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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981201016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120101
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-12
- Tag 1898-12-01
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Monat
1898-12
-
Jahr
1898
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»vos Mutter, die Tochter des höchst liberal gesinnten CabinetS- raths Friedrick'S des Großen, Friedrich Wilhclm's II. und III., Mencken, war von reactionairen Anschauungen so weit ent fernt, daß Bismarck überzeugt ist, daß er für die Richtung seiner ministeriellen Thätigkeit niemals die Billigung seiner Mutter ge funden haben würde. Brachte er also auS dem Ellernhause keinerlei angeborenes oder anerzogencö StandcSgesühl mit, so ließ die harte Erziehung der Plamann'schcu Schule und die Abneigung der Mitschüler und Lehrer gegen Träger adliger Namen, unter der er aus dem Ghmnasium zum Grauen Kloster zu leiden hatte, noch weniger ein Gefühl in ihm aufkommeu, das ihm von Natur fremd war. Ebensowenig war Herr von Bismarck jemals eingeschworen auf den Absolutismus des preußischen KönigthumS. Wenn er auf dem Vereinigten Landtage als Vorkämpfer der Rechte der preußischen Krone auftrat, so geschah eS, weil er ihr daS Recht freihaltea wollte, ohne Ueberstürzung selbst das Maß ihrer Beschränkung zu bestimmen. Die durch Presse und Parlament geübte Kritik hielt schon der Bismarck von 1817 für ein nothwendiges Eorrectiv monarchischer Einrichtungen, „um den Monarchen vor der Gefahr zu behüten, daß Weiber, Höflinge, Streber und Phantasten ihm Scheuklappen anlegten, die ihn hinderten, seine monarchischen Aufgaben zu über sehen und Mißgriffe zu vermeiden oder zu corri- giren". Sein Ideal war immer eine monarchische Gewalt, welche durch eine unabhängige — ständische oder berufs» genossenschaftliche — Landesvertretung soweit controllirt wäre, „daß Monarch oder Parlament den bestehenden gesetzlichen Nechtszustand nicht einseitig, sondern nur commuuieousen8u ändern können, bei Oeffentlichkeit und öffentlicher Kritik aller staatlichen Vorgänge durch Presse und Landtag". Als „liberal" im Sinne der Unzufriedenheit mit der Bureaukratie trat Bismarck in den Ersten Vereinigten Landtag ein in Stellvertretung des erkrankten Abgeordneten v. Vrauchitsch; aber dis Opposition deS „politischen" Libera lismus, der ibm hier in Männern wie Saucken-Tarputschen, Alfred Auerswald, Beckcrath, v. d. Heydt, Mevissen, v. Vincke gegenübertrat, fand nicht seine Zustimmung; ihre Reden muthcten ihn auch in seinen alten Tagen noch an wie „importirte Phrasen-Schablone". Es ist charakteristisch, daß Bismarck mit den Liberalen des Vereinigten Landtags über die Frage in Constict gerieth, aus welchen Gründen die Erhebung des preußischen Volkes im Jahre 1813 erfolgt sei. Dem nackten Materialismus, der „dem Könige dafür, daß die Nation sich selbst befreit habe, eine in Verfassungs paragraphen zahlbare Rechnung überreichen wollte", stellte er den Idealismus eines warmfühlendeu Patrioten gegenüber, dem der Zorn über die Fremdherrschaft die Waffen in die Hand drückt, ohne zu fragen, ob sein Kampf für die Freiheit einer liberaler gerichteten Verfassung die Bahn brechen wird. Der Sturm, den seine Aeußerung hervorrief, gab ihm Ge legenheit, seine kaltblütige Verachtung der Majorität in un nachahmlicher Weise zu bekunden: in einer auf der Tribüne liegenden Zeitung blätternd, wartete er, bis der tobende Lärm sich gelegt hatte und er seine Rede beenden konnte. Seine Haltung im Landtage aber gewann ihm das Vertrauen und die Gunst seines Königs Friedrich Wilhelm IV. Horst Kohl. Deutsches Reich. L. Berlin, 30. November. (Berufung in Straf sachen und Richterzahl.) Nachdem im vergangenen Jahre die lange geforderte Entschädigung unschuldig Ver- urtheilter endlich zur That geworden ist, wird erst recht jene Forderung, die immer zugleich mit der Entschädigung un schuldig Verurtheilter gestellt wurde, die Forderung der Ein führung der Berufung in Strafsachen, wieder erhoben werden. Wenn es auch bei allen Parteien, und zwar gerade unter den juristischen Mitgliedern der Parteien, nicht an Abgeordneten fehlt, die der Einführung der Berufung keine große Be deutung beimessen, so ist doch die übergroße Mehrheit deö Reichstages der Berufung wohlgesinnt. Man kann sich aber darauf verlassen, daß die Regierung auf ihrem Standpuncte, die Berufung nur gegen eine Verringerung der Mitzliederzahl der in erster Instanz erkennenden Strafkammern zu gewähren, stehen bleiben wird. Sie hat jetzt noch einen Grund mehr, gegen die sonst unvermeidliche erhebliche Vermehrung der Richterslellen cinzutreten. In nicht viel mehr als Jahres frist wird daS Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft treten und je mehr die auf dieses vortreffliche Gesetz gerichteten Er wartungen sich erfüllen werben, desto lebhafter wird die Forderung der Vermehrung der Richterslellen für die Zwecke des Civilproceffes werden. Denn das schönste Gesetz wird oft praktisch völlig werthloS, wenn die Processe sich m alle Ewigkeit hinziehen. Je größer aber die Zahl der Amts richterstellen, der Eivilkammern bei den Landgerichten und der Civilsenate bei den Oberlandesgericbten ist, desto rascher können die Processe zur Erledigung gebracht werden und je weniger eine Vermehrung der Richterstellen für Straf zwecke erforderlich ist, desto eher läßt sich eine Vermehrung für die CivilgerichtSbarkeit durchführe». Gerade die For derung der Vermehrung der Richterstellen provocirt zu einem Vergleiche zwischen der Besetzung der Civilkammer und der Strafkammer. Man wird sagen dürfen, daß, wenn drei Richter genügen, die rechtlich wie thatsächlich oft sehr complicirten Eivilprocesse zu überblicken, dieselbe Richterzahl wohl auSreichen sollte^ die in der Regel rechtlich wie that sächlich viel einfacheren Strafsälle zu würdigen; man wird ferner sagen dürfen, daß die ost über die Existenz eines Menschen entscheidenden Eivilprocesse nicht minder wichtig sind, als die Bestrafung eines Diebes oder eines Betrügers; man wird schließlich sagen dürfen, daß diejenigen Staats angehörigen, die in Eivilprocesse verwickelt sind, im großen Durchschnitt doch einen sehr viel werthvolleren Theil des Volkes auSmachen, als die wegen strafbarer Handlungen ver folgten Personen. Sie können darum eher eine Berücksichti gung ihrer Interessen durch eine Vermehrung der Richter stelle» beanspruchen, als die wegen einer Straftbat zur Ab urteilung Gelangenden. Indem man den Letzteren die Möglichkeit der Berufung giebt, schafft man ihnen ohnehin eine sehr werthvolle Garantie für ein richtiges Erkenntnis;. Diese Garantie überwiegt jedenfalls den etwaigen Nachtheil der Besetzung der erstinstanzlichen Strafkammern mit nur drei Richtern erheblich. Der Reichstag sollte sich also in die Forderung der Beibehaltung deö Fünfmännercollegiums nicht so hartnäckig verbeißen wie im Spätherbst 1890, weil sonst die an sich wünschenswertbe Einführung der Berufung in Strafsachen unzweifelhaft all calonckus vertagt wird. * Berlin, 30. November. (Zu dem Streit um die Thronfolge in Lippe) nimmt Professor von Scydel in der „Deutsch. Juristen-Ztg." nochmals das Wort und weist nachdrücklich die Behauptung zurück, daß sich das Schiedsgericht unter dem Vorsitze des Königs Albert nur über daS Thronfolgerecht des Regenten und nicht auch über das der Kinder und der Brüder des Grafen Ernst au«- gesprocben babe. Er legt dar, daß das Schiedsgericht nicht nur einen Spruch gefällt, sondern auch Rechtsgrundsätze zur Begründung dieses Spruches ausgesprochen babe und daß aus diesen Nechtszrundsätzen nicht nur die Thronfolge fähigkeit der Person des Regenten, sondern auch die seines Hauses, seiner Brüder und seiner Kinder unzweideutig hervorgehe. Gleichwohl werde daS Thronfolgerecht der Kinder des Regenten auS dem nämlichen Grunde bestritten, den daS Schiedsgericht bereits verworfen habe. v. Seydel meint, die Gegner könnten, wenn eS ihnen mit der Achtung vor dem Schiedsspruch Ernst wäre, die Probe darauf macken. „Sie mögen sich nur damit einverstanden erklären, daß durch einen Act der lippischen Landesgesetzgebung die Aus führungen des Schiedsspruchs vom 22. Juni 1897 als authentische Auslegung des lippischen Thronfolgerechts erklärt werden": „Menn der Schiedsspruch wirklich eine so beschränkte Bedeutung hat, wie man vorgiebt, könnten sie ja unmöglich etwas hiergegen cinzuwcnden haben. Aber ich fürchte fast, das würde ihnen auch nicht gefallen. Ten» man sagt zwar nicht, aber man denkt: der ergangene Schiedsspruch ist falsch; wir müsse« bestrebt sein, die Wirkungen dieses Uebels so sehr als möglich einzuschränke». Das ist es in erster Linie, und nicht so fast die Auslegung des Artikels 76 der Reichsverfassung, was das Blut des Juristen in Wallung bringt. Wer unbefangen nur sein Rechts, gcfühl zu Rathe zieht, der muß sagen: Es ist über- Haupt berechtigterweise kein Streitfall mehr vorhanden; denn die Frage, über die sich der eine Streittheil noch immer nicht beruhigen will, ist bereits entschieden. Die Sache kann doch nicht von Geschlecht zu Geschlecht weiter gehen, bis der Fürst von Schaumburg-Lippe endlich einmal gesiegt hat. ES muß der lippischen Gesetzgebung gestattet sein, auf Grund des bereits ergangenen Schiedsspruchs ein Ende zu machen. Der Bundesfürst, der meines Erachtens sich durch das Vorgehen Schaumburg-Lippes am tiefsten verletzt fühlen muß, ist der, von dem in der ganzen Angelegenheit am sorgfältigsten geschwiegen wird— der König von Sachsen. Ich aber möchte meinen, daß König Albert das, was er jetzt mit dem Schiedsspruch erleben muß, der unter seinem Vorsitz geschöpft worden ist, um das deutsche Reich nicht verdient hat." v. Seydel meint, wenn man auch von dem unterlegenen Theil nicht verlangen könne, daß er denselben Gleichmut!» zeige, wie derjenige, dessen wissenschaftliche Ansicht verworfen morden ist (damit meint v. Seydel sich selbst; denn er hatte, wie er sagt, „nicht auf derjenigen Seite gestanden, die im Rechtsstreite gesiegt hat"), „so sollte er sich dock einigermaßen zu fassen wissen", von Seydel schließt seine Ausführungen wie folgt: „Ich fasse meine Ergebnisse kurz zusammen: 1) Eine Zuständig, keit des Bundesraths, sich in die Lippischen Thronfolgesragen ein« zumischcu, besteht überhaupt nicht. Auf alle Fälle aber ist es über jeden berechtigten Zweifel erhaben, daß eine solche Zu ständigkeit zur Zeit nicht besteht. 2) Die Gesetzgebung des Fürsten« thums Lippe ist zweifellos befugt, die Thronfolge im Staate zu regeln. Es kann unter Umständen rin Ersorderniß nicht der Rechtsgiltigkeit des zu erlassenden Thronfolgegesetzes, sonder» nur der Loyalität sein, dem gesetzgeberischen Acte vorgängig Streit fragen durch schiedsrichterliche Entscheidung zu erledigen. Eine solche Anforderung der Loyalität besteht für den Gesetzgeber nicht. Er hat bereits einmal einen Schiedsspruch erholt. Tie jetzt erhobenen Einwendungen aber haben keinen Anspruch darauf, vom Gesetzgeber als erheblich betrachtet zu werden. Dies ist, sine ira et stuäio, mein» Recht-Überzeugung. Ich suche hierfür kein« „Stimmung zu machen". Ich suche ihre wissenschaftliche Richtigkeit darzulegen. Als Politiker aber habe ich den dringenden patriotischen Wunsch, daß der lippische Thronstreit bald seiner Beendigung zugrsührt werden möge. Man wird nicht behaupten können, daß die Fortdauer dieser Händel für das Reich Gewinn bringt." Berlin, 30. November. (Heinrich HauSjakob über den KathvliciSmuS.) Zu den Stimmen auS der katholischen Kirche, die wie Prof, schell für die Freiheit im KatboliciSmuS eintreten, ist in letzter Zeit auch der aus gezeichnete Volksschriststeller Heinrich HanSjakob getreten, dessen Schriften, gerade um die Worte einer in den letzten Wochen viel angeführten Broschüre anzuführen, von keiner „Inferiorität der katholischen Belletristik" zeugen. Mit jener Offenherzigkeit, die ihm schon so manche Feinde, aber gewiß auch viele Freunde und Verehrer zugezogeu hat, schreibt dem „Schwab. Merkur" zufolge der katholische Schriftsteller in feinem neuesten Buch „Erinnerungen einer alten Schwarz wälderin" : Ich weiß, daß es Leute giebt, die mich nicht für gut katholisch halten, weil ich noch eine eigene Meinung habe iu Dingen, über die jeder Katholik frei denken und frei reden kann uud darf. Ich lasse mich nicht bevormunden von diesen oder jenen Parteiführern oder von diesen oder jenen Zeitungsschreibern, die Tag für Tag un» zähligen Katholiken vorsagcn, was sie zu reden und wie sie zu denken habe» über Tagesfragen, Zeitbedürfnisse und Zeitverhältnisse. Zu diesen Unmündigen, die heute so und morgen anders reden und denken, wie es ihnen eben Vorgeniacht wird, gehöre ich nicht und will ich nicht gehören. Auch zu jenen Leuten zähle ich mich nicht, die Alles und Jedes, was von den höheren Organen der Kirche ausgeht und verordnet wird, für weise und zeitgemäß halten und zu Allem in Deinuth schweigen oder gar noch Lob singen. Allerdings ist man heutzutage in den Augen vieler Leute nicht mehr katholisch, wenn man nicht zu jenen Unmündigen, blind Gehorsamen und Alles ge« duldig Hinnehmenden gehört. Ich habe aber vom Katholicismus eine andere und bessere Auffassung. Er soll uud will nicht Un« mündige und Sclaven heranzieheu, sondern freie, selbstbewußte Kinder Gottes. Denn das echte Christeuthum ist Wahrheit und Freiheit uud nicht Knechtsinn und Geistlosigkeit. Die Zukunft gehört mehr als bisher der Religion. Und es wäre darum so leicht in unseren Tagen, einer echt christlichen und echt katholischen Weltanschauung eine Gasse zu machen, wenn man die Gläubigen nicht toxiren und behandeln wollte nach dem Grade ihrer Unterwürfigkeit und ihres Gehorsams in Dingen, die nicht zum Wesen des Christenthums gehören. Und ich meine, daß nicht Jene die guten Katholiken sind, die zu Allem Ja und Amen sagen, sondern jene, welche trauern, daß in unseren Tagen so Manches geschieht, was den wahren Interessen der Religion und der Kirche schadet. Freilich habe ich eS schon ost bedauert, eine eigene Meinung zu haben. Man macht sich dadurch unnöthig Feinde, und die Dinge gehen doch wie sic gehen, weil die Mehrheit der Menschen eben gewöhnt ist. sich führen und leiten und sich Alles gefallen zu lassen, und weil sie drum Jeden scheel ansieht und für einen Ketzer hält, der nicht genau so thut und denkt wie sie. Ta, wo die meiste» Menschen auf Stelzen lausen, gelten diejenigen, so sicher uud weise zu Fuße gehen, für Narren. Und wo bei einer Heerde das Schaf, das sich etwas freier bewegt, mit Hundegebell und Peitschenhieben behandelt wird, ist es nicht gescheit, eine andere Meinung zu haben als die Majorität. Der Freiburger Stadtpfarrer, der wohl aus Erfahrung zu diesem resignirtcu Schluffe gekommen ist, endet denn auch seine Ausführungen mit dem derben Satze: „Drum hab' ich mir auch schon oft laut selbst zugerufen: Du bist ein Esel und ein Narr!" und von der Wahrheitsliebe meint er noch elegischer: „Es ist ein sckönes, ein ideales Wort der heiligen Schrift, daS da heißt: Die Wahrheit wird euch frei machen. Aber ich meine, die Wahrheit macht auf dieser lumpigen Erde Märtyrer, Gefangene und arme Teufel, die Luge aber und' daS Geld, die machen freie, angesehene, mächtige Menschen". Die Worte des in einigen Puncten sich mit der Ver bitterung des Alters und der Erfahrung auSdrückendcn Schriftstellers und Stadtpfarrers von St. Martin bedürfen keines Commentars; auch von den Centrumsgewaltigen Württembergs und Badens können sie verstanden werden. D Berlin, 30.November. (Telegramm.) Der Kaiser conferirte gestern Nachmittag im Potsdamer Stadtschloß längere Zeit mit dem Botschafter Grafen v. Hatzfeldt und empfing den Obersten von Grumbkow Pascha. Heute Vormittag hörte der Kaiser den Vortrag des Ehcfs des EivilcabinetS Or. von Lucauus und in dessen Anwesenheit die Vorträge des Landrathes Stubenranch und des Baurathes Havestadt über den Großschifffahrtsweg zwischen Spree und Havel. Der Kaiser conferirte sodann mit dem Geh. Oberbauratb Sp it t a und empfing darauf den Cardinal-Fürstbischof v. Kopp aus Breslau. (-) Berlin, 30. November. (Telegramm.) Der Kaiser wird am 1. December Mittags 1 Uhr vom Schloß Bellevue nach dem königlichen Schlosse reiten. Die Truppen der Garnisonen Berlin, Charlottcnburg, Spandau und Groß-Lichterfelde werden hierbei unter den Linden Spalier bilden. Am Schlosse wird ein Vorbeimarsch der Fahnencompagnie, der Standarten-Escadron und der in dieser Richtung nach den Casernen abmarschirenden Truppen er folgen. Dem Vernehmen nach wird eine Deputation der städtischen Behörden dem Kaiser am Brandenburger Thor den Will kommen grüß der Stadt Berlin dar bringen. (Wiederholt und ergänzt.) — Ueber die Entlassung de» Oberst Keim wird dem „Hann. Cour." geschrieben: Die Verabschiedung des Oberst Keim wird in militairischen Kreisen sehr lebhaft erörtert, da sie nicht nur dem Betroffenen selbst völlig unerwartet erfolgt, sondern auch in der Armee von Niemandem vorausgescheu worden ist. Oberst Keim war zuletzt Commandenr des Füsilier-Regimeuts Fürst Karl Anton von Hvhenzollen Nr. 10 in Aachen; zu Commaudeuren gerade dieses Regiments pflegen stets nur hervorragend tüchtige Ossiciere ernannt zu werden, und Oberst Keim ist noch im Januar dieses JahreS in feiner Conduite als „ein zu den höchsten Führerstellen in der Armee aufs Beste befähigter Officier" bezeichnet worden. Man erzählt sich, daß Oberst Keim durch ein vom Bord der „Hohenzollern" datirtes Telegramm plötzlich zur Einreichung seines Abschieds« gcsuchs aufgesordert worden ist. Er mußte dieser Aufforderung nach« kommen und ist darauf nicht „in Genehmigung seines Abschieds« gesuchs zur Disposition gestellt", sondern es ist ihm „der Abschied bewilligt" worden. Tie Maßnahme ist um so auffälliger, als Keim der fünfzehnte Oberst zur Beförderung zum Generalmajor war. Es wird die Bermuthung geäußert, daß er durch seine militair- schriftstellerische Thätigkeit Anstoß erregt habe. Es ist ein eigenthümliches Zusammentreffen, daß die letzte Ausgabe des „Mil. Woch.-Bl." vom 26. d. M., die seine Verabschiedung bekannt giebt, auch den Schluß einer Abhandlung über „angewandte Taktik" aus Keim's Feder enthält. In der Presse ist bereits an die Verdienste erinnert worden, die Oberst Keim sich anläßlich des Kampfes um die Militairvorlage 1893 im Reichstag erworben hat und sür die er damals durch die Verleihung des Kronenordens 3. Classe ans- gezeichnet worden ist. Der Bericht, in welchem der damalige Reichs« kanzler Graf Caprivi dem Kaiser den Oberstlieutenant Keim sür eine besondere Auszeichnung in Vorschlag brachte, enthielt den Hi» weis, daß ohne Keim's unermüdliche Thätigkeit die Militairvorlage auss Schwerste gefährdet gewesen wäre. Oberst Keim ist übrigens nicht Preuße, sondern Hesse. — Unter der Ueberschrift „Beiträge zur pa st oralen Psychiatrie" veröffentlicht vr. Willms, der bis zum 16. August d. I. an der P r i v a t i r r e n a n st a l t des Pastors Paulsen in Kropp als Arzt thätig war, im neuesten Hefte des „Ccntralbl. f. Nervenheilk. u. Psychiatrie" eine Schilderung dieser Anstalt, welche schwere Anschuldigungen über die Zustände und die Leitung dieses Instituts enthält. Da jede Bestätigung dieser Angaben von anderer Seite fehlt und, so viel uns erinnerlich ist, Herr vr. Willms in einer Angelegen heit wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen eine Hamburger Irrenanstalt eine Nolle spielte, ohne daß es gelang, die Angaben als zutreffend zu erhärten, gehen wir vorläufig auf die Willms'schen Schilderungen nicht näher ein. (D Danzig, 30. November. (Telegramm.) Der Landeshauptmann der Provinz Westpreußen, Jäckel, ist gestern Abend während einer Festlichkeit in seiner Wobnung plötzlich am Herzschlag gestorben. * Münster i. W, 30. November. Die Versicherungs anstalt Westfalen bewilligte, nach der „Magdeb. Ztg.", in der Ausschußsitzung eine Million Mark zur Förderung des Baues von Arbeilerwohnuugcn. (Fortsetzung in der 1. Beilage.) Der Gefammlauslage unseres Blattes liegt heute ein reich illnstrirtcS Verzeichnis; eleganter und praktischer Weihnachtsgeschenke des Magazins für Reit«, Jagd-, Angel- und Neiie-Ausrüsiung der Vortheilhast bekannten Firma Emil Lchiinpkc, Ncumarkt, Ecke der Tchillcrstrus;e, bei, das unseren Lesern bei der Auc-wabl ge« eigncter Geschenke auS dec genannten Branche treffliche Dienste leisten wird. Zur vollständigen Liquidation gelangt das umfangreiche Weinlager der handelsgcrichtlich aufgelösten Berliner Weingroß;« Handlung I. F. IKlacSmantt Nachfolger. Näheres hierüber ist aus dem von Herrn Wilhelm Kirschner, Berlin, Mohren« slraße 59, der vorliegenden Nummer bcigesügten Prospcct ersichtlich. Ten auswärtigen Abonnenten unseres Blattes geht mit der heutigen Nummer zugleich ein Preisverzeichnis; des Conserve» Specialgeschäfts „Zum TpargclbanS", Hainstraße 27, eines neuen Zweiges des Geschäftshauses F. E. Kruger, Königsplatz 8 und 9 und Hainstraße 22. Ta Conferven heutzutage keine Lurnsspeise mehr sind, sondern insolgc ihres billigen Preises als ein wirkliches Bolksnahruiigsmitlel gelten können, wird diese Preisliste, besonders sür die herannahenden Feiertage, gewiß Vielen sehr gelegen kommen. I X<-rb>-L»vrunN'!». k>I. Venr.geü. Alu pulllkr L ko.. Rcichsstraßc 10. ALu8Lk- 1ii8lrnuivntv größter Auswahl zu billigsten Preisen. VeilniiuM-IimtelluM in kiiiAiel'ri link. Postkarten u. AlbumS, Neuheiten in Geschenlartikein, Krippen, Kalender, Karten rc. Aus meine Blumenkästen u. Blumenmaterial zur Ansertigung knnsil. Blumen erlaube mir, besonders hinzuweijen. u Itnisn üannauiil? Papierhandlung u. Papierwaarcnsabrik, NI.Markt, i.Hosgew.,Barthel's Hof, p.u.I.Et. .überwunden zu haben und auf offener Grasflur wandern zu können wie auf der Südseite des Gebirges. Aber mit dem nächsten Schritt staken wir in einem mannshohen Dickicht von Adlerfarnen, deren zähes Stiel- und Blätterwerk sich wie tausend Schlingen um uns legte; und wieder ging es ans Pfadhauen. Die Leistungsfähigkeit und Gutwilligkeit meiner Waniamwesi .verdiente das höchste Lob. Suaheliträger, wie ich sie auf meinen früheren Expeditionen mit mir hatte, wären bei solchen An strengungen längst rebellisch geworden; aber mit meinen jetzigen Begleitern konnte ich den Hochtouren der nächsten Wochen getrost entgegensehen. Und ich habe mich nicht in ihnen getäuscht. Als nach ein paar Stunden das Farndickicht an einem klaren, murmelnden Bächlein endigte, war auch die Karawane am Ende ihrer Kräfte. Es wurde hier in etaw 2700 Meter Höhe Lager geschlagen, und bald prodelten die Reistöpfe an den Feuern. Die oberen Gcbirgsregionen waren uns durch dichte Nebel ver hüllt, es wurde empfindlich kühl, und als die Sonne sank, holten wir uns warme Wollkleider aus den Blechtoffern. In der Nacht sank das Thermometer bereits auf -s- 3 Grad, nachdem ich in der Frühe noch -s- 21 Grad gemessen hatte, aber meine Leute fühlten sich in ihren dicken Wolldecken unter den aus Baumwoll zeug oder Zweigen hergestellten kleinen Schutzdächern durch aus wohl. Als ich vor Sonnenaufgang aus dem Zelt kroch, entfuhr mir unwillkürlich ein lautes „Ah" der Ueberraschung und Be wunderung: Wolkenlos und klar lag das ganze Hochgebirge in überirdischer Erhabenheit da. Noch weitere 12 MO Fuß über meinen 8000 Fuß hohen Standpunkt hinaus ragt die riesige Eistrone des Kibo in den kalten, fahlen Morgenhimmel hinein. Dem Kibo gegenüber, aber so fern von ihm, daß sie ein eigenes Gebirge zu sein scheinen, thronen die dunklen zackigen Felsmauern des Mawcnsi über dem breit und massig hingelagerten Unterbau. Der ungeheure Stumpfkegel des Kibo, dessen steile, felsige und schuttige Nordabhänge ich nun überschauen kann, ist uns viel näher als der Mawensi, aber auch bis zum Kibofuß, wo der steile Vulkankegel auf dem flacheren breiten Basisgebirge bei etwa 4000 in aufsitzt, haben wir über die endlosen, leicht geneigten Abdachungen dieser Ge birgsbasis hinan noch mindestens drei Tagemärsche zu steigen; das ließ sich deutlich abschätzen. Schnell setzte sich mit Sonnenaufgang die Karawane in Be wegung. Eine Stunde nach der anderen verging im monotonen Anstieg auf den flachen, mit niedrigem Gras und Stauden be wachsenen sonnigen Berglehnen. Die beiden Massaiführer hatte ich längst hcimgeschickt, denn hier oben war das Terrain auch für sie eine terra inevsnita. Einer meiner Leute, der schon oben genannte Uniamwcsi-Soldat Munifasi von der Militairstation Moschi, war aber vor Jahren einmal auf dem oberen Ver bindungspfad von Useri nach Kibonoto mit den Herren Johannes, Lent und Volkens gewandert und kannte an diesem Pfad, den wir kreuzen mußten, eine geräumige Lavahöhle, wo man damals genächtigt hatte, Richtig trafen wir gegen Mittag auf den Pfad und nach mehrmaligem Fehlgehen auch auf die bei einem Bächlein etwa 3100 Meter hoch gelegene Höhle. Ich konnte sie leicht mit der Nguarohöhle indentificiren, von der Professor Volkens in seinem Kilimandscharo-Buch spricht, deren Lage er aber unrichtig angiebt. Sie bot Raum genug für alle meine Leute und wurde bald durch vorgebautes Buschwerk und Gras geflecht zu einer geschützten, von Feuern erwärmten Wohnstätte, in der cs die Karawane ganz gut 6 bis 7 Tage aushalten konnte, während ich mit nur wenigen Auserlesenen und mit Herrn Platz weiter bergauf Vordringen wollte. Am nächsten Frühmorgen hatten wir bereits das erste Eis in unseren draußen stehenden Waschschüsseln; meinen braven Waniamwesi einstweilen nur ein Anlaß zum Scherzen und Lachen, während in früheren Jahren bei der gleichen Gelegenheit meine damaligen Suaheliträger sich entsetzt und ihren nahen Untergang beklagt hatten. Für den weiteren Aufstieg wählte ich nun die fünf besten Träger aus, versah sie mit wollener Unter kleidung und Lederschuhen und belud sie mit den Instrumenten, dem Sammelzeug und nothwendigsten Biwakgeräth. Auch nahm ich die beiden Soldaten Munifasi und Mohamed mit, die im nächsten Biwak allein bei uns bleiben sollten, und wanderte, von den Zurückbleibenden mit Segenswünschen begleitet, mit der kleinen Eolonne und Herrn Platz, der sich wieder ganz wohl fühlte, über die graugrünen, unendlich einförmigen grasigen und staubigen Berglehnen aufwärts, immer in dec Richtung auf den nordöstlichen Kibofuß zu, der uns nicht nur am nächsten lag, sondern auch allem Anschein nach den besten Ausgang für eine Gipfelersteigung bot. Wir folgen einem kleinen Bach, der sich in die grauen, kahlen Lavadecken ein flaches Bett geschliffen hat. Der Graswuchs wird immer dünner, der Boden immer nackter und von 3400 Meter an begleiten uns vorwiegend nur kniehohe zerstreute Ericinellasträucher. Aus der Urwaldregion rücken schnell die täglichen Nebel in geschlossener Masse zu uns vor und hüllen uns und den Berg in graue Halbdämmerung ein. Nur der Compaß und unser Bachbett geben mir sichere Marsch richtung. Die Träger aber kommen trotz besten Willens nur langsam vorwärts; sie merken den Einfluß der dünner werdenden Luft an ihren Gliedern und an der wachsenden Schwere ihrer Traglasten. Ich war deshalb froh, als wir am frühen Nach mittag vor uns eine zwar niedrige, aber breite und ziemlich tiefe Lavahöhle sich öffnen sahen, die zum Biwakiren wie geschaffen war. Sie ist wie alle früher und später benutzten Höhlen am Kilimandscharo dadurch gebildet, daß an der Stirn eines Lava stromes entweder beim Erkalten der Lava eine Gasauftreibung stattgefunden hat, oder daß eine weichere ältere Lavaschicht aus gewittert ist, während die darüberliegcnden jüngeren erhalten geblieben sind. In allen Fällen sind diese „Stirnhöhlen" der natürlich bergabwärts geflossenen Lavaströme auch thalwärts ge wandt und dadurch vor den kalten Winden geschützt, die Nachts vom Hochgebirge ins Unterland hinab wehen. Da unsere Höhle namenlos war, tauften wir sie nach einer Schicht salpeteriger Salze, die an der inneren Hinterwand ausgeblüht waren, Salpeterhöhle. Dicht neben ihr rieselte unser Bächlein über eine hohe Felswand, und zum Wasser lieferten die Ericinellabüsche das Brennholz in Fülle. Hier wurde also in 3800 Meter Höhe wieder Station gemacht, die Träger kehrten zur Karawane nach der Nguarohöhle zurück, und wir blieben allein mit den beiden Askaris, die treu ihrem gegebenen Wort, aber auch in sicherer Aussicht auf eine gute Belohnung aushielten und sich in jeder Weise nützlich machten. Die Nacht brachte uns hier schon eine Temperatur von — 4,5 Grad. Wir fühlen uns aber in unseren Pelzschlafröcken höchst mollig, und auch die beiden Askaris konnten ihre alten Grönland-Pelzröcke nicht hoch genug preisen. Einen Tag ver wendete ich darauf, um eine weitere gute Anstiegroute zum Kibo hin auszukundschaften und das Gelände unserer näheren Um gebung genau zu untersuchen. Ich fand nach mehrstündigem Äusfluge, daß unser Bächlein uns bergauf direct auf den er strebten Nordostfuß des Kibo zuführen mußte, daß es aber weiter oben kein Wasser mehr führte, so daß wir unseren Trink- und Kochbedarf schon von hier aus mitnehmen mußten. Die nähere Untersuchung unserer Höhlenumgebung indessen ergab sehr merk würdige Dinge. Schon auf unserem Hcraufmarsch war mir die allgemeine Rundung aufgefallen, die diese Landschaft, ihre Fels wälle und Mulden von den tieferen Gcbirgsregionen unterschied. Ich konnte mich beim Durchwandern nicht des Gedankens er wehren, daß wir uns auf einem alten Gletscherboden bewegten. Und nun fand ich richtig etwa 100 Meter unterhalb unserer Höhle, also etwa bei 3700 Meter an der steilen Felswand der linken Thalseite eine wohlerhaltene Schlifffläche an einer Stelle, wo Wind- oder Wasserschliff ganz ausgeschlossen ist. Eine zweite glatt geschliffene Felsfläche entdeckte ich bald darauf etwa 50 Meter tiefer auf derselben Thalseite. Auch Herr Platz hatte an einer dritten Stelle Verdächtiges gefunden; ja, dort war die Schlifffäche, wie ich mich überzeugte, sogar von Schrammen parallel der Thalsohle durchzogen. Und außerdem glaubte ich an verschiedenen Stellen der Thalsohle eine alte Grund moräne zu erkennen. Bedenkt man, daß gegenwärtig die uns zugekehrte Nord- und Nordostscite des Kibo bis in die Nähe des Kraterrandes hinauf, etwa bis 5700 Meter Höhe, eisfrei ist, so würde aus unseren Funden, falls sich ihre glaciale Natur be stätigt, auf eine einstige Vergletscherung zu schließen sein, die auf der Nordseite des Kibo rund 2000 Meter tiefer bergab reichte, als heutzutage. Wir werden später sehen, daß und wie diese Rückschlüsse mit meinen weiteren, auch an der West- und Süd seite des Gebirges fortgesetzten Beobachtungen im Einklang stehen. (Tägl. Rundschau.)
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