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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981207027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-12
- Tag 1898-12-07
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Monat
1898-12
-
Jahr
1898
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unnöthig, da die Kanzlerkrifi-, die gerade zu damaliger Zeit weite Kreise mit vanger Sorge erfüllte, noch einmal vorübnging. Berlin, 6. December. Die n a t i o n a l li b e r a l e Fraction des Reichstages hat sich gestern constituirt; bis gestern hatten sich 47 Mitglieder eingeschrieben, die Liste ist aber noch nicht geschlossen. In der gestrigen Sitzung fanden die Wahlen zum Vorstande statt; er besteht auS den Abgg. Basser- mann, vr- Blankcnhorn, Büsing, vr. Deinhardt, vr. Hasse, Frhr. von Heyl, Möller, vr. Paasche und vr. Sattler. Ge- chäftsfiihrcndes Mitglied des Vorstandes ist Abg. Basscrmann. Zu Schriftführern wurden gewählt die Abgg. Beck, vr. Esch«, vr- Heiligenstadt und vr. Hieber. Die übrigen Mitglieder der Fraction sind einschließlich der Hospitanten bis jetzt die Abgg.: Börner, Boltz, Prinz Schönaich-Carolath, Depken, vr. Ende- mann, Faller, v. Fischer, Fitz, Franken, Franzius, Gander, Großmann, Haas, Hilbck, Hische, Hofmann, Hosang, Horn, Kahlcke, v. Kaufmann, Kettner, Krämer, vr. Kruse, vr. Lehr, Leineweber, Mauser, Müller-Rudolstadt, Münch-Ferber, Graf Oriola, Quentin, Rimpau, Schulze-Steinen, Sieg und Tönnies. In der heutigen Sitzung der Reichstagsfraction, in welcher u. A. auch die auf morgen angesetzte Präsidialwahl besprochen wurde, gedachte vor Eintritt in die Tagesordnung Abg. Basser mann des Hinganges des Fürsten Bismarck mit erhebenden Worten: Wie der große Kanzler, ungebrochen an Leib und Seele und in seinem Riesengeist, die Augen zum ewigen Schlummer geschlossen, und mit ihm der letzte und größte Mann einer großen Zeit dahin gesunken sei und den Epigonen nun die Verpflichtung obliege, im Einzelnen auszubauen, was eine große Zeit geschaffen habe. In packenden Worten schilderte dann der Redner die nationale Großthot des Kanzlers, wie er mit gewaltiger .Hand das deutsche Volk zur Einheit gezwungen und in dem geeinten Reiche dann für eine fruchtbare Wirthschafts- und Socialpolitik Bahn gebrochen; wie nach seinem Rücktritt das gesammte deutsch« Volk, auch seine Gegner, erschreckt empfunden, was wir mit ihm verloren, als in den Wallfahrten nach Friedrichsruh und Varzin so machtvoll die Verehrung und Dankbarkeit der deutschen Stämme Ausdruck fanden; wie nun in begeisterndem Aufruf die deutsche akade mische Jugend beschlossen, das Gedächtniß des großen Mannes heilig zu halten und Säulen zu errichte», die bei Flammenschein in Eichenhainen die deutsche Jugend versammeln werden im Ge- dächtniß an sein Vorbild und seine Thaten. Mit dem Gelöbniß sein Erbe zu erhalten und zu mehren und diese Aufgabe zum Leit stern der Zukunft zu machen, erhoben sich die Anwesenden zum Gedächtniß des Altreichskanzlers von ihren Sitzen. Dann wurde des Hingeschiedenen Reichstagsabgeordneten v. C u n y gedacht, der neben dielen anderen Verdiensten sich solche im besonderen Maße um das Bürgerliche Gesetzbuch erworben, und als warmblütiger Patriot und Politiker von lauterster Gesinnung und treuer Kameradschaftlichkeit ein bleibendes Andenken hinterlassen hat. Auch zu seinen Ehren erhoben sich die Hörer von den Sitzen. Sodann wurden zwei (an anderer Stelle mitgetheilte) Initiativanträge berathen und beschlossen. * Berlin, 6. December. (Die Productions- Erbebungen.) Ein Rückblick auf die im Beginn dieses Jahres vom Reichsamt des Innern nach Berathung mit dem Wirthschaftlicken Ausschüsse eingeleiteten ProductionS- Erhebungen ergiebt sedr erfreuliche Resultate. Für folgende Industrien fand bisher eine Aussendung von productionSstatistischen Fragebogen statt: für die Textil industrie, die Montan- und Hüttenindustrie, die Industrie der Steine und Erden, für die keramische, die chemische, die GlaS-, die Lederindustrie, für die Papier- unv die PapierverarbeitungS - Industrie. InSgesammt wurden bis zum 30. November vierundfünfziz verschiedene Fragebogen in 34 268 Exemplaren versandt, von denen 29 408 beantwortet eingingen. Es stebt also nur noch eine geringe Zahl auS, und diese sinkt stetig, da noch täglich Hunderte von Fragebogen beantwortet im NeichSamte des Innern einlaufen. UebrigenS bandelt es sich bei den Rück ständen sehr überwiegend um kleinere und kleinste Betriebe, deren Production ohne jede Schwierigkeit im Wege des Ein- schätzunhsverfahrens erfaßt werden kann. In der keramischen Industrie sind die sämmtlicken (933) Fragebogen beantwortet zurückgekommen. Auch in der Textilindustrie haben auf die wichtigeren Fragebogen Nr. 1—14, die in 4600 Exemplaren zu nächst zur Aussendung gelangten, nunmehr fast alle befragten Betriebe geantwortet, während auf die später versandten Bogen noch ein Theil der Antworten auSstebt. Von 5670 befragten Montan- und Hüttenbetrieben haben bereits 4735 sich geäußert. — In der Industrie der Steine und Erden stehen auf 6870 Fragebogen noch 1124 Antworten auS, aber gerade in dieser Industrie lausen gegenwärtig die Rückstände besonders zahlreich ein. In der chemischen Industrie fehlen von 6156 Bogen nur noch 700, in der Glasindustrie von 756 noch 106 und in der Lederindustrie von 1610 nur noch 202. Bon den Papierindustriellen sind die auSgesandten 1155 Fragebogen bis auf 33 vollständig beantwortet, und auch in der Papierverarbeitung ist der Rückstand von etwa 200 Antworten auf 2500 Fragebogen kein erheblicher mehr zu nennen. Behufs Ermittelung der Rentabilität des Land- wirthschaftSbetriebeS sind bisher 10 000 Fragebogen versandt worden. Für das kom mende Iahr ist die Bearbeitung einer Reihe weiterer Industriezweige in Aussicht genommen; in der ConfectionSindustrie, der Industrie der NahrungS- und Genußmittek, in der Spielwaarenindustrie, der Klein-Eisen- Industrie (einschließlich der Fahrrad-, Draht- und Nadel industrie), der Wagenindustrie und besonder- auch in der weitverzweigten Holzindustrie sind die Vorarbeiten gegen wärtig schon im Gancje. Die Verarbeitung de- überaus reichen Materials, die sich für jeden Industriezweig unmittel bar an den Abschluß der Befragung anreibt, wird für den künftigen Abschluß von Handelsverträgen höchst wertbvolleS Material liefern und schon bei der Aufstellung des Schemas zum neuen deutschen Zolltarif wichtige Dienste leisten. — Zur Deckung der Reisekosten des Kaiser aus der Fahrt nach Palästina soll nach der „Frkf. Ztg." dem Landtage eine besondere Vorlage zugehen. — Der BundeSrath hat im Hinblick auf das neue AuswandernngSgesetz die Aufnahme einer fortlaufenden amt lichen Statistik der deutschen Auswanderung in Aussicht genommen. — Außer mehreren Fractionen hat gestern Abend im Reichstage bereits die Wirthschaftliche Vereinigung eine Sitzung abgehallen. Es waren unter dem Vorsitz des Freiherrn von Wangenheim etwa 100 Mitglieder von der Rechten und den Nationalliberalen erschienen. Man nahm ich vor, daß die Vereinigung eine regere Thätigkeit entfalte und nicht einseitige agrarische, sondern auch industrielle Inter essen vertreten solle. Namentlich will man sich auch bemühen, das Centrum zu gewinnen. — Der „Bonner Zeitung" zufolge ist in Bonn an zuständiger Stelle von einer Berufung deSFrhrn. v. Hert ing an die dortige Universität nichts bekannt. Die Lehrstühle für Philosophie sind dort auch sämmtlich besetzt. Dagegen will die „Frkf. Ztg." aus München erfahren haben, die preußische Regierung dürste der Berufung, die al- sicher anzunehmen sei, nicht fern stehen. Frhr. v. Hertling hat an der Münchner Universität ein Gehalt von 5500 -L Ueber- nehme er daS ReichstagSpräsidium, so sei er auf diesen Bezug allein angewiesen, denn die Collegieugelder kämen alsdann in Wegfall. Mit 5500 lasse sich in Berlin als Reichstagspräsident nicht leben und repräsentiren. Man habe daher an Frhr». v. Hertling einen Ruf nach Bonn mit 10 500 Gehalt ergehen lassen. Diese Combination ist aber inzwischen durch die Meldung der „Germ.", daß Gras Ballestrem zum Präsidenten ausersehen sei, als irrthümlich gekennzeichnet. — Nach den bisher gepflogenen Vorverhand lungen unter den Fractionen soll für das Präsidium des Reichstags die Combination Graf Ballestrem — vr. von Frege — Bassermann Vie wahrscheinlichste sein. Der „Magd. Ztg." wird in der Angelegenheit aus Berlin geschrieben: Die Präsidentenwahl im Reichstage scheint nicht so einfach verlaufen zu sollen, wie man bisher angenommen hat. Möglich ist, daß morgen die Wahl des zweiten Dicepräsidenten noch nicht zu Stande kommt. — Die „Hessische Landeszeitung" gebt mit dem 1. Januar in den Besitz des nationalsocialen Herrn von Gerlach über. — Der lippische Staatsminister Miesitscheck von Wischkan ist von Detmold hier eingclrosfen. — Prinz Malcom Khan hat sich nach kurzem Aufenthalt hier nach Petersburg begeben. — Der „B. Börs.-Courier" erfährt, daß ein polnischer Reichstagsabgeordneter gleich nach der Coustituirung der Fraction eine Interpellation darüber beantragen werde, welche Schritte der Reichskanzler angesichts der Thatsache beabsichtige, daß rin preußischer Minister Verordnungen erlasse (betreffend die Schreibweise polnischer Familiennamen auf dem Standes amt), die den Bestimmungen des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches zuwiderlausen. * Königsberg, 6. December. In Bezug auf das bekannte Schreiben des Grafen Dohna-Wundlacken, betr. die Seß- haftmachung slawischer Arbeiter in Ostpreußen schreibt der „Graudenz. Gesell.": Die Negierung soll bereits durch den Mund des Grafen Bismarck aufö Entschiedenste erklärt haben, daß sie zu einer Polonisirung des Landes niemals die Hand bieten werde. * Apenrabc, 6. December. Die hier abgehaltene General versammlung des „Deutschen Vereins für daS nörd liche Schleswig" hat an den Oberpräsidenlen v. Köller folgendes Telegramm gerichtet: „Ew. Excellenz spricht die heute in Apenrade von Mitgliedern aus allen Gegenden Nordschleswigs beschickte Generalversammlung des Deutschen Verein- für das nördliche Schleswig ehrerbietigen und freudigen Dank aus für die jüngst getroffenen energischen Maß regeln zum Schutze des Deutschthums, welche durch maßlose Hetzereien diesseits und jenseits der Grenze erforderlich waren." Auch die Generalversammlung der Creditbank Scherrebek bat eine Dankkundgebung an den Ober präsidenten beschlossen. — Zwei seit langen Jahren in Nordschleswig angestellte Lehrer, Jobannsen in Schnagbeck und Schmidt in Banlund, haben nach der „Köln. Volkszeitung" gleichzeitig Ordre erhalten, ihre bisherige Wirkungsstätte zu verlassen und eine Schulstelle in einer anderen Gegend mit deutsch-redender Bevölkerung zu übernehmen. Die Versetzung dürfte au- politischen Gründen erfolgt sein, da beide Lehrer für dänisch gesinnt gehalten werden. srro gemeldet wird, sollen di« Europäer überhaupt nicht dieselben Privilegien und Jmunitäteu genießen, die sie in Gemäßbeit der Capitulationen in Egypten besitzen. DaS ist die Politik der offenen Thür, der es nicht auf den Besitz eines Landes, sondern nur darauf ankommt, eS der Civilisation, dem Handel und dem Verkehr für alle Nationen zu erschließen! Die focialdcmokratische Misjwirthschast im Londoner städtischen Arbeitsamt treibt immer ärgere Auswüchse. Im Jabre 1895 wurde an den Bau des LewiSbam-Canals in „eigener Regie" mit Umgehung privater Unternehmer herangegangen. Seine Länge beträgt etwa 7 (engl.) Meilen; die Kosten waren auf 63 850 Pfund veranschlagt. Was nun geschah, ist nach dem Urtheil der unparteiischen Londoner Presse die überzeugendste Illustration zu der Erkenntniß von der positiven Unmöglichkeit für eine socialdemo kratisch insicirte Verwaltungsbehörde, auS den Arbeitern dasjenige Maß ehrlicher und rechtschaffener TageSarbeitS- leistung herauSzuholen, ohne welches gar keine gesunden Ver hältnisse auf dem öffentlichen Arbeitsmarkte denkbar sind. Es wurde alsbald offenbar, daß die unmittelbar vom städtischen Arbeitsamt angestellten Arbeiter gar nicht daran dachten, sich irgendwie anzustrengen. Bei einer privaten Firma, welche auf pünktliche Innehaltung der contractlich ausbedungenen Termine dringen muß, wäre es ein ander Ding gewesen; so aber war eS ja „nur" daS von „Genossen" dirigirte Städ tische Arbeitsamt, mit dem man zu tbun hatte, und da ver stand e» sich für die Arbeiter von selbst, sich möglichst wenig anzustrengen, aber möglichst viel Lohn cinzuheimsen. Die Folge war eine ungebührliche Verzögerung der Fertig stellung des Canalbaues und eine Ueberschreitung des Voranschlages um da- nette Sümmchen von 22 000 Pfund, welche einzig und allein auf das Conto der Arbeitslöhne gesetzt werben muß. Diese Etatsüber schreitung ist um so bemerkenswertber, als der leitende Ingenieur erklärt, daß er in der Ansetzung der Detailpreise für Lieferung von Material u. s. w. bei Tiefbauarbeiter, grundsätzlich einen breiten Raum für die mit dieser Art von Arbeiten untrennbar verbundenen Risicos läßt, und daß die Bauausführung deS letzten, leichtesten Drittels des LewiSham- CanalS sich um mindestens 33 Procent gegen den Voranschlac ermäßigte. Und gleichwohl die Schädigung der Steuerzahler um den sehr erheblichen Betrag von 22 000 Pfund, bloS wei eS den socialdemokratischen Machern gefällt, aus allgemeine Unkosten ihre Theorien in die Praxis umzusetzen. Man sieht, welche Gefahr die Finanzen eines Gemeinwesens lausen, das auf Gnade und Ungnade den Händen der „Genossen" aus geliefert ist! Deutsches Reich. -2- Leipzig, 7. December. Das hinterlassene hochbedeut same Werk des Füsten Bismarck, in welchem er auf jeder Seite belehrend und mahnend zum deutschen Volke spricht, ruft die Erinnerung an einen Vorgang wach, bei dem Leipzig, daS allezeit die regsten Beziehungen zum Altreichskanzler hatte, in erster Linie betheilsgt war. Während der kurzen, leidensvollen Regierungszeit Kaiser Friedrich'- tauchte das besonders von englischer Seite lebhaft mit betriebene Project einer Bermäblung der Prinzessi.r Victoria, der Tochter deS Kaiser-, mit dem Fürsten Alexander von Bulgarien auf. Aus dem Widerstände deS Fürsten BiSmarck, der ein solche- Ehebündniß als unver einbar mit der Politik deS deutschen Reiches ansah, entwickelte sich eine Kanzlerkrisis. In Sorge um die mögliche Gestaltung der Dinge trat auf Veranlassung des Herrn Professor 0r. Biedermannder Vorstand deS national- Uberalen Vereins in Leipzig zusammen, um über die öffent liche Auflegung und Absendung einer Adresse an den Kanzler zu berathen Trotz mancher Bedenken wurde ein von Herrn Professor vr. Biedermann verfaßter, von ihm leb haft befürworteter Entwurf genehmigt, in welchem der Kanzler gebeten wurde, sein Amt nicht zu verlassen, und der die Hoffnung aussprach, es werde der Weisheit des Kaisers gelingen, einen Weg der Verständigung zu finden. BreSlau handelte damals ähnlich. Obgleich die Presse und selbst gleichgesinnte Blätter das Vorgehen tadelten, wurde die Adresse ausgelegt und fand zahlreiche Unterschriften. Da gelangte an Herrn Oberbürgermeister vr. Georgi — wenn wir unS recht erinnern, am 12. April 1888 — folgendes Telegramm: „Euer Hochwohlgeboren würden mich zu Dank verpflichten, wenn Sie gütigst vertraulich darauf hinwirken wollten, daß die iatendirte Adresse unterbleibe. So schmeichelhaft dieselbe auch für mich ist, meine Beziehungen zu Sr Majestät würden durch dieselbe peinlich berührt werden. Eine Meinungsverschiedenheit zwischen Gr. Majestät und mir besteht nicht. von Bismarck." Al- Folge dieser Depesche war am nächsten Tage in den Leipziger Blättern Folgende- zu lesen: „Soeben von bestunterrichteter Seite uns zugegangene Mit« »Heilungen über den Stand der Kanzlerkrisis lassen eS uns al- ge- boten erscheinen, die auSgrlegte Adresse vorläufig zurückzuziehen." So unterblieb die Absendung der Adresse, die sich bereits mit circa 4000 Unterschriften bedeckt hatte; sie war auch Deinen Herrn und Gebieter anerkennen, ihm in allen Dingen treu und ergeben sein können? Wirst Du 'hn achten und lieben, seine, seine und Deine Kinder erziehen können, wie es die Gebote der Pflicht und der Religion erheischen? Capri, Capri, wegen eines hohlklingenden Titels und eines großen Einkommens wirfst Du Dein Lebensglück von Dir?" Diese herben Worte verletzten sie viel grausamer, als Peitschen hiebe es vermocht hätten, denn sie empfand die Wahrheit derselben. „Ein vortrefflicher Handel!" fuhr er bitter fort, seine Augen blitzten zornig auf und seine Stimme zitierte vor Erregung. „Wer von Euch Beiden kommt dabei besser weg? . . . Schon in wenigen Monaten wirst Du des eingegangenen Contractes müde werden, Deinen Gatten hassen und Dich selbst verabscheuen; der glänzende Titel und das gleißende Gold, für das Du Dein Leben, Deine Glückseligkeit, ja, selbst Deine Seele verkaufst, wird für Dich jeden Werth verloren haben, die ganze Welt wird Dich anokeln, Dein Dasein wird ein« entsetzliche Komödie und Lüge werden.... Die Reue wird und kann nicht ausbleiben und es wird die Zeit kommen, wo Du für eine Stunde reiner, treuer Liebe Dein eingebildetes Glück wie einen lästigen Ballast von Dir werfen wirst . . . ." ,,O Marc, Marc, halte ein!" bat sie flehend, kauerte zu seinen Füßen nieder und schluchzte leidenschaftlich. Da die meisten Männer sich von Weiberthränen rühren lassen, so schwand auch deS Künstlers Zorn allmählich dahin und seine Liebe und das Mitleid »fiir die Weinende siegte. Er nahm sie wie ein Kind in seine Arme und ließ sie auf den Lehnstuhl nieder, dann sank er auf die Knie, erfaßte ihre kalten Hände und flehte: „Capri, vergieb mir! ... Ich habe Dich schwer beleidigt, Geliebte . . . Glaube es mir, ich würde freudig tausend Tode sterben, um Dich vor Gefahr und Kummer zu schützen ... Ich wollte Dich nur vor Dir selbst retten, vor der krankhaften Sucht nach Ruhm und Rcichthum, die Dein Herz erfüllt und blendet... Ich wollte Dir die Augen öffnen, damit Du den tiefen Abgrund siehst, in den Dich Deine Eitelkeit zu stürzen droht ... O Mädchen, beraube Dich nicht selber Deines besseren Jchs . . . Der Schöpfer hat Dich so schön, so gut, so herrlich erschaffen, warum willst Du dies vollkommene Bild schänden? . . . Ver schließe Dein Herz nicht einer Liebt, die Deinem Leben Freudig keit und Glück verleihen würde!" Sie umschlang ihn zärtlich mit beiden Armen, fuhr bann mit ihren Fingern durch seine weichen Locken, seufzte von Zeit zu Zeit, als ob ihr Herz brechen müßte, und heiße Thränen näßten ihre bleichen Wangen. „Capri, mein Herz, weine nicht. — Es war grausam von mir, Dir so harte Worte zu sagen. — Vergieb mir, mein Lieb ling, mein Alles!" „Ich habe Dir nichts zu vergeben, mein Freund", stammelte sie, als sie wieder zu sprechen vermochte. — „Deine Worte sind nur zu wahr — und deshalb erschüttern sie mich." Er erbleichte und sein Athen: ging schwer. „Wenn Du die Wahrheit empfindest, steht es ja bei Dir, ihn nicht zu heirathen", sagte er mit erzwungener Ruhe. In seiner Stimme lag eine solche Verzweiflung und Trauer, wie man sie bei einem Manne nur in den Stunden des größten Seelenschmerzes hören kann. „Ich muß; denn ich habe mein Wort verpfändet", entgegnete sie resignirt. Er hatte in athemloser Spannung auf ihre Ant wort gewartet; als das letzte Wort ihren Lippen entflohen, stöhnte er auf wie ein verwundetes Wild. <l „Du mußt", wiederholte er, einen letzten Versuch machend, sie vor einem Leben voll Lüge zu retten. „Du mußt, trotzdem Du Dich und ihn grenzenlos elend machst? Von mir will ich ja gar nicht sprechen." „Ja!" rief sie heiser. Er erhob sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Sie reichte ihm mit einer flehenden Geberde die Hand, er zögerte einen Moment, dann drückte er sie sanft. Sie bemühte sich tapfer, ihre Thränen zurückzudrängen und bat ihn, an ihrer Seite Platz zu nehmen; er gehorchte willig wie ein Kind. „Darf ich", begann sie mit zuckenden Lippen, „nach dem zwischen uns Vorgefallenen noch wie eine Freundin zu Dir sprechen?" Als Antwort nickte er stumm mit dem Haupte. „Ich hätte Dir schriftlich meine Verlobung anzeigen können, aber ich dachte, es würde Dir weniger schmerzlich sein, die Kunde von meinen Lippen zu vernehmen, denn ich ahnte, daß — daß Du mich liebst." Die letzten Worte lispelte sie fast. „Ich liebte Dich und liebe Dich noch, tausendmal mehr als mein Leben!" rief er leidenschaftlich. „Du siehst, ich spreche offen mit Dir und beschönige nichts. — Ich wußte, daß Du mich liebst, aber ich wußte auch, daß ich Deiner nicht würdig bin, daß ich nicht geduldig warten könnte, wie ein gutes Weib sollte, bis Du Dir Ruhm und Reichthum erwirbst und im Stande bist, meine Wünsche zu befriedigen. — Glaube es mir, ich kann meinen Ehrgeiz nicht unterdrücken und wir wären unglücklich geworden. — Warum gerade ich nach weltlichen Genüssen strebe, mag der Himmel wissen, aber das Ver langen darnach habe ich mit der Muttermilch eingesogen und eS wuchs mit mir! Es ist seltsam, daß gerade ich, die bis vor Kurzem nur Noth und Elend gekannt, so thörichte Wünsche hege. — Ich kann nicht mehr zurück!" Sie hielt einen Moment inne und er fühlte, wie ihre schlanken Finger nervös zuckten. „Gestern Abend bot mir Lord Harrick Herz und Hand an und damit Reichthum und Rang", fuhr sie fort. „Es kostete mich nur ein Wort und all' die wilden Wünsche, die mein Herz beseelten, waren erfüllt!" „Und Du hast es gesprochen", warf er bitter ein. „Nicht ohne inneren Kampf. — Bedenke doch, was dieser An trag für ein heimathloses, armes, nach den höchsten Genüssen des Lebens strebendes Wesen bedeutet. — Ja, ich habe es gesprochen und werde es halten." Wieder trat eine peinliche Pause ein, die er mit den Worten unterbrach: „Du weißt nicht, was Liebe ist." Sie seufzte schwer auf. „Ueberwiegt die treue Hingabe eines menschlichen Herzens nicht all die Dinge, die Du gewinnst?" fragte er leise. „Man darf nicht Alles verlangen", antwortete sie aus weichend. „Liebe ist ein süßer und gar kostbarer Schatz, aber sie bedeutet nicht viel in unserer harten, kalten Welt." „Du kennst sie eben nicht. Treue Liebe überwindet Alles." „Liebe und Armuth haben einen harten Kampf im Leben und die Stärkere siegt früher oder später." „Die stärkere ist die " „Armuth. Ich weiß es aus Erfahrung." „Wie vermagst Du Dein Herz so zu verleugnen?" Wenn er nur geahnt hätte, wie weich gestimmt es gerade jetzt war, und wie sie sich danach sehnte, ihre weltlichen Gelüste unter drücken und sich in seine Arme werfen zu können und bei ihm Schutz und Liebe zu finden! Sie kämpfte einen harten Kampf; die guten und die bösen Geister in ihrem Herzen rangen mit ein ander um die Oberherrschaft. Wie eine liebliche Fata Morgana stieg vor ihren Augen ihre glänzende Zukunft als Dicomtesse Harrick auf, dagegen erhob sich als Schattenbild ihre ganze trau rige Vergangenheit. — Ihr Entschluß stand fest, sie wollte dem Lord zum Altar folgen. „Marc", begann sie, „Du warst stets gut gegen mich und hast mir Deine Liebe geschenkt, deren Besitz das edelste Weib auf Erden beglücken sollte, aber ich habe wie eine Schlange gehandelt. — Ich konnte nicht anders. — Und doch war mir unser altes Leben, unsere Freundschaft lieb und Werth." „Was dieses für micb bedeutet, weiß Gott allein! — Wie unbeständig ist doch das Glück!" „Kannst Du mir um der Vergangenheit willen verzeihen?" bat sie innig. * Halterst-dt, 6. December. Wegen ,,groben Unfug»" in zwei Fällen wurden jocialdenivkratiscke Redacteure der „Halberstävter Arbeiter-Zeitung", die „Genossen" Meyer und Berg, vom Schöffengericht zu je 150, zusammen 300 Geldstrafe verurtheilt, weil sie gelegentlich deS Magde burger Bauarbeiter-Streikes, der zu einer Massen- auSsperrung wurde, geschrieben hatten: 1) Unterbleibt der Zuzug von Maurern, Zimmerern und Bau« arbeitera und werden die Au-gesperrten durch materielle Hilfe in den Stand gesetzt, sich und ihre Familien über Wasser zu halten, dann muß dieser Angriff der Unternehmer kläglich scheitern. L) Vorerst ist nothwendig, daß kein Maurer, Zimmerer und Bauarbeiter nach Magdeburg, reist; jeder Zuzug erschwert Len Kampf der AuSgesperrten und Streikenden; sodann wolle man be denken, daß der Kampf ungeheure Opfer verschlingt. Arbeit-« briider! Die AuSgesperrten und Streikenden appelliren an Euer SolidaritätSgesühl. -s- Halle a. S., 6. December. Die hiesige Polizei verwaltung hat kürzlich die Polizeistunde der Gaslwirthschaft von Faul mann hier auf Abends 10 Uhr festgesetzt, weil in derselben Anarchisten verkehren und anarchistische Ver sammlungen abgehalten worden sind. In der gestrigen Stadtverordnetenversammlung interpellirten die beiden socialdemokratischen Stadtverordneten deshalb den Magistrat, der durch seine beiden Bürgermeister die darauf richtige Antwort geben ließ, daß dies lediglich Sache der Polizei und nicht der Stadtverordnetenversammlung sei. Die Interpellation wurde mit allen gegen Zwei Stimmen ab gelehnt. In der Begründung der Interpellation warf sich Stadtverordneter Krüger als Anwalt der Anarchisten auf. (-) München, 6. December. Der Besuch des Groß- herogs von Baden bei dem Prinz-Regenten Luitpold soll auf den Anfang der nächsten Woche festgesetzt sein. Der Prinz-Regent ist heute von den Spessartjagden hierher zurück gekehrt. Oesterreich-Ungarn. Lesterreichischc Budgetdebatte. * Wien, 6. December. (Abgeordnetenhaus. — Fortsetzung.) Finanzminister Kaizl fährt fort: Zur Be deckung der Bcamtengehaltsregulirung sei aus den Ueberschüssen des Jahres 1897 ein Be trag von 10,2 Millionen Gulden verwendet und hierdurch einem Wunsche des Abgeordnetenhauses Rechnung getragen worden. 20 Millionen dieser Überschüsse seien zur Einlösung von Salinenscheinen verwendet worden. Im Jahre 1900 werde unter normalen Verhältnissen ein Defizit nur vermieden werden, wenn die wiederholt ausgesprochene Erhöhung der indirectcn Steuern votirt werde. Das Gleichgewicht sei nicht aufrecht zu erhalten, wenn nicht mindestens die Zuckersteuer votirt werde. Bei dieser Gelegenheit erklärt der Minister, daß er im Falle der Votirung die Absicht habe, mißliebige und vexatorische Abgaben abzuschaffen, so Wegmauthen, Zeitungsstempel rc. (Beifall) und besonders die Abgaben von dem Kleinverschleiß geistiger Getränke. Außerdem beabsichtige er, die Reform des Gebührengesetzes zum Nachtheil des Staatsschatzes durchzuführen, indem Erleichterungen bei Uebertragungen baulicher Liegen schaften gewährt werden. Um die Solidität des Budgets zu zeigen, bemerkt der Minister, daß auch für die Schuldentilgung vorgearbeitet werde. Durch die Zuwendung von 20 Millionen Gulden aus den Ueberschüssen des Jahres 1897 zu diesem Zwecke sei das Resultat der Tilgung der Salinenscheine jetzt ein der artiges, daß sich diese Schuld binnen fünf Jahren von 100 auf 50 Millionen herabgemindert habe. Außerdem seien 11H Mill, zur Tilgung der gesammte» Staatsschuld im Budget für 1899 zur Verwendung gelangt. Es mache sich also das Bestreben geltend keine neuen Schulden zu contrahiren, sondern die bestehenden herabzumindern. Der Decennien hin durch währende Druck auf die Preise der landwirth - schaftkichen Producte scheine gebrochen, und ein Rückfall werde nicht sobald wieder eintreten. Auch die Zuckerpreise wiesen eine steigende Tendenz auf. Die landwirthschaftlichen Brennereien seien in Vermehrung begriffen, und zu begrüßen sei auch, daß die agrarischen Kreise zur Selbst Hilfe schreiten. Die Regierung werde diese Bestrebungen auch materiell fördern. Auch auf dem Gebiete der Industrie sei der Fortschritt aus der größeren Zahl der Actienunternehmungen zu ersehen. Die Regierung werde diesen Aufschwung durch eine Reform des Actiengesetzes zu fördern bemüht sein. Der Finanzminister constatirt die dauernde Gesundung der wirth- schaftlichen Verhältnisse, sowie die auch im Jahre 1898 eingetretene Besserung der gegenwärtigen Bilanz, und be leuchtet den Mißstand, daß jetzt sowohl das Budget für 1898, wiedasfllr 1899 unerledigt sei, was eine Gefahr für den Parlamentarismus bedeute. Es könne sich vielleicht eine Regierung, die reactionaire Tendenzen verfolgt, über diesen Niedergang des Parlamentarismus freuen, „wir aber", fährt der Minister fort, „freuen uns nicht. Wir beklagen diese Verhältnisse, weil wir in ihnen ein bedenkliches Ucbel erblicken, ein Uebel trotz des 8 14. Weil das Parlament, obwohl eine Schranke, so doch auch eine mächtige Stütze der Regierung darstellt, und weil auf die Dauer ein Regime ohne parlamentarische Con- Statt der Antwort küßte er zärtlich ihre Hand. Während seine Lippen heiß darauf ruhten, schoß das Blut in ihre Wangen und ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen, doch erstarb es sofort wieder, und sie fragte ernst: „Willst Du mir versprechen, mein Freund zu bleiben, was auch kommen mag?" „Ich verspreche es Dir!" „Ich kenne ein treues, edles Weib", fuhr sie zögernd fort, „sie hat sich als Deine Gönnerin bewährt, und — dies sagt Dir die Freundin — Dir auch ihr Herz geschenkt." „Capri!" schrie er schmerzlich auf. „Nur ruhig, Marc. — Ich will Dir nicht wehe thun und habe nur Dein Wohl im Sinne. Wir Evastöchter haben ein scharfes Auge für Liebessachen und ergründen in einem Augen blick das Herz unserer Mitschwestern tiefer, als Männer es in Jahren zu ergründen vermögen. — Sie liebt Dich, Marc, ich habe die Frau, die ich meine, beobachtet, während Du Dich ihr nähertest " „Kein Wort weiter, Capri! Du beleidigst mich und sie", ries er erregt und sprang auf, öffnete das Fenster und schöpfte tief Athem. Während dieser Zeit ließ das Mädchen noch einmal weh- müthig ihre Blicke in dem vertrauten Gemach umherschweifen, sie blieben auf dem frischen Blumenstrauß hasten. Leise schlich sie sich an den Tisch heran und brach ein „Vergißmeinnicht" daraus. Marc drehte sich plötzlich um und bemerkte eS. „'Lebe wohl, mein Freund", stammelte sie unter Thränen. „Wir wollen uns den Abschied nicht noch mehr erschweren." Mit einem Sprung war er an ihrer Seite, schlang den Arm um sie und drückte sie leidenschaftlich an seine Brust. Er fühlte, wie sie am ganzen Körper zitterte, wie wild ihr Herz gegen das seinige schlug, und hörte, wie schwer ihr Athem ging. „Weshalb müssen wir uns für ewig trennen? Weshalb mein Liebling?" rief er erschüttert, und preßte sie immer heftiger an sich. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrem gequälten Herzen, er neigte sein Gesicht zu dem ihrigen hinab, ihre lirbestrunkenrn Augen begegneten sich, und im nächsten Augenblick fanden sich ihre Lippen zu einem langen, heißen Kuß. „Capri, Capri, habe Erbarmen! Wenn Du mich nur halb so liebtest, wie ich Dich, Du würdest Himmel und Erde opfern, um mein zu sein! — ES ist noch nicht zu spät. — Entsage Deinem Ehrgeiz, und ich will Dich lieben und anbeten, wie noch kein irdisches Weib angebetet und geliebt worden ist!" (Fortsetzung solgt.)
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