liberalen untereinander, das bei der Blockpolitik eine große Rolle spickt, ist eine Schrift des volksparteilichen badischen Lanotagsabgeordneten Oskar Muser, Rechtsanwalts in Offenburg, die unter dem Titel: „Der Ultramontanismus und das Zentrum" erschienen ist. (Verlag von Moritz Schauenburg in Lahr i. B.) Die lesenswerte Schrift sagt über das Verhältnis zwischen Demokraten und Nationalliberalen u. a.: „Die Demokratie war sich nie darüber unklar, daß der Augen blick kommen werde, indem sie und der Nationalliberalismus zusam men einen schweren Wassenaang mit dem Zentrum würden zu be stehen haben und mit Aussicht auf Erfolg nur in Gemeinsamkeit würden unternehmen können, aber auch darüber, daß an einen glück lichen Ausgang desselben nur dann zu denken sei. wenn das Zentrum außerstand gesetzt werde, sich im Gegensatz zum Nationalliberalismus als den sicheren Hort politischer Freihcitsrechte zu präsentieren unt die Stoßkraft seiner Gegner dadurch zu paralysieren und abzu schwächen, daß cs den einen Teil derselben (die Nationalliberalen) der Feindschaft gegen populäre und durchaus berechtigte Volksforde- rungen bezichtigen konnte. Wir verkennen gewiß nicht, daß auch heute noch mehr als eine politische Gegensätzlichkeit zwischen dem Nationalliberalismus und der Demokratie besteht; ich denke dabei auch insbesondere an die Fragen der Stellung des Staates zu den Kirchen, der Schul-, Wirtschcfts- und Steuerpolitik. Aber so viel steht fest, daß das Zentrum in allen diesen Fragen vor dem National- liberalismus nichts voraus hat, dieser vielmehr, was das Schul problem, die Stellung zu den Kulturfragen überhaupt anbelangt, was jedenfalls weit näher steht, als die ultramontane Partei." Die Schrift Musers kann im übrigen schon wegen des reichen Stoffs, den sie zur Kennzeichnung und Beurteilung von Ultramou- tanismus und Zentrum zusammenträgt, der Lektüre und Beachtung empfohlen werden. Deutsches Reich. Leipzig, 19. Oktober. * Automobilvorlage. Die Mitteilung, daß mau im Reicht just i zam- an einer Automobilvorlage arbeite, ist unzutreffend. Man wird sich erinnern, daß der Staatssekretär des Reichsjustizamts im Frühjahr bei der Etatsberatung erklärt hat, daß eine Wiederaufnahme der legis latorischen Ei Wägungen eist eintrcten könne, wenn die Statistik der Automobilunfälle zum Abschlüsse gelangt sei. Eine solche Statistlk wird im Reichsamt dcS Innern bearbeitet. Die zu.umnde liegenden Er mittelungen sind aber erst Ende September dieses Jahres zum Abschluß gekommen, und es handelt sich zunächst nunmehr darum, dieses Material im Neichöamt des Innern zu verarbeiten und zur Veröffentlichung zu bringen. * Die Wahlrechtsfrage soll im preußischen Abgeordnetenhause von freisinniger Seite angeschnitten werden. Wie der Abgeordnete Reinhart Schmidt in einer Versammlung in Elberfeld mitteilte, wird die Landtagsfraktio» der freisinnigen Volkspartei sofort nach dem Zu sammentritt des Landtags ihren alten Antrag auf Eiufühcung des ReichStagSwahlrrchtö in Preußen von neuem cinbriugen, um dadurch möglichst schnell ein« Stellungnahme der Regierung zu der Wahlrechts frage herbeizuführeu. * Feier in Tilsit. Die mit einem Kostenaufwand von etwa zwei Millionen Mark über den Memclstrom unweit der Stelle, wo 1807 der Tilsiter Friede geschlossen wurde, neu erbaute Königin Luise-B rücke ist gestern mittag dem öffentlichen Verkehr übergeben worden. Zu dem feierlichen Akte war Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen alö Vertreter des Kaisers erschienen. Ferner waren anwesend der Minister der öffentlichen Arbeiten Breiteubach, Unterstaats- sekretär Dr. Frhr. CölS von der Brüggheu, Oberpräsideut v. Windheim sowie andere hohe Staatsbeamte und zahlreiche Ehrengäste. Nach der Eröffnungsrede des Bauleiters, Wafferbauiuspektors Dieckmann, hielt Minister Breitenbach eine Ansprache, in der er auf die Bedeutung der neuen Brücke, gerade für die östlichen Provinzen, hinwies und allen Mitarbeitern an dem Werke dankte. Er schloß mit einem dreifacher Hurra auf den Kaiser. Uk. Reform -cS badischen GcmeindewahlrechtS. In Karlsruhe fand eine Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses der Freisinnigen Partei Badens statt. Man beriet in eingehender Weise die Frage der Revision der badischen Gemeinde- und Städtcordnung. Es wurde beschlossen, auf den 10. November eine außerordentliche Landes. Feuilleton. Die europäische Demokratie ist zum kleinsten Teil eine Entfesselung von Kräften. Dor allem ist sie eine Ent fesselung von Faulheiten, von Müdigkeiten und Schwächen. Friedrich Nietzsche. Französische Liebesbriefe.*) Von Norbert Jacques (Konstanz). „Französische Liebesbriefe aus acht Jahrhunderten!" Wie ver führerisch lockt solch ein Titel! Welche köstliche, süße Indiskretion er- wartet uns hinter ihm! Er ist eine Laube in einem Park. Nahebei klingt der ewige Strahl eines Springbrunnens, und ein enger Weg, dunkel ins Laub geschnitten, führt uns zu der Einsamkeit der erzählenden Laube. Dem garstigen Thackeray glauben wir nicht, wenn er uns im „Jahrmarkt des Lebens" predigen will: „. . . Nehmt ein Paket von euren Briefen, die unendliche Glut und ewige Liebe atmen, und die von eurer Geliebten, an der ihr jetzt nicht mehr Anteil nehmt als an der Königin Elisabeth. Wie seltsam lesen sich nach einer Weile Schwüre. Liebesbetcuerungen, Versprechen usw. Es sollte auf dem Jahrmarkt des Lebens ein Gesetz geben, nach dem jedes geschriebene Dokument (mit Aus- nähme der quittierten Rechnungen) nach einem gewissen kurzen Zeit räume vernichtet werden müßte . .. Die beste Tinte für den Jahrmarkt des Lebens würde die sein, die nach ein Paar Tagen vollständig verlöschte und das Papier rein und weiß zuriickließe, so daß man darauf an einen andern schreiben könnte." Vor uns entkleiden sich die Gigerl der Jahrhunderte ihrer Spitzen manschetten, ihrer seidenen Kragen und ihrer Perücken; die großen Starken der Jahrhunderte lösen die Schrauben der Eisenreifen, die sie umgürten; die galanten schwachen Süßlinge finden einmal ein wahr haftiges Wort, in dessen Ton ein Herz mitklingen kann. Und die holden, euten Frauen entflattern dem Käfig ihrer Konvention: Kleinmütig Versagende werden schenkende Götinnen; übel Verpudcrte werden Dich terinnen, Sängerinnen der Hohen Lieder, die ungeahnt im Boden ihres Blutes lagen. O, und all die viele Menschlichkeit! Wie die trotzigen Muskeln im Kampf gegen eine Frau erschlaffen und bebend dem stöhnen den Stammeln freien Wea durch die Kehle geben! Wie sic dahin- sinken, wenn die großen Kokotten die „kaptivantcn" Parfüms ihres Wildgeruchs über sie stäuben! Ob Große, ob Kleine, — sie fallen einander in die Arme. Und die armen Frauen, die das Männliche *) „Französische Liebesbriefe aus acht Jahrhunderten", heraus- gegeben von Toni Kellen, bei Julius Zeitler, Leipzig. tyrannisch unterjocht, oder die unglücklichen andern, die in der Unrast des Blutes wandern müssen . . . So sind diese Briefe geschrieben in der tiefsten Stube der einsamen Heimlichkeiten, wenn Leidenschaft oder Sehniüchtigkeit mit hypnoti sierenden Blicken über Herzen und Hirne streift. Im Gefühl und Empfinden lösen sich Rücksicht, Konvention, Kompromiß, und verdunsten dem Bewußtsein. Man genießt im verlangenden Voraus des noch Zweifelhaften, man kostet nach in der Seligkeit des immer jung ver langenden Besitzes, oder man wirft sich ausgegebcn hin und liegt um den Gegenstand der Liebe, wie ein Wolkenkranz platonisch sich nicht vom Pik des Berges loslösen kann. In unterhaltendem, belehrendem, schenkendem Theater geht das Wechselspiel des zeitlosen Inhalts dieser Briefe menschlicher Empfin dungen bunt umher zwischen stürmender und haltloser Leidenschaft, trägem Erdulden und aufzwingendem Gewähren, kühlem Berechnen und süßem Schein, mäßiger Gewohnheit und nie müdem Geben, verwegenem Erobern und ermattet melancholischem Anheimfallen, ruhelosem Wandern durch Fraucnbetten und süß selbstverständlichem Bauen auf einen Felsen! Welche Literatur ist denn zeitloser, wie Liebesbriefe! Nur ein ganz schwacher Schottenschein fällt mal aus den Eigenarten und der Gestalt der Zeitalter, die die liebenden Briefschreiber um- geben, in die berechnungslose Sprache dieser Dokumente, und zwischen ' > den wehmütigen Klagen, mit denen die arme Heloise des 12. Jahr hunderts sich an ihren entmannten und büßenden Abelard anschmicgtc. und dem schmerzhaften Davongehen und Zurückkommen, das Alfred de Müsset der Untreue seiner George Sand entgegen hielt, ist eigentlich ebensowenig Unterschied des Ausdrucks als der Art und der Potenz der Empfindung. Liebesbriefe zu lesen: Ein Theater schöner, sympathischer, ergreifen der, bedauernder, bemitleidender, veredelnder, begütigender, zarter, Ver- sichen schenkender Empfindungen, ein Theater des Gefühlslebens des Menschen! Es ist natürlich, daß zwischen dem französischen und dem deutschen Liebhaber auch der Unterschied der volkstümlichen Temperamente herrscht. Der Franzose liebt anders, wie der Deutsche. Ich möchte sogen: er liebt praktischer; er schaut von vornherein gleich aufs Endziel. Schnell stürmt er die Festung; verschmäht aber dann leicht das gründ liche sich-darin-Umschauen feines deutschen Kollegen und schultert bald Hellebarde und Schwert lieber zu neuen Stürmen. Ter defensive Teil, die Frau, hat diese Natur des offensiven natürlich adoptiert, und ins Liebeslebcn der Franzosen ist eine viel größere Beweglichkeit gekommen, der natürlich aus dem Fuß eine geringere Achtung für Treue und Allein besitz und eine oft erstaunliche aber selbstverständliche Frivolität folgte. Zu einem wahrhaftig komisch wirkenden Eindruck wird in diesem Sinn besonders ein Blick in die Licbeskorrespondcnz oes 18. Jahr- bunderts, z. B.: Ein ganzes halbes Jahrhundert beherrschte der große Lebemann, der Herzog von Richelieu die Bühne der Liebesverhältnisse. Von ihm gibt das Buch Briefe an vier Damen der Gesellschaft, darunter an die Marquise du Chätclet. Diese Marquise wurde später die Geliebte von Voltaire. Aber sie tauschte bald den Marquis von Saint Lambert Hegen Voltaire. Saint Lambert seinerseits verließ sie jedoch wegen der Frau d'Houdetot, die ihrerseits wegen Saint Lamberts I. I. Rousseau unglücklich machte. Das ist ein Beispiel einer der Kettenepisodcn in der Geschichte der Lieben dieses frivolen Jahrhunderts. Solche Verkettungen, in denen sich Männer und Frauen, wie in der Chainc anglaise der Lancicrs, durch einander schlingen, kann man viele aus diesen Briefen herauszeichnen. Aus diesen Vermischungen ragen aber, wie einsame Felsen, die Gattentreue eines Esterhazy, eines Diderot, einer Gräfin von Bonne- val. Besonders diese Gräfin war rührend in ihrer Liebe. Sie war die treu ausharrende Prinzessin, den schon am Hochzeitstag ausgezogenen Gemahl erwartend, der bescheidene weibliche Ritter Toggcnbnrg. Mer ach, der Gemahl kam nicht wieder. Seine Abenteuerlust trieb ihn in die österreichisch-türkischen Kriege; ja er wurde sogar Pascha. Aber 84 Jahre lang harrte die Treue seiner Frau vergeblich seiner Rückkehr entgegen. Und diese feine, traurige Treue liegt mit bescheidener, selbst verständlicher Demut in den Paar Briefen, die von ihr bekannt sind Auch die liebevoll, sicher verlangenden, mäßig und rückhaltlos gewäh renden Briefe Diderots an seine „süße und verläßliche" Freundin Sophie Voland sind sehr schön. Welche Freude aber hätte erst jedes deutsche Jungfrauengemüt au der klassisch-naiven Verliebtheit des Herzogs Ludwig von Burgund. Er schnitt sich mit einem Messer in den Finger und malte mit seinem Blut zwei Herzen mitten in die Briefe hinein, umgab sic mit den Namen Louis und Adelaide (seine Iran). Mit etwas anderm Gepräge vermag die rücksichtslose Leidenschaft lichleit der Präsidentin Ferrand ihrem Baron von Bretcuil ihre Liebe brieflich zu beteuern; und mit gepeinigten Eindrücken verfolgen wir die armen Briefe der Frau du Teffand. der geistreichen Freundin Voltaires. Als sic eine erblindete, siebcnzigsährige Greisin geworden war, erfaßte sie die Liebe zu dem jungen englischen Dichter Horace Walpole, der ihre aufdringlichen Briefe mit genierter Küble von sich abzuwehren versucht. Sie merkt es natürlich und kann dennoch nicht von ihm lassen; sic macht ihm Vorwürfe und entschuldigt sich zugleich, indem sie Besserung ver spricht. Auch die großen Hetären Ludwigs XV. sind in den Liebesbriefen vertreten: die Pompadour, die du Barry, die EHLteaurour . . . ihnen voraus gingen die Freundinnen Ludwigs XlV. und die geistreiche, traf- tige Ninon de Lenclos. Aber auf schönere und ergreifende Wege fuhrt uns die Liebeskorrespondcnj der Schreckensvcriode der ersten Revolution. In ihnen spielen die tragischen Geschicke Rolands, seiner Frau, Biyzots ineinander. Aus dem letzten Briese der tugendhaften und platoniich mit Buzot verbundenen Frau Roland zitiere ich: „Und du, den ich nicht zu nennen wage (Buzots, du. den man eines Tages besser kennen wird, wenn man unter gemeinschaftliches Unglück schildern wird, du, den di: gewaltigste der Leidenschaften nicht gehindert hat, tue Schranken dcr
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