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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981201029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-12
- Tag 1898-12-01
-
Monat
1898-12
-
Jahr
1898
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Bor gerade 50 Jahren wurde jener betlagens- werthe Waffenstillstand von Malmö abgeschlossen, der die Wiederauslieferung Schleswig-Holsteins an Dänemark vorbereitete. Jedes deutsche Herz wurde schmerzlich davon be troffen, aber am leidenschaftlichsten gebärdete sich der Radi kalismus. Am Tage nach der Genehmigung des Waffenstill standes durch das Frankfurter Parlament brach jener gefährliche Aufstand in Frankfurt aus, der Lichnowski und Auerwald das Leben kostete. In Sigmaringen, in Württemberg, in Baden kam es ebenfalls zu Aufständen. Als dann im Jahre 1850 die Herzogthümer wieder an Dänemark ausgeliefert wurden, war wiederum der extreme Liberalismus am tiefsten davon berührt. Bon da ab bis 1864 wurde jede Vergewaltigung des Deutsch tums durch die Dänen — und es fehlte daran wahrlich nicht — von den Organen des Radikalismus gewissenhaft registrirt. Nun ist Schleswig-Holstein, freilich nicht durch die Thaten des Radikalismus, sondern durch Blut und Eisen, deutsch geworden. Und nun muß man das Schauspiel erleben, daß dieselben Kreise, deren Losungswort Jahrzehnte hindurch „Schleswig-Holstein meerumschlungen" war, eine deutsche Regierung angreifen, weil sie Abwehrmaßregeln gegen Vorbereitungen ergreift, die auf eine Wiederangliederung Schleswigs an Dänemark auslausen. Nun muß man es erleben, daß dieselben Kreise, die nicht heftig genug gegen die dänische Tyrannei losziehen konnten, von der Regierung ängstliche Rücksichtnahme auf dänische Empfindlichkeit verlangen. Das aber ist eben das Wesen des Radikalismus: man verlangt leidenschaftlich nach einem Gute, so lange man es nicht besitzt; besitzt man cs, so behandelt man es achtlos, wie wohl ein Kind ein Spielzeug behandelt, nach dem es vorher verlangt hat. So ist es nicht nur in der schleswigschen Frage, so ist es in allen Dingen: so schrie man nach der deutschen Flotte, und jetzt, wo man sie hat, verweigert man die Mittel, die sie leistungsfähig erhalten sollen; so berauschte man sich an Träumen von einem Deutschland, dessen Flagge in allen Meeren wehe, und jetzt jammert man über „uferlose Weltpolitik", wenn Deutsch- lanv sich irgendwo ein Schutzgebiet sichert. Da darf man sich nicht wundern, wenn das deutsche Bolk sich mehr und mehr von dem bürgerlichen Radikalismus abwendct. Der schlichte Mann aus dem Volke kennt die historischen Zusammenhänge, wie sie hier beispielsweise erörtert sind, nicht ohne Weiteres; aber er muß eine instinktive Abneigung gegen eine Partei empfinden, die mit greisenhafter Verknöcherung kindisches Ge bühren in der unerquicklichsten Weise verbindet. Der zärtlichen Rücksichtnabme unserer Radikalen auf die dänische Empfindlichkeit entspricht es vollkommen, wenn das „Berl. Tagebl." den drohenden Ton, den der österreichische Ministerpräsident Graf Thun auf die Interpellation wegen der Ausweisung österreichischer SraatS- angehöriger aus Preußisch - Schlesien gegen die preußische Negierung angeschlagen hat, „maßvoll" findet und fortfäbrt: „Wir müssen leider zugestehen, daß er sich gegenüber der preußischen Regierung durchaus im Recht befindet. Daß Oesterreich in der Lage wäre, sehr unangenehme Repressalien gegen Feirölletoir. Die Lettelmaid. Igj Roman von Fitzgrrald Molloy. Nachdruck verboten. Fünfzehntes Capitel. Marcus Phillips fühlte sich auf dem Wege zu Capri glücklich wie ein Junge, dem es gelungen, die Schule zu schwänzen; sein Gesicht strahlte förmlich vor Freude, so daß viele Passanten ihm erstaunt nachblickten. Die ganze Erde erschien ihm in neuem Lichte, er glaubte, daß die Sonne im Mai noch nie so warm geschienen habe, wenigstens in England nicht, daß die Luft noch nie so warm und würzig, der Himmel noch nie so wolkenlos und blau gewesen sei wie heute. Ja, selbst die Leute auf der Straße sahen zu friedener und heiterer aus als gewöhnlich. Eine alte, in einen zerlumpten Shawl gehüllte Obst verkäuferin, die er sonst nie beachtet haben würde, erregte seine Aufmerksamkeit in hohem Grade; ihre knöcherne Gestalt, ihr sonnverbranntes, runzeliges Gesicht, ihre ängstlich spähenden Augen, der saubere Stand, auf dem sich in geordneten Reihen Häufchen Orangen und Stachelbeeren ahhoben, dünkte ihm ein interessantes Sujet für ein Bild. Er würde gern sofort eine flüchtige Skizze davon entworfen haben, wenn er sein Skizzen buch mitgehabt hätte und wenn sein Herz nicht zum Zerspringen voll gewesen wäre. Er begnügte sich, der erstaunten Alten ein Secbspencestück in den Schooß zu werfen. Heute sollte Jeder an seinem Glück theilnehmen. Einem kleinen Straßenkehrer in zerrissenem Höschen, der mit zu Boden gesenkten Blicken ängstlich etwas zu suchen schien und, als sich der verliebte Künstler näherte, in lautes Schluchzen ausbrach, warf er einen Schilling hin zum Ersatz für den vermeintlich verlorenen Penny. Der Knabe starrte ihn mit weit geöffneten Augen an, nahm die Münze zwischen seine Zähne, um ihre Echtheit zu erproben, dann huschte ein Lächeln über sein abgezehrtes Gesicht, das Marc tief rührte und entschädigte. Er pfiff einer Droschke und ließ sich nach Mayfair fahren. Er konnte es kaum erwarten, Capri die gute Nachricht zu überbringen. Er war überzeugt, daß sie seine Freude theilen, im Zimmer laut jubelnd umherspringen oder vielleicht gar ihren runden, weichen Arm um seinen Hals schlingen und ihre süßen Lippen auf die seinigen drücken werde, »st sie e« oft schon in Momenten der Erregung oder der Zärtlich Prcußen zu üben, bedarf keines Wortes. Außerdem vermissen wir teil dem reaktionären Regiment des Herrn von der Recke von der Horst vollständig das staatsmännische Empfinden für die Imponde rabilien, welche unser Bundesverhältniß mit dem Nachbarstaat in sich schließt, denn daß der Polizeibüttel der richtige Verbreiter solcher Sympathien in Oesterreich ist, wird Herr von der Recke so leicht Niemanden glauben machen können." Wahrscheinlich sagt sich da- „Berl. Tagebl.", daß es durch seine Stellungnahme zu den Ausweisungen diesen Ton hat provociren helfen. Von dieser Einsicht ist indessen die »Voss. Ztg." fern. Sie, die bei Leibe die dänische Regierung nicht erzürnt sehen möchte, ist empört darüber, daß Graf Tbuu zu zürnen und zu drohen wagt. „Wie kommt die öster reichische Volksvertretung und gar der Ministerpräsident Cisleilhaniens dazu, sich in die inneren Angelegenheiten Preußens und des deutschen Reiches zu mischen und eine Sprache zu führen, wie sie mit der Achtung vor einem starken Freunde und Verbündeten schwer vereinbar erscheint?" Viel leicht läßt, die „Voss. Ztg." dem Herrn Grafen durch einen Interviewer diese Frage vorlegen und ist Dann offenherzig genug, mitzutheilen, daß er vor seiner Drohrede die — „Voss.Ztg." gelesen halte. Den andern Grund, der ihn zu dieser Rede veranlaßte, wird er keinem Interviewer verralhen, denn er kann doch, wenn er seinen Zweck erreichen will, nicht offen er klären: „Da ich die Tschechen und die Polen bei guter Laune erhalten will und ihnen doch nicht Alles bewilligen kann, was sie fordern, so habe ich ihnen wenigstens den Gefallen qethan, über die Ausweisung ihrer StammcSzenossen aus Preußen zu wettern. Tie preußische Regierung wird ja aus Rücksicht auf meine fatale Lage gioßberzig genug sein, sich nicht ge kränkt zu fühlen, und selbstbewußt genug, meine Drohungen nicht zu fürchten." Jedenfalls ist das der Gedankengang des Grafen gewesen. Aber wie er sich über die Wirkung der Sorge der deutfchen radikalen Blätter vor fremder Empfindlichkeit auf die preußische Negierung getäuscht hat, so wird er sich hoffentlich auch über die Wirkung seiner Rede auf diese Re gierung täuschen. Diese kennt ja seine Lage und bat auf sie übergroße Rücksichten genommen, von denen der „Alldeutsche Verband" und dessen deutsche Freunde in Oesterreich genug zu erzählen wissen. Aber für diese Rücksichtnahme sich durch Drohungen danken zu lassen, liegt ihr sicherlich fern und muß ihr fern liegen. Wenn der leitende Minister eines eng befreundeten Staates so schroff über Maß regeln urtbcilt, die zum Schutze ter preußischen Grenz bezirke vor Ueberflutbung Preußen- und deutschfeind licher Elemente getroffen werden, so nimmt er direkt Partei für diele Elemente und ihr Treiben und gegen den befreundeten Staat, der sich Derartiges nicht bieten lassen darf, auch wenn er noch so tiefe Theilnahme an der jammer vollen Lage jenes Ministers nimmt. Graf Thun wird daher auf seine Drohung die gebührende Antwort erhallen, welche die gesammte nationale Presse Deutschlands fordert; das „Berl. Tagebl." wird ibn nicht davor schützen. Und denselben Muth, den er den Tschechen und Polen gegenüber an den Tag legt, wird er auch der preußischen Regierung gegenüber beweisen, so sehr ihm auch daS „Berl. Tagebl." den Rücken zu steifen versucht. Auch zu „Repressalien" wird er nicht greifen; wer sollte ihn wohl im eigenen Lande gegen die von ihm gefürchtete Begehrlichkeit der Tschechen und Polen schützen, wenn er die Gegner dieser Begehrlichkeit decimirte? Ueber die AbrüstnngSconfercnr bat sich der Zar einem englischen Journalisten, dem früheren Chefredakteur der „Pall Mall Gazette" und jetzigen Herausgeber der „Review of Review" W. Stead, gegenüber ausgesprochen. Er führte folgende Programmpuncte auf: Erstens sollen die Mächte keit gethan. Er fühlte förmlich den Kuß auf seinen Lippen brennen, ihr glückstrahlendes, lebhaftes Gesicht dem seinigen nahe und ihre dunkeln Augen mit einer Welt von Zärtlichkeit und Liebe auf sich gerichtet. Dann fiel ihm Mrs. Lordson ein. Ob sie ihn wohl mit Capri allein lassen werde? Noch ehe er sich die Frage beantworten konnte, blieb der Wagen vor ihrem Hause stehen, er sprang rasch heraus, bezahlte den Kutscher und setzte den Klopfer kräftig in Bewegung. Der Neulivrirte öffnete und wollte ihn gerade nach Name und Begehr fragen, als ein roth- haariger junger Mann in eng anliegenden, nach der neuesten Mode geschnittenen Kleidern die Treppe herunter kam. Marcus bemerkte, daß der Diener, dessen Haltung bisher so steif war, als ob er ein Lineal verschluckt hätte, aus den Verbeugungen gar nicht herauskam, bis sich die Thür hinter dem anscheinend hohen Gast geschloffen. Als dies geschehen und er seine gewöhn liche Haltung angenommen, wandte er sich wieder an Marc, den er in das im oberen Stockwerk liegende Empfangszimmer führte. Ehe er noch den Namen des Gastes melden konnte, hatte dieser Zeit, zu bemerken, daß sich Capri allein darin befand und in Gedanken versunken zum Fenster hinausstarrte. Sie schreckte zusammen, als sie sich plötzlich umkehrte und den Künstler er blickte. Eine heiße Blutwelle stieg ihr ins Gesicht und sie senkte ihre Augen vor den seinigen, — lauter Anzeichen, die er zu seinen Gunsten auslegte, als sie, sich langsam nähernd und ihm beide Hände reichend, sagte: »Ich freue mich, Dich zu sehen! . . . Wie lieb von Dir, daß Du mich besuchst, doppelt lieb, weil ich weiß, daß Du am Morgen nur ungern Deine Arbeit unterbrichst." Er antwortete nicht gleich, sondern blickte ihr nur tiefernst ins Gesicht. Sie hatte sich, wie er gefürchtet, schon in der kurzen Zeit verändert, ihr Wesen erschien ihm nicht mehr so offen und natür lich, wie er eS gewohnt war. Konnte die neue Umgebung sie so beeinflußt haben oder war es nur mädchenhafte Schüchternheit dem Geliebten gegenüber am fremden Ort? Vielleicht glaubte sie es auch ihrer neuen Stellung schuldig zu sein, als Dame von der Welt aufzutreten und ihr kindlich-heiteres, natürlich un gezwungenes Wesen aufzugeben. O, seine Capri sollte sich nicht mehr lange diesen Zwang auferlegen! Er nahm an ihrer Seite Platz und entgegnete: „Ich habe heute nicht gearbeitet. Als ich de» Morgens an fing, erhielt ich einen Brief, der mich veranlaßte, sofort aus zugehen.". „Und hierher zu kommen?" „Jndirect. Doch bevor wir weiter plaudern, sage mir auf richtig, ob ich Dich nicht störe?" ihre bisherigen Kriegsrüstungen Wohl aufrecht erhalten, ja sogar vervollständigen, aber nicht erweitern dürfen. Zweitens soll die Verpflichtung, nicht neue Rüstungen vor zunehmen, nur auf fünf Jahre eingegangen werden. Drittens sollen, wenn zwei Mächte über eine Frage in Streitigkeit gerathen, Die beiden Mächte je eine andere Macht als „Sekundanten" ernennen, und wenn die Sekundanten sich nicht einigen, so soll wieder eine andere Macht zum Ober schiedsrichter gemacht werden. Der russische Kaiser soll selbst geäußert haben, daß es dann immer noch fraglich sein würde, ob in jedem Falle eine Einigung zu Stande kommen und ein Krieg vermieden werden könnte. Aber auch die beiden ersten Punkte und insbesondere die erste Be stimmung sind anfechtbar. Wie läßt sich Die Grenze zwischen einer Dervollständignng und einer Erweiterung der Kriegs rüstungen sieben? Wenn Frankreich fcrtfahren würde, neue 4. Bataillone aufzustellen, so würde es dies als eine „Ver vollständigung" anschen, da die Einheitlichkeit des Heeres die gleiche Stärke der Infanterie-Regimenter erfordere. Noch mehr konnte die gegenwärtig geplante deutsche Heeresvermch- rung vom Standpunkte der Vervollständigung aus angesehen werden. Ebenso steht es mit der deutschen Marinevermebrung, die noch 5 Jahre hindurch zu laufen ha». Auch das Stocken der Heercsvermebrungen für eine befristete Zeit erscheint be denklich, da innerhalb der Frist die Staaten voraussichtlich Anstalten treffen würden, um nach Ablauf der Frist für den Fall, daß eine abermalige Einigung sich nicht erzielen läßt, desto rascher und energischer mit einem Schlage ihre Heere und ihre Kriegsmarine vermehren zu können, um den Nach barn möglichst zuvorzukommen. Auch erweckt der Termin von fünf Jahren wieder das Mißtrauen, daß Rußland nur Zeit zur Vollendung der sibirischen Bahn und zur „Vervoll ständigung" seiner Rüstungen im fernen Osten gewinnen will. Die liberalen und die radikalen Vertrauensmänner in Belgien, die vor einiger Zeit die „Alliance liberale" zur Verthcivigung der gemeinsamen Interessen geschlossen haben, faßten den wichtigen Beschluß, schon jetzt der focialistischeu Partei ein festes Wahlbündnis für die allgemeinen ParlamentSwahlcn von 1900 anzubieten. Zum ersten Male seit 1884 geschieht es, daß die gemäßigten Liberalen sich zu einem solchen Schritt entschließen. So verhaßt ist ihnen schließlich die klerikale Herrschaft geworden, die allerdings täglich unerträglicher wird. Als Grund lagen deS neuen klerikal-feindlichen Bündnisses werben genannt: 1) die Abschaffung deS Mehrslimmcnsystems, das sich lediglich als Kampfmittel der Klerikalen bewährt bat, und die Einführung des uneingeschränkten allgemeinen Stimmrechts; 2) Einführung des persönlichen Heeresdienstes; 3) Einsübrung des zwangsweisen VolksschulunterricktS; 4) Durchführung einer umfassenden Arbeitersckutzgesetz- gebung. Mit allen diesen Programmpunctcn kann sich die liberale Partei einverstanden erklären. An der Annahme deS Wahlbündnisses durch die Socialisten ist kaum zu zweifeln, weil eS doch ihren Interessen entspricht. Kommt eS wirk lich zu Stande, dann dürften die Tage der klerikalen Herr schaft in Belgien gezählt sein und daS Land hat endlich Hoffnung, von dem ultramontanen Joche erlöst zu werden. — In der belgischen Kammer hat eine Erörterung über die römische Anti-Anarchistenconserenz stattgefunden, in deren Verlaufe der Minister des Aeußern, de Favereau, die Mittheilung machte, daß die Brüsseler Regierung nur unter allerlei Vorbehalten die Conferenz beschickt Hal. Die belgi schen Klerikalen fürchten für die — Freiheit, die unter ihrer „Durchaus nicht. Mrs. Lordson ist bei ihrer Toilette, und diese wichtige Beschäftigung wird sie mindestens noch eine Stunde in Anspruch nehmen, so daß wir ganz ungestört bleiben werden. Ich bin neugierig, wem Du so früh einen Besuch abgestattet hast." „Ja, wenn Du das wüßtest!" „Spanne mich doch nicht auf die Folter." „Das ist gar nicht meine Absicht, denn ich bringe gute Nach richten." „Abscheulicher Mensch!" rief sie halb scherzend, halb ärgerlich, in ihren alten, kameradschaftlichen Ton verfallend. „Wie undankbar Du bist! Ich habe die Kosten einer Droschke nicht gescheut, um Dir brühwarm die Neuigkeit mitzutheilen, und Du schiltst mich noch?" Er zögerte absichtlich, ihr den eigent lichen Zweck seines Besuches zu erklären, um sich an dem Aus druck der Ungeduld und Neugier zu weiden, der ihrem Gesichte einen eigenartigen Reiz verlieh. — „Uebrigens wäre Deine Neu gier schon längst befriedigt gewesen, wenn ich nicht draußen in der Vorhalle hätte warten müssen, bis der diensteifrige Lakai einen jungen, rothhaarigen, etwas plumpen Dandy zur Thüre hinauscomplimentirte. Denke Dir meine Ungeduld! — Wer war der Herr?" „Lord Harrick." „Lord Harrick?" Zum zweiten Male hörte er heute diesen Namen und zum zweiten Male empfand er bei Nennung desselben ein schmerzhaftes Gefühl. „Kennt er Mr». Lordson?" fragte er gepreßt. „Ja, er kam heute so früh, um sie zu fragen, ob er sie morgen nach Richmond fahren dürfe." „Lord Harrick", sagte er leise, als ob er mit sich selbst spräche, „ist der Käufer der Bettelmaid." Ein Zittern überlief ihren Körper, sie erbleichte und «inen Augenblick stockte ihr Athem. Sie mußte sich in den Stuhl zurücklehnen und nach ihren Schläfen fassen, um das Hämmern dort zu dämmen. Lord Harrick, der ihr selbst gesagt, daß er sich für Kunst nicht interessire, daß Bilder ihn langweilen, hatte die Bettelmaid gekauft? Weshalb? — Doch nur, weil diese ihr ge treues Ebenbild! Sie fühlte, wie all' ihr Blut nach dem Herzen drang, das so heftig pochte, als ob es sich au» seiner engen Zelle befreien wollte. Die Worte des Künstlers brachten einen Sturm in ihrem Innern hervor, der ihr die Fassung raubte. Hatte Harrick das Bild gekauft, um ihr Gesicht stets in seiner Nähe zu haben, oder weil er es seiner Familiengalerie al» das der zu künftigen Dieomteffe Harrick einzuverleiben gedachte?" „O, Marc!" rief sie, ihn — heute zum ersten Male — bei seinem Vornamen nennend, „die Nachricht hat mich um meine Herrschaft in Belg-en so seltsam gedeiht. In Wahrheit käme ihnen nichts erwünschter, als bie Erfolglosigkeit der Conferenz, wozu sie das Ihrige beitragen werden, weil die Conferenz in der Hauptstadt deS „Kirchenräubers" Humbert stattfindct. Das ist zwar in der Kammer nicht gesagt worden, aber die klerikale Presse hat schon längst dazu den nolhwendigen Commentar geliefert. Zu den äußeren Nöthen Spaniens und der die Krone bedrohenden carlistischen Gefahr kommt auch noch die gerade jetzt wieder mächtig einsetzende separatistische Agitation in Catalonien. In Wort und Thal wird eine eifrige Propaganda getrieben. Flugschriften erscheinen wie Sand am Meer, nageln immer von Neuem die Forderungen des „katatonischen Volkes" gegenüber den „kastilischen" Unter drückern und AuSsaugern fest und rütteln die Lässigen zu unablässigem Kampfe auf. Daß sie von Madrid los wollen, daS wissen sie Alle und in dieser Oppo sition gegen das Centrum — also im negativen Theil ihres Programms — sind sie Alle einig. Was sie aber dann gründen wollen, wenn der Verband mit Madrid zer rissen ist, darin sind sie durchaus uneinig. Und während die einen die Annexion durch Frankreich Vorschlägen, wollen die andern rolle Unabhängigkeit deS catalonischen Volkes, dessen Gebiet mit 68 000 Ouadratkilometer fast dreimal so groß wie Belgien sei. Trotz dieser Divergenz der Ziele ist die Bewegung dock für den Bestand des spanischen Staates im hoben Maße gefährlich und kommt namentlich den republi kanischen Strebungen zu Gute, da die catalonische Agitation eine ihre Hauptaufgabe in der Aufveckung der grenzenlosen Cor- ruption eoram munclo erblickt, wie sie unter dem Scepter der spanischen Könige sich ja zu einem wahren Skandal aus gestaltet hat. So beißt cs in einer in Paris erschienenen nationalistisch catalonischen, in manchen Punkten gewiß nicht übertreibenden, Broschüre n. A., es sei ein öffentliches Geheim- niß, daß die Provinzbeamten ihren Madrider Gönnern, die ihnen die Stellen verschafft, jährliche Abgaben zu entrichten hätten. In den Colonien hätte das System der Corruption seine höchste Blüthe erreicht. Die Reise dorthin sei stets für die spanische Bnreaukratie Das gewesen, was der Bürgerkrieg für Cäsar und Catilina: ein Mittel, um ihre Schulden zu bezahlen. Der Juan Ouidam sei auch beute noch der Typus des Madrider Bureaukraten: Gestern in Lumpen auf der Puerta del Sol, heute Besitzer prachtvoller Villen und pompöser Equipagen. Alles sei in Spanien Schein. Die Universitäten unterrichten nicht, die Regierenden regieren nicht, die Beamten verwalten nicht, die Geschwader ver krümelten sich vor den Gegnern, die Heere dienen nicht dazu, die Feinde zu besiegen, sondern die Diktatur im Innern zu schaffen. Der Zweck dcö spanischen Staats sei keineswegs, die öffentlichen Interessen wahrzunehmen, sondern die öffent lichen Gelder in der unsinnigsten Weise zu verschwenden. Zweihundert Millionen gingen jährlich für Beamte aller Art drauf. Die 300 Millionen Les Marinebudgets dienten nur dazu, Arsenalbeamte zu nähren unter dem Vorwand, Kriegs schiffe zu bauen, die niemals fertig werden. Die 150 Millionen des Kriegsbudgcts würden allein vom Ossiciers- corps aufgefressen, das zahlreicher sei als daS Frankreichs und Deutschlands zusammengenommen. Für Rüstungen und VertheidigungSmaßregeln bleibe kein Pfennig übrig. Fassung gebracht, mich verwirrt, denn Du hast mir sie so plötzlich und unvermittelt mitgetheilt." Marcus lachte vergnügt auf, denn er glaubte, daß sein Er folg Capri so ergriff. Er hatte sich zwar ihren Freudenausbruch ganz anders vorgestellt, sie jubelte und tanzte nicht, wie er er wartet, aber das übermüthige, impulsive Kind hatte sich eben in ein ernstes, gereiftes Weib verwandelt, dessen Gefühle sich anders, darum aber nicht minder tief und aufrichtig ausdrückten. Das bewies ihm ihre Erregung und der Ausdruck des inneren Glückes in ihren Augen. „Was hat er Dir dafür bezahlt, Marc?" fragte sie hastig. Sie wollte aus der Summe, die der Lord für das Bild geboren, die Tiefe seiner Gefühle beurtheilen. Marc jedoch war über zeugt, daß nur ein lebhaftes Interesse für ihn ihr die Frage ent lockt; deshalb antwortete er lächelnd: „Er hat mir noch gar nichts bezahlt." „Du sagtest doch, daß er das Bild gekauft." „Ja, er hat mir durch Mrs. Stonex ein Angebot machen lassen." „Welches Du angenommen hast?" »Ja." „Nun?" „Was wünschest Du noch zu wissen?" fragte er neckend. „Du bist heute schrecklich! Wie viel hat er Dir geboten!" „O, Du Evastockrer! Nun denn, höre und staune: 250 Guineen, ja, sage zweihundertfünfzig Guineen!" Capri starrte ihn mit wcitgeöffneten Augen wie geister abwesend an. Zweihundertfünfzig Guineen! Das sprach deut kicher als Worte! Und es war ihr nun ganz klar, daß Lord Harrick das Bild nur gekauft habe, weil es ihr wohlgetroffenes Portrait war und er sie liebte. Daran, was diese in ihren Augen ungeheure Summe für Marc, den aufstrebenden und stets mit Geldnoth kämpfenden Künstler zu bedeuten habe, dachte sie gar nicht. Sie war nur mit sich und der Möglichkeit, Vicomtesse Harrick zu werden, beschäftigt. Der Künstler beobachtete sie stillschweigend; es gewährte ihm eine große Genugthuung, den freudigen, beinahe triumphirenden Ausdruck ihres Gesichtes zu studiren, den — wie er sich«ein- bildete — nur der Gedanke an sein unverhofftes Glück hervor- gezaubert haben konnte. Capri hingegen hatte seine Anwesenheit ganz vergessen, sie baute Luftschlösser, in denen sie ihm kein Plätz chen gönnte. Endlich begegneten sich ihre Blicke, sie erröthete über ihre eigene Selbstsucht und vermochte nur zu stammeln: „O Marc, wie ich mich freue. — Es wird Dir sehr nützen, wenn man sieht, daß Du das Bild so rasch verkauft hast. —
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