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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.10.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051023018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905102301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905102301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-10
- Tag 1905-10-23
-
Monat
1905-10
-
Jahr
1905
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Anzetgen-Annahme: Augustusplatz 8, Ecke Johanui-gass«. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von irüh 8 bi» abend» 7 Uhr. FilialExpedition: Berlin, Lützowstr. 10 . . DreSdeu, Marieustr. 34. Druck und Verlag von <8. Polz tu Leipzig (Inh. Dr. R. L W. Ultnlhardt). Herausgeber: vr. Viktor Kltnkhardt. Nr. 510. Montag 23. Oktober 1908. 88. Jahrgang. Var Wchtigrte vom Lage. * Freiherr Speck von Sternburg wird nach Ame ¬ rika die deutschen Vorschläge für die Neugestaltung der Handelsbeziehungen überbringen. (S. Deutsches Reich.) * Im ganzen britischen Reich wurde am Sonnabend die hundertjährige Gedenkfeier der Schlacht bei Trafalgar begangen. (Siebe Ausland.) * Es verlautet mit wachsender Bestimmtheit, daß Minister von Gautsch amtsmüde sei. (S. Ausland.) * Den Großen Preis von Berlin auf der Radrenn bahn zu Steglitz gewann gestern Robl überlegen. — Im Wiener Austriapreis von 100 000 Kronen wurde Capt. G.'s J.-H. „Mac H." erster. (S. Sport.) ?olitirche Llocdenrcbsu. Der Wechsel im preußischen Handels ministerium ist in der letzten Woche vollzogen wor den. Herr Möller, oder vielmehr Herr von Möller, wie man jetzt sagen muß, ist in allen Ehren entlassen worden. Und doch wird man ein bitteres Gefühl des Unbehagens nicht los, wenn man des „langen Möllers" Gluck und Ende sieht. Er hat vielleicht, als ihn des Kaisers Ver trauen über alle bureaukratnchen Stacheldrähte binweg aus dem Fabrikkontor in das Ministerzimmer benef. von großen Aufgaben geträumt, die er lösen könnte, und von großen Diensten, die er dem Kandel und Ge- werbe leisten könnte. Aber an seinem Schicksal zeigt sich wieder, daß ein Minister ohnmächtig ist. der keine par lamentarische Mehrheit hinter sich har. Der gute Wille war bei Möller gewiß vorhanden, und wer heute etwas von obenher urteilen zu können glaubt, daß die Kräfte fehlten, der vergißt eben die ungeheuren Schwierig keiten, mit denen er zu kämpfen hatte. Das preußische Abgeordnetenhaus mit seiner reaktionären Mehrheit empfand es als störend, daß ein liberaler Kaufmann be- rufen sein sollte. Preußens Geschicke mit zu lenken, und diese Mißstimmung, die von Anfang an bestand, wurde allmählich zur unverhüllten Abneigung. Aber auch im preußischen Ministerium wurde Möller immer als ein Fremdkörper angesehen; er patzte nicht in die Schablone. Es ist deshalb schwer zu sagen, was Möller in emem glücklicheren Milieu hätte leisten können. Muß ihm doch ohnehin der Handel für so manche aus vollster Sach- kenntnis heraus gewährte Förderung dankbar sein: inuß er ihm doch vielleicht noch mehr dafür danken, daß er so manchen Angriff und Eingriff auf dem Gebiet des Verkehrs glücklich abgelvehrt hat. Auch das ist schon etwas, wenn man bedenkt, daß man Möllers Vorgänger den spöttischen Titel eines Ministers gegen den Kan del gegeben hatte. In keinem Falle verdiente Möller die schnöde Behandlung, die ihm von seinen ehemaligen Freunden im westlichen Industriegebiete zu Teil wurde. Er. der nach seiner ganzen Entwicklung mit den Berg herren und Industriebaroncn sympathisierte, mutzte ge rade mit ihnen die härtesten Kämpfe durchfcchten, Kämpfe, bei denen auch die vergifteten Waffen nicht fehlten. Es hat Herrn Möller gewiß Ueberwindung ge kostet, im Gegensatz zu seiner persönlichen Ueberzeugung, aber durch den Zwang der Verhältnisse getrieben, den staatlichen Einfluß auf die Kohlenförderung zu ver stärken. 3lber es war unklug, daß ihn die Bergherren wie einen Verräter behandelten. Das hat er nicht um ste verdient. Sie haben damit auch nur reaktionären Tendenzen in die Hände gearbeitet. Möllers Nach folger Delbrück kommt aus ganz anderen Verhält nissen. Er wird sich vor allem erst die nötige Kenntnis des komplizierten Getriebes erwerben müssen: bis dahin regieren die Sckxrblone und der Geheimrat. Auch sonst scheint sich innerhalb des preußischen Ministeriums eine Blutauffrischung vollziehen zu sollen. Dor Minister des Innern Freiherr v. Bethmann- Kollweg ist schon im Frühjahr an die Stelle des vor- storbenen Freiherrn v. Kammerstein getreten. .Herr Schönstedt, der Iustizminister, will gleichfalls den Ministerstaub von feinen Pantoffeln schütteln und sein Leben als Privatmann beschließen, und auch von Herrn v. Budde heißt es mit immer größerer Bestimmtheit, daß er amtsmüde sei. Weniger wahrscheinlich will uns die Allarmnachricht dünken, daß auch.Herr Studt sich mit RücttrittSgedanken trägt: er dürfte erst einmal beim Schulunterhaltungsgesetz, das freilich nicht fertig werden will, zu beweisen haben, was er kann. Auch Lorr v. Podhielski sitzt wohl nach wie vor fest im Sattel, wenn er auch gelegentlich über sich selbst blutige Witze verbricht. Ter „Minister für die Fleischnot" paßt nun einmal zu gut in das heutige System, als daß man ihn schon entbehren könnte; doch schließt das natürlich nicht aus, daß ec eines Tages sein Automobil in Bewegung setzt, um die geheizte Stube in Dallmin aufzusuchen. Denn was beharrt, ist bei uns nur der Wechsel. Der Friede von Portsmouth hat durch die Unterschriften des Zaren und des Mikado seine Sanktion erhalten. Beide Monarchen haben im Anschluß daran Friedensmanifeste an ihre Völker erlassen. Der Mikado ist wortreicher als der Zar, und er darf es sein, »veil er mit Recht auf einen „ruhmvollen Erfolg" der japani schen Armee und Marine Hinweisen kann: er warnt zu- gleich mit gutem Grunde seine Untertanen vor Kund gebungen prahlerischen Stolzes. Der Zar kann nur von den schweren Prüfungen und Schicksalsschlaacn eines blutigen Krieaes sprechen. Beide aber weisen auf die friedlichen Aufgaben bin, die ihrer Völker jetzt harren. Und beide Mächte haben auch genug zu tun, um erst einmal zu Sause wieder Ordnung zu schaffen. Be sonders in R n ßland vollzieht sich der Uebergang in die neue Staatsform unter den größten Schwierigkeiten und Hindernissen. Immer neu lodert der Aufstand empor; von Moskau aus ist fetzt der Funke des Streiks wieder nach Petersburg übergesprungen, und wenn auch der Versuch eines Generalstreiks als gescheitert ange sehen werden kann, so müssen dock die ewigen Unruhen ebenso die Autorität der Regierung untergraben, wie sie den Wohlstand des Landes zerrütten. Ob sich die Hoffnung des Zaren auf die Reichsduma, die im kommenden Januar zusammentreten soll, wirklich er füllen wird, steht noch nicht fest. Es wird davon ab hängen, ob es gelingt, an die Spitze des Ministeriums einen Mann zu setzen, der Energie mit Weisheit ver bindet. Graf Witte scheint einige Aussichten zu haben, der künftige Reichskanzler Rußlands zu werden; und schwerlich könnte Nikolaus II. eine bessere Persönlichkeit finden. Aber sicher ist es noch keineswegs, daß Witte diesen leitenden Posten erhält: vielleicht setzt man gerade, weil er den Glanz des Selbstherrschertums schmälern könnte, eine bei Hofe beliebte Null an die Spitze des Ministeriums. Und dann dürfte die im Zeichen des be- schränkten Konstitutionalismus stehende Zukunft nur noch eine Komplizierung der russischen Schmerzen bringen. Auch in Skandinavien ist nun das Siegel unter die Auflösung der Union gedrückt worden. Oskar II. hat die außerordentliche Session des schwedi- schen Reichstages mit einer aus Trauer und Resignation gemischten Thronrede geschlossen, aber auch mit der Hoff nung auf einen dauerhaften Frieden zwischen den beiden skandinavischen Völkern. In Norwegen sucht man unter dessen für den abgcsetzten König Ersatz zu schaffen. Wenn die republikanische Partei bisher viel Lärm machte, so zeigt sich ietzt, daß man doch ohne einen neuen Kerrscher nicht auskommen zu können glaubt. Zweifel- los wird die Wahl, da das Gaus Bernadotte abgelehnt Kat, auf den Prinzen Karl von Dänemark fallen. König Eduard VII. soll selbst seiner Tochter Maud, die mit dem Prinzen Karl vermählt ist, recht nakeaeleat Haban, sich gegen die norwegische Krone nicht zu sträuben. In Ungarn ist Baron Fejervarv vom Kaiser Franz Io^ef aufs neue mit der Bildung eines Ministeriums bixuiftragt worden und da? Kabinett ist bereits fertig. Man muß auch zuaeben, daß Feiernary diesmal unter glücklicheren Auspizien an feine Ausgabe kcrantritt. Die koalierte Opposition ist mürbe ge worden und möchte gar zu gern ihren Frieden mit Wien macken. Außerdem scheint Feiervarv sein M'-oiekt einer Wahlreform io weit nbaeändert zu haben, daß er wieder auf den Beistand des Grafen Tisza und der liboralen Partei rechnen kann. Damit bat er eine feste Basis ge- Wonnen, von der aus er auf Neuwahlen mit der auten Hoffnung auf eine Regierungsmehrheit hinarbüten kann. Und eino Regierungsmehrheit tut Ungarn bitter not. wenn die Zustände im Innern wie seine auswär tigen Beziehungen nicht völlig zerrüttet werden sollen. Deutscher Deich. Leipzig, 23. Oktober. * Tie Kaiserin nahm heute vormittag in Potsdam die Gratulationen des engeren Hofes zu ihrem Ge burtstage entgegen. Später unternahmen beide Majestäten einen Spaziergang. Um 1 Uhr fand bei Ihren Majestäten Familientafel statt, an der die hohen Gäste teilnahmen: für die Umgebungen und Gefolge war Marschalltafel. Nachmittags machten der Kaiser mit dem Prinzen Heinrich einen längeren Spaziergang und arbeitete hierauf allein. Abends um 7 Uhr fand im Theatersaal des Neuen Palais eine Theatervor stellung statt, an welche sich ein Souper in der Jaspis galerie anschlotzi Zu dem Fest waren zahlreiche Ein- ladungen ergangen; eS nahmen teil an demselben der Kronprinz und die Kronprinzessin, die Prinzen Eitel- Friedrich, Adalbert, August Wilhelm, Oskar und Joachim, die Prinzessin Viktoria Luise, Prinz und Prin- zessin Heinrich, Grohherzog und Großherzogin von Oldenburg. Herzogin Sovhie Charlotte von Oldenburg, Prinzessin Friedrich Leopold und die in Potsdam und Berlin weilenden Prinzen des Königlichen Hauses. * Der Lalldesverein der deutschen Reformpartei im Königreich Sachsen beabsichtigt seine ordentliche Haupt versammlung (Sächs. Parteitag), Sonntag, den 12. No- vember, in Chemnitz abzuhalten. Ursprünglich sollte dieselbe 8 Tage früher anberaumt werden. Mit Rücksicht auf den Chemnitzer Jahrmarkt hat sich aber die Verlegung nötig gemacht. Der Vorstand des Landes- Vereins hält morgen, Dienstag, eine Sitzung ab, die sich mit der Vorbereitung des Parteitages beschäftigen wird. - Die deutsch.amerikanischen Handelsbeziehungen. Nach den „Münch. Neuest. Nachr." tritt in den nächsten Tagen der deutsche Botschafter in Washington Freiherr Speck von Sternburg nach beendetem Urlaub die Rück reise auf seinen Posten an. Er überbringt, wie das Münchener Blatt wissen will, zugleich die deutschen Vor schläge für die Neugestaltung der Handelsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten auf der Grundlage eines Tarifvertrages unter Gewährung gegenseitiger Rezi. prozität. Ebenso soll der Botschafter die Kündigung des fetzigen Meistbegünstigungs-Vertrages überreichen, die mit Rücksicht auf das Inkrafttreten der neuen Handels verträge und des neuen Zolltarifs am 1. März 1906 spätestens am 30. November d. I. erfolgen muß. * Neues über -en Rücktritt Müllers unv die Rolle, die hierbei Herr von Luea au» spielte, glaubt eine Berliner Lokal korrespondenz mitteilen n, können. Wir registrieren ihre Darstellung ohne un» für sie zu engagieren. Sie fchernt aus Kreise anzvspielev, die der Hiberma nahe stehen, wenn sie schreibt: „Sobald Siaatsminister von Möller merkte, mit welchem Er- folge gegen ihn in Hamm konspiriert wurde, Uetz er Herrn von Lucanus wissen, daß er ihn zu sprechen wünschte, um iu seiner Sache völlig klar zu sehen. Daraus teilte Herr von Lucanus dem tzandelsminister mit, daß er ihm den Weg nach Potsdam Ipareu wolle und da er ohnedies in den nächsten Tagen nach Berlin komme, daielbst gern dem Herrn Handrlsmtnister zur Vertilgung stehe. Tatsächlich kam Herr von Lucanus sehr bald nach Vielem Briefwechsel in Berlin an un- telephonierte nun an dem Kutschen Tage, wie wir damals meldeten, um 1 Uhr nachmittags m das Handelsministerium, er erwarte deu Besuch des Herrn Möller, der sich auch alsbald zu ihm begab. Nachdem der Handels minister durch Herrn v. Lucanus bet dieser Unterredung die ver langte Aufklärung erhallen hatte, reichte er unverweM beim Kaiier iein Eutlassungsaesuch ein. Sonach ist cs Herr v. Möller, der, sobald er die Tragweite der zu Hamm gesponnenen Jntnguen erkannte, ohne jede weitere Anregung von oben dem Kaiser >rin Portefeuille zur Verfügung stellte. Er will sortab nur Privat mann sein." * Ein Grenzskandal. Es ist leider nichts Seltenes, daß an der deutsch-russischen Grenze durch russische Ucbergnffe in die Rechte deutscher Staatsangehöriger eingegriffen wird. Und leider muß man sagen, daß unsere Regierung nicht immer mit der nötigen Schärfe solche Uebergriife zurllckweist, Werl sie allzusehr auf ein ungetrübtes diplomatisches Verhältnis zu Rußland Ge wicht legt. Jetzt aber liegt ein besonders krasser Grenz skandal vor. Nach dem „Oberschles. Tgbl." sind zwei junge Leute, ein Bergpraktikant und ein Schlosser, vorn preußischen Boden weg verhaktet, einen Tag und zwei Nächte mit Verbrechern zusammen gefangen gehalten und von diesen wie von den Beamten fast bis aufs Hemd ausgeplündert worden. Iest wäre es in der Tat an der Zeit, daß unsere Regierung diesen Uebergriffen der russischen Grenzpolizei durch energische Vorstellungen in Petersburg ein Ende bereitete. Badische Stichwahlparolen. Bisher steht fest, daß das Zentrum seinen Wählern empfiehlt, in keinem Fall einen Kandidaten der liberalen Blockparteien zu unterstützen und Wahlenthaltung zu üben, bei einer Entscheidungswahl zwischen dem Block und der Sozial demokratie. Die Konservativen werden vom Zentrum unterstützt, während sie selbst keiner Partei helfen wollen. Die Sozialdemokratie hat auch keine Parole an Iaeg»hen, so daß es noch unentschieden ist. ob sie, wie in Sachsen durch Neutralität den Konservativen gegen die Liberalen, in Baden dem Zentrum gegen die Libera len helfen wird oder den Block gegen die klerikale Reak tion unterstützt. Auch die Blockparteien haben noch kenne Stichwahlparole formuliert. * Die Nachwirkung von Jena tritt jetzt in der Re- daktion des „Vorwärts" klar zu Tage. Die neueste Nummer des sozialdemokratischen Zentralorgans bringt folgende höchst interessante Mitteilung: „Die Unter zeichneten haben durch Schreiben vom 21. Oktober 1905, in Beantwortung eines Entscheides des Parteivor- siandes, ihre Kündigung eingereicht. Sie scheiden dem- nach am 1. April 1906 aus der Redaktion des „Vor wärts" aus." Und nun folgen die Namen von 6 Vor- Wärts-Redakteuren: „Büttner, Eisner, Gradnauer, Kaliski, Schröder, Wetzker." — Das läßt tief blicken! * Kleine politische Nachrichten. Nach amtlichen Mitteilungen dürfte der Abschluß des Handelsvertrages zwischen Drutfch- land und China schon iu nächster Zeit erfolg«. Bisher hat China mit England, Japan und Portugal Handelsverträge abgeichloffen, und nach Beendigung der Verhandlungen mit Deutschland werden jolche auch mit anderen Staaten eingeleitet werden. — Die Lübecker Bürgerschaitswahlen find« vom 14. bis 17. November Natt. Es sind 40 Abgeordnete zu wähl«. — Zum Regierungspräsidenten in Marienwerder als Nachfolger des Herrn von Jagow soll nach einem von der „Danziger Ztg." wiedergegebenen Gerücht OberbirgerrneisterDr. KersteninTborn auscrfehen sein. Wie erinnerlich, ist Dr. Kersten als Landrat von Schlo- Wau im Jahre I88S wegen seiner Abstimmung bet der Ikanalvorlage ebenso zur Disposition gestellt worden, wie der damalige Re gierungspräsident von Jagow. Also fällt abermals einer die Treppe hinausl Die „Köln. Ztg." glaubt annehmen zu dürfen, die Regierung werd« dem Reichstag alsbald nach seinem Zusammentritt eine Denkschrift über die Fteischnot unterbreiten. — Der anti semitische Reichstagsabgeordnete Krösell der wegen sittlicher Ver fehlungen, die ihm seinerzeit iu einem Prozeß nachgewiefen worben waren, sein Pfarramt hatte niederlegen müssen, wurde dieser Tage mit SO Mark Geldstrafe bedacht, weil er unberechtigter Weise sich Pfarrer a. D. genannt hatte. iNusianck. Oesterreich-Ungarn. * Ministerpräsident v. Gautsch amtsmüdc. Aus Wien wird uns geschrieben: In den hiesigen hohen Beamten kreisen wird trotz aller Dementis erklärt, daß die Nach richten von dem Rücktritte des Ministerpräsidenten Freiherrn v. Gautsch nicht ohne Begründung seien und der Rück tritt in nicht ferner Zert erfolgen dürfte. Der Ministerpräsident sei infolge seines Leidens den Mühen und Aufregungen seines Amtes physisch nicht gewachsen und soll auch bereits dem Kaiser hiervon Mitteilung gemacht hoben. Man glaubt auch, daß Freiherr v. Gautsch den zu gewärtigenden mannigfachen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen beabsichtige, um sich nicht der Gefahr von Miß erfolgen auszusetzen. Es wird hierbei daran erinnert, daß der Ministerpräsident die gleiche Taktik beobachtete, als er -um Nachfolger des Grafen Badcni berufen wurde und ein- iehen mußte, daß er den auf ihn einstürmenden Schwierig keiten nicht gewachsen sei. Es wird auch bestätigt, daß der Minister des Innern Graf Bylandt-Rheidt an die Spitze deS Kabinetts zu treten berufen sein würde Man will wissen, daß auch die Stellung des Finanzministers Dr. Kose! erschüttert sei. * Unerkirt! Der fanatische Haß der Tschechen gegen alles Deutsche wird wieder einmal durch fol- «ende Mitteilung illustriert, die der „Bert. Lok-Anz." aus Prag erhält. Danach wurde die Opernsängerin Margarete SiemS aus BreSlau, die an der Prager deutschen Landesdühn« gastiert, in ernem Wagen der städtischen elektrischen Straßenbahn von den Insassen und dem Kondukteur insultiert, weil sie mit letz terem Deutsch sprach. Der Wagen wurde angehallen und die Dame hinausgewiesen. Man weiß wirk- lich nicht, was bei diesen Menschen eigentlich größer ist: die Roheit, die Frechheit oder die Dummheit. Frankreich. * Jaures über die Revanchepolitik. Der Artikel Jauröc' in der „Humaints", den wir schon kurz erwähnten, liegt jetzt im Wortlaut vor. Wir entnehmen ihm noch das Folgende: Jaurös sagt, daß der französrsche Ministerpräsident „d c r Reoancheidee einen furchtbaren Streich versetzt hat, ohne daß er es wagen würde, sich dies selbst zu gestehen. Frankreich wird wohl nie eine bessere Ge legenheit für einen Reoanchekrieg finden als die, die Herr Delcassä von langer Hand vorbereitet hatte. Frankreich-i Wehrkraft hatte ihren Höhepunkt erreicht, seine Artillerie sogar die der anderen europäischen Armeen weit übertroffen, England seine Flotte in den Dienst Frankreichs gestellt und Italien, seiner traditionellen Politik entsprechend, sich enl- schieden England angeschlossen. Wann wird Frankreich, wenn es durch den Krieg den Frankfurter Vertrag zerreißen will, eine Gesamtheit so günstiger Umstände finden. Die Politik Delcassvs war verhängnisvoll, sie ver stieß gegen das innerste Interesse der republikanischen De- mokralie, von dem das Interesse Frankreichs unzertrenn lich ist. Diese Politik aber ist vom Gesichtspunkt der Re- vanche aus das Meisterwerk der französischen Diplomatie seit 35 Jahren. Rouvier hat es zum größten Wohle Frankreichs, der Republik und Europas über den Haufen geworfen. Welche Regierung könnt« jetzt mit einiger Autorität die Revanchepolitik wieder aufnehmen?" Den Optimismus, der in dieser Frage liegt, teilt man in Deutsch- land natürlich nicht. Mit Delcasss sind durchaus nicht die Kräfte verschwunden, die ihn zu seiner Politik trieben, sie sind nur zurückgedrängt und können bei einer günstigen Ge- logenheit wieder hervorbrechen und besseren Enolg als letzt hin haben. Die Reoancheidee ist noch immer lebendig. Es wurde ja auch in der berühmten Ministerratssitzung, in der Delcassß zu Falle kam, erklärt: „Wir sind noch nicht fertig!" Es wäre eine unheilvolle Indolen-, eine frevelhmte Leicht- fertigtest, wenn das Deutsche Reich den schauerlichen Ab grund des Krieges, in den gewissenlose Staatsmänner des Auslandes es stoßen wollten, so schnell vergessen und sich nun schlafen legen wollte. Italien. * Der Gesundheitszustand des Papstes. Nach Mit- teilungen des Doktor Lapponi hat sich der Papst eine leichte Erkältung -ugezogcn, sei jedoch nicht genötwt, das Bett zu hüten. Seit Januar habe der Papst keinen Anfall von Gichi gehabt. Der Papst sährt in der Erteilung von Privat audienzen fort, Hot jedoch die öffentlichen Audienzen ein gestellt. England. * Ein englischer Offizier über die englische Armee. Den Ausführungen eines erfahrenen höheren Offiziers, der von Zeit zu Zeil dem „Standard" wertvolle Beitrage liefert, die er als „ein afrikanischer Brigadier" zeichnet, sei folgende Stelle entnommen. Er erklärt: ,,So wie die Armee heute steht, hat sie weder Geschütze, noch Transportmittel, die für Aktionen ausreichend waren, und viele der Dienstzweige hinter der Front sind mangelhaft organisiert. Unsere Küsten verteidigung ist zum Teil veraltet, und di« Heimattruppen sind der Zahl wie der Ausrüstung nach ungenügend. Dazu schieße:: sie schlecht." * Sir Edward Greys Rede in der City findet, wie ein Bericht der ,,Voss. Ztg. aus London meldet, di« Billigung der konservatwen und auch der liberalen Presse, weil er die Kontinuität der auswärtigen Politik unter einer liberalen Negierung betonte. Zur Ergänzung des bereits gebrachten Auszuges lassen wir noch nachstehenden Bericht folgen: Grey macht die Presse, für die gespannten Beziehungen -wischen England und Deutschland verantwortlich. Die Beziehungen -wischen den Regierungen seien gan- korrekt. Wenn Deutschland ein besseres Einverständnis mit England wünscht, so sei England gern bereit, dazu die Hand zu bieten. Vorausgesetzt, daß die guten Beziehungen zu Frankreich dadurch nicht beeinträchtigt werden. Die Freund schaft des englischen Volkes sei ebenso zuverlässig und wert voll, wie die Freundschaft von Monarchen und autokratischen Regierungen. Grey nimmt schließlich den persönlichen Cha rakter Lord Lansdownes gegen Wiener Prcßangrisfe in Schutz. Bei den nächsten allgemeinen Wahlen werden nicht über die auswärtige Politik, sondern über die Fiskalpolitik die Würfel fallen. Rußland. * Russische Ministerberatung. In der Privauvohnung des Grafen Witte in Petersburg sand ein Ministerral statt, der speziell die Frage der Stellungnahme der Regierung zu den Volksmeetings erörterte. Das Resultat lautet: Die Meetings sind jetzt eine allge- meine Notwendigkeit. Die Einmischung der Polizei ist un- zweckmäßig, sie führt nur zu einer Verschärfung der Lage, was unerwünscht ist. Ebenso ist die Anwesenheit aduunistra- tivcr Personen bei den Meetings unerwünscht. Ferner wurde die Frage aufgeworfen, die Räume der Hochschulen von derartigen Volksmeetings zu befreien. Witte trat energisch für die Freiheit der Versammlungen ein, weshalb die allernächste Sitzung des Ministerkonseils diese Frage zum Austrag bringen wird, ebenso die der Anweisung von Räumlichkeiten für freie Versammlungen, beispielsweise in großen Manegen. Sollten dennoch Gewaltmaßregeln er griffen werden, um Meetings in den Hochschulen abzuhalten, so werden diese temporär geschlossen werden. * Ucber Pobjedonoszews Rücktritt hat der Zar -war noch immer keine Entscheidung getroffen, aber es güt als ziemlich sicher, daß Pübiäoonoszew feine Entlassung in Balde er- halten dürste. Die unmittelbare Ursache seines Dc- missionsgesuchs ist in dem von der Kommission Kobeko aus gearbeiteten Projekt zur Einführung von Preßfreiheit in Rußland und in der vom Zaren grundsätzlich bereits akzeptierten Bildung eines Ministerkabinetts zu sehen. PobicdonoSzew zieht es vor, zurückzutreten, bevor er durch die Macht der neuen Verhältnisse, dre nach der Bildung des Ministerkabinetts eintreten werden, dazu gezwungen wird. * Der Rücktritt des Großsürsten Wladimir wird auf per sönliche Differenzen mit dem Zaren wegen Maßregelung deS Großfürsten Kyrill zurückgesührt. Dieser hatte, wie be- könnt, die geschiedene Großherzogin von Hessen wider den Willen des Zaren geheiratet und wurde daher seiner mili- torischen Würde enthoben. Bei Bermittelungsverfuchen zu- gunsten seines Sohnes ist nun Großfürst Wladimir selbst in lebhafte Meinungsverschiedenheiten mit seinem Neffen, dem Zar«, geraten, die zu seinem Rücktrittsgesuch geführt haben. Ls heißt, daß AuSstch« zur Versöhnung zwischen dem Zaren und dem Großfürsten vorhanden ist. ES mögen da übrigen« noch politische Motive mitipielen. Großfürst Wladimir ist ebenso wie Pobjrdonoszew Vertreter der straft absolutistischen »Richtung am Zarenboie, ein Gegner Dittes und dessen mehr I konstitutioneller Anschauungen.
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