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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981206016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120601
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-12
- Tag 1898-12-06
-
Monat
1898-12
-
Jahr
1898
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«17 kie Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. hie Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Nedaction und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filiale!,: vtt« klein in'S Lortim. (Alfred Hahn), UniversitStSsrraße 3 (Pauliaux^, LoniS Lösche. Katbarinenstr. 14, part. und KS^gSplatz BezugS-Pred» Id der tzauptexpedition oder den lm Ttadt» bezirk und den Vororten errichteten AuS- aobestellen abgeholt: vierteljährlich ^»4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich > 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung m» Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. MpMer Tageblatt Anzeiger. ImkAbtatt des Königlichen Land- nnd Amksgerichles Leipzig, -es Mathes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. - - — - - - - — Dienstag den 6. December 1898. Uazeigett-PreiS die «gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reclamen unter dem Redactionsstrich ^ge spalten) 50vor den Familiennachrichter (6gespalten) 40/i^. Größere Schriften laut unserem Preis, ve-^eichniß. Tabellarischer und Ziffernjag nach höherem Tarif. Vxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Poslbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an d-« Expeditta« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in LeipziL S2. Jahrgang. Fürst Lismarck's Gedanken und Erinnerungen. ,VI. (Fortsetzung.) Herr b. Bismarck ist in den Jahren seiner Frankfurter Ge sandtschaft mehr als einmal der Candidat des Königs für den eventuellen Ersatz Manteuffel'S gewesen, richtiger vielleicht: der König benutzte die Drohung mit der Berufung Bismarck's zur „Territion" Manteuffel'S, um diesen immer wieder zum Ge horsam zu zwingen. Denn der König wollte gehorsame Minister und konnte sich offenbar in die Rolle eines konstitutio nellen Monarchen nicht hineinleben, der in der Verantwortlichkeit der Minister die beste Bürgschaft für die Dauer der dynastischen Rechte besitzt. Manteuffel als Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen befand sich in keiner beneidenswertsten Lage. Der König liebte es, auf eigene Faust Politik zu machen, oft in einem den Anschauungen seines verantwortlichen Ministers entgegen gesetzten Sinne. Er bediente sich dabei der Gesandten, die als Untergebene des Ministers dadurch wieder in eine schiefe Stellung zu ihrem Chef geriethen, mit Vorliebe Bismarck's. Da diesem ein ehrgeiziges Streben nach dem Ministerposten fern lag, so benutzte er das Vertrauen des Königs, um immer wieder zu ver mitteln. Zur Zeit des Krimkrieges häuften sich die Differenzen zwischen dem Könige und Manteuffel derart, daß Bismarck, wie er erzählt, auf den Reisen zwischen Berlin und Frankfurt über GunterShauscn in einem Jahre 2000 Meilen zurücklegte, „damals stets die neue Cigarre an der vorhergehenden entzündend oder gut schlafend". Der König erforderte dann nicht nur seine Ansicht über Fragen der deutschen und der auswärtigen Politik, sondern beauftragte ihn auch gelegentlich, wenn Entwürfe des Aus wärtigen Amtes Vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegen- projecten. Mitunter complicirten sich die Dinge noch mehr, wenn der König den Grafen Albert Pourtalös zu Rathe zog, den er auch gern gegen Manteuffel ausspielte, wenngleich der Reichlhum des Grafen, der ihm die Unabhängigkeit der persönlichen Meinung gestattete, in den Augen des Königs dessen Berufung zum Minister ihm erschwerte. „ES kam vor", erzählt Bismarck, „daß nothwendige Depeschen nicht von Manteuffel, sondern von dem Grafen Albert Pourtaltzs entworfen wurden, daß der König mir dessen Entwürfe zur Revision gab, daß ich über die Amendirung wieder mit Manteuffel Fühlung nahm, daß der den Unterstaats- secretair Le Coq zuzog, daß dieser die Fassung aber lediglich von dem Standpunkte französischer Stilistik prüfte und eine tagelange Verzögerung mit der Anführung rechtfertigte, er habe den genau angemessenen französischen Ausdruck noch nicht ge funden, der zwischen dunkel, unklar, zweifelhaft und bedenklich die richtige Mitte hielte." Auch in den Fragen der inneren Politik bediente sich der König gern der Beihilfe Bismarck's, so in dem Streite, der zwischen ihm und den Führern der konservativen Partei über die Bildung der Ersten Kammer sich erhob. Der König wünschte eine Art Oberhaus zur Stütze der königlichen Autorität, die conservatkve Partei der Zweiten Kammer eine durch Wahlen zusammenzusetzende Erste Kammer. Herr v. Bis marck, der in dieser Frage damals noch keine persönliche Ueber- zeugung hatte, nahm es auf sich, die Wünsche des Königs seinen Fractionsgenossen gegenüber geltend zu machen, wenn er sich auch bei dem Widerstande der Parteileitung keinen rechten Erfolg davon versprach. Indem er nicht sowohl für die vorliegende Auffassung des Königs, als für das Zusammenhalten mit ihm eintrat, gelang es ihm, die Fraktion für seinen Gedanken zu ge winnen: bei der Abstimmung blieb die Fractionsleitung isolirt. Im Rückblick auf diese Dinge muß Bismarck zugeben, daß die Fractionsführer im Grunde dem Könige gegenüber Recht hatten. „Die Erste Kammer war zur Lösung der Aufgaben, welche einer solchen im konstitutionellen Leben zufallen, befähigter als das heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines An sehens, welches das Herrenhaus sich bisher nicht erworben hat.... Es verräth einen Fehler in der Constitution, wenn ein Oberhaus in der Einschätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regierungspolitik oder selbst der königlichen Politik wird. Nach der preußischen Verfassung hat der König mit seiner Regierung an und für sich einen gleichwertigen Antheil an der Gesetzgebung wie jedes der beiden Häuser; er hat nicht nur sein volles Veto, sondern die ganze vollziehende Gewalt, vermöge deren die Ini tiative in der Gesetzgebung faktisch und die Ausführung d>.' Ge setze auch rechtlich dec Krone zufällt. «Das Königthum ist, wenn es sich seiner Stärke bewußt ist und den Muth hat, sie anzu wenden, mächtig genug für eine verfassungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorsamen Herrenhauses als einer Krücke zu bedürfen." Gnade und Ungnade lagen Lei Friedrich Wilhelm IV. nahe bei einander. Auch über Herrn V. Bismarck lachte nicht immer die Sonne der königlichen Gunst. Eine ernstere Verstimmung machte sich geltend nach dem Besuche Bismarck's in Paris; sie hatte sich schon bemerkbar gemacht, als Bismarck einer Auf forderung des Königs zu längerem Verweilen in Putbus, wohin er Ende August 1864 behufs Redaktion einer Depesche entboten worden war, aus häuslichen Gründen nicht Folge leistete, sondern auf der Abreise bestand; der beifällig aufgenommene Depeschen entwurf wurde telegraphisch aufgehalten und dann abgeändert. Im Sommer 1865 begab sich Bismarck nach Paris, um als Gast des preußischen Gesandten, Grafen Maximilian Hatzfeldt, der Feier des Napoleonstages beizuwohnen. Am französischen Hofe durch seinen Gastgeber eingeführt, stand er zum ersten Male dein Imperator gegenüber. Bei den verschiedenen Besprechungen, die er damals mit dem Kaiser hatte, gab Napoleon nur in all gemeinen Worten seinen Wunsch und seine Absicht im Sinne einer französisch-preußischen Intimität zu erkennen: er meinte, daß diese beiden benachbarten Staaten, die vermöge ihrer Bildung und ihrer Einrichtungen an der Spitze der Civilisation ständen, auf einander angewiesen seien. Wenn Herr v. Bismarck aus Gründen der Politik di« Anknüpfung freundschaftlicher Be ziehungen zu dem Oberhaupte des französischen Staates seinem Könige empfahl, so geschah es in der Hoffnung, durch staats männische Erwägungen persönliche Antipathien überwinden zu können, die am preußischen Hofe geflissentlich gegen Napoleon, als Träger der Revolution, von den starren Vertretern des Legi- timitätsprincips gepflegt wurden. Die Hoffnung betrog ihn, er selbst wurde verdächtig und mußte sich in einer langen, den „Ge danken und Erinnerungen" einverleibten Correspondenz mit dem General L. v. Gerlach über den Begriff der Legitimität aus einandersetzen, ohne den Gegner von der Verkehrtheit seiner An schauungen zu überzeugen. Die Briefe Bismarck's sind wahre Cabinetsftücke in ihrem gesunden politischen Realismus und in Bezug auf die historische Begründung seiner Auffassung von dem Unwerthe legitimistischer Bedenklichkeiten. Im Jahre 1856 näherte sich der König Herrn v. Bismarck abermals, was bei Herrn v. Manteuffel die Besorgniß weckte, Bismarck möchte wieder am Hofe größeren Einfluß gewinnen. Auf Weisung des Königs mußte Manteuffel scheinbar aus eigener Initiative Herrn v. Bismarck fragen, ob er als Finanzminister eintreten wolle, um später das Finanzministerium an Manteuffel abzutreten und dafür das Ministerium des Auswärtigen ein zutauschen. Die Sache scheiterte auch diesmal an der Abneigung Bismarck's. Das Jahr 1857 führte Bismarck abermals nach Paris, wo zu dieser Zeit die Conferenzen zur Schlichtung des zwischen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites gehalten wurden. Diesmal trat Napoleon offener mit seinen Wünschen hervor: die petite rectiticntion ües troutiörvs, das ^4 und Z2 der späteren napoleonischen Politik, spielte schon damals eine Rolle in seinen Erörterungen, ohne eine aouäitio sino <jua uon zu sein. Aber er schien sie noch nicht am Rheine zu suchen, sondern in Italien. Als Ergebniß eines nächsten Krieges dachte er sich ein Verhältniß der Intimität und Abhängigkeit Italiens zu Frankreich, vielleicht die Erwerbung einiger Küstenpuncte. Für die Ausführung dieses Programms erschien ihm Preußens Zu stimmung erwünscht; als Preis derselben stellte er Preußen die Erwerbung Hannovers und der Elbherzogthümer in Aussicht, die ihm die Unterlage einer stärkeren Seemacht verschaffen würden. In weiterer Perspective deutete er auf eine Vereinigung der See möchte zweiten Ranges mit Frankreich als Gegengewicht gegen die englische Ueberlegenheit hin. Bismarck nahm die Eröffnungen entgegen, erklärte sich aber außer Stande, sie seinem Könige mit zutheilen, da Friedrich Wilhelm IV. sich unmöglich auf derartige Pläne einlassen könne; ja, er versprach, absolutes Stillschweigen darüber zu bewahren, um den Kaiser vor den Unannehmlichkeiten zu schützen, die aus indiskreten Mittheilungen seiner politischen Ideen an anderen Höfen ihm erwachsen könnten. Dem Kaiser war der Gedanke eines solchen „Verraths" höchst unbequem; aber Herr v. Bismarck wußte zu schweigen und hat nur obenhin über das Gespräch berichtet, ohne den Kaiser bloßzustellen — eine TaatindieZulunft. In den für Preußen-Deutschland entscheidenden Jahren von 1863—66 hat das Vertrauen Napo- leon'S auf Bismarck's Freundschaft, das er damals gewann, reiche Frucht getragen. Im Juli 1857 erkrankte der König auf der Rückreise von Schönbrunn in Pillnitz; nach der Rückkehr nach Sanssouci be merkte seine Umgebung an ihm eine geistige Ermüdung, die sich in den folgenden Wochen und Monaten noch verstärkte, bis ein im Oktober erfolgender Schlaganfall eine nahe Katastrophe erwarten ließ. In dieser Zeit — am 19. Oktober — hatte Bismarck mit dem Prinzen von Preußen, für den die Möglichkeit einer sofor Feuilleton. Herbstjagd. Lkizze aus dem österreichischen Schlotzlcben. Von Marie Stona (Schloß Strzebowitz). Nachdruck verbotrn. Sie ist jedes Jahr die gleiche und doch wirkt sie stets mit dem Reiz der Neuheit auf uns. Ungefähr im September beginnt sie langsam aus der Fluth künftiger Ereignisse emporzutauchen. Nun bildet sie die große Zeilscheide. Alle Dinge werden in „vor der Jagd" und „nach der Jagd" eingetheilt. Ihr Tag wird bestimmt. Es ist stets der 26. ober der 27. oder der 28. November — seit zwanzig Jahren. Aber es thut förmlich wohl, wenn wieder einmal das Datum fixirt ist. Allabendlich setzt mein Vater eine Liste der Gäste auf und fragt bekümmert: „Wie werden wir sie denn alle unterbringen?" Ich tröste ihn. „Es wird schon gehen, — übrigens kommen ja auch nicht alle Eingeladenen." Das ist wahr. Das hatte er beinahe vergessen. Wie es stereotype Gäste giebt, giebt es auch stereotype.Absager. Inzwischen grübelt mein Mann über dem Problem, wie er vierundzwanzig Schützen auf zehn Stände vertheilen soll. Die Abende vergehen prächtig mit allerlei Meinungs differenzen, Plänen und Vorschlägen, bis wir alle uns einstimmig in dem großen Rückschlag einigen, und Alles so wird, wie es immer gewesen. Jeder Tag bringt nun eine neue Ueberraschung, d. h. man läßt sie stets als solche auf sich wirken. Die Einen sagen zu — große Freude! Andere sagen ab. Darüber weiß man sich zu trösten. So consolidirt und crystallisirt sich immer mehr und mehr der Kreis der Gäste und wird zu dem, der er all jährlich ist. Doch die Aufregung über das bevorstehende Jagdereigniß hat nicht allein uns im Schlosse ergriffen. Auch das Dorf wird von dem Strudel miterfaßt. Besonders die Schuljungen. Für sie bedeutet „die Jagd" den großen Tag im Jahre; da schwänzen sie die Schule und bekommen Freibrod und dürfen sich Herumbalgen und mit furchtbarem Geschrei in die Wälder stürzen, den Fasanen die längsten Federn ausrupfen, die sterbenden Hasen todtschlagen und unzählige kleine Bestialitäten begehen, an denen sie ihre Helle Freude haben. Indessen steigt die Aufregung im Schlosse immer höher. Jeder Einzelne ist vom Jagdfieber erfaßt. Es wird so viel geputzt, gefegt, gelüftet, bis wir alle erkältet sind. Und endlich kommt der Polterabend des großen Tages. DaS Haus ist auf den Glanz hergerichtet. In der Küche liegen so und so viele Hühner, Kalbsköpfe, Rinderzungen, Rehrücken und Forellen. Es ist unglaublich, wie viele Thiere dar Leben lassen müssen, wenn mehrere Menschen sich zu einigen gemüth- lichen Plauderstunden zusammenfinden wollen. Nachmittags erscheinen die Gäste; man schüttelt sich die Hände, lacht, schwatzt und sieht auf das Barometer. Ein kleine» Festsouper erhöht die Hoffnung auf günstiges Wetter. Manche haben nicht Übel Lust, die ganxe Nacht aufzubleiben, um ihre meteorologischen Beobachtungen fortzusetzen, allein um 11 Uhr wird Alles energisch zur Ruhe geschickt. „Frühstück um 7 Uhr!" lautet die Parole. Die Damen unterdrücken einen leichten Aufschrei. Wir haben viele Damenschützen. Vor Jahren jagten nur die Männer. Die Frauen hielten sich für zu zart, um sich stundenlang dem frostigen Winterwetter auszusetzen. Später begannen wir mit zugehen als Zuschauerinnen, und endlich, da die Frauenbewegung immer größere Fortschritte machte, nahmen wir selbst die Flinte zur Hand. Jagdmorgen! Ein ganz eigener Hauch durchweht das Haus. Trotz des frühen Aufstehens lacht eine herrliche Fröhlichkeit von allen Gesichtern. Das Frühstück nimmt kein Ende. Alle Welt scheint verhungert. Vor dem Hause balgen sich die glücklichen Treiber, ausgerüstet, als ginge es nach Sibirien, mit Stöcken, als gäbe es Wölfe zu erschlagen. Etwas entfernt von dieser Truppe stehen die erwachsenen Männer aus dem Dorfe, deren jeder das Amt haben soll, einem Schützen das Gewehr zu tragen, oder wenigstens die Patronentasche. Sie nennen sich „Büchsenspanner" und halten es für unziemlich, ihre Freude über den Tag anders als durch gemessene Würde zum Ausdruck zu bringen. Mein Vater und mein Mann alarmiren abwechselnd die noch immer essenden Gäste mit der Jagdpfeife. Nach dem sechsten Signal rennt Alles durch das Haus. Jeder hat etwas in seinem Zimmer vergessen, und da Keiner allein wohnt, währt es eine geraume Zeit, ehe er eS in Nachbars Sachen ge funden hat. Endlich stehen Alle ausgerüstet dor dem Thor, Helle Freude in den Blicken. Die Wagen fahren vor. Die Damen und einige Herren, denen es weniger um das Jagen als um das Plaudern zu thun ist, fahren bis zum ersten Trieb. Die ernsten Jäger gehen zu Fuß, gefolgt von den „Büchsen spannern" und den Treibern. „Nur leise, — ganz leise!" mahnt mein Mann, denn man kommt am Walde vorüber, und die Fasanen dürfen nicht be unruhigt werden. In tiefer Stille vollzieht sich die Aufstellung, als gälte eS einen Todfeind zu umzingeln. Jeder Schütze hat seinen Platz. Nun werden die Treiber zum letzten Mal ermahnt, jeden überflüssigen Lärm zu vermeiden, sich mit dem einfachen Abklopfen der Bäume zu begnügen und mit einzelnen Prrrr — Prrr! Jetzt giebt der Heger das Zeichen, der Trieb wird „an geblasen". Wie eine wilde Horde stürzen die Treiber sich in das Dickicht. Vergebens werden sie zur Ruhe gerufen, beschimpft, bedroht. Ach was — ein Jahr lang freuen sie sich auf das Fest, und jetzt sollten sie sich so still verhalten wie bei einer Todtenmesse? Fällt ihnen nicht ein! Sie johlen, brüllen, quietschen, jauchzen, gurren, pfeifen, singen mit solcher Lust, daß die aufgeschreckten Fasanen nicht den Bereich des nächsten Triebes, sondern sogleich die fernsten Weiten suchen und das Wild auf mehrere Kilometer in der Runde flüchtig wird. Dazu gehen diese unglücklichen Treiber immer schlecht. Sir jagen die Fasanen nicht den Ehrengästen, sondern den „Kollo- phoni" zu, die irgendwo an der Seite stehen. Schon ihre Großväter haben diese Fehler begangen — eS scheint, daß er aus diesem Bauerngeschlecht nicht auszumerzen ist. Mein Bater ärgert sich fürchterlich; mein Mann schimpft; der Heger flucht; selbst die „Büchsenspanner" geben ihre Ent rüstung über das ungeartete Volk, zu dem mancher von ihnen noch vor einem Jahre gehörte, mit lautem Unwillen zu erkennen; nur die Schützen lächeln überlegen. Gegen Ende des Triebes stehen plötzlich jene Fasanen, die sich bis dicht an die Schützen herangeflüchtet hatten, zu gleicher Zeit auf, im „Bouquet", wie auseinanderstrebende Blumen. Es hebt ein Knallen, Knattern an, Pulverdampf füllt die Luft; man glaubt, daß hundert der seltenen Vögel die Strecke zieren müssen, und siehe da! kaum zehn sind zu Stande gebracht worden. „Ein verfluchtes Schießen zwischen den Bäumen!" „Und so hoch kommen Einen diese . . . .!" wüthen die Schützen. Man beruhigt sich endlich. Es beginnt die Aufstellung zum zweiten Trieb. Nun geht es schon etwas besser. Den Treibern wie den Schützen. Haben die ersteren das Treiben, die letzteren das Schießen weg, dann sind die Fasanentriebe zu Ende, und die Kreisjagd beginnt. Die munteren Söhne des Dorfes „laufen" nach zwei entgegen gesetzten Seiten aus, d. h. sie schlenkern behaglich und langsam vorwärts. Nach je zehn oder zwölf Treibern folgt ein „Herr Schütze", wie der Heger ruft. Als Erste werden die Kräftigsten und Jüngsten gewählt; die ältere Garde „läuft" erst später aus, wenn die ersten Spaziergänger einander nahe kommen und der Ring sich zu schließen beginnt. Jetzt schreitet Alles langsam dem Cenirum des Kreises zu. Die aufgeschreckten Hasen jagen angstvoll durcheinander. Je größer ihre Zahl, umso größer die Lust. Manch' einer sucht die Reihe der Treiber zu durchbrechen. Piff — paff, piff — puff! knallt es um unsere Ohren. Nach jedem Trieb wird die Strecke der erlegten Hasen be sichtigt. Die Jagd dauert für die ernsten Schützen bis zum Anbruch des Abends, bis bei jedem Schuß ein kleines, weithin sichtbares Flämmchen vom Gewehrlauf aufzuckt. Dann erst kehren sie heim, den Schnee von den Füßen stampfend, fauchend und lärmend. Um sechs Uhr ist das Festdincr. Der älteste Schütze — er ist seit fünfundvierzig Jahren Stammgast der Jagd — hält den Toast auf den Hausherrn und entfesselt allgemeine Rührung. Bald läßt man Alles leben, nachdem man so viel todtgeschossen hat. Beim schwarzen Kaffee hat die Unterhaltung scheinbar ihren Höhepunkt erreicht. Einzelne Paare umarmen sich, zu meist die älteren, den jüngeren ist es nicht gestattet. Es scheint, als ob der Jubel stundenlang währen wollte, allein mich täuscht dieser Schein nicht. Ich weiß, daß in einer Stunde schon ich unendliche Mühe haben werde, den Schlaf von diesen Lidern zu scheuchen, denn ich bin es dem Prestige des Tages schuldig, die Gäste bis spät nach Mitternacht in einem „Taumel" von Lustbarkeit zu er halten. Bald tritt jene gewisse abgespannte Ruhe ein, die der Lange weile vorauszugehen pflegt. Es droht der tobte Punkt und die Uhr zeigt kaum neun! Die Mehrzahl der Herren setzt sich an Kartentische, um endlich etwas Vernünftiges zu thun. Sie sehnten sich förmlich nach Ernst und Würde. Was aber soll ich anfangen mit der Schaar elegant ge kleideter Damen und mit den wenigen Herren? Man hat immer zu wenig Herren. Meine Freundin Nini schlägt in so schweren Augenblicken stets das Orakelspiel vor, ein Kartenscherz, der mühsam über die nächsten fünf Minuten hinweghilft. Ist die Gesellschaft be sonders animirt, dann hält sie das Spiel auch zehn Minuten aus Nun kommt das Watteblasen an die Reihe. Wieder fünf Minuten gerettet. Der Zeiger zeigt halb zehn. Was nun? „Nur nichts geistreiches!" rufen Alle. Dumme Gesellschaftsspiele langweilen zumeist; geistreiche immer. Die Gesellschaft versinkt abermals in eine Art Lethargie. Einzelne Paare sehen Photographien an, andere plaudern in einem Winkel — oder gähnen sie nur? Die Klügsten ziehen sich unbemerkt zurück. Wie ich die beneide! Ein rettender Gedanke! Der Festredner ist ein vorzüglicher Klavierspieler. Rasch wird er seinen Partnern vom Spieltisch wegeskamotirt. Ehe sie sich dessen versehen, sitzt an seiner Stelle ein Anderer, er selber aber am Clavier und aus Schrecken über die unerwartete Veränderung fällt er mechanisch in den Drei vierteltakt ein. Hei, wie das elektrisirt! Die hübschen Füßchen in den durchbrochenen Strümpfen trippeln hin und trippeln her ... . Die spärlichen Herren, die bei den ersten Takten, Schlimmes ahnend, flüchtig werden wollten — (Keiner kann das Tanzen leiden) werden von mir mit beschwörenden Blicken festgehalten. Sie müssen Tische und Stühle wegräumen, die Teppiche zurück schieben und endlich in leidenschaftlichem Tanz über das Parquet fliegen. Die Gesellschaft macht nun wieder für kurze Zeit den Ein druck, als ob sie sich vorzüglich unterhielte. So täuschte ich sie bis zur Mitternachtsstunde. Nun ist Alles gewonnen: der Morgenhunger kommr über sie, und jetzt scheint es, als ob sie an ein Auseinandergchen nichl vor Ablauf des nächsten Vierteljahres denken wollte. Alles schwatzt und lacht durcheinander. Erst wenn das letzte Schinkenhäppchen verzehrt ist und der alte Franz kategorisch erklärt dar, daß der Schlüssel vom Wein keller für heute verlegt sei, mahnen die Besonnenen zur Umkehr. Aber nun will Keiner schlafen gehen. Jedem fällt etwas ein, wodurch er die Heiterkeit der Anderen noch mehr beleben könnte, eine ganz überflüssige Mühe. Die Langweiligsten ent wickeln plötzlich gesellschaftliche Talente. Zum Schluß beschließt die Gesellschaft, den schon Schlummernden eine kleine Aufmerk samkeit zu erweisen, in Form einer Katzenmusik. So emsig ich wenige Stunden früher mich mühte, die Gäste wach zu erhalten, um wieviel emsiger muß ich nun sorgen, die ungeberdigen Geister auf ihre Zellen zu bannen. Dort toben Einzelne noch lange fort, zur Freude ihrer Nachbarn. Am nächsten Morgen erklärt alle Welt, daß die Jagd glänzend ausgefallen ist. Der Abschied bringt die letzten Ver wickelungen mit sich: Gewehre, Röcke, Pelze, Koffer, Jagdseffel — Alles wird vertauscht, und ich darf mich vergnügt während der nächsten Wochen mit dem Entwirren der großen Lonfussion beschäftigen.
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