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Die vkorgen-Au-gabe erscheint mn '/,? Uh«, di« Abod-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Re-actio« und Lrpe-itioa: Jotzanne»»asse 8. Di« Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi» Abend» 7 Uhr, Filiale«: vtt» Die««'» E»rU«. (Alfred HahnX Universitütsstratze S (Paulinum), Laut» Asche, Datbariuenstr. 14, Part, »md «öniglplatz 7. Bez«g-Prei- Dt dD Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und deu Vororten errichteten Au«» aabestellen abgeholt: vierteljährlich ^14.50, »et zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich:' viertrljäbrlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung tu» Au»land: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. eipMer TaMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes «nd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfz. Reclamen unter dem Redaction-strich (4ue- fpalten) 50^, vor den Familiraiiachrichlr» (6 gespalten) 40 Grotzerr Schriften laut unserem Preis« verzeichnib. Tabellarischer und Zisferujatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen «Ausgabe, ohne Postbesörderunz 60.—, mrt Postbesürderung 70.—. Iinnahmeschluß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Ilhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag vou E. Dolp in Leipzig. Wl Freitag den 30. December 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. December. Wenn nach den Ferien der Reichstag seine Haupt- thätigkeit beginnt, wird die ausschlaggebende Partei, daö Centn»«, bald genug gezwungen sein, seinen vor den Ferien nur angedeuteten Preis für eine regierungsfreundliche Haltung nicht nur genau anzugeben, sondern auch mit aller Entschiedenheit einzufordern. Schon die Vorgänge in Bayern nöthigen dazu. In München bat, wie schon kurz gemeldet worden ist, dieser Tage eine Versammlung der bayerischen CentrumSführer stattgefunden, die von 300 Delegirten beschickt war und an der auch die bayerischen Centrumsabgeordneten theilnahmen. Nach den jetzt vorliegenden Berichten klerikaler Blätter beschloß diese Versammlung nicht nur, mit der »Neuen Bayerischen Landeszeitung" ein insbesondere gegen das Uebergewicht Preußens gerichtetes eigenes Organ zu be gründen, sondern auch „schärfsten Protest" zu erheben wegen der Münchener Einigung zwischen dem Kaiser und dein Prinzregenten in Sachen deS bayerischen Senats am künftigen Reichs militairgerichtShof, — weil diese gegen das Reservat verstoße. Im Laufe der Reichstagssession ist nun eine Vorlage über diesen Senat zu erwarten. Für die endgiltige Regelung des neuen Militairstrafproceßversahrens hat der bayerische Protest allerdings nichts zu bedeuten, denn das bayerische Centrum hat bereits gegen das Hauptgesetz gestimmt, das trotzdem eine große Mehrheit fand. Eine solche wird auch die neue Vorlage finden und zu dieser wird auch ein namhafter Theil des CentrumS gehören. Gerade deshalb aber muß die CentrumSleitung darnach trachten, den bayerischen Flügel wegen der ihm in Sachen Les bayerischen Senats bereiteten Niederlage zu versöhnen, und zu diesem Zwecke giebt es kein anderes Mittel als die möglichst scharfe Betonung kirchenpolitischer Forderungen. Auf der Münchener Delegirtenversammlung ist aber noch mehr geschehen; man hat dort auch beschlossen, „gegen jede Erhebung der Militairlasteo zu stimmen." Die „Berk. N. N." bemerken zu diesem Beschlüsse: „Freilich haben die bayerischen Centrumsabgeordneten mit Aus nahme deS Freiherrn v. Hertling im Gegensatz zu den: Gros ihrer norddeutschen Parteigenossen in der vorigen Reichstagsjession auch gegen die Flottenvorlage gestimmt. Tas geschah aber doch wenigstens erst, nachdem die volle Kcnntnißuahme des Sach verhalts, die eingehenden Reichstagsverhandlungcn, Publikationen rc. ein wirkliches Abwägen des Für oder Wider gestatteten. Unerhört aber ist es, wenn eine staatserhaltende Partei sich ohne gehörige Prüfung gegen eine Erhöhung des Schutzes des Vaterlandes festlegt! Allerdings finden in Bayern nächstens Landtagswahlen statt, und das dortige Centrum bemüht sich mit allen Mitteln, den demokratifch-particularisliichen Bauern« bund lern den Wind aus den Segeln zu nehmen, was sich auch in dem Protest der Münchener Versammlung „gegen weitere Fort schritte Preußen« in Bayern" zeigt." Die Hauptsache ist aber die, daß auch durch diese Stellung nahme deS bayerischen Flügels die Centrumsleitung, wenn sie ihrerseits in der Frage der nationalen Wehrkraft nicht ver sagen will, gezwungen ist, für eine Beschwichtigung der bayerischen Gesinnungsgenossen durch kirchenpolitische Con- cessionen zu sorgen. Und schwer wird es ihr nicht werden, solche Concessionen nachdrücklich zu fordern, denn solche Forderungen entsprechen ihren eigenen Wünschen. So wird denn auch sicherlich, bevor daS Schicksal der Militairvorlage sich entscheidet, darauf gedrungen werden, daß der Bunves- rath sich über seine Stellung zur Zesuitenfrage schlüssig mache. Nun ist zwar kürzlich behauptet worden, eS liege kein Grund zu der Annahme vor, daß der Bundes rath jetzt seine frühere Stellung zu dieser Frage ändere. Ällzufest aber wird man sich auf diese Versicherung nicht verlassen dürfen. Die Reichsregierung hat voraussehen müssen, was für sie die Folge einer Verstärkung deS Centrums durch die Reichs lagswahlen sein werde, und sie hat trotzdem nickt nur nichts gegen klerikale Wahlsiege gethan, sondern solche sogar hie und da gefördert. Und wenn man sich selbst in eine Zwangs lage versetzen Hilst, so hat man schwerlich die feste Absicht, vor einem aufgcrichteten Geßlerhute den eigenen Hut nicht zu ziehen. Der Biccpräsident des preußischen Staatsministeriums, Herr 0i. v. Miquel, hat, wie man ans der „Nordd. Ällgem. Ztg." erfäbrt, nicht die Absicht, im Abgeordneten hause die AnSwcisungSpolittk der Regierung zur Sprache zu bringen und sie gegen die Opposition aus eigner Initiative zu vertbeidigen. Er wird die Sache an sich herankommen lassen, obgleich er weiß, daß der Hieb die beste Deckung ist. Es werden über den Grund dieser befremdlichen Zurückhaltung mancherlei Vermuthungen laut werden. Die nächstliegende ist die, daß Herr vr. v. Miquel Bedenken trägt, gegen die Ultramontanen anders als in der Abwehr zu kämpfen. Denn immer klarer stellt sich heraus, daß die Unterwürfigkeit der Klerikalen unter die Polen selbst vor offenbarer Schädigung des Katholicismus nicht zurückschreckt. Dafür liefern „Ger mania" und „Köln. VotkSztg." neue Beweise, mit dem einzigen Unterschiede, daß die „Germania" ein wenig ehrlicher zu Werke geht als das rheinische Cenlrumsblatt. Die „Germania" bekämpft zwar auch die Einrichtung deutsch-katholischer Pfarreien in den Ostmarken, aber sie nennt es doch in ihrer Nr. 212 „Miß stände", daß dort deutsche Katholiken in der Kirche nur polnischen Gesang und polnische Predigten hören und daß die Kinder für den Empfang der heiligen Sacramente in polnischer Sprache vorbereitet werden. Die „Köln. Volksztg." dagegen leugnet heute diese Mißstände ab, indem sie behauptet, die deutschen Predigten hätten „wegen Mangels jeglicher (!) Zuhörer" wieder abgeschafft werben müssen. Ist das wirklich irgendwo einmal geschehen, so wird damit im Allgemeinen gegen die Nolhwendigkeit deutscher katholischer Pfarreien gar nichts be wiesen. Ernste Zweifel au der Richtigkeit der Ana „Köln. Volkszeitung" sind aber nm so berechtigter, als daS genannte Blatt nachweislich wider besseres Wissen die falsche Behauptung auf stellt, eS handele sich in den östlichen Provinzen „immer nur um wenige Hundert Deutsche". Zn Nr. 1080 der „Köln. Volksztg." nämlich war Folgendes zu lesen: „Die Zahl der deutschen Katholiken in der Provinz Posen ist übrigens größer, als gewöhnlich angenommen wird. . . In der Stadt Posen beträgt die Zahl der deutschen Katholiken 4 — 5000, in der Stadt Brom berg über 3500, und in den Kreisen Meseritz, Fraustadt ist ihre Zahl sogar ein wenig größer als die der polni schen, während im Kreise Bo inst sich die Seelenzahl der deutschen und polnischen Katholiken etwa die Waage hält. In den übrigen Kreisen überwiegen die polnischen Katho liken." — Ist sonach die obige Angabe der „Kölni schen Volkszeitung" eine bewußte Unwahrheit, so ist die weitere Behauptung, es müßten als Corrclat zu den deutschen katholiscken Pfarreien im Osten „in vielen Theilen Deutschlands" polnische Gemeinden errichtet werden, nur ein dialektischer Kunstgriff. Denn einmal werden schon jetzt, wenn uns daS Gedächtnis; nicht ganz im Stiche läßt, zur Seelsorge unter den polnischen Sachsengängern vielfach polnische Geistliche entsandt; zweitens vergißt die „Kölnische „Volksztg", daß wir im deutschen Reiche leben, in dem auch jeder Pole der deutschen Sprache mächtig ist, — ter polnischen Sprache aber braucht der Deutsche nicht mächtig zu sein, auch nicht im Osten. Ober will etwa die „Köln. Volksztg." die Kenntniß des Polnischen für die Deutschen in den Ostmarken obligatorisch machen?! Wenn end lich eine „Gefahr" darin liegen soll, daß die „staat lichen Organe sich varein einmischten, welcher Katholik der polnischen oder der deutschen Gemeinde zuzutheilen wäre", so bleibt die „Köln. Volksztg." den Beweis sür diese Behauptung ebenso vollkommen schuldig, wie sür die Verdächtigung, die Befürworter der Einrichtung deutscher katholischer Pfarreien wollten „den Nationalitätenstreit in die Kirche hineintragen". DaS alles sind nur Vorwände, um die Begünstigung deS Polenthums durch daS „nationale" Centrum, sogar auf Kosten des Katholicismus, zu bemänteln. Und solchen Vorwänden gegenüber ist eS begreiflich, wenn Herr von Miquel die Polenausweisungen nur vertheibigt, wenn er dazu gezwungen wird. Die fran'.öfischcn Blatter bringen übe: englische Rüstungen, die an allen möglichen Puncten mit fieberhafter Hast betrieben werden sollen, wieder zahlreiche beunruhigende, aber wahr scheinlich übertriebene Nachrichten. So lassen sie sich aus Gibraltar berichten, baß, obwohl die Befestigungen dieser Klippe bereits seit Wochen auf den höchsten Punct ihrer Widerstandskraft gebracht worden sind, die Arbeiten un ermüdlich fortgesetzt werden. Alle Tage werden neue Geschütze ausgestellt, besonders an den Punctcn, die die Meerenge beherrschen. Bisher hatte man nur 40-, 50- und 100 - Tonnengeschütze in Batterien auf gestellt, in den letzten Tagen sollen aber gigantische Stahlmörser von viel gewaltigerem Kaliber in Gibraltar angelangt sein. Die Spanier wären, den französischen Blättern zufolge, aufs Höchste durch die englischen Vor bereitungen erregt und eines UebersalleS gewärtig. Das ständige Geschwader kreuze unaufhörlich an der Meerenge hin und her und veranstalte Scheinkampsübungen gegen die spanischen Forts auf der anderen Seite der Meerenge. Ferner machten die englischen Ossiciere zahlreiche Aus flüge auf das spanische Gebiet und nähmen Photographien der strategischen Puncte von Punta - Carbonera u. s. w. auf. Es ist augenscheinlich, daß die Franzosen die Spanier gegen England aufzureizen suchen; es sind schon verschiedene Artikel erschienen, in denen direct eine Verbindung aller lateinische Colonien besitzenden Nationen gegen die angel sächsischen Welteroberungsgelüste gepredigt wurde. Portugal sucht man durch den Hinweis auf die englischen Absichten bezüglich der Delagoa-Bucht sür diesen Plan zu gewinnen und anchItalien, das doch so eng mit England in colonialen Fragen verbunden ist, wird durch alle möglickcn Mittel zu einem Anschlüsse an diese Tefensivallianz angelockt. Man sieht hieraus, daß die KriegSfurckt in Frankreich noch nicht im Mindesten nachgelassen bat, das zeigt auch eine der „Pol. Corr." auS Paris zugebende osficiöse Meldung, welche consta- tirt, daß in den französisch-englischen Beziehungen, die durch den Zwischenfall von Faschoda in so ungünstiger Weise beeinflußt wurde», noch immer nicht eine freundlichere Wendung, wie sie im Interesse beider Staaten gelegen wäre, eingetretcn sei. Man könne sich nicht verhehlen, daß die kriegerische Strömung, welcke seit dem Auftaucken jener Meinungsverschiedenheit einen Theil der öffentlichen Meinung in England ergriffen habe, an dauere und daß der Anhang der imperialistischen Tendenzen sogar noch immer wachse. Un geachtet Lieser unbefriedigenden Symptome wolle man jedoch in Paris die Hoffnung nicht ausgeben, daß, sobald einmal Verhandlungen über die Regelung der zwischen beiden Cabi- neten schwebenden Streitfragen eröffnet sein werden, welche Action allerdings vorläufig noch nicht eingeleitet sei, das Be streben zu einer freundschaftlichen Verständigung beiderseits vorwalten und zum Ziele führen dürfte. —Sehr vertrauens voll klingt das nicht! Zn England steht man der Weltfriedensaction dcS Zaren bekanntlich am wenigsten sympathisch gegenüber. So scharf aber wie der „Standard" in einer seiner letzten Nummern hat sich noch keine englische Stimme über die Friedensconferenz Angelegenheit geäußert. Englands Be- theiliguug an dem Congrcß könne, so führt das Blatt aus, nur eine sehr bedingungsweise sein. Die Suprematie zur See müsse unter allen Umständen aufrecht erhalten werden, sonst sei es mit Englands Größe vorbei. England könne sich an ter Conserenz nur auf die Voraussetzung hin betheiligen, daß die Beweggründe ter Veranstalter deS Congresses über jedem Verdachte ständen. Bei dem Zaren sei das ja der Fall. Aber die Thatsachen sprächen sonst ihre eigene Sprache. Wozu die russischen Flottenrüstnngen? Rußland habe doch keine überseeischen Colonien, keinen giganiiichen, über die ganze Welt zerstreuten Handel. Die englische Flotte sei nur zur Vertbeidignng da, die russffcke deute auf aggressive Gelüste. Dazu komme jetzt noch die Anleihe, die sicher doch auch nur zu Rüstungen dienen solle. Hier zeige sich wieder ein seltsamer Contrast zwischen Worten und Tbalen, dem gegenüber die sür die Sicherheit des britischen Reicks Verantwortlichen nicht die Augen schließen könnten. England könne sich nicht auf ein Arrangement einlassen, das Anderen vielleicht nur Zeit gewähre zur Vervollständigung ihrer Rüstungen, zur Vorbereitung ihrer Cbancen, während England stille stehe. — In Rußland wird man demgegenüber sagen, der Welt handel komme vielleicht noch, und an Stelle der Colonien trete eben, so lange die sibirische Bahn nicht fertig sei, die cstasialische Küste. Jedenfalls ist, so wird dem „Hamb. Corr." aus London geschrieben, der Artikel ein Strahl Wassers auf daS Russophilentbum, das sich jetzt, von den alten Getreuen, den Nowikow, Markow :c. unterstützt, unter dem Deckmantel idealer Friedensliebe in England breit macht. Daß die „Daily News" in ehrlicher Begeisterung dem „Observer", dem Leibblatt der Partei, die Hand reichen, ist recht kennzeichnend, spricht allerdings weniger für das objektive ruhige Urtheil des ersteren Blattes. Gegen diese ganze Genossenschaft zieht nun der „Standard" auch noch direct zu Felde. Die Friedensbewegung sei ganz überflüssig. Die praktische Einleitung einer derartigen Politik gehe nur die verantwortlichen Leiter des Staates, aber keine Unberufenen an. Die Engländer möchten sich in Acht nehmen, daß sie nickt ihre Hand der organisirtenPropa ganda einer fremden Macht reichten. Es möge freilick Rußland und den russischen Agenten in England passen, durch Demonstrationen in diesem Sinne einen Druck am die Re gierung ausznübeil. Ruhe und Vorsicht seien aber vor Allem geboten. Ueber die englisch russische Nebenbuhlerschaft auf Kreta wird nnS aus Canea geschrieben: Schon in den ersten Tagen der Anwesenheit des Prinzen Georg auf der Insel trat der Gegensatz der Engländer und Russen bei vielen Gelegen heiten deutlich zu Tage. Auf russischer Seite ist man offen bar bemüht, den Prinzen als bevorzugten Schützling Rußlands erkennen zu lassen, wobei natürlich der Zar als der wahre Schutzherr der Kreter erscheinen soll. So wußte man bei jeder Gelegenheit es so cinzurichten, daß sich stets Vertreter Rußlands und russische Truppenabtheilungen in der Nähe dcS Prinzen befanden, und schon jetzt spricht man davon, baß russische Ossiciere die Organisation der kretischen Gendarmerie übernehmen sollen. Auf der anderen Seite treten die Engländer in Canea völlig in den Hintergrund, und der Verkehr des britischen GeneralconsulS, sowie der englischen Ossiciere mit dem Prinzen ist ein auffallend förm licher, wogegen die Ersteren mit den Mohamedanern enge Beziehungen unterhalten. Vor Allem aber wird die Lage in Heraklion immer mehr zu einer offenen Frage, deren Lösung wohl schwerlich etwas Anderes, als die dauernde Besetzung ter Stadt durch die Engländer sein wird. Dieselben haben auch schon im Landkreise der Stadt ihre Verwaltung voll ständig eingerichtet, und Prinz Georg scheint wenig geneigt, sich auck in Heraklion als Gouverneur vorzustellen. Im Gegentheil scheidet man schon jetzt den Bezirk Heraklions als nicht zum Verwaltungsbezirk des Prinzen gehörig aus Deutsches Reich. Berlin, 20. December. (Kinderarbeit in Fabriken und in der Hausindustrie.) Wie notbwenbig die vom Reiche veranstaltete Untersuchung über die gewerbliche Kinder arbeit ist, erhellt ans den einschlägigen Mittheilungcn der Gewerbeaufsichtsheamtcn für das Jahr 1897. Aus ihnen ergiebt sich, daß die Kinderarbeit in den Fabriken gegen daS Vorjahr wieder zngenommen hat, nachdem Feuilleton. Hellersdorff. Ilj Novelle von Hedda von Schmid. Nachdruck verboten. „Ich meine nur", stammelte Irene verlegen, „weil Ihr, Du und Tante Hermine, am Tage so beschäftigt seid, und an den Abenden immer so viel mit der Führung und der Durchsicht der Wirtschaftsbücher zu khun habt. Und dann conferirst Du mit Deinem Inspektor. Weißt Du, Harald", fuhr die junge Frau rasch fort, „ich habe Dir schon längst einmal danken wollen, aber ich fand bisher nicht den richtigen Augenblick dazu." „Du mir danken? Aber wofür eigentlich?" „Dafür, daß Du so in Papas Sinne handelst, daß Du Hellersdorff auf eine solche Höhe gebracht, welche sich selbst Papa nicht hätte träumen lassen können. Er war ein altmodischer Mensch, der sich mit den Neuerungen, welche Du jetzt einführst, schwerlich befreundet hätte, wenigstens nicht so schnell. Doch Deine Anordnungen haben sämmtlich Erfolg. Mit Freuden sehe ich, wie Hellersdorff wächst und Papa kann ruhig in seinem Grabe schlafen, sein über Alles geliebter Besitz ist in besten Händen — er wußte, wem er ihn anvertraut, er war ein Menschenkenner. Dich, Harald, hat er ja nur einmal flüchtig gesehen auf einem Familientage der Rembdens, aber er hat Dich richtig beurtheilt." Harald war keines Wortes mächtig. Das sagte ihm die Frau, welcher er indirekt Alles verdankte, in einer so schlichten, natür lichen Weise, als verstände es sich von selber, daß Hellersdorff allem Anderen voranstände, auch ihrem eigenen Lebensglück. Sie konnte unmöglich glücklich'sein an seiner Seite, er hatte sie so sträflich vernachlässigt, ihr so wenig Liebe bewiesen. Sein Inter esse hatte ja nur Hellersdorff gegolten. „Ich dankt Dir, Irene", sagte er leise, „Deine Worte machen mich stolz, stolzer, als die Anerkennung Deines Vaters, lebte er noch, es gethan hätte — und doch, wüßtest Du —" „Ich weiß", fiel sie ein, „es war Deinerseits ein Opfer, welches Du brachtest, Deinen Beruf aufzugeben, um einen neuen zu er greifen — Hellersdorff zu Liebe. Ich weiß ja, daß Tante Hermine Dir zugeredet — aber Du bereuest Deinen Entschluß doch nicht, Harald, sag' es mir offen.... Wir sprechen so selten ungestört mit einander." Wie Keulenschläge trafen Harald die Worte seiner Frau. Was bei ihm doch nur Selbstsucht gewesen, betrachtete sie als ein von ihm gebrachtes Opfer. Wahrscheinlich war sie von Tante Hermine, welche immer alle Vortheile auszunutzen verstand und ihren Liebling gern in ein ideales Licht stellte, in dieser Auf fassung seiner Handlungsweise bestärkt worden. Wie rührens edel Irene über ihn dachte! In die Erde hätte er sinken mögen vor Scham. Sollte er ihr offen und ehrlich Alles sagen, die Motive seines Entschlusses, Hellersdorff zu übernehmen, dar legen? Schon stand er auf dem Punct, dies zu thun, da erschien in einer Biegung des Weges der Meister, welcher den Bau der Mühle leitete; er hatte hier auf den Gutsherrn, seinen Arbeit geber, gewartet. Der rechte Augenblick zu einer Aussprache zwischen den Ehe leuten war verpaßt — Harald war mit einem Schlage wieder Geschäftsmann und scheinbar vollkommen bei der Sache. Bald erreichte man die beinahe fertiggestellte Mühle, welche auch von Irene voller Interesse besichtigt wurde. Harald staunte — seine Frau offenbarte ein so umfassendes Verständniß für seine Pläne, es machte ihm Vergnügen, zu beobachten, wie rasch sie auf Alles einging. Tante Hermine verlangte oft zu weitschweifige Er klärungen in dergleichen Dingen, was Harald's Geduld jedesmal ein wenig auf die Probe stellte. Nach Besichtigung des Baues schlug Harald vor, auf einem kleinen Umwege nach Hause zu gehen — es lag ihm, ohne daß er sich's klar eingestand, daran, das ungestörte Zusammensein mit Irene möglichst zu verlängern. Mit Freuden nahm er wahr, wie sie immer mehr und mehr ihre Scheu ihm gegenüber ablegte; sie erzählte ihm von ihrer ein förmigen, traurigen Kindheit, ihrem einsamen Mädchenleben, und doch drang kein Vorwurf gegen den strengen Vater, der so gar kein Verständniß für sie besessen und der bis über das Grab hinaus seinen harten Willen geltend gemacht, über ihre Lippen. Irene war selbstlos und sich dessen nicht einmal bewußt. Einen um so größeren Eindruck machte dies auf ihren Mann. Auch Harald erzählte Irenen aus seinem Leben, seiner Knabenzeit, auch er hatte seine Mutter nicht gekannt, und er schilderte, wie Tante Hermine für ihn gesorgt, wie sie in ab getragenem Kleide einhergegangen, um bas Schulgeld für ihn zu erübrigen, wie sie von früh bis spät nur sein Wohl im Auge gehabt — „und das möge Dir Vieles, was Dir an mir in Bezug auf Tante Hermine peinlich — aufklären", schloß er, und Irene nickte stumm. Dankbarkeit ist unter Umständen ein festes Band, ein Kitt, der nicht zerbröckelt, hier erhob sie sich zur unsichtbaren Schranke zwischen den Eheleuten. Doch erwartete Tante Hermine heute vergeblich auf der Hoflage ihren sonst so gehorsamen Neffen und kehrte endlich übellaunig heim. „Entschuldige, beste Tante, ich hatte keine Zeit, Dich ab zuholen", erwiderte Harald auf ihren Vorwurf. Irene stand vor dem Schlafengehen noch lange am Fenster und schaute zu den Sternen empor, sie dünkten ihr heute besonders strahlend, und wie eine süße Vorahnung kommenden Glückes zog es durch ihr Herz Zehntes Capiiek. Das auf Hellersdorff in Aussicht stehende Fest bildete für die ganze Gegend ein Ereigniß. Am Vorabend des großen Tages wurde Tante Hermine plötzlich von heftiger Neuralgie befallen. „Ich habe mich in den Korridoren beim Einrichtcn der Fremdenzimmer zu sehr der Zugluft ausgesetzt", sagte sie, „das kommt davon, wenn man sich dazu gezwungen sieht, daS ganze Haus von oberst zu unterst zu kehren." Stöhnend wand sie sich ein dickes Seidentuch mit hochrothem türkischem Muster um das schmerzende Haupt, bestellte sich bei der Mamsell Kamillenthee, ließ aus der Hausapotheke Kampferspiritus bringen und begab sich schließlich, als diese angewandten Mittel ihr keine Linderung boten, zu Bett. „Auf mich ist morgen nicht zu rechnen", sagte sie ihrem Neffen, als dieser ihr iheilnehmend einen Krankenbesuch abstat eie; „am besten wäre es, Ihr verschöbet den ganzen Trödel auf Sonn tag. Das Wild hält sich bis dahin — frischen Fisch bekommen wir jederzeit und die süße Speise " „Es thut uns Allen furchtbar leid, daß Du krank bist, Tan!c Hermine", unterbrach Harald das alte Fräulein; „doch vom Ver schieben kann nicht die Rede sein, Arend Nydcgg theilte mir heule mit, daß dringende Geschäfte ihn nach R. riefen. Uebermorgen müßte er abreisen." „So plötzlich", rief Tante Hermine, „da steckt etwas dahinter." „Möglich; Arend hat mir nichts Näheres über die Veran laffung seiner Abreise gesagt, und Du weißt, es ist nicht meine Art, mich in das Vertrauen Anderer zu drängen." „So will ich Dir den Grund von Arend's Fortgehen sagen — er reist ab, weil er in Deine Frau verliebt ist", rief Tante Hermine erregt, sich halb im Bett aufrichtend. „Tante, was berechtigt Dich zu dieser Voraussetzung?" Harald war todtenbleich geworden. „Man hat doch seine Augen im Kopf und seine fünf Sinne, und ich schmeichle mir, einigen Scharfblick zu besitzen. Mein Gott, es ist weit gekommen auf Hellersdorff! Wo ist der Frieden unseres stillen Hauses geblieben? Diese Verkettungen und Ver irrungen — Irene hat ihr Herz entdeckt und erst jetzt, wo es zu spät ist, ihm zu folgen. Edel gedacht von Deinem Freunde, fortzugehen — aber Irene . . . . O Himmel, nun überfällt mich wieder dieser gräßliche Schmerz, meine Nerven sind ganz zer rüttet — wie sollte es auch anders sein, wenn man in die Lage versetzt ist, fast täglich mit dieser unruhigen Sebenberz zu ver-