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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.10.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190710060
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19071006
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19071006
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-10
- Tag 1907-10-06
-
Monat
1907-10
-
Jahr
1907
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Morgen-Ausgabe 8. Bezug»-Preis Ur Lrt-jia und Vorort« durch unsrr« Lrtger und Eprditeure ml Haut gebracht- Sulgab« L (nur morgen») »iertrllt-rlich 3 vi monatlich I V1., Aulgabe L lmorgen» und abend«) dtrrtrl» jährlich 1.50 M. monatlich 1.8) M. Durch dt« Doch behoaeu (2 mal täglich) innerhalb Deutschland« und der deutschen Kolonien »ierteljäkrlich 5,25 M., monatlich 1,75 M aulschl. Post, bestellgeld lür Oesterreich 9 L 66 k. Ungarn 8 L vierteljLhrlich. Abonnement-Annahme- Uugustulplatz 8, bei unseren Drägern, Mlialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne dtummer tostet Kl Dsg. Redaktion und «rpedttton- Johannilgasfc 8. Delevbon Nr. 14692. dir. I46SV. Nr. 14694. Berliner Rebakttou« Bureau: Berlin kllV. 1 Prinz Loui« gerdinaud- ktrahe 1. Lclephon I, Nr. 9275. KtzMirT aMM Handelszeitung. Amtsblatt des Nates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis Nr Suferut, au« Leipzig und Umgebung dl« 6aelpalt«ar Petitzeil, 25 Ps., stnanzielle Anzeige» 30 Ps., NeNamen 1 W.: inm aulwärt» 30 Ps., Nrklamr» 1.20 « - oom/1u«lanL5OP«., finanz. Anzeigen75Ps.. «eNamen 1.50 «. Jusrrate v. vehärden im amtlichen Dell 40 Ps. «eilagegedübr 5 w. p. Lausend ex«. Post, gebühr, weschästlanzelgen an beoorzugtcr stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Daris, sfesterteilte Austräge können nicht zurück gelogen werden. ,)ür dal Erscheinen a» bestimmten Lagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme! Uuguftu«platz 8, bei sämtlichen Filialen u. alle» Annoncen- Ezpeditionen de» In- und Ai.llande«. Paupt Stliale Berlin - Carl Dunck- , Herzogs. Bapr. Hofbuch handlung. Lützowstratze 10. (D«lepd-n VI. «r. 4603). Nr. 277 Sonntag 6. Oktober 1907. tt)l. Ial'rqana. Das wichtigste vsin Tage. * Reichskanzler Fürst Bülow ist gestern mittag in Berlin eingctroffen und präsidierte einer Sitzung des S t a a t s m l n i st e. rinms. * Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes von Tschirschky und Bögendorff tritt von seinem Posten zurück und wird Bot schafter, wahrscheinlich in R o m. Als Nachfolger Tschirschkys wird Graf Bernstorff, bisher Generalkonsul in Kairo, genannt. * Gestern nahmen die Verhandlungen des nationallibe. ralen Parteitages ihren Anfang. lS. des. Art. u. Ber.) * Der Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivil- Prozeßrechtes erscheint im „Reichsanzciger". lS. Dtschs. R.) * Freiherr v. Marschall hielt gestern im Haag eine Rede gegen das allgemeine internationale Schiedsgericht. lS. Friedenskonf.) * Gestern lief der Panzerkreuzer „ Dresde n " auf der Werft von Blohm <L Boß vom Stapel. lS. Letzte Dep.) Schwarze Maulwürfe. Immer deutlicher tritt es zutage, daß die Besiegten vom 25. Januar dieses Jahres die Ultramontanen sind. Zwar jubelte damals die Zen- trumsvressc, daß ihre Partei bei den Reichstagswahlen keinen Schaden erlitten habe. Die Sozialdemokratie allein bezahle die Wahlkosten. Die schwarze Fraktion sei in unverminderter Stärke in den Wallolbau zurück- gekehrt. Aber das war nur Spiegelfechterei. Zahlenmäßig mag die Zcntrumspartei noch heute als die stärkste im Reichstag erscheinen, aber wie man die Konservativen einst die kleine, aber die mächtige Partei ge nannt hat, so kann man heute, wenn man lediglich an den Parlament!»- rischen Einfluß der Parteien denkt, von der Zentrumspartei als der größten, aber zugleich als der einflußlosen reden. Und niemand empfindet das mehr und bitterer als die Zentiumspartci selbst. Sie haßt darum die parlamentarische Macht, die sie nm ihren entscheidenden Ein fluß gebracht hat und haßt den, der sich dieser Macht bedient. Sie haßt die konstroativ-liberale Blockpolitik und den Reichskanzler Fürsten Bülow. Kein Wunder, daß das Zentrum jetzt alles daran setzt, um im Kampf gegen den Block und den Fürsten Bülow die verlorene Position der einflußreichsten Rcichstagsfrakiion wieder zu gewinnen. Erst ging man offen vor. Man empfahl sich in der Spahnschcn Flottenrede als den zuverlässigen Bundesgenossen der Regierung bei de: dringend notwendigen Flottenverstärkung. Vergeblich! Bülow ergriff die ihm allzu deutlich hingestreckte Hand nicht. Er bekannte sich statt dessen wieder und wieder zur Blockpolitik. Unter den vielen Parlamen tariern und journalistischen Vertretern, die er in Norderney empfing, war keiner von der Zentrumspartei. Und so wenig der Liberalismus bis jetzt zufrieden sein dar? mit dem, was zu seinen Gunsten als Frucht der Blockpolitik zutage gesördert wurde, die Anerkennung muß er dem Reichskanzler zollen, daß er bisher das Liebeswerben des Zentrums zurückwies und an der, freilich noch viel zu stark konservativ gefärbten Blockpolitik festhielt. Um so stärker wütet der Haß in den Zentrumskreisen gegen den Block und seine ministeriellen Förderer. Davon haben die leyten vier zehn Tage reichlich Proben gezeigt. Man ist aus ultramontaner Seite zu der alten Maulwurfsarbeit zuriickgekehrt, mit der man durch Ver dächtigungen Bülows und der Blockparteien das Vertrauen nicht zuleyk des Kaisers selbst, aber auch weiter Volkskreife in die neue Partei- politische Konstellation zu erschüttern sucht. So operierte die „Ger- mania", das klerikale Berliner Organ, mit etwa folgenden Thesen: In Zukunft muß man neben den König von Gottes Gnaden in den Einleitungsworten der Gesetze setzen: und die Freisinnigen. Die preußische Regierung ist noch nie so schlapp gewesen, wie heute. Kein Reichskanzler war so abhängig von den Parteien, wie Fürst Bülow. In Hofkreisen ist man über die neue Art der Regierung verschnupft. Ein Prinz soll gesagt haben, was denn aus der Hohenzollerndynastie noch werden solle, wenn in Norderney alles gemacht werde. Es bedarf keiner Worte, um zu erläutern, aus wen diese Angriffe berechnet sind, auf wen sie Eindruck machen sollen. Wem das ober noch nicht deutlich genug war. den konnte ein weiterer Artikel der „Germania" aufklnren. Sie grub die Verhandlungen über die die aus wärtige Politik betreffende Interpellation des Abg. Bassermann i» der Reichstagssitzung vom 14. November 1906 aus, in der der national liberale Führer bei aller Loyalität der Krone gegenüber doch aus die Nachteile eines zu persönlichen Regiments hinwies. Damals ist es der Zentrumspartei nicht eingefallen, gegen den Reichskanzler zu polemi- sieren, weil er Bassermann nicht scharf genug geantwortet habe. Im Gegenteil — Herr Spahn, der damals in der Sitzung zu Worte kam, ließ davon nicht nur nichts merken, er trat dem Kanzler durchaus freund lich gegenüber. Das Rätfel ist leicht zu lösen. Damals war eben das Zen- rrnm noch Regierungspartei und sah in Bülow einen ihm genehmen Reichskanzler. Jetzt hat sich das Blatt gewendet. Das Zentrum stehl im Schatten. Die Blockparteien stehen auf feiten der Regierung. Darum empfindet jetzt auf einmal die „Germania", daß Bülow da- mals nicht korrekt gehandelt, daß er Bassermann nicht scharf entgegnet habe. Sie schreibt: Der Reichskanzler ging auf die ihm unangenehmen Dinge gar nicht ein, wie er es auch sonst in seinen Reden beliebte. Er hat durch seine ganze Rede gezeigt, daß er ein guter Diplomat ist; denn das Hauptstück eines guten Diplomaten besteht nach seinen Worten darin, „daß er im richtigen Moment zu schmeicheln und im richtigen Moment einen Fußtritt zu geben versteht." Danach hat er auch in der inneren Politik gehandelt. So wird'S gemacht. Daran erkennt man die Klaue beS Löwen — o nein — Pardon, die spitzen Finger der Jesuiten. MaulwurfSardeit! Darin sind sie immer Meister gewesen, die Jünger LoyolaS. Darin eisern ihnen die Gesinnungsgenossen in der ZentrumSpresfe nach. Nur sind die Fäden dieser Intrigen im Norden nicht so fein gesponnen wie in romanischen Ländern. Man siebt die Maulwurfsgänge nur allzu deutlich. Diese wenigstens, die hier gebaut wurden. Wer weiß aber, ob nicht verborgende inzwischen schon gegraben wurden — noch näher am Hof! Das eine ist sicher — dem Zentrum lastet die Blockpolitik schwer auf dem Herzen, und wo es dem nicht offen Luft macht, arbeitet es im ge- Heimen nm so eifriger, die Tage wieder zurückzuführen, in denen es mit seiner Politik „Trumps" war, in denen es sich in seiner schwarzen Nebenregierung so wohl fühlte. Der Kanzler ist nach diesen Proben journalistischer Zentrumskunst gewarnt. Die Blockparteien ebenfalls. Beide sind dem Zentrum gegen über aufeinander angewiesen. Möge das der Reichskanzler bedenken, wenn es gilt, aus der konservativ - l i b e r a l e n Paarung etwas zu machen, wozu die kommende Neichstagstagung Gelegenheit genug bieten wird. Die liberalen Parteien aber werden, wie der Verlauf all ihrer Parteiversammlungen in letzter Zeit zeigt, die Blockpolitik nicht leicht- sinnig auf das Spiel setzen — dem Zentrum zuliebe. Nur die Regierung kann den Block sprengen, wenn sie ihn nicht ehrlich auch in Rücksicht aus den Liberalismus zu achten weiß. Dann aber würde sie die schwarz; Maulwurfsarbeit selbst mit Erfolg krönen und der Reichskanzler würde in eigener Person das erste Opfer dieser Maulwuifsarbeit sein. Dom nationnllibsvalen ^Parteitag. Stimmungsbild. (Telegraphischer Bericht.! s. Wiesbaden, 5. Oktober. Ter Nationalliberale Parteitag ist von etwa 1000 Vertretern be sucht und hat damit die höchste Frequenz aller bisher abgehaltenen Par teitage erreicht. Tie Stimmung ist nach den überaus geschickten und vom Sinne gegenseitiger Versöhnlichkeit zeugenden Beschlüssen in Sachen der junaliberalen Einigungsfrage direkt enthusiastisch und unzweifelhaft für eine nachdrückliche Betonung des liberalen Moments eingenommen. Tie Hauptsache dazu hat die heutige Rede Bassermanns beigetragen, die eine politische Tat war. Durchzogen von wahrhaft freiheitlicher Ge sinnung, umfaßte sie das ganze große Gebiet unserer inneren Politik und forderte herzhaft Berücksichtigung der liberalen Notwendigkeiten, die einfach aus der Entwicklung unseres Volkslebens entsprängen. Un ter stürmischem Beifall forderte Bassermann eine gründliche Reform des preußischen Wahlrechts, die eine neue Wahlkreiseinteilung und die geheime St'iumenabgabe bringen -müssi. Ferner wies er auf die Not- Wendigkeit einer Justizreform im modern-liberalen Geiste hin und ver langte als dringendste Aufgabe die sofortige Reform der Bestrafung Minderjähriger und die Abschaffung des mittelalterlichen Zeugnis zwangsverfahrens gegen die Presse. Auch den Ausbau der Flotte for derte er und eine Modernisierung in der Auswahl der Beamten, be sonders der Diplomaten. Nur die Tüchtigsten sollten regieren, alle an deren Rücksichten seien Ballast. Tie offenbar von der Geschlossenheit der Partei günstig beeinflußte Rede erinnerte vielfach an die Dresdner Parteitagsrede Bassermanns. Was vielleicht Bedenken erregen könnte, war die unseres Erachtens etwas optimistische Auffassung der Geneigt heit der Regierung zu liberalen Konzessionen. Mit demselben Optimis mus betrachtete Bassermann auch den letzten Ministerwechsel, die Er setzung Posadowskys durch Bethmann-Hollweg. Hoffentlich gibt die Zukunft Bassermann recht. Das hauptsächlichste Ergebnis des Tages war die Annahme einer Flotten- und einer Iustizrcsorm-Rcsolution. In der Diskussion führte die Rede des Straßburger Professors von Calker eine überwältigende Kundgebung für eine liberale Iustizreform herbei. Es war eine glänzende Rede, in der das Mort von den „ortho- boxen Juristen" geprägt wurde. Dem Worte messen wlr eine durch schlagende Kraft bei. Bei dem am Sonnabend abend abgehaltenen Festkommers hielt Justizrat und Neichstagsabgeordneter Tr. Iunck in bester Laune eine zündende Rede auf die Damen. Aus Leipzig sind folgende Vertreter in Wiesbaden anwesend: Negierungsbaumeister Baer, Eisenbahnassistent Bauer, Lehrer Glaub, Justizrat Geniel, Landtagsabgeordneter Franz Gon- tard, Kommerzienrat Haben icht, Justizrat Hübler, der Vor steher des Verbandes deurscher Handlungsgehilfen Hiller, Neichs- tagsabgeordncter Justizrat Dr. Junck, Kaufmann Pielcrt, Kauf mann Posern, Amtsrichter Dr. Rudolph, Lehrer Seidemann und Generalsekretär Tr. Westenberger. Der Wortlaut der angenommenen Resolutionen ist folgender: 1> Der Allgemeine Vertretertag der nationalliberalen Partei er- tvartet von der nationalliberalcn Fraktion des Reichstages, daß sie nach wie vor mit aller Entschiedenheit für die nötige Stärkung und den weiteren Ausbau unserer Flotte unter tunlichster Be schleunigung desselben eintritt. Der Vertretertag hält es insbesondere für durchaus erforderlich, daß unsere Neubauten den Neubauten anderer Staaten in bezug auf Größe, Armierung und Schnelligkeit mindestens gewachsen sind, und daß die Altersgrenze der Linienschiffe herabgesetzt wird. II. Tie Durchführung der Revision der Strafgesetz gebung ist eine Kulturaufgabe, deren baldige und gründliche Lösung von dem ganzen deutschen Volke ersehnt wird. Bei der Revision ist als richtunggebendes Ziel ins Auge zu fassen, daß in höherem Maße als dies heute der Fall ist, den rechtlichen und sittlichen Anschauungen unserer Zeit und unseres Volkes Rechnung getragen werden muß. Was die an erster Stelle in Angriff zu nehmende Revision des Strafver fahrens anbetrifft, so ist erforderlich eine Beteiligung des Laien elements in allen Gerichten der ersten und der Berufungsinstanz, die allgemeine Einführung der Berufung, die Einschränkung des Legalitäts prinzips, der Schutz der Zeugen gegen verletzende Behandlung und ehr- gesöhrdende Fragestellung, die Ausdehnung der Rechte des Beschuldigten und der Verteidigung, vor allem im Falle der Verhängung der Unter suchungshaft. III. Der allgemeine Vertretertag spricht die Erwartung aus, daß das in Aussicht stehende Gesetz betr. das Reichsvereins- und Ver sammlungsrecht in freiheitlichem Sinne gestaltet werden und ins besondere die in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Freiheiten keine Einschränkung erfahren werden. IV. Der Allgemeine Vertretertag spricht die Ueberzeugung auS, daß die Fortführung einer kraftvollen Politik der preußischen Negierung gegen das andrängende Polentum eine dringende Notwendigkeit im Jnteresse des gesamten deutschen Volkes ist." Ausführlicher Bericht s. an anderer Stelle, umfaßt aber bisher nvr die Rede Bassermanns. Ateiv Hardie rind Srvavaj. (Von unserem Londoner U.-Korrespondenten.) Mit „Bande Mataram". ihrem revolutionären Heilruf, haben die Hindu-Studenten von Ostbengalen Keir Hardie, den britischen Bebel, begrüßt. Die Bande Mataram-Rufe waren so laut, daß die feindlichen Mohammedaner sich bei den Polizeirichtern beschwerten, sie würden in ihren Gebetsübungen gestört. Anders klingen die Ausrufe, mit denen die englische Presse die Tätigkeit des eigentlich auf einer Rekon valeszentenreise begriffenen sozialistischen Feuerkopses in das bengalische Aufruhrgebict begleitet. Der „Standard" macht den schottischen Drauf gänger daraus aufmerksam, daß es Mittel und Wege gibt, auch Parla mentsmitglieder selbst der Negierungsmajorität zum Schweigen zu bringen. Ter „Standard" hält es zwar für fraglich, ob Keir Hardie schon das indische Strafgesetz verletzt Hat, das für „Erregung von „ckisskfao- tiou" sAbneigungj gegen die gesetzlich in Britisch-Jndien etablierte Re- gierung" u. a. lebenslängliche Transportation vorsieht, meint aber, daß der Demagog doch bedenklich dicht am Winde segle. Fast alle Konservativen begrüßen diese erste Gelegenheit, die Mr. Morley, der Staatssekretär für Indien, ihnen gibt, um chn der straf baren Nachsicht gegen den Sozialismus anzuklagen. Freilich ist es eine sehr schwächliche Ausrede, wenn die radikalen Organe einfach von falschen Berichten sprechen. Was die „Times" in starken Ausdrücken zu Keir Hardies Charakteristik scmen, ist ihnen als nur zu richtig bekannt. „Indem er Ostbcngalen zur Schaustellung seiner dema gogischen Fähigkeiten aussuchte, hat er schlagend bewiesen, daß unsere Einschätzung seiner verbrecherischen Unwissenheit oder seiner noch mehr verbrecherischen Unbedenklichkeit nur zu gerecht gewesen ist." Mr. James Keir Hardie ist von Haus ein schottischer Gruben arbeiter. Von seinem siebenten bis zu seinem vierundzwanzigsten Jahre arbeitete er unter Tage. Er ist 51 Jahre alt. Ein Mann von robuster Konstitution, geistig wie körperlich. In der Politik ist er so entschlossen und zähe, wie nur der schottischste Schotte es sein kann, leider aber auch hoffnungslos unpraktisch. In den Lohnkämpfen der Bergleute von Ayrshire brachte er es zum Präsidenten von deren Aewerkverein und 1892 zum Abgeordnetenmandat. Sein Einzug in das IIouss ok Oolnmoas war bezeichnend: Er geschah an der Spitze eines langen Zuges von Ge folgsleuten, mir Wagen und Bannern und — einer Blechkapelle. Im Unterhaus macht man im allgemeinen elegante Toilette und trägt stets den Zylinder, mit dem man sich bedeckt, wenn man Anträge stellt. Keir Hardie erfüllte diese Funktionen mit seiner Spessartmütze. Mit diesen protzigen Proletariermanieren harmoniert sein politisches Auftreten. Sein erster Wahlkreis hatte ihn nach 3 Jahren satt, und seine radikalen Freunde freuten sich am meisten über seine Niederlage. Er wurde dann von den wallissschen Kohlengräbern in Merthyr Tydfil ins Parlament geschickt und ist die rastlose Seele' der sozialistischen Fraktion. Tem- peränzler mit Leidenschaft. Autodidakt, ein grober, aber klarer Sprecher in ausgezeichnetem Englisch, das er nur durch eine für historisch gehal tene, eigenrichtigc Aussprache entstellt, ungeheuer belesen und außerordent lich schlagfertig, extrem in allem, was er anpackt, ist dieser Mann in einem aufgeregten Lande sicherlich ein explosiver Typus, dessen Wir kung ganz davon abhängt, wie man ibn änfaßt. In der inneren eng- Eichen Politik hat es sich am besten bewährt, ihn nicht allzu ernst zu nehmen. Keir Hardie hat von den namenlosen Grausamkeiten der Engländer in Ostbengalen gesprochen und die Hilfe der So- zi allsten zur Befreiung der Bengalen in Aussicht gestellt. Das gleiche hat Bep in Chandra Pal, einer der beiden führen- den Babu-Agitatoren, getan, teils durch Reden, teils durch Artikel in seiner Zeitung „Bande Mataram" („Heil Mutter Indien"), der ver breitetsten Vertreterin der Swaraj-Politik (Indien für die Inder). Pal bekam dafür in Kalkutta 6 Monate Gefängnis. Er hatte den Hin dus erzählt, die Engländer seien außerstande, das Land weiter zu re- gieren: die Volksbewegung — die Hindus Bengalens zeichnen sich nicht gerade durch Tapferkeit aus, wie die Mohammedaner — sei nicht mit dem Bajonett abzuhalten. Der Gedanke an die indische Meuterei lasse die Engländer in ihren Schuhen erzittern. Die Milde der Negierung schien diese Furcht zu bestätigen. Diele Milde gestattete die Ausbreitung der Bewegung bis zu einem solchen Grade, daß selbst in Kalkutta die politischen Versammlungen trotz der polizei lichen Verbote auf dem Maidan, dem herrlichen Platz vor dem Reqic- rungsbaus, stattsanden, und die Hindumcngen bei allen öffentlichen An lässen statt der Nationalhymne „(lock savo our xloriou8 ?ul!" zu singen »siegten. Von diesem Hintergründe hebt sich Keir Hardies indische Agitationsreise ab. Sind nun die ungeheuerlichen Anklagen des So- zialistensührers wahr, oder sind sie ebenso kritiklos aus dunkler Quelle von gehässigen Gewährsmännern ohne Prüfung aufgelcsen, wie in Deutschland seinerzeit gewisse Hunncnbriefe das Licht erblickten? Es steht jedenfalls fest, daß ganz kürzlich erst eine von sämtlichen Maharajahs, Rajahs, Hemindars, Edelleuten und angesehenen Ge schäftsleuten in Bengalen unterschriebene Erklärung in Kalkutta ab gegeben wurde, in der das Vertrauen zur Loyalität der Mehrheit des Volkes ausgesprochen, und Hindus wie Mohammedaner aufgesorden wurden, an die tatsächliche Wahrheit zu denken, daß man der britischen Herrschaft, was auch immer ihre Mängel seien, die gegenwärtige Sicher- hcit von Leben und Eigentum, die Ausbreitung des Unterrichts und Indiens Fortschritt in der Richtung aus die moderne Zivilisation ver danke." Tatsächlich sind die Ergebnisse einer allzu ideal ausgesaßtcn, von drei indischen Administrationen in zu europäischer Form über tragenen Unterrichtserteilung an der Erregung schuld. Tatsächlich sind auch nicht die Brabminen, die geborenen Führer der Hindu, sondern die Babu die Agitatoren, denen der Kovf durch das Studium von Rousseau, Herbert Spencer und Mill verdreht worden ist. In Ost bengalen bat der Babu seinen größten Einfluß erreicht. Ter Bengali Babu ist der gefährlichste. Ostbengalen, das laudwirtichasilich reichste Gebiet Indiens, mit seinem Jutemonopol und seiner dichten Bevöl kerung importiert seine gesamte Arbeiterschaft aus anderen Teilen Indiens. Das ist bezeichnend für den Charakter des Hindu von Ben- galen. Anderseits erklärt es, wie England die Provinz mit einer Handvoll Beamter, von denen einzelne Subalterne bis vier Millionen Menschen regieren, im Zaume halten kann. Infolgedessen haben aber auch die Agenten der ingeborenen Groß grundbesitzer und die Geldverleiber einen außerordentlichen lokalen Einfluß erlangt. Deren bedienen sich die Babus als ihrer Organe. Sie mußten das Geld liefern für die Opposition gegen die Teilung Bengalens, für die Kampagne in der hauptstädtischen Eingeborenen- presse und für den Swadrshi, den Boykott der englischen Waren, der jetzt allerdings seinem Ende zugebt. Vor allem aber floß auS dieser Quelle auch das Geltz für die Organisation der „Na tionalen Freiwillige n". Diese ist aus einem Turnverein ber- vorgegangen. den eine reiche Hindudame mit Hilfe europäischer Lehrer gründete, um der körperlichen Erschlaffung der Hindu einen Damm zu setzen Heute sind die „Nationalen Freiwilligen" eine Art „schwarzer Hundert, ein t e r r o r i st i i ch e r G e h e i m b u n d", der sich zuletzt gegen die bengalischen Mohammedaner richtete, als diese sich in die engländer feindliche Bewegung nicht bineinzieben ließen. Die Mohammedaner sind in ganz Bengalen 26 Millionen, die Hindu fast 40 Millionen stark, in Ostbengalen haben die Mohammedaner die Mehrheit: deshalb die Teilung, als sich die Babu-Agitation zu stark zeigte. Die „Nationalen
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