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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.11.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051110010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905111001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905111001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-11
- Tag 1905-11-10
-
Monat
1905-11
-
Jahr
1905
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Morgen-Ausgabe Nr. 573 98, Jahrgang. Freite 10. November 1W5. 4 L. k. 7. * In Rio de Janeiro hat sich die Garnison eines Fortt empört. Die Meldungen von einer Revolution werden dagegen dementiert. (S. AuSl. u. Leyte Depeschen.) * Der vierte Kongreß deS BerbandeS der deutschen Arbeitsnachweise ist gestern in Wiesbaden eröffnet worden. (S. Deutsches Reich.) BezugS-Prett In dar Hauptexpodttioo oder deren Ausgabe stellen adgeholt: vierteljährlich 8.40, bei täglich zweimaliger Zustellung in» Hau« vierteljährlich 8.—. Durch unser» aus ¬ wärtigen Ausgabestellen und durch di« Post biogen für Deutschland aud Oesterreich vierteljährlich 4.50, iür die übrigen Länder laut üettungSpreiSltste. Reduktion und Expedtttonr Iohannttgafi« 8. riephon Nr. 15ü» ilir. 928, Nr. 117» Berliner Redaktion»-Bureau: Berit» tiVV 7, Dvrotyeensrrab« SS. Del. I. Nr. VL7S. Dresdner Redaktion»-Bureau: Drttden-Ä^KSn»rntzftr.LV, Tel. 1, iltr. 4588. Var Aicdtigrtr vom Lage, * Die sächsische Regierung erklärte durch Herrn Staats minister v. Metz sch aus Interpellation »m Landtag hin, sie sei nicht in der Lage, wirksame Mittel gegen die Fleisch teuerung vorzuschlagen. (S. Landtags-Bericht.) * DaS Neichöpostamt giebt bekannt, daß Pakete und Wertbriefe nach Rußland mit Ausnahme der in das Generalgouvernement Warschau und über Rußland nach Finnland bestimmlen wieder befördert werden. (Siehe Leipz. Angeleg.) * Reichskanzler Fürst Bülow bat der Siebener kommission mitgeieilt, daß er ihre Eingabe an den Minister für Handel und Gewerbe weitergegeben habe. Deutscher Keich. Leipzig, 10. November. * König AlphonS in Magdeburg. Der König von Spanien ist gestern mittels SonkerzugeS um 1 Uhr in Magdeburg eingetroffen. Beim Einlaufen des Zuges wurden 21 Salutschüsse abgegeben. Am Bahnhöfe war eine Ehren kompagnie ve» Infanterie-Regiments Nr. OK mit Fahne aus gestellt. Zum Empfange des Königs hatten sich die Spitzen der Militärbehörden eingefunden. Nachdem der König die Front der Ehrenkompagnie abgeschritten und den Parademarsch abgenommen hatte, bestieg er mit dem Gefolge und dem deutschen Ehrendienst die bereit stehenden Wagen und fuhr durch die festlich geschmückten Straßen nach dem Schrotdorfer Exerzierplatz. Auf dem ganzen Wege bildete Militär Spalier. Der Bahnhof und der Platz vor dem Bahnhöfe war mit Flaggen und Blumen arrangements festlich geschmückt. DaS Publikum begrüßte den König herzlich. Nack Beendigung der militärischen Hebungen begab sich der König durch die Wilhelmstraße nach rem schönen Regimentshause, wo das Festmahl stattsand. Wahrend de« Mahle« erhob sich König AlphonS zu folgendem Trinkspruch: „ES ist mir «ine große Freude, mein tapfere« und liebe« Regiment zu sehen und mit Len Offizieren zuiammen sein zu können. Den Gefühlen, Vie mich bewegen, gebe ick Ausdruck durch den Ruf: Leine Majestät der Kaiser Hurra, Hurra, Hurra/ Bald darauf, nachdem di« Klänge de« „Herl dir im I folgen >ur das gl Siegerkranz" verhallt waren, erhoben sich der Regiment«- Boden zu entzieh« Kommandeur Baron Digeon von Monteton. Er dankte dem König sehr sirr die Ehre seines Besuches und betonie, daß dem Regiment bereits mehrfach Gelegenheit geboten sei, hervorragende und liebenswürdige Angehörige der spanischen Armee kennen zu lernen. Er endete seine Ansprache nut einem Hoch aus den König von Spanien und dre spanisch- Armee. Bald nach 3 Uhr begab sich der König AlphonS mit Gefolge zur Bahn, um dort den Kaiser und den Kronprinzen zu begrüßen und dann den Sonderzug zu besteigen, der die Herrschaften nach Hannover führte. Der Bundesrat nahm in seiner gestrigen Sitzung den Antrag über den Entwurf des Gesetze« wogen der Kontrolle deS ReichöhauShalteS, des LantzesyanShalieS von Elsaß- Lothringen und des Haushalte« der Schutzgebiete für da« Rrchnungsiahr 1905 an und stimmte dem Ausschußberickl über gemeinschaftliche Einnahmen an Zöllen und Verbrauch«- steuern sowie die Berwaltung-auSgaben für das Rechnung«- fthr 1899 zu. * Afrikanische Verlustliste. Em Telegramm au» Windhuk meldet: Am 29. Oktober im Palrouillengesechi am Cham- sareib-Revier verwundet: Leutnant Georg v. Reese, geb. zu Hamburg, früher Königl. Sächs. Karabinier-Regiment, leicht, Streifschuß an der rechten Hand; Sergeant Aloi« Buchst, geb. zu Friedewald, früher Feld-Artillerie-Regiinert Nr. 21, schwer, Fleischfchuß rechten Oberschenkel. Am 2. November im Gefecht bei KomS gefallen: Unteroffizier Josef Klapecki, geb. zu Glatz, früher Füsilier-Regiment Nr. 39. Verwundet: SanitatS-Sergeant Friedrich Oberhoffer, geb. zu Lebach, früher Feld-Artillerie-Regiment Nr. 8, leicht, Splitter an «echter Hand. Am 28. Oktober auf Patrouille bei Awadaob verwundet: Gefreiter Gustav Grunvmann, geh. zu Staßfurt, früher Fuß-Arlillerie-Regiment Nr. 4, leicht, Schuß iu Unken Oberschenkel. Seit dem 3. Oktober aus Patrouille bei Persip vermißt: Unteroffizier Fritze Gärtner, geb. zu Hannover, früher Bezirkskommando Hannover, und Reiter Paul Francke, geb. zu Rawitsch, früher Husaren-Regiment Nr. k. * Zur Eisenacher Reichstagswahl. DaS End- resultat der Reichstags - Ersatzwahl in dem Wahl kreise Eisenach-Dermbach ist gestern mittag zusam mengestellt worden. Es wurden abgegeben für Leber (Soz.) 6886, für Schack (Antisemit) 4045, kür File; (Nat.) 2780, für Kühner (Freis. Dp.) 2698 und für MüllerHuIda (Zentrum) 1014 Stimmen. ES findet Stichwahl zwisekzen Leber und Schack statt. Die Zen- trumstimmen erscheinen jetzt um fast 1000 Stimmen ge ringer als bei den ersten Angaben. DaS liegt an einer falschen Meldung des Wolffschen TelegraphenburoauS, die jetzt richtig gestellt ist. Ueber die politische Bedeu tung der Wahl, die einen schweren Vorwurf gegen die beiden liberalen Parteien enthält, die eS zu keiner Eini gung bringen konnten, haben wir schon geschrieben. Der Vorwurf mutz um so schärfer erhoben werden, als in der Kandidatur Schock Bund der Landwirte, Konser vative und Antisemiten sich friedlich vereinigt hatten- WaS den politisch und wirtschaftlich reaktionären Par teien möglich ist, sollte den Liberalen erst recht möglich sein. Ihre Pflicht war es, das seit 1871 dem Liberalis mus erhaltene Mandat gegen den Ansturm von rechts und links unter Ueberreichung parteipolitischer Wünsche zu verteidigen. Ihrer Uneinigkeit hat es die politische Reaktion zu verdanken, datz sie diesen Wahlkreis jetzt wahrscheinlich erobern wird. Und der gleiche Vorwurf würde den Liberalismus treffen, wenn jetzt die Sozial- demokratie Eisenach erobert, eine Möglichkeit, an die man im Wahlkreis selbst glaubt, weil die Kampfesweise der Antisemiten gegen die Liberalen so gehässig gewesen sein soll, daß diese, wenigstens soweit die Volkspartei in Frage kommt, zögere, für Schack einzutreten. * Ttc Aahrkartensteuer. Die zuerst von der „D. Tages zeitung gebrachte Nachricht, daß bei der Kiuanzreform auch an eine Fahrkartensteuer gedacht werde, wird jetzt von der »Köln. VolkSztg." bestätigt, die über die Gestaltung der Steuer noch folgende« mitzuteilen weiß: „Tie Steuer toll in Form der Zuschläge zum Fahrpreis erhoben werden. Der gesamte Nahverkehr dürfte nach den Vorschlägen de« BundeSrai« von der Steuer ausgenommen sein, die vierte Wagen klasse bis zu einer Entfernung auf 100 Kilometer, die dritte ,twa- weniger weit: aber für beide Klassen sind die Steuersätze sehr niedrig bemrstrn." Und da« im Jahrhundert deS Verkehr- in dem Deutsch land, von dem der Kanzler sagte „in der Welt voran"! * Der Kampf um die ArbettSorlmung im Ruhrbergtau wird in einer Zuschrift erörtert, welche die „Soziale Praxi«" aus dem Ruhrrevier erhält. Wie seinerzeit mitgeteilt, haben die organisierten Ruhrbergleute in einer Eingabe an den preußischen Handelsminister verschiedene Bestimmungen der neuen, vom Bergbaulichen Berein herauSgegebenen und von den Werken angenommenen Arbeitsordnung al« im Widerspruch nut dem neuen Berggesetz stehend bezeichnet. Gleichzeitig haben die organisierten Rubrbergleule wegen der von den Zechen eingeführten Uehcrwei^ungSscheinen, die gegen die guten Bitten und gegen die Freizügigkeit ver stoßen sollen, eine Eingabe an den Reichskanzler gerichtet. Der Gewährsmann der „Sozialen Praxis" stellt sich in bezug aus die neue Arbeitsordnung auf die Seite der Bergleute; er schreibt u. a.: „Das Berbalten der Zechenbesitzer verdient die schärfste Verurteilung. Es batte in ibrer Hand gelegen, ohne sich etwa« zu vergeben, ohne erhebliche Opfer zu bringen, durch loyale Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen den Berg leuten entgegenzukommen und so friedlichen Verhältnissen die Wege zu ebnen. Sie haben es vorgezogen, die wenigen Vor teile, die das neue Berggesetz den Bergleuten brachte, durch auSgetüstelte Bestimmungen der Arbeitsordnung illusorisch zu machen. So wäre der Kamps wieder d.r, und wenn er auch vor der Hand nicht zu «iner Katastrophe führen wird, so läßt er immer« in Erbitte» nng genug zurück, die in Vereinigung mit anderen Zwischenfällen früh oder spät dazu führen kann." Gegen die zuleyt ausgesprochene Ansicht wird man nicht viel Stichhaltige- zu erwidern vermögen. Sache der preußischen Re gierung müßte e« daher fein, durch Schaffung einer klaren IRechtSlage einer Erbitterung, die leicht von bei lagen-werten l in. gesamte Wirtschaftsleben werden kann, den en. wissen unsere Lese? au« den ausführlichen Berichten, die ein-' Woche lang an« Rußland einliesen. Man har schon früher, so erst wieder bei der großen Iudenhetze in Knchinew vor mehreren Jahren, den Beweis erbracht, daß dk Polizei bei derartigen Ausbrüchen der Blut gier ihre Hände im Spiel gehabt hat. Die Polizei in Ruß- land hat überall seit langem eine große Zahl geheimer Agenten und Lock,pitzel an der Hand, nm politisch Verdächtige aus findig zu macken. Diete heruntergekommenen Leute stehen unter dem Befehl von Emissären de« Ministeriums des Innern und sind imstande, einen unbeschränkten Einfluß ans die lokalen Polizeibehörden auSzuüben, und fogar, wenn es nölig ist, die örtlichen Verwaltungsbehörden abfvlut lahm zu legen. E« steht ihnen völlig frei, durch die lokale Polizei Gesindel anzuwerben, da« bereit ist, jegliche Aktion auSzusühren. Aber darauf beschränkt sich nicht ihre Tätigkeit. Das Gründel wird verstärkt durch alle jene Elemenie der Brvölkerung, die sich in einem größeren oder geringeren AbhängigkeitSverhaltnis von der Polizei befinden, insonderheit durch Kneipwirte, durch die Vorsteher von Spelunken, durch Vorsteher der Nachtalyle von dem Schlage, wir sie durch Gorki in seinem Drama der Welt bekannt geworden sind. Die Wirte, die Herbergsväter und Leute ihre« Schlage« werben wiederum unter ihrer Klientel für die Polizei, und die so zuiamiiiengetrommelien Sckaren sind es alsdann, die unter der Führung von AgenlS-Provokateurs über die Liberalen, über Vie Semslwemänner, über die Sinventen, über die Juden, über die Armenier unv Katholiken auf rin gegebene« Zeichen hersalleu. Das ist die Garde, mit der heute da« Zarentum und die Aristokratie verteidigt wird, da« sind die Elemente, die heute aus ein Signal von Peters burg her Mord, Brand unv Schändung über Rußland ver breiteten. Petersburger Nachrichten bestätigen, daß dieseSchläcktereien, die aus ein gegebenes Zeichen, in den verschiedensten Teilen des Reiches losbrachen, ein blutiges Symptom für das Ringen gewesen sind, das zwischen Trepow und den Reaktionären aus der einen und Witte aus der anderen Seile stattgefunden Hal und in dem, wenn sich die gestrige Nachricht von der endlichen Demission TrepowS bestätigt, Witte schließlich gesiegt hat. Erst jetzt wird es möglich sein, daß Witte freiere Bahn auf seinem Wege deS Fortschrittes erhalt. Es ist ein un geheure« Stück Arbeit, da« er schon jetzt geleistet hat. Zuerst hatte er den Kampf mit dem Zaren und der Hofkamarilla auSzufechten, um rem Kaiser klar zu machen, daß «ein selbst herrliche» Regiment sich Einschränkungen gefallen taffen müsse. Glaubt man, daß ihm die- bei einem Autokraten, der während seiner ganzen Regirrungszeit, ja schon als Jüngling, unter dem Einfluß eine« PodjedonoSzew gestanden hat, leicht geworden ist? Diese« Mannes, der sich gegen jeden Fort schritt der menschlichen Gesellschaft absolut ablehnend verhielt, jede Regung de« BolttgeisteS, jede« Streben nach Volksbildung und Aufklärung unterdrückte, dem der Parlamentarismus al- eine« der größten Uebel der neuen Zeit, geschaffen zur Betörung der Menschheit, erschien? Dann mußte er dem Zaren die erweiterten Bestimmungen zu dem Manifest vom 30. Oktober «bringen, um die bittere Enttäuschung der vom Wahlrecht ausgeschlossenen großen Masse zu paralysieren. Und dabei halte er sowohl mit dem Mißtrauen der Liberalen, zu Venen sich die gesamte russische Intelligenz zählt, wie gegen die notorische Abneigung de« Zaren gegen seine Person zu kämpjen. Das Volk brachte ihm kein Vertrauen entgegen, weil Witte« Vergangen heit nicht frei ist von reaktionären Neigungen unv weil ein Volk, daS Jahrhunderte lang geknechtet worden ist, nicht im Handumdrehen durch ein Blatt Papier Mit Zutrauen zu den Versprechungen der Herrschenden erfüllt werden konnte. Man denke, baß noch vor fünfviertel Jahren eia Plehwe regierte und vor einem halben Jahre die Petersburger Arbeiterschaft niedergeknallt wurde. Alle Berichte und Meldungen aus Rußland besagen übereinstimmend, daß Witte vei der Bildung seines Ministeriums mit den größten Schwierigkeiten zu tun gehabt hat und daß diese auch heute noch nicht behoben sind, weil alle Männer von liberaler Gesinnung, an die sich Witte wendete, das Zusammenarbeiten mit ihm ablehnten. Ganz verzweifelt rief Witte dieser Tage bei einer Unter- redung, die er mit Vertretern der Städte und der Semstwo hatte, aus: „Was die Regierung auch unternimmt, fo auf richtig sie auch der öffentlichen Meinung entgegenkommt, man glaubt ihr nicht. Wenn unter den gegenwärtigen Umständen Christus an der Spitze der Regierung stehen würde, man würde ihm auch nicht glauben." DaS ist tatsächlich „der Fluch der bösen Tat", der jetzt auf Witte lastet. Und welche Minen mögen diesem Manne von der Groß fürsten- und Hospartei gelegt, welche Intrigen mögen gegen ibn gesponnen werden! Wesseir diese Kreise fähig sind, hat ja die Anzettelung der Massenmorde ,n fast einem halben hundert russischer Städte gezeigt. Indeß Witte ist ein Mann von unbeugsamer Energie und eiserner Zähigkeit. Wie e« ihm als Finanzminister gelungen ist, Ordnung in sein Ressort zu bringen, mit dein Erfolg, daß er in den zehn Jahren seiner Wirksamkeit die Staatseinnahmen von zwei tausend Millionen Mark aus beinahe das Doppelte hob; wie er im Frieden von Portsmouth seinem Vater lande Ehr«, Ansehen und Geld rettete, so darf man von ihm erwarten, daß er alle Kämpfe, Schwierig keiten und Rancünen siegreich überwinde» und der Retter Rußland« fein wird. Behält Witte da« Vertrauen de« Zaren, und zurzeit ist da« offenbar der Fall, bleiben ihm rie Zügel der Reaierung sest in der Hand, dann wird er auch die Männer finden, die er zu seiner schweren Arbeit braucht, um de» Augiasstall zu reinigen und Rußland zu regrneriren, und er wird, glauben wir, die Unkenrufe zu Schanden machen, di« nicht müde werden, den völligen Zusammenbruch de« Zarentum« und den Sieg der Revolution mit der Errichtung der Republik zu prophezeien. So lange sich di« neue Regierung auf die Armee ver lassen kann, erscheinen die Anstrengungen der Revolutions parteien in Rußland aittsichlsloS. Sie lönnen wohl den Aufstand in Szene setzen und unsagbares Unglück über Ruß- I land berausbeschwören, aber «inen säuernden Sieg vermögen I sie nicht zu erringen. iftcbttamvSIte unä Umlrricbtes. Ueber die wirtschaftliche Abhängigkeit der Rechts anwälte von den Amtsrichtern wiro uns geschrieben: Mit der fortschreitenden Ucbersüllung de« AnwaliSstandeS macht sick auch eine Erscheinnna immer bemerkbarer, aus weiche man früher kaum Gewicht gelegt hatte: daS starke Hervort>eten der Tatsache, daß die Rechtsanwälte in ihrer wirtschaftlichen Existenz zu «mein sehr großen Teile von den AmtSlichiern abhängig geworden sind. DaS ist wohl erklär lich. Hal schon vordem in den Zeiten, wo der Anwalt durch schnittlich ausreichend seine Beschäftigung und sein Einkommen in der Ausübung der reinen Prozeßpraxis finden konnte, die richterlich« Zuweud"ng noch anderer BeiätigungSlreise an den Anwalt als eine sehr wertvolle Erweiterung feiner Tätigkeit unv seines Einkommens angesehen werden müssen, so sind neuerdings die Rechtsanwälte aus solche Zuwendungen seitens der Richter geradezu angewiesen (bis auf wenige Aus nahmen vielleicht, die an größeren Lanvgerichtssitzen bereits durch eine umsängstcke Prozeßpraxi« wirtschaftlich unabhängig gestellt sind). Es sind dem-MrkungStreise der Rechtsanwaltschaft neuer lich ja geradezu systenlausch immer engere Schranken gezogen worden. So durch ihren AuSichluß von der Vertretung vor den Gewerbe- und Kausmannsg-richten. E« droht sogar neuerdings ihnen der Ausschluß von der Stellung als Ver- gleichsvermittler in dein in Vorbereitung befindlichen Gesetze über die Regelung des gerichilichen ZwangSocrgleicheS außer halb des Konkurses. Die Folge ist. daß man wirtlich ernst lich um die Ei Haltung eines nur einigermaßen pelumär den äußeren gelehrt.» Berufen gleichgestellten AnwaltSstandes besorgt sein möchte. Sein Ansehen hat zudem überdies — sicher wenigstens in den kleinen Amtsgerichlsbezirlcn — durch die Zulassung von Prozeßagenten zum mündlichen Verhandeln vor einem oder zugleich mehreren Amtsgerichte» ungemein gelitten. Dabei ist auch eine bedenkliche wirtschaftliche Schwächung naturgemäß infolge der Konkurrenz solcher Laien- Vertreler einschließlich der verschiedenen öffentlich bestellten Urlunvspersonen, Orisrichter, Lokalrichter, Auktionatoren usw. cingetceten. Es kann also dem jungen Juristen schon aus solchen Gründen nicht eindringlich genug nahe gelegt werden, die Aussichten deS Anwaltsberufe- von vielem Gesichtspunkte erst Mündlich zu prüfen, ehe er sich diesem Berufe zuwendet. Dazu kommt aber noch die eingangs erwähnte ungemeine Abhängigkeit der Anwälte von den Amtsrichtern, wie sie sich in neuerer Zeit herausgebildet hat. Der Recht-anwalt kann vom Amtsrichter auSgeschlofsen werden 1. von der Bestellung zum Konkursverwalter (H 78 K.-O.), 2. - - - - ZwanzSverwalrer(tzlkOrB.-G.), S. - - - - Nachlatzpfleger jtzz 1980 uuv 19S1 B. G.-B.), Nachlatzverwalter (88 1S81 und 2063 B. G.-B.), Testamentsvollstrecker (tz 2200 B. G.-B.), Vormund ,8 177» B. G.-B.) unv Gegenvormund (tz 1792 B. G.-B.), Familienratsmitglied (8 1862 B. G.-B.), 8. von 6 Arien von Pflegschaften (88 1909 bi« 1914 B.-G.-B.) und außervem durch die Straskammern von der Bestellung als Offizialverteidiger, durch jedes Zioilgericht von der Be stellung als besonderer Partei-Vertreter (8 57 C.-P.-O.) und als Armenanwalt (8 115 C.-P -O.) usw., jo daß man wohl sagen darf, daß die Freiheit und Unabhängigkeit der Anwalt schaft ernstlich bedroht erscheint, da natürlich man es keinem Rechtsanwälte verdenken kann, wenn er die Schlußfolgerungen aus diesen Tatsachen zieht und seine absolute Freiheit des Auftretens Konnivenzen opfert, die für ihn da« tägliche Brot bedeuten. Daß solche Zustände ungesund sind, steht außer Frage und e« könnte dem einzig und allein Abhilfe geschaffen werden entweder durch eine Einschränkung der richterlichen Macht vollkommenheit, woran aber bei dem herrschenden System kaum zu denken ist, oder aber durch Schaffung von weiter gehenden Garantien der absoluten richterlichen Unabhängig keit. Erst wenn in dieser Hinsicht einmal die Gesetzgebung noch eine Vervollkommnung erfahren haben wird, lann man mit einigem Rechte davon sprechen, daß wir idealeren Ver hältnissen entgegen gehen. MNe« Kampf. Der wilde FieberparoxismuS, dessen Vorboten die Meuterei des „Potemkin" und der Aufruhr m Odessa waren und der dann mit dem Eisenbahnerstreit, den Revolutionen im Kaukasus, in Polen, in A""1and und den entsetzlichen Schlächtereien in zahlreichen Städten den erkrankten russischen StaatSkörper erschütterte, scheint endlich seinen Höhepunkt überschritten zu haben. Hie und da zuckt eS noch in einzelnen Gliedern, aber im Ganzen ist doch in Rußland eine Be ruhigung deS Volkes eingetreten, die bereits in dem Augen blick erkennbar wurde, al« der Amnestieerlaß des Kaisers und die Erweiterung des Wahlrechts bekannt wurde. Es war ein großer Fehler de« Zaren, daß er diese beiden Maß nahmen nicht zugleich mit dem Erlaß de« Manifestes bekannt gab oder sie ihm nicht unmittelbar folgen ließ. Jetzt weisen die Radikalen und Sozialisten, welche diese Forderungen er hoben halten, mit Genugtuung daraus hm, daß sie die Zu- geständuiffe dem Zaren abgerungen batten und dadurch wird ihre revolutionäre Kraft ebenso gestärkt, wie die Autorität der Regierung geschwächt. Daß Graf Witte die treibende Kraft hierbei gewesen, der längst sowohl die Amnestie wie daS allgemeine Wahlrecht al» unumgänglich nötig für die Reformardeit bezeichnet hatte, wird hierbei geflissentlich tot geschwiegen oder übersehen. Iu dem kaiserlichen Manifest war die Ausdehnung de« Wahlrecht« bereit« arrgekündigt worden. Die Zusicherung der Amnestie fehlt«, vermutlich au« dem einfachen Grunde, weil der Zar sich noch nicht darüber hatte schlüssig machen können, wie weit er in der Amncstiesrage gehen wollte. Der Erfolg de« Manifeste« entsprach nicht den gehegten Erwartungen, obgleich eS die Menschenrechte: Unantastbarkeit der Person, Gewissen«-, Rede-, VersammlungS-, Preß- unv Koalition», freiheit versprach und die Duma als gesetzgebende Körper schaft anerkannte. Hier machten sich drei Faktoren geltend, die eine schnelle Beruhigung der wild erregten Volksmassen verhinderten und die wohl noch längere Zeit in derselben Richtung fortwirkrn werden. Vor Allem die revolutionäre Unterströmung, die nicht eine Reform Rußland« auf der jetzigen Grund lage, sondern die russische Republik will. Zweitens da« allgemeine Mißtrauen in die ehrlichen Absichten des Zaren. Die unerhörten Mißbräuche in allen Regierung«- und Verwaltungsorganen und die Willkür herrschaft, die unter seiner Regierung wahre Orgien gefeiert; seine eigene ablehnende Haltung gegenüber den politischen Wünschen, die früher selten« der Semstwo« und anderer Korporationen an ihn ««stellt worden waren und die er als „Träumereien" und „Anmaßungen" schroff zurückgewiesen halte und die in der Niedcrmetzelung der Arbeitermassen, die sich ihm unter Führung des Priesters Gapon bittend nahen wollten, ihren Gipfelpunkt gefunden zu haben schien, das alle« ließ kein rechtes Zutrauen in die Aufrichtigkeit seiner Versprechungen aufkoinmen, um so weniger, als die Männer, die alle Aemier inne hatten und schuld an dem ganzen Jammer Rußlands waren, unbehelligt weiter funktionierten. Unv diese Männer bildeten den dritten Faktor, der sich gegen dir Beruhigung de« Volke« stemmte. Ging es ihnen doch mit der Verwirt- lichung der Reformen an Kops und Kragen! Gelang eS Witte, das Volk zu beruhigen und dem Zaren hierdurch den Beweis zu liefern, daß der neue Weg, den er aus Anraten Witte« beschritten hatte, der richtige sei, so war da« Geschick der gesamten verrotteten Bureaukratic besiegelt. Die privi legierte Unfähigkeit, die Wiljkür, die Ausbeutung, Sas Trink- gelvsystem, die Sinecuren- und Vetternwirtschaft, die Be- stehlung der Staatseinnahmen, die Polizeiallmacht, mit eiuem Wort die ganze Spitzbubensippe, die sich seit undenklichen Zeiten m Rußland an unrecht mäßigem Gute gemästet, war in ihren Grundfesten bedroht und mußte Zusammenstürzen. Das aber mufite, wenn mög lich, noch in letzter Stunde verhindert, die Reformen kinter- trieben werden. Noch befand sich ja die ganze Regierungs maschinerie mit wenigen Ausnahmen in den Händen der Bureaukratic und der Polizei und darum frisch ans Werk! Die Fäden, die sich auS diesen Kreisen über da« ganze Land spannte», wurden in Bewegung gesetzt, um di« Anarchie herauszubcichivören. AuS allen Teilen Rußlands berichtete plötzlich der Telr- grapb über blutige Zusammenstöße, über Gewalttätigkeiten de« Mob« gegen die Intelligenz, gegen die Liberalen, gegen alle Personen, di« freierer Anschauungen verdächtig sind und argen die Juden, und der Telegraph fügte hinzu, daß diese mutigen Zusammenstöße unter passiver Assistenz von Polizei und Militär stattsanven, oder daß die Polizei und da« Mi litär aus die eigenen Landsleute, d>e sich gegen den Pöbel verteidigte», schossen. Daß diesen Metzeleien taufende von Mansche« und Millionen von Werten zum Opfer fielen, Anzeigen'PreiS btt 4 gespaltene Petttzeüe 2V Pf. Familie», Wohnung»- and Ltellrn- An,eigen 20 Pf. Finanziell« Anzeigen, Veschästtanzeigen unter Text oder an besonderer Stell« nach Tons. Für da« Erscheinen an bestimmten lagen u. Plätzen wird keine Varanti« übernommen. Anzeigen-Annahme: A«gustu»platz 8, Eck» Iohannttgass«. Li«Expedition ist Wochentag« ununlercrochen geäfsoet von früh 8 btt abend« 7 Uhr. Filial-Gxpedttton: kverltn, vüzowsir. W - . Dresden, Martenstr S4. Druck and Verlag von E. Potz m tleipzia (Inh. vr. >k^ R. » W. trltnkhardt). Herausgeber; He. Viktor Kltnkbardt. MjMtr TllgMillt Handelszeitnng. Amtsblatt des Königl. Land- und des Königl. Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Votizeiamtes der Ltadt Leipzig.
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