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DK Morgm-Au-gabe erschedtt M» ^,7 Uhr. di» Abeud-AuSgabe Wochentag» nm 5 Uhr. Le-artion ««- Erpeditiour JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag« nnunterbroche» «eöffuet vp» früh 8 bi« Abend» 7 Uhr. Filialen: Ott» Klemm'» Portim. (Alfred Hah»)tz UuiversstätSstraßr 3 (Paulinum), Louis Lösche, Kacharivenstr. 1«, Part. >md ASnigSpla» 7. BezugS-Prei- t» der Hauptrxpedttion oder de« ko Stadl» beltrk nnd den Vororten errichtete« Aus» gavestrllrn ab geholt: viertel jährlich ^»4.50, bei zweimaliger täglicher Znstellnag in» Hau» LLO. Durch di« Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertehährlich L—. Direkte tägliche Kveuzbandieudung K>» Ausland: monatlich 7.üö. Abend-Ausgabe. MpMerIagtblaü Anzeiger. Amlsklatt des königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Notizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Vuzeigeu.Prei- die -gespaltene Petitzeile SO Psg. »eclame« unter demRedactionSstrich s4«a» spalten) 50 ^j, vor den Familinlnachrichte» (6gespalten) 40^. Kroßere Schriften laut unserem Preis» vcrzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz naH höherem Tarif. Srtra-Bei lagen (gefalzt), n«r mit de. Morgen» Ausgabe, ohne Post befördern 60.—, mrt Postbesorderung .^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ei«» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpe-itt»- zu richten. Druck uud Verlag von E. Pol, in Leipzktz, 852. Sonnabend den 24. December 1898. 82. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. December. Die „Nalionalliberale Correspondenz" erhält vom Rhein eine Zuschrift, die sich in sehr optimistischer Weise über die Mauserung -eS CentrumS in reichsfreundlichem Sinne äußerl. In der Zuschrift wird vom Centrum u. A. gesagt: „In den beiden Hauptsachen der Ausbreitung des Ordenswesens und der Forderung der Herrschaft über die Schule., ist man vorsichtiger geworden." — Zwei Tbatsacken der jüngsten Vergangenheit nöthigen uns, gerade diesen Punct nicht ohne Widerspruch zu lassen. Wir er innern zunächst an das Verhalten des württembergischen CentrumS zur württembergischen Verfassungs reform. Hatte schon vor Kurzem der „Beobachter" unumwunden es ausgesprochen, daß das Centrum die BerfafsungSreform zum Scheitern bringen würde, weil sein Initiativantrag bezüglich der Orden und der Schule kein Entgegenkommen gefunden halte, so schreibt beute, nachdem das württembergiscbe Centrum tatsächlich die Berfassungsreform hat scheitern lassen, vollkommen richtig die „Freis. Ztg.": „Die Verfassungsreform wäre zu Stande gekommen, wenn nicht plötzlich die Centrumspartei .. mit der Verfassungsreform, die sich nur auf die Zusammensetzung Les Landtags bezog, kir chen- politische Forderungen in willkürlichster Weise verquickt hätte. Diese Forderungen bezogen sich auf die Festlegung der consefsionellen Schule, die erweiterte Zulassung religiöser Orden und die Erweiterung der bischöflichen Rechte auf den Religions unterricht in den Schulen. Nicht blos die übrigen Parteien, sondern auch die Regierung selbst erklärte die Verbindung dieser Forderungen mit der Berfassungsreform für unannehmbar. Die Centrumspartei rächte sich sür die Ablehnung durch die Preis gabe des ganzen Reformwerks." Spricht dieser Racheact wenig für die Annahme, daß die CeutrumSpartei bezüglich ihrer Forderungen auf dem Gebiete des Ordens- und des Schulwesens „vorsichtiger" geworden sei, so thut das ebensowenig die am 4. December d. I. in Würzburg veranstaltete Crinnerungsfeier an die vor 50 Jahren dort abgehalteue deutsche Bischoss- conserenr. In Gegenwart vr. Liebers und anderer klerikaler Größen schloß der Festredner Stadtpfarrer Heß- dörfer laut der „Köln. Volkszeitg." seine Rede mit folgendem Satze: „Heute schauen jene Männer auf uns hernieder, wir aber wollen heute das Gelvbniß erneuern, stets den Geist zu pflegen, den sie dem Volke eingehaucht haben." Stürmischer anhaltender Beifall folgte nach der „Köl. Volks zeitg." diesen Worten. Welcher Art der Geist ist, den zu pflegen am 4. December 1898 in Würzburg gelobt wurde, lehrt die Denkschrift der preußischen Bischöfe vom Juni 1849, die jetzt in Würzburg als das Erg ebn iß der damaligen Bischoss- conferenz bezeichnet wurde. In der Denkschrift erklärten die Bischöfe, daß sie an den katholischen UnterrichtSanstalten, deren Verwaltung der Kirche znrückgegeben sei, nicht blos die geistlichen Seminare, die Convicte, die theologischen Facul- täten und die für den Unterricht beibehaltenen Klöster rechneten, sondern auch die katholischen Gymnasien und andere Anstalten dieser Art, die katholischen Volksschulen und Schullehrerseminare. Die Bischöfe legten ferner Ver wahrung ein gegen den Verfassungsartikel, der ihnen nur den religiösen Unterricht zur Besorgung und Ueber- wachung anheim gab, und forderten Unterwerfung aller katholischen ErziehungS- und Unter richtSanstalten unter die Kirche. Die Würz burger Erinnerungsfeier zeigt also unwiderleglich, daß der Klerikalismuö im Puncte des AnstrebenS der Herrschaft über die Schule grundsätzlich nicht um ein Haar nach gegeben hat. Die Vorgänge in Württemberg lehren ebenso unwiderleglich, daß das Centrum entschlossen ist, hieraus auch die praktischen Folgerungen zu ziehen. Wenn in Preußen augenblicklich ein anderes Verfahren beliebt werden sollte, so wäre das nur unter taktischen Gesichtspunkten zu beurtheilen. An eine grundsätzliche Aenderung der Anschauungen des Centrums zu glauben, wäre eine verhängnißvolle Selbsttäuschung. Dem Lärm der radicalen Presse ist es gelungen, die in-»- stricllcn Kreise Berlins gegen die AuSwcisungspolitik mobil zu machen. Es soll die Absicht bestehen, in einer Petition an die preußische Regierung auf die kommerzielle Schädigung durch die Ausweisung dänischer Unterthanen aus Nord-Schleswig hin zuweisen. Es wird nicht ganz leicht sein, den Nachweis zu führen, daß der Handel mit Dänemark die Folge der angeblichen Erregung der dänischen Handelskreise über die Ausweisungen er heblich zurückgegangen sei. Einen wirklichen Schluß wird man erst nach Jahresfrist aus der Statistik ziehen tönnen. Wenn die fortschrittlichen Blätter Berichte von Geschäftsreisenden anziehen, so wird damit wenig bewiesen. Hinter diesen Berichten kann politische Wichtigthuerei stecken oder auch eine bequeme Ausrede dafür, daß man die Waare nicht los geworden ist. Auch die briefliche Erklärung dänischer Geschäftsleute, daß sie auf den Weiterbezug deutscher Maaren verzichten wollen, braucht man nicht tragisch zu nehmen. Ta die Herren wissen, daß ihre Briefe veröffentlicht werden, so machen sie vielleicht zunächst mit ihrem „Patriotismus" ein gutes Geschäft, um ein paar Monate später in aller Stille wieder einen desto größeren Posten Waare bei dem bisherigen deutschen Lieferanten zu bestellen. Jeden falls haben auch bis jetzt die dänischen Kaufleute deutsche Maaren nicht aus freundschaftlichen Gefühlen für Deutschland bezogen, sondern wegen ihrer Billigkeit, zu der neben anderen Bedingungen auch die in Folge der geographischen Nähe mögliche billige Fracht beiträgt. An sich würden die Dänen schon vor den Ausweisungen und ohne diesen Anlaß viel lieber von Engländern und Franzosen alle Maaren bezogen haben. Im Jahre 1891 bezog Dänemark aus Deutschland für 20 Millionen Mark Waare mehr als 10 Jahre vorher und zehnmal soviel als aus Frankreich, und doch spielten sich damals, als die berühmte französische Kronstadt-Flotte im Hafen von Kopenhagen ankerte, Scenen leidenschaftlicher Abneigung gegen Deutschland und leidenschaftlicher Zuneigung zu Frank reich ab, was aber, wie man sieht, den Deutschen wirthschaftlich nichts schadete und den Franzosen wirthschaftlich nichts nützte. Wenn die Sympathien den Handelsverkehr bedingten, so müßte Deutschland mit Italien in einem sehr viel regeren Handels verkehr stehen, als mit Frankreich; bekanntlich ist aber das Um gekehrte der Fall. Versuche, Sympathien und Antipathien handelspolitisch auszunützen, schlagen überhaupt meist fehl. Es sei nur daran erinnert, daß, als der wirthschaftlichc Krieg zwischen Frankreich und Italien ausbrach, durch den den Italienern eine Hauptabsahquelle für ihre riesige Weinproduction fast völlig ver schlossen wurde, man sich in Deutschland bemühte, zum Ersätze dafür dem befreundeten Italien ein Absatzgebiet in Deutschland zu erschließen. Diese Bemühungen haben, wenn überhaupt einen Erfolg, so doch nur einen sehr bescheidenen gehabt, weil dem deutschen Gaumen der italienische Wein nun einmal nicht so zusagt, wie der Bordeaux-Wein — und daran konnte die Sympathie für Italien und die Antipathie gegen Frankreich nichts ändern. Und ähnlich, wie man jetzt in Dänemark gegen Deutsch land eingenommen ist, war man es in England vor drei Jahren und blieb es bis vor etwa einem halben Jahre. Trotzdem wurde die deutsche Ausfuhr nicht beeinträchtigt und selbst bei einem nationalen englischen Festtage, dem Regierungs- Jubiläum der Königin, waren die Medaillen, Bilder, Fähnchen u. s. w. „macko in 6ermau>'-. Man sieht an diesen Beispielen, daß man den dänischen Groll wirthschaftlich ebensowenig tragisch zu nehmen braucht, wie politisch. „I-o Proletariat ckans I'armes" (in der französische» natürlich) ist die Ueberschrift eines Aufsatzes in der „Revue des RevueS", aus dem der „TempS" einen interessanten Auszug giebt. Der Verfasser bespricht die Lage der Officiere in Frankreich und betont, diese sei schlechter als in jedem anderen Lande, so schlecht in der Tbat, daß man sie nur mit der Bezeichnung: „l^a unsere eu uniforme" versehen könne. Der Verfasser giebt dann folgende nähere Angaben: . . . Ein Untcrlieutenant bezieht täglich 6,50 Franken, ein Lieutenant 7 bis 7,50 Fr.; ein Hauptmann (oder Rittmeister) 8,50 bis 11,50 Fr., je »ach dem Tienstalter: ein Bataillons- (oder Schwadrons-) Cbef 15,30 Fr.; ein Oberstlieutenaul 18,30 und ein Oberst 22,60 Fr. Nun beziehen aber die Bauarbeiter als Mindest- tagelobn 5 Fr, die meisten 7, 8 und 10 Fr., viele sogar 12 und 15 Fr. Die Gehälter der Oberstlieutenants und Obersten erscheinen ebenso dürftig, wenn man die gesellschaft liche Stellung dieser höheren Officiere in Betracht zieht, ferner an die unvermeidlichen Kosten ihrer Repräsentation und dann an die mittleren Einkünfte in bürgerlichen Berufsartcn denkt. Aehnliche Betrachtungen ergeben sich, wenn mau erwägt, daß ein französischer Divisionsgeneral 18 900 Fr. und ein Brigadegeneral 12 600 Fr. Jahres gehalt beziehen, während in Deutschland der DivisionS- general 27 499 Fr. und der Brigadegeneral 20 985 Fr. haben. Am schlimmsten daran sind die Hauptleute. Ueber diesem Rang sind die Verhältnisse nicht gerade glänzend, aber man kann leben; darunter befinden sich Lieutenants und Unterlieutenants, die doch jung und meist unverheirathet sind. Aber die Stellung des vermögenslosen Hauptmanns mit Familie, der die genau vorgeschriebene Mitgift von 1200 Fr. Rente hat, ist herzzerreißend. Mitgift und Gehalt geben ihm monatlich 400 Fr. zusammen. Mit den besonderen berufsmäßigen Lasten und mit dem Verbot fin den Officier und seine Frau, die Hilfsquellen für den Haus halt durck Nebenarbeit zu erwerben, bedeutet das einfach das „Elend in Uniform". (Die „Revue" bringt hierzu einige erschütternde Beispiele.) Es giebt Officiere, die sich des Tabaks und jeglichen Vergnügens aus Sparsamkeits rücksichten enthalten, aber welcher Arbeiter würde sich ein solches Leben voller andauernder Einschränkungen stoischer Entsagungen gefallen lassen? Wir haben (schreibt der Ver fasser) sogar einen Hauptmann gekannt, der die Wäsche seiner Familie selbst reinigte. — Daß das nicht so bleiben kann, ist selbstverständlich. Wird aber Besserung herbeigeführt, so siebt sich Frankreich vor die Frage gestellt, ob es, ohne wirthschaftlich zu Grunde zu gehen, seine Militairlast noch länger tragen kann. Diese Frage hat vielleicht weit prak tischere Folgen als der Abrüstungövorschlag deS russischen Kaisers. In einem Artikel über die Beziehungen Frankreichs zu England und Deutschland berichtet Caissy im Pariser „Journal" über eia Gespräch, das der Director des Blattes zur Zeit deS internationalen Arbeiter-Congresses mit Herrn Burdeau in Berlin batte. Burdeau erzählte: Kaiser Wilhelm fragte Jules Simon: „Sie, der Sie eia Mann von Intelligenz und Verstand sind, glauben Sie, daß eine Annäherung mit Frankreich möglich wäre? Die Franzosen sehen in mir einen systematischen Gegner; darin haben sie Unrecht; ich liebe mein Land und diene ihm; aber ich bin der Ansicht, daß ich gerade genug zu thun habe, daS glorreiche Werk meines Großvaters zu erhalten, zu festigen und zu kräftigen, ohne es leichtfertig in dem Abenteuer eines Krieges zu gefährden." — „Ach, Sire", erwiderte Jules Simon, „Sie fordern mich auf, freimütbig zu sprechen, und ich muß eS thun. Ein Graben öffnet sich zwischen uns, Elsaß-Leth- ringen. Stellen Sie die Grenze wieder her und das französische Volk wird Sie mit Freude empfangen. — „Aber daS ist ja eine Tollheit!" entgegnete der Kaiser. Mit welchem Rechte dürfte ich das Erbe antasten, das mir mein Großvater hinterlassen hat? Und was würden.di.- deutschen Unterthanen, sie, die sich in Folge deS Krieges, den wir nicht erklärt hatten, um die deutsche Einheit geschaan haben, von seinem Enkel denken? DaS kann nicht Ihr Ernst sein, Herr IuleS Simon, das ist nicht möglich, und wenn S>e an meiner Stelle wären, würden Sie ebenso denken." - — „Und Sie wie ich, wenn Sie an der meinen wären", er widerte IuleS Simon. „Ich wiederhole eS, der Graben rst unüberbrückbar." — „Wenn ich aber", fuhr der Kaiser eindringlich fort, „Frankreich gewisse Vorthcilc einräumle, sehr besondere und fpeciclle Vorthcile, beispielsweise gelegent lich der Erneuerung der Handelsverträge?" — „Ach, Sire", erwiderte Simon, „leider wäre daS Alles nicht hinreichend." — Damit brach die Unterredung ab. Caissy meint, daß di: Dinge sich seither sehr geändert haben, und läßt durchblickc», daß Jules Simon heute eine ganz andere Sprache würde führen können. DaS ist richtig, aber auck Kaiser Wilhelm würde heute ein klein wenig anders sprechen, oder vielmehr er würde IuleS Simon wegen einer Annäherung Deutsch lands und Frankreichs überhaupt nicht «»sprechen. Der Besuch deS russischen Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch in der türkischen Hauptstadt wird, so schreibt man der „Münckm. Allg.Ztg." aus Konsta n tin opel, von allen inspirirten Blättern nicht nur hier, sondern auch in Europa als Symptom der friedlichen Absichten der russischen Regierung, sowie als Beweis für die Fort dauer der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Ruß land nnd der Türkei aufgesaßl. Dagegen ist an und für sich nichts einzuwenden. Nur darf man nicht außer Acht lassen, daß die Hicherkunft des Großfürsten zunächst und unmittelbar nicht dem Sultan galt, sondern durch die am Namenstag des Zaren erfolgte feierliche Einweihung deS russische» Mausoleums in Galataria bei San Stefano veranlaßt worden war. Nachdem dieses Denkmal, in welchem die Gebeine von 12 000 russischen Soldaten, die im letzten russisch-türkischen Krieg gefallen waren, begraben liegen, bei den Türken die Erinnerung an ihre Niederlage und an de» Präliminarfrieden von San Stefano wachruft, so ist eS begreiflich, raß kein Türke die Inauguration dieses steinernen Wahr zeichens des Sieges Rußlands anders als mit schmerzlichen Empfindungen betrachtet. Die Freude über den Besuch Ides Großfürsten beim Sultan wurde daher durch die ßlrichzeitige Einweihung deS Mausoleums von Galataria beträchtlich ab geschwächt. Davon konnte man sich nicht nur in Gesprächen mit türkischen Staatsmännern überzeugen, sondern auch bei der Feuilleton. Hellersdorff. 7) Novelle von Hedda von Schmid. Nachdruck verboten. „Solche Leute wollen aber auch zu dem ihren kommen, und wenn die Duverd Dir zu theuer scheint, Mama, so wollen wir von nun an keine Bestellungen bei ihr machen. Wozu über haupt dieser Toiletteaufwand; ich hänge gar nicht an äußerem Tand." „Ja, Du, zum Glück besitze ich, Deine Mutter, noch so viel Geschmack und Umsicht, um Deine Persönlichkeit, Elisabeth, immer durch eine passende Toilette in das rechte Licht zu stellen. Du darfst nicht übersehen werden, und willst Du Dich ver- heirathen, so . . ." „Du weißt ja, Mama, daß ich dies nicht will." „Das ist Thorheit — Wahnsinn — so denke doch wenigstens an mich, die Dir so viel geopfert. Unser Vermögen ist so gut wie verbraucht. Von meinem geschäftlichen Beirath erhielt ich vor ungefähr einem Vierteljahr einen Brief, von dem ich Dir nichts mitgetheilt — ich sand cs für besser, zu schweigen; Du hättest sonst fortwährend zu lächerlicher Sparsamkeit gemahnt — und das vertragen meine Nerven nicht — davon bekomme ich sofort Migräne." „Es wäre gut, Mama, Du klärtest mich endlich über den wahren Stand unserer pecuniären Lage auf. Ich würde mich gern einschränken, um Dich von Sorgen zu befreien. Du hast mich leider geflissentlich immer davon ferngehalten, Einblicke in unsere Vermögensverhältnisse zu thun", sagte Elisabeth sehr ernst. „Nun denn — so will ich Dich aufklären, ohne Zögern. Wisse, Elisabeth, daß wir eigentlich schon seit Jahren arm sind — Du hast geglaubt, wir seien, wenn auch nicht reich, so doch leidlich wohlhabend —das ist ein Jrrthum; wir existiren nur durch die Großmuth eines sehr reichen Verwandten Deines verstorbenen Vaters. Dieser Verwandte ist kürzlich gestorben, und seine Erben verweigern die Auszahlung der Rente, welche ich sonst halbjährlich bezogen. Im Testament ist nichts von einem uns bestimmten Legat vorhanden — den Vettern, Filze find sie, welche ihre Geld säcke bewachen — ist gerichtlich nicht beizukommen. Wir sind also vis-a-vis cko rion, wenn Du nicht bald eine reiche Partie machst, Elisabeth. Diesen Baron Nydegg hat unser guter Stern nach Hrllersdorff geführt. . „Mama", rief Elisabeth mit zitternder Stimme; doch die Baronin fuhr unbeirrt fort: „Rege Dich doch um Gottcswillen nicht über unsere Armuth auf. Diese drohende MisSre kann ab gewandt werden, wenn Du endlich einmal klug bist und meinen Rath befolgst. Baron Nydegg ist sehr reich — ich bin darüber durch Hermine genau orientrrt — erbarme Dich, Elisabeth, was ist Dir, was machst Du für Augen?" Mit einem Gesicht, fast ebenso weiß wie das spitzenbesetzte Peignoir, welches ihren schlanken Oberkörper umschloß, trat Elisabeth an ihre Mutter heran, mit großen, zornigen Augen dieselbe fest anblickend. „Ich bitte Dich, Mama, kein Wort weiter über diesen Punct. Meine Erregung gilt nicht dem Umstande, daß uns Armuth und Entbehrung bevorstrhcn, sondern Deinem Plan mit Baron Nydegg. Laß diesen Mann ganz aus dem Spiel, Mama — er ist tausend Mal zu gut dazu, um das Object Deiner Speculation zu bilden." „Elisabeth — welche Sprache!" rief die Baronin entrüstet. Dann glätteten sich ihre Züge. Sie glaubte plötzlich den rettenden Strohhalm gefunden zu haben, der sie dem Schiffbruch ihrer materiellen Existenz entreißen sollte. Sic lächelte ihre blasse Tochter freundlich an und sprach begütigend: „Welch' ein Brausekopf! So heftig, trotz Deiner sechsund zwanzig Jahre, die Du so gern hervorhebst. Sei doch gut und beruhige Dich und fahre Deine arme Mutter nicht so an." „Verzeih', Mama, es kam so über mich, ich wollte Dich nicht verletzen." Elisabeth beugte sich über die feine, zarte Hand ihrer Mutter — ihre Stimme klang wieder ganz gelassen, allein ihre Augen blickten noch finster. Die Stimmungen der Baronin pflegten stets urplötzlich um zuschlagen: aus kläglichster Niedergedrücktheit konnte sich wie durch Zauberkraft die brillanteste Laune entwickeln. So geschah es auch eben. „Ich denke, Elisabeth, Du ziehst morgen zum Diner Dein resedafarbenes Batistkleid an, die blaßrosa Schleifen und die matten Spitzen passen gut zu Deinem Teint." „Schön, Mama, und jetzt gute Nacht." Elisabeth fand vor auf sie einstürmendcn Gedanken wenig Schlaf, während ihre Mutter mit der Ueberzeugung, daß doch noch Alles nach ihren, der Baronin, Wünschen sich gestalten würde, einschlief — „denn in dieser Weise hat sich Elisabeth noch nie über einen Mann geäußert; Arend Nydegg muß Eindruck auf sie gemacht haben." Die resedafarbene Toilette, welche Elisabeth am folgenden Tage zu Mittag anlegte, kleidete sie in der That sehr gut. Die fast schlaflos verbrachte Nacht hatte ihrer vornehmen Mädchen schönheit nichts anzuhaben vermocht. Irene dagegen sah elend aus. Das dunkle Kleid von altmodischem Schnitt war nicht vor- theilhaft gewählt; sie blieb trotz allevem immer noch „die schöne Frau von Rembden", aber die Baronin hatte Recht — ihre Toiletten waren nichts weniger denn chic. „Irene läßt sich gehen", dachte Elisabeth, und nach Tische nahm sie die junge Frau bei Seite. „Irene, bei wem lässest Du Deine Kleider arbeiten?" „Ich habe deren noch genug von meiner Ausstattung her; wir kauften damals, als wir aus Italien heimkehrten, in Berlin ein, Tante Hermine und ich. Ich lasse mir die Sachen ab und zu von meiner Jungfer aufarbeiten, aber Emma ist keine Heldin darin, das gebe ich gern zu." „Erlaubst Du, daß ich mich ein wenig in Deine Toilettefragen mische; ich halte selbst nicht allzu viel auf Aeußerlichteiten, aber ich möchte Dich gern schön sehen, mein Herz, das heißt, Deine Erscheinung ganz harmonisch haben." „Ich schön? Für wen sollte ich mich wohl schön machen?" „Nun, für Deinen Mann." „Für Harald? Hat der etwa Augen für mich?" sagte Irene bitter. „Er ist ihr nicht gleichgiltig", calculirte Elisabeth im Stillen — „Gottlob, es kann, es muß noch Alles gut werden zwischen den Beiden. Ach, wüßte ich doch, wie diesen thörichten Menschen am ehesten geholfen werden könnte. Mir kommt es immer so vor, als stünden Beide vor einem verschlossenen Paradiese und vermöchten von selber den Weg nicht hinein zu finden — den Weg zu ihrem Glück . . . In demselben Augenblick trat Arend auf die Freundinnen zu: „Harald und Tante Hermine verabreden eine Fahrt auf die Hof lage Goltei; ich habe die Bitte ausgesprochen, die Herrschaften begleiten zu dürfen, und hoffe, daß auch Sie, gnädige Frau, gnä diges Fräulein und Frau Mutter, mit von der Partie sind. Tante Hermine scheint jedoch meinem Vorschläge abgeneigt; sprechen Sie ein Machtwort, gnädigste Frau." „Mein Wort würde federleicht in die Waagschale fallen", ver setzte Irene. „Ich glaube, unsere Begleitung dürfte Tante Her mine höchst ungelegen sein, denn sie und Harald sind daran ge wöhnt, ihre Wirthschaftsfahrten zu Zweien zu unternehmen." „Wir wollen die Beiden im Zuge ihrer Herzen auch durchaus nicht stören", bemerkte Arend mit sarkastischem Lächeln; „mögen sie das Jungvieh auf der Hoflage getrost en ckeux in Augen schein nehmen, aber die Fahrt wollen wir Andern mitmachen. Der Weg führt, wie ich glaube, durch den schönsten, schattigsten Wald, und vorhin, als ich Harald in Ställe und Remisen be gleitete, entdeckte ich einen wundervollen Break, der zu swer Massenausfahrt wie geschaffen ist." „Papa kaufte den Wagen kurz vor seinem Tode auf einer Auction", sagte Irene, „er ist jedoch fast nie benutzt worden." „Das ist aber geradezu eine Sünde", bemerkte Arend, und Elisabeth erklärte: „Wenn Du kein Machtwort sprechen willst, Irene, so werde ich mein Heil versuchen." Rasch eilte sie von der Veranda zurück in den Salon, wo Tante Hermine, die Baronin und Harald noch beim schwarzen Kaffee saßen. Eine innere Stimme sagte Elisabeth daß sie und Arend Nydegg in Bezug auf Harald und dessen Frau Bundesgenossen waren, und sic frohlockte darüber. Das Ende vom Liede war, daß Tante Hermine sich murrend Elisabeth's sehr energisch aus gesprochener Bitte, „daß Alle sammt und sonders auf die Hof lage fahren sollten", fügte. Elisabeth hatte sich direct an Harald gewandt, und dieser war sogleich bereitwillig auf ihren Wunsch eingegangen, wie es schien, sogar mit Vergnügen. „Vielleicht seufzt er heimlich unter dem Pflegetanten-Joch und duckt sich nur aus strafbarer Angewohnheit von seinen Kinderjahren her", sagte sich Elisabeth. Vergeblich plaidirte Tante Hermine, daß der Weg kurz vor der Hoflage schlecht sei — „er ist eben erst reparirt worden und noch holperig." „O, ein bischen Schütteln, das schadet ja nichts. Sie werden überstimmt, liebste Tante Hermine, da hilft nichts", erwiderte Elisabeth lachend. „Arend hätte ich so wie so gebeten, uns zu begleiten", sagte Harald; „auf dem Jagdwagen haben bequem Drei nebeneinander Platz." „Dann verstehe ich nicht, weshalb Irene nicht häufig diesen dritten Platz benutzt", warf Elisabeth anscheinend ganz harmlos hin, „sie ist jedoch meist zu Hause." „Beklagt sie sich etwa darüber?" fragt« Tante Hermine spitz. „Mir gegenüber hat sie es nicht gethan — Sie sollten übrigens wissen, daß Irene eine sehr verschlossene Natur ist." „Ich gebe mich nicht mit psychologischen Studien ab, dazu mangelt eS mir an Zeit", entgegnete Tante Hermine bissig. „Ja, ich finde, daß sie sich selbstlos durch Hausfrauenpflichten aufreiben, Sie armes Tantchen", sagte Elisabeth sehr sanft. (Fortsetzung folgt.)