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Beilaqe Sonnabend. 27. April 1907. Leipziger Tageblatt. Nr. 116. LOL. Jahrqang. DieZcdulmeirter von Isarolinentbsl. 12j Eine Thüringerwaldgeschichte von Margarete Schneider Der Chef fahr mit dem nächsten Zuge nach der Stadt zurück. Tie Nenenhiebec wanderten tret dem sckwncn Wetter zu Futz ihre Wegstunde Heini, während sich die Herzogengereutl;or mit Malsch in den „Krug" begaben, um sich dort von dem Schrecken, den des Kreisschulinspek- tors Gegenwart ihnen ein für nllemal einflöfste, zu er boten. Um acht Uhr wanderte Hanna zum Anleger. Noch war es hell. Ein kühler Wind brachte Heuduft herüber, so einen starken, frischen, reinen Duft — es liegt immer etwas Frohmachcndes darin — Erinnerungen an goldene Kindertage — an erste, kaum verstandene Glüüssehnsuchr an erste Liebe. Hanna liebte den Heuduft über alles. Das Herz lvar ihr leicht und frei, fast zu leicht und frei. Etwas Unangenehmes, das ihr tagelang bevor stand, war überwunden. Sie fühlte sich ausgelassen fröh lich. Man mußte auch sonst so oft eine würdige Schul- meistermiene zeigen. Heute wollte sie ganz sie selbst sein, d. h. jung, vergnügt — und vielleicht ein bißctzen leicht sinnig. Sie war pünktlich an Ort und Stelle nnd ging wartend auf und ab. Fünf Minuten — die rechnet man noch nicht. Zehn Minuten — nun könnt er aber wirk lich kommen. Eine Viertelstunde! Ja! was ist denn das? Warum kommt er denn nicht? Hat er das etwa übel genommen — das mit den Fragen und dem voll ständigen Satze? Wozu hatte sie es eigentlich gesagt? (tzauz instinktiv war es so gekommen — wie uni jeden Verdacht im Kreisschulinspektor zu unterdrücken, sie und Fohrmann können irgendwie zusammenhalten — nur deshalb. Der hohe Schornstein der Fabrik rauchte mächtig, und manchmal schlugen große Flamnien heraus, daß es wie ein Brand aussah. Das geschah in der Woche regel mäßig zweimal, wenn drinnen gebrannt wurde. Später abends gegen den dunklen Himmel sah es herrlich aus. Eine halbe Stunde lvar Hanna wartend, zweifelnd, ein wenig fröstelnd am Ufer auf und ab gegangen. Schließlich Verlar sie die Geduld. Er kam ja doch nicht mehr. Was ihm nur cinfiel, -dem langweiligen Menschen! Gerudert sollte heute aber werden — um jeden Preis. Also zog sie kurz entschlossen selbst das kleine Boot unter dem Schutzdach hervor, sprang hinein, machte das Tau los und ergriff die Ruder. Es ging besser, als sie gedacht batt-v Die kräftige Be- wogung machte sie -bald angenehm rvarm. Nach einigen Minuten hatte sie etwa die Mitte des Sees erreicht. Sie zog die Ruder ein, um sich still in den Anblick des rauchenden, feuerspeienden Vesuvs am Ufer zu versenken. Da pftfs dec Wind stärker über die Wasserfläche hin und brachte den leichten Kahn in heftiges Schwanken. Sie ergriff die Ruder wieder-, aber sie fühlte sich dem Winde gegenüber sogleich machtlos. Er trieb das Boot trotz ihres Gegenruderns, wohin es ihm beliebte, seit Mutze ft unden. wärts tief in dichtes, dichtes Schilf hinein. Tort saß es nicht sehr weit von der einsamen linken Uferseite fest ein geklemmt zwischen den breiten, starken Schilfblättern. Hanna versuchte, mit dem Ruder vom Grunde abzu stoßen, das Fahrwasser tvar aber tief, und ihr durch das Schilf gehemmter Stoß hatte wenig Kraft. Ein Stück chen trieb er das Book vorwärts; dann wurde es durch den Wind mit erneuter Wut in sein Gefängnis zurück gestoßen. Stach einigen vergeblichen Versuchen stellte Hanna sich vorsichtig im Boote aufrecht und begann zu rufen: „Huahu — Hilfe —huahu!" Der Schall glitt über das Wasser hin und verhallte im Walde. Fern vom Dorf her erscholl Huudegebell. Sonst kein Lant. Es kam ihr selbst lächerlich vor, in einer solchen kleinlichen Gefahr, die eigentlich gar keine Gefahr war, um Hilfe zn rufen. Sie setzte sich auf die Ruderbank, verschränkte die Arme und überlegte. Was tun? Au-:' dem Schilf herauskommen bei dem Winde — das grbt'S nicht, rufen hört niemand Also das beste ist, sich hier häuslich für die Nacht einzurichten. Ein Blick zum Himmel: er ist sehr bewölkt. Wenn's nur nicht regnen möchte! Es wurde dunkler und kälter. Sie trug nur eine dünne Bluse, und es fror sie ani Hals und an den Armen. Daher schlug sie ihren Kleiderrock in die Höhe und wickelte sich hinein. So saß sic eine ganze Weite regungs los und schalt sich selbst eine Törin. Ihre Situation gefiel ihr gar nicht; sie hatte nichts Großes, Wildroman tisches; albern und kleinlich kam sie ihr vor. Es wurde ganz dunkel. Zwischen den Wolken blinkten einzelne Sterne. Es kam Hanna vor, als ob sie irgendwo am Lande Schritte hörte. Sie stand noch einmal auf: „Huahu! Hilfe!" Keine Antwort. Doch der Wind schien nachzulassen. Da ergriff sie noch einmal das Ruder und stemmte es nrit aller Gewalt an. Ter Ruck lvar stärker als vorher, der Widerstand des Windes schwächer. Ein paar beherzte Schläge und das Boot war aus dem Gebiet des Schilfes heraus. Im selben Augenblick hörte sie klatschende Ruder schläge in ihrer Nahe, und durch die Dunkelheit kam Heinz FehrmannS Stimme: „Sind Sie's, Fräulein Evers?" „WaS ist Ihnen geschehen?" Er kam in dem großen Boot heran. Sie konnten gegenseitig ihre Umrisse er kennen. ,/Nichts. Ich lvar im Schilf fest sitzen geblieben. Nun bin ich wieder los." „Wollen Sie in mein Boot kommen? Sie können nicht mehr." „Doch, ich kann -allein ans Land kommen. Bitte, rudern Sie hinter mir her." Er ließ ihr einen Vorsprung. Sie nahm sich gewalt sam zusammen. Aber was lvar das nur? Es schüttelte ihren ganzen Körper. Sie brauchte alle Willenskraft dazu, die Ruder zu regieren. „Lassen Sie mich zuerst anlegen", bat er, als sie in die Nähe des Ufers kamen, „damit ich Ihnen behilflich fein kann." Sie antwortete nicht darauf, steuerte aber entschieden und schnell dem Anleger zu, maß die Entfernung richtig ab, zog fest die Ruder ein, sprang auf, klammerte sich an den Uferpfahl, das Boot unter sich dicht an den Anleger anziehend. Eilig hatte sie die Tanschlinge um den Psahl geknüpft, um den sie nun beide Hände legte, mit ihrer letzten Kraft gab sie sich einen g^valLigen AuficiWung, und nun stand sie oben auf den Kolzbrettern. Er legte gleich nach ihr an und schob die Boote unter das Schutz dach. Sie sah sich nicht nach ihm uni, sondern trat vorn Anleger lveg ans «den Weg, den sie mit Mülle noch unter scheiden konnte. ES war so dunkel, daß sie ihn um seinen Arm bitten wollte. Ta hörte sie seine Tritte hinter sich, nnd im nächsten Augenblick fühlte sie sich von seinen Armen um die Schultern gefaßt. „Kind, Kind, lvie konnten Sie mir das tun?" flüsterte er ganz nah an ihr Ohr und preßte sie zweimal l>astig an sich. Sie zuckte zusammen und stieß ein leises, angstvolles Stöhnen aus. Da ließ er von ihr ab und stammelte: „Verzeihen Sie mir, ich habe mich sehr um Sie ge ängstigt. Sie riefen um Hilfe — da tvar ich gerade am Anleger - es klang so kläglich! Ich nmßte doch nicht — ich dack'te —" „Sie dachten, ich wäre in höchster Geröhr — ich wäre womöglich schon ertrunken — tot oder halbtot — und Sie könnten mich nun retten — was? Das hätte Ihnen wohl bester gefallen. Haha!" „Nein, es war mir nicht zum Lachen", rief er heftig. „Und mir nicht, um eine tragische Geschichte daraus zu machen." Dabei hob und senkte sich ihre Brust unter der dünnen Bluse so heftig, daß er die Bewegung trotz der Dunkelheit sehen konnte. „Glauben csie doch bloß nicht, daß ich mich womöglich absichtlich in eine romaw tisclrc Lage habe bringen tvollen. All so etwas ist mir verhaßt. Und die Konsequenzen — brr — wenn Sie mich nun herausgezogen hätten mit nassen, starren und anklatschenden Kleidern —" „Aber doch noch lebendig — dann hätt' ich Gott ge dankt —" „Ja schade, daß Sie nun nichts zu -danken Haban." Sie schämte sich bis in die Seele hinein. Aber sie wollte es nicht eingestehen; deshalb sprach sie so töricht und höhnisch. Aber er verurteilte sie nicht und sprach nicht mehr dagegen an. Sie mußten in der Dunkelheit mit vorsichtigen Schritten gehen -^ie konnten voneinander und von dem Wege nichts seben. Ter Weg tvar auch nur schmal. Aber sie berührten sich nicht im mindesten. „Warum waren Sie nicht zur verabredeten Zeit da?" fragte sie nach einer Weile. „Gerade als ich gehen wollte, kam der Pfarrer Hopf aus Herzogengeronth, um mich um die Vertretung am Sonntag in acht Tagen zu bitten. Ter alte Mann ist so gesprächig, und ließ sich häuslich bei mir nieder. Ich saß wie ans Kohlen, und ich glaube, er merkte schließlich, daß ich einsilbig wurde. Als er ging, begleitete ich ihn noch ein paar Schritte, bloß um nach Ihrem Fenster zu sehen, ob da Licht wäre. Ich hatte kaum mehr Hoffnung für heute abend; doch sie belebte sich wieder, als ich Ihr Fenster dunkel sah. Am Anleger fand ich nur ein Booi; da bin ich namenlos erschrocken, und da hörte ich Sie rufen." Sie traten auf die Chaussee. Auf der anderen Seite ging eine Gestalt vorüber, die sie nicht beachteten. Als sie Frau Dorsts Haus erreicht hatten, griff er nach ihrer Hand. Sie war eiskalt und lag bewegungs los wie etlvas Totes in der seinen. Er suchte ihre Augen; aber sic lvaren abgewandt. „Schlafen Sie sich gut aus", bat er herzlich. „Ja, Sie auch — ich danke Ihnen. Gute Nacht." Es klang unendlich matt und gleichgültig. Als sie in das dunkle Haus trat, steckte Frau Dorn den Kopf aus der Stubentür. „O, Fräulein EtvrS, Gott sei Dank, daß Sie zurück sind. Wie hab' ich mich geängstigt! Wo waren Sie bloß?" „Ein bißchen spazieren. Es tvar so schöne Luit draußen." Sie drückte sich schnell zur Treppe hin. „Aber ich bitt' Sie — allein in der Dunkelheit, und wo's jeden Augenblick losgießen kann — das ist doch ein Unverstand, Fräulein, das muß ich aber schon sagen." „Gute Stacht", tönte es von oben. Dann fiel Hannas Tür laut ins Schloß, und der Riegel schob sich vor. Are Hände zitterten, als sie Licht machte. Sie sank, was sie sonst nie tat, in Kleidern auf ihr Bett. Nun merkte sie erst, daß sie am Ende war. Was war das nur? In einer wirklichen Lebens gefahr war sie ja gar nicht gewesen. Läcl-crlich, sich so in die Seele hinein aufrsgen zu lassen. Sie ging alle Einzelheiten des heutigen Abends in Godanken wieder durch, genau der Reihe irach. Und an einen! Punkte blieben diese Gedanken iimner haften, ob wohl sie jedesmal in der Erinnerung ein Grauen über lief. Sie hatte ihn von sich zurückgostoßen. Das war richtig und anständig gewesen. Warum? Weil er sie nicht umarmen !durfte! Also sie hat sich richtig be nommen. Und ain Sonntag vor beinah vierzehn Tagen? Wenn er sie da geküßt hätte, so hätte sie sich keinen Augenblick gesträubt. Warum nicht? Warum nicht!? O, sehr einfach. Sie setzte sich steif aufrecht hin und sprach bei sich selbst und zu sich selbst mit unerbittlicher Wahrhaftigkeit: „Hör zu, das will ich dir sagen. An dein Sonntag war allerlei möglich, nur, weil du bei guter Laune warst, weil das bißchen Wein und all die Sonne und all das Schöne dick gleich in Champagnerstimmung versetzt hatte — darum! Und das heute — ja, du magst es nun hören wollen oder nicht — das war einfach unmöglich, weil — weil — ja jedenfalls nicht, weil du ein anständiges, zurückhaltendes Mädchen bist — sondern, weil es dir heute körperlich unmöglich -war — weil bu's nicht gekonnt hättest und weil du's überhaupt bei kaltem Blut nie kannst, nie willst, nie, nie, nie " Ltammkaus 81 LS I» K» n r kleusrvall 74, 76, 78, 80 u. 82 8l>ecisllisll8 M vWkii- vnä kiMr-koMiiM Vertzaukskäussr vremon: Odsrulr.« Itzübeok: Snttsrtz. SS-41. LsIprlZ: kslemtz. kukrstukl oaok allen ?Lrtsrrv, I., II., III. und IV. LtL§v. ° ° sr°--°r r»MÄnIvi, ^soksts, koloi-os u. i-ikidozfS kür krauov und HuvAv Mdekvn, mit LordsvALruierunLs, LottisikenvvrrivruvA und Vfestsvemsatr, xsküttvrt « 10?° 12?° IS- 18?° 20- 24- 30.- 36.- -I» - r ° l°» Oostumos, kovk UNll -loosio m Auten kaltbarsn btottsn und vivlvu ka?0N8 8?° 10?° 12?° 15- 20- 22?° 24 - 30 - 36 - 45- Lin grosser Posten aus gutsn da.ltbg.rsu. 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