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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.09.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070905023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907090502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907090502
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-09
- Tag 1907-09-05
-
Monat
1907-09
-
Jahr
1907
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Abend'AusgabeL. Bezugt-Preit für Sripzta und Vororte dnrch «ei«« rrtger und Spediteur« io« Haut Fracht: Lut-abe t (nur morsen«) otertrlMrüch Ä M., monntlich 1 vi.; Ausgabe » (morgen« und abend«) viertel, jährlich «.S0 M., monallich 1.S0 « Durch di« Poft bezoaen (2 mal täglich) innerhalb Dentichland« and der deullcheu Kolonien vierteljährlich '>,25 M., monatlich 1,75 M. autschl. Post öeftellgeld für Oesterreich S L Sv o, Ungarn 8 ll vierteljährlich. Lbonnement-Lnnabme: Elngustn«Platz 8» bei unseren Lrtaern, Filiale», Spediteure» und Annahme stellen,^wie Postämter» n»d Die einzelne Nummer kostet 10 V«» «edaktton und «rpedilion: Johanuitgasse 8. lelephou Nr. 14692, Rr. I4SS8, Nr. 14SS4. Berliner NedakttonS Bureau: Berlin KV. / Prinz Louis Ferdmaud- Stratze 1. Telephon l, Nr. S27S. WMtrTMblaü Handelszeitung. Äimlsvtatt des Rates und des Rolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. 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Das wichtigste vorn Tage. * Bei König Friedrich August, der heute nachmittag von Tarvis wieder in Dresden eintrrfft, findet morgen abend im schloß Pillnitz Soiree statt. * In Hamburg haben die Berhaudlungen des Deutschen Bankiertages begonnen. sS. Ber.j * Die gestern aus Casablanca in Berlin cingetrofscnen Deutschen Ficke, Mannesmann und Opitz hatten eine Unter redung mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes von Tschirschky, dem sie über die Entschädigungsansprüche unserer in Casablanca ansässigen Landsleute anläßlich der französischen Militäraktion Vortrag hielten. * Auf der Schneekoppe herrscht, wie uns ein Privattele gramm aus Breslau meldet, seit gestern bei zwei Grad Kälte Schneefall. * Jaures verlangt iy der „HumanitL" die sofortige Ein berufung der Kammer angesichts der Ereignisse in Marokko. * Die Ermordung des persischen Großwesirs ist, wie nunmehr festgestellt wurde, das Werk einer Verschwörerver einigung. Das Nordlicht der Nonservntiverr. Den sächsischen Konservativen, die in einer so kritischen Zeit so lange im Dunkeln lappen mußten, ist endlich wieder das Licht aufgegangen, nach dem sie so sehnsüchtig geschmachtet haben: das Nordlicht. Seine Strahlen haben auch sofort eine gewisse belebende Wirkung gezeitigt, die ganze konservative Presse scheint aufzutauen, vor allem die »Dresdner Nachri tztcn", die von dem Nordlicht direkt beschienen werden und wäh rend der »schrecklichen, kaiserlosen Zeil", in der der Allgewaltige fern von der Heimat zwilchen den Eisbergen kreuzte, eine geradezu rührende Hilflosigkeit an den Tag legten. Jetzt haben sie plötzlich wieder Mut bekommen unv mit ihnen das ganze Heer der kleineren konservativen Blätter, die vorher auch nicht aus noch ein wußten und in ihrer Ratlosigkeit den geduldigen Lesern die Waschzettel wirtschaftlicher Organi'ationen verzapften, die gern eine politische Rolle spielen möchten. Ein Teil der konservativen Presse, besonvers in ven Großstädten, Kat .mar immer bestritten, daß Herr Dr. Mehnert nicht nur großen Einfluß in der Partei besitzt, sondern, wenn er will, eme Art Parleidcktaiur ausüben tann, aber selbst der weniger mit den Verhältnissen innerhalb der lächsi chen kon'ervatlven Partei Vertraute mußte sich Wohl über das liese Schweigen, über die übergroße Zurückhaltung wundern, die die konservative Presse während der Abwefcnvcil ihres Führers au den Tag legte. Und nun, kaum daß er wieder den heimischen Boden betreten hat, atmet alles auf, alle seine „Lebenszeichen" werden begierig auf gegriffen unv im ganzen Lande Wetter verbreitet, mit den nöligen Uater- Itreichungen, Kommentaren und vor allem Angriffen auf alle Diejenigen versehen, die sich etwa vorher über das „Schweigen im Walde" lustig gemacht haben. Und was hat der Gewaltige dem Lande durch den Mund seiner dienstwilligen Presse zu verkünden? Erklärt er etwa seinerseits, wie die „Deutsche Tageszeitung" vorher schon getan hat, der Regierung, die es wagt, freiheitliche Strömungen im Volke zu begünstigen, die selbst ireibettlicher gesinnt erscheint als die Mehrheit der sogenannten Volks vertretung, den Krieg? Nichts davon. Herr Mehnert läßt nicht zum Angriff, sondern zum Sammeln blasen, und da sich ein großer Teil seiner Anhänger schon viel zu weit vorgcwagt hatte, ist es für sie ein Signal zum Rückzüge. E« wird also vor der Hand nicht gekämpft. Die Regierung ist zwar, wie die kürz lich in den amtlichen Organen erschienene Erklärung beweist, in Kampf» slimmuna, der Führer der Konservative« aber nicht, und da zum Kämpfen immer mindestens zwei erforderlich sind, so unterbleibt der Kampf vorläufig. Regieren ist auch viel bequemer als kämpfen, und manchem Politiker mag es scheinen, als wenn unrühmlich mitregieren immer noch besser sei als ruhmvoll zu kämpfen oder ehrenvoll zu unterliegen. So kommt eS, daß wir von einer Ausnahme der Kriegserklärung, die die „Deutsche Tageszeitung" voreilig proklamiert hatte, nichts mehr hören. Im Gegenteil, die besten Aussichten sür eine friedliche Lötung der strittigen Punkte sind vorhanden und wenn es doch nicht möglich sein sollte, einen Weg zu gemeinsamer ersprießlicher Arbeit zu finde», so ist selbstverständlich nicht die konservative Partei daran schuld, denn sie hat den guten Willen, — so wenigsten« sagen die konservativen Organe, deren Politiker jetzt erst den Augenblick für gekommen erachten, auS ihrer Reserve berauSzutreten. Selbstverständlich sind unter diesen Umständen auch alle Gerüchte von einer Spaltung der Partei nur eine böswillige (Erfindung der Liberalen. Von einer Spaltung kann nicht die Rede sein, denn man wünscht sie nicht. Man will die rum größten Teil herzlich unverbind lichen „Erläuterungen" deö Oberbürgermeister Beutler zum Partei programm ini Notfall hinunterscklucken, zumal Herr Beutler angeblich gar nicht auf dem Wortlaute seiner „Erläuterungen" besteht. Man kann also die Wassersuppe noch bedeutend verdünnen, — waS dann noch an politischem Nährstoff für die Partei übrigbleiben soll, wissen die Götter. Jedenfalls ist die Partei einig und stark, und die^ nächste Lanresversammlung wird eine imposante Kundgebung werden. So sauen wenigstens die konscrvaiiven Organe, und sie müssen es ja wissen. Nur schade, daß das „Chemnitzer Tageblatt" aus der Schule geschwätzt, raß es gezeigt hat, wie in Wirklichkeit die Krisis innerhalb der konser vativen Partei aussieht. Ob nun das Nordlicht auch in di« RedaktionSstube deS „Vaterland" leuchten wird? Wobl kaum. ES ist dock v:el bequemer, die Wähler schaft bis nach den Urwablen über di« wahren Zustände in der Partei leitung, über die Absichten der maßgebenden Parteiführer, im dunkeln zu lasten. Vielleicht läufchen sich aber die Dunkelmänner. DaS Interesse des sächsischen Voiles am politischen Leben ist wieder erwacht, und eS ist gar leicht mögiick, ja es ist zu hoffen, daß die Mehrzahl der Wähler nur demjenigen Kandidaten, re>p. den Waklmänuern desjenigen Kandi daten ihre Stimme geben werden, defftn politisches Programm sie kenne» und der sich nicht mit einem Wulst von Phrasen in feinen Wahlreden begnügt. Die Konservativen haben für den gegenwärtigen Wablkampf lein Programm, nicht einmal einen Wahlaufruf. Ucker die Stellung nahme der lonservativen Partei zur WahIrechtSfrage können aber nicht Zuschriften von „maßgebender konservativer Seite", von „geschätzler", ^unterrichteter", „einflußreicher" Seite die Wählerschaft unterrichten, die fchwer zwischen der Mehnerlschen Hichrmrg m ven „Dresdner Nachrichten", der Richtung Nostitz-Beutler-GraveliuS im „Chemnitzer Tageblatt", der Richtung Opitz im „Dogtländischen Anzeiger" ufw. unterscheiden kann. Hier muß offen Farben bekannt werden. Der Rücktritt des Professor Gravelius von der Leitung deS konservativen Lanvesvereins und sein Ersatz durch den Reichstags abgeordneten Landrichter Wagner, den wir in einem Teil der Morgen ausgabe meldeten, ist auch eine der Wirkungen des Nordlichts, aber freilich eine, die den tiefen Riß innerhalb der konservativen Partei, den man zu verdecken suchte, grell beleuchtet. Selbst Blätter, die sich bisher aus ihrer Freundschaft zu den Konservativen heraus bemühten, eine Krisis innerhalb der Partei zu leugnen und höchstens vorsichtig von Unstimmigkeiten redeten, geben jetzt offen zu, daß der Rücktritt deS Professor GiavelmS auf eine Scheidung innerhalb der konser vativen Partei SachsenS deute. Tagesschau. Demonstration gegen einen Minister. lVon unserem römischen S.-Korrespondenten.f Als vor einigen Wochen der Deputierte Peppuccio Romano vor ver sammelter Kammer als Cher der Kamorra bezeichnet wurde und die Ge richtsbehörden nicht umhin konnten, sich näher mit ihm zu befassen, war es der Postminister Sckanzer, der in einem Telegramm seiner Hoffnung Ausdruck gab, daß Romano die Prüfung seiner Lebensfreude gut über stehen möge. Als dem Deputierten Verzillo in einem Orte seines Wahl kreises ein Postvorsteher unbeouem wurde, sah sich dieser Postvorsteher eines schönen Tages obne reglementmäßigen Grund mit einer Straf versetzungsorder bedacht. Unb noch mehrere andere Maßnahmen, die gleichermaßen die Amtsgewalt und die volitisch-morolffche Autorität des Ministers zugunsten von dessen Freunden in die Wagschale brachten, wären aufzuzahlen. Die Symvathie. deren sich Schanzer erfreute, war also nicht gerade allgemein, und im übrigen nicht ohne Berechnung. Da ihm das nicht nur nicht verborgen war, sondern eigens in ziemlich hef tigen und mit häßlichen Anspielungen auf seine Abstammung und seine — in der Tat nicht aufgeklärte und sehr verwunderliche — Karriere ver- scheuen Ausfällen klar gemacht wurde, konnte Schanzer nicht umhin, das Präsidium des Provinzialrats von Caserta „wegen Ueberlastung mit Geschäften" niederzulegen. Da nun das Präsidium des Provinzialrats regelmäßig demjenigen Deputierten eines Wahlkreises der Provinz übertragen zu werden pflegt, der die nächste Beziehung zur Staats- regieruug hat bzw. Regierungsmitalied ist, und da anderseits die De putierten bzw. Minister aus Rücksicht auf die Stärkung ihrer politischen Position auf das Präsidium Gewicht legen, so wurde selbstverständlich bei der Neuwahl des Präsidenten Herr Schanzer der eigentliche Kan didat. Indes ging die Sitzung des Provinzialrats nicht zum Ruhme deS Herrn Ministers aus. Nach Eröffnung der Sitzung erhob sogleich ein Mitglied die Forderung nach einer Untersuchung über die Moralität einiger, und zwar der einflußreichsten Mitglieder des Kollegiums, und ein zweites Mitglied sekundierte ihm unter direktem, heftigem Ausfall gegen die zweideutige Haltung des Ministers Schanzer und gegen „die jenigen, die ihn in die Provinz importiert haben, um die eigene Macht vermehrt zu sehen und bester die Herren spielen zu können." Bei diesen Worten brach das Publikum in anhaltenden Beifall aus und schrie: „Äbasto Schanzer! Raus mit dem Fremden! Raus mit dem Beschützer der Kamorristen!" Darauf wurde abgestimmt, und es ergab sich, daß Schanzer mit 38 von 52 Stimmen zum Präsidenten gewählt war. Nun brachte unter lauten Ovationen von feiten des Publikums ein Mitglied den Antrag ein, Schanzers Zugehörigkeit zum Kollegium als beendet zu erklären, weil er während der ganzen voraufgehenden Session den Sitzungen des Kollegiums serngeblieoen sei. Der Antrag erregte Ver wirrung unter den Mitgliedern, während der Lärm des Publikums und die Rufe: „Raus mit dem Fremden! Nieder mit dem Protektor der Ka morra!" so auschwollen, daß der Vorsitzende das Publikum von der Po lizei aus dem Saale befördern lieh und die Sitzung rasch zu Ende führte. Das Publikum aber pfiff die Majorität aus und sang auf den Minister Schanzer unentwegt: „Geh' heraus aus Italien! Geb' heraus, du Fremder!" — Schanzer hat nun keinen andern Weg, als den ihm ziem- lich fatalen, die Wiederwahl gleichfalls abzulehnen. Bo« ermordeten Gouverneur von Anhai. Aus Nanking, 26. Juli, wird uns geschrieben: Bei En Ming, dem anfangs dieses Monats ermordeten Gouverneur von Anhui, dann man nicht den Grundsatz gelten lasten: „Vs mortmis rül irisi bsoo". Denn feinem Charakter fehlten die Lichtseiten vollkommen. Er behandelte jeden Europäer aufs liebenswürdigste und herzlichste, aber wehe dem, der sich davon, täuschen ließ. Tenn im Innern seines Herzens haßte er die „weißen Teufel", wie es nur ein fanatischer „Boxer" tun konnte; zu dieser ehrenwerten Gilde soll er übrigens während der Boxerwiiren die herzlichsten Beziehungen unterhalten haben. Seinem Fanatismus entsprach seine Borniertheit, die ihn zum unbedingten Gegner jeder Reform machte, auch der des Bildungswesens, die sonst in China fast überall in den letzten Jahren mit anerkennenswertem Eifer betrieben wird. Hand in Hand mit diesen löblichen Eigenschaften gingen un ergründliche Faulheit und Gleichgültigkeit. Er pflegte um 3 Uhr nach mittags aufzustehen, wenn er seinen Opiumrausch ausgeschlafen hatte, denn er war ein gewohnheitsmäßiger Opiumraucher. Bezeichnend für seinen Hochmut und seine Fremdenfeindlichkeit ist, daß, als in der ihm anvertrauten Provinz Anhui eine schwere Hungersnot ausbrach und das Schanghaier Hilfskomitee Unterstützung anbot, er stolz erklärte, er müsse ;ede von den Fremden stammende Hilfe ablehnen, die Chinesen könnten sich allein Helsen. Trotzdem tat er in seiner Indolenz nicht das mindeste dazu, seinen stolzen Ausspruch wahrzumachen, und so kam es, daß der Prozentsatz der in der Provinz Anhui infolge der Entkräftung durch den Hunger Sterbenden viel größer war, als in der gleichfalls von Hungersnot betroffenen Provinz Kingsu, die die Hilfe des Komitees Leuilleton. Der Künstler ist entweder ein Hoherpriester oder ein mehr oder minder geschickter Possenreißer. I. Mazzini. * Buffon. (Zu seinem 200. Geburtstage, 7. September 1907.j Kaum sind die Lobeshymnen und Feierlichkeiten verhallt, die man zu Ehren Linnes angestimmt hat, da naht schon der Gedenktag seines größten Rivalen und Antipoden, der mit ihm in dem gleichen Jahre geboren wurde. In Buffon und Linne sind zwei entgegengesetzte Typen wissenschaftlichen Forschens und Schaffens ausgeprägt, wie sie die Natur selten reiner hervorgebracht. Sie stehen nebeneinander, die beiden großen feindlichen Söhne des Jahres 1707, wie zur Ergänzung und Ausgleichung in die Welt gekommen, heute nicht mehr so fern in ihrem Streben, wie sie einander wähnten, Begründer einer Wissen schaft, die seitdem die Herrschaft auf Erden erobert. Nachdem ihre Re- sultate längst überholt und weitergeführt worden sind, tritt das Ewige in den Grundtendenzen ihres Werkes um so leuchtender hervor, und die bewundernde Nachwelt stellt die beiden, die von einander nichts wissen wollten, einträchtig aus dasselbe Postament, um ihnen ihre Huldigungen darzubringen. In Linnc-, der in all seiner Genialität stets etwas vom großen Kinde behielt, lebte und webte fast unbewußter Instinkt, in die Geheimnisse der Natur einzudringen: seine scharfen Augen schweiften beständig durch Wald und „eld, beständig war er auf der Suche nach Pflanzen und allem Getier, um alle gefundenen Dinge sorgfam einzuordncn in die Ab teilungen und Rubriken, die er sich zurecht gemacht hatte. Buffons Geist strebte weit über alles einzelne hinaus, das All zu umfassen und die große Entwicklung der Welt zu ergründen; er verachtete die subtilen Schematisierungen, das System des Schweden als einen lächerlichen Versuch, die vielgestaltige Unendlichkeit alles Lebendigen in enge Begriffe cinzuschachteln. „Busfon", jo hat ihn Goethe charakterisiert, „nimmt die Außenwelt, wie er sie findet, in ihrer Mannigfaltigkeit als ein zu- samrnenaehörendes, bestehendes, in wechselseitigen Bezügen sich be gegnendes Ganze Er führt die Kreatur in ihrer Ganzheit vor, besonders gern in bezug auf den Menschen." Mit seinen kurzsichtigen leiblichen Augen vermochte er nicht gut zu sehen; desto schärfer war sein geistiges Auge, das den Blick in die Aetherräume schweifen ließ. LinnS stellen wir uns vor, mit fröhlichen Genoffen und Schülern daS Land durchstreifend, überall Blmnen und Insekten aufspürend, die er genau betrachtet und beschreibt: Buffon lebt und schafft in majestätischer Ein samkeit: voll erhabener Gedanken und Ideen hat er das Buge gen Himmel aerichtel, und eS formen sich in seinem klaren Geiste Bilder der Ahnung, die eine geheimnisvolle Naturnäh« feines Wesen« zu bestätigen scheint. Diese große, würdevoll aufrechte Gestalt, „ein athletischer Körper mit der Seele eines Weisen", wie Voltaire gesagt hat, konnte sich nicht bücken nach den kleinen Wundern der Natur. Mit den Insekten, Bienen, Pflanzen hat sich darum Buffon nie abgegeben. Der Elefant und das Pferd, der Strauß und die Zeder, das waren Gegenstände, die seinen Foricherdrang erweckten. Während LinnL auch den Menschen in Has weite Reich der Lebewesen einordnet, ist für Buffon der Mensch der Mittelpunkt seines Weltgebäudes, sein Stolz und seine Würde der höchste Gegenstand ber Betrachtung. Man betrachte die Büste des großen Mannes von Pajou, nichts Kleinliches, nichts vom Gelehrten, vom müh seligen Forscher, in den mächtigen Formen des Antlitzes; eine leuchtende Klarheit und Harmonie ist über diese breiten, edel geformten Züge ge breitet, gepaart mit einer stolzen Würde und leisen Menschenverachtung in den markanten Linien von der Nase zum Mund. Ein Mann steht vor uns, der hoch über allem irdischen Parteienwesen, hoch über allen eigennützigen Leidenschaften und Wünschen in einem aeistigen Reich der Harmonie und Ordnung wohnt, in reiner Sonnenhelle, davon ein Ab glanz in seinem Wesen ausgedrückt ist und in seinen Schriften. Wie so manche ringenden und starken Geister hat sich Buffon erst spät gefunden. Seine Jugend verging in Vergnügungen und Aus schweifungen, wie sie einem begüterten lunaen Adligen, der überdies eine unverwüstliche Körperkonstitution mitbrachte, sich darboten. Aber wie der Knabe schon beim Spiel stets den Euclid in der Tasche gehabt hatte, so ging auch der Jüngling im flotten Leben nicht auf. Nach durch- schwärmter Nacht fand ihn wohl die Morgenfrühe am Arbeitstisch mit physikalischen und ökonomischen Studien, besonders seiner Liehlings- wistenschaft Mathematik beschäftigt. In diese Zeit fallen seine einzigen Reisen nach Italien und England. Er, der in seinen Schriften weite Welten und Zeiträume umfaßt«, alles Wissen aus den entferntesten Gegenden zusammentrug, konnte von sich sagen: „Ich habe 50 Jahre in meinem Arbeitszimmer verbracht." Der große Begriff der Natur, der die gewaltigsten Bewegungen deS 18. Jahrhunderts hervorgerusen hat, begann damals die Geister zu fesseln. Die Forschungen des 17. Jahr- Kunderts, entscheidend für eine wissenschaftliche Ausgestaltung des Natnrerkennens, hatten den Schleier von den Räffeln des Lebens gerade so weit gelüftet, um die höchste Neugier und Spannung zu er regen. Auch Buffon begann als Liebhaber dilettantischer Sammlungen, machte Experimente und betätigte sich in kleinen Abhandlungen, die Probleme der Mathematik, Physik, Forstwissenschaft behandelten. Aber alles war nur ein zielloses Tasten, alles Veriuche seiner nach Wirken und Missen begierigen Natur, das Zentrum seiner Begabung, das rechte Feld für seine Arbeitskraft zu finden. Als er 1739 nach dem unerwartet plötzlichen Tode seines Vorgängers zum Intendanten des Kgl. Bota nischen Gartens ernannt wurde, woraus er seine geheimsten Wünsche schon lange vergeblich gerichtet hatte, da hatte mit einem Schlage all seine Unsicherheit ein Ende. Er hatte den Inhalt seines Lebens gefunden. Sein Dasein geht von nun an völlig aus in der Geschichte seines großen Werkes, der „Ilintoirv nniv^rnollp gf-närnlo ot pnri.ii'uliö»«". die er zu schreiben unternimm! Tas Erscheinen der verschiedenen Bände be- zeichnet zugleich die Marksteine feiner Entwicklung. Zehn Jahre ver- bringt er zunächst in beständigem Studium. Er hat noch unendlich viel zu lernen, bis er seine dilettantisch und zusammenhanglos betriebenen Studien zu einem groß geschauten allgemeinen Weltbilde ausgebaut hat. 1749 erscheinen die ersten drei Bände, die seine Theorien über die Ent stehung der Erde und die Naturgeschichte des Menschen enthielten. Sie hatten einen gewaltigen Erfolg und begründeten den bezwingenden Ein- fluß, den das Werk auf die ganze Bildung des Jahrhunderts begann und den Männer wie Friedrich der Große und Goethe nicht hoch genug an schlagen konnten. Von 1749—67 folgten weitere 15 Bände über die Vier füßler, dann von 1770—87 neun Bände mit den Schilderungen der Vögel, 1783—88 fünf Bände, die sich mit den Mineralien beschäftigten. Unerschöpflich blieb seine Arbeitskraft, ungeschwäckt die Kraft und der Glanz seiner Darstellung. Sein größtes stilistisches Meisterwerk, die «Epochen der Natur", die in sieben mächtigen Bildern die Erscbüttc- rungen und Wandlungen der Erdkugel vom Chaos bis zum Auftreten des Menschen schildern, erschien 1778. Durch 50 Jahre hin ist so Buffons Leben einförmig dahingeflosscn in steter Arbeit. Jedes Jahr verbringt er einige Zeit in Paris, mit der Ordnung und Ausgestaltung des Botanischen Gartens beschäftigt; die übrigen Monate sind auf seinem Landsitz Montbard einsamen Studien gewidmet. Am Ende der großen, kostbar bepflanzten Besitzung liegt hoch -rbeitssaal ewtons schmückt, gepudert ^ind frisier«, oller Pracht vor ihm entfaltet: in prächtige Bilder, pathetische Ge- Ordnung und Ausgestaltung des Botanischen Gartens beschäftigt; die übrigen Monate sind auf seinem Landsitz Montbard einsamen Studien t. " s „ „ oben der stille Pavillon, zu dem Buffon in der Morgenfrühe Terrasse zu Terrasse emporschreitet. Endlich ist er in seinen Ärbei angelangt, einem kahlen Raum, den nur das Bildnis N< Der Graf selbst ist sorgfältig und reich gekleidet, gepudert und frist wie es sich ziemt zu so wichtigem, feierlichem Geschäft. Seine B schweifen über die Natur, die sich in voller Pracht vor ihm entfaltet seinem Geiste formen sich langsam prächtige BiT:7, 77!" 7 danken, klingende Sätze. Erst nach reiflicher Uederlegung fließen die Worte in schöner Harmonie in die Feder, und dann werden sie noch vielfach gefeilt und umgeschrieben, manche Sätze wohl acht-, zehnmal. Kein Gelehrter, ein Künstler ist an der Arbeit. Buffon hat neben Newton am meisten Milton verehrt Ein Milton der Natur zu werden, das war sein höchstes Ziel, und im dritten Bande seiner Naturgeschichte bat er es erreicht, da er den Menschen darstellt am lungen Schöpfungsmorgen, wie er seine ersten Gedanken denkt und die Schönheit der Welt empfindet. Die Kunst des großen Weisen von Mont bard ist aus dem Lehrgedicht erwachsen, wie es in des Lucrez Epos von der „Natur der Dinge" so majestätisch ausgetreten und in den Reime reien der neueren Engländer und Franzosen so jämmerliche Nacksiolger gesunden hatte. Buffon ist der erste, der wieder cindringt in die „ernsten Tempelhallen" des römischen Dichters als „cin Geist wescnsverwandt dem Geiste der Natur"; er hat seinem Jahrhundert das schönste Lehr gedicht geschenkt, schöner als Pope und Voltaire, einen Hymnus in Prosa von einer Kraft und Gestaltung und Reinheit des Stiles, wie ihn kein anderer zu schassen vermocht. Der Künstler und der Gelehrte waren so eng in ihm verbunden, daß sie beide seine Persönlichkeit bildeten: dennoch stand ibm selbst die Form noch über dem Inhalt. Das ist die Quintessenz seiner berühmten Abhandlung vom Stil, die in dem Worte gipfelt: „Ter Stil ist der Mensch." Er verlangt hier von dem Künstler nichts Gc- rinaeres, als daß er in derselben Vollkommenheit sich auspräge, wie der Schöpfer in den Werken der Natur. Er verlangt die gleiche Harmonie
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