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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.11.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981107017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898110701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898110701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-11
- Tag 1898-11-07
-
Monat
1898-11
-
Jahr
1898
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4g«> spalten) 50^. vor den Familiennachrtchte» (6gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis, verzeichniß. Tabellarischer und Ziffcrnsatz nach höherem Tarif. Extra.vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^l SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSaabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgrn-Ausgabe: Nachmittags 4 UHL Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an de« Expedttiop zu richten. »<»«>, Druck und Verlag von E. Polz la LeipzkL Amtlicher Theil. Bekanntmachung. Tie Anmeldung znr «irchenvorstanvswahl in der AndreaS- gcmcinde betreffend. In Gemäßheit des 8 17 der Kirchenvorstandsordnung vom LO. März 1868 scheiden mit Ende des Kirchenjahre- die Herren: Reichsgerichtsrath Brückner, Baunreister Hofmann, Landgerichtsdirector Tiegel, Bankier Btcwrger, Kaufmann AschctzschtNgck aus dem Andreaskirchrnvorstande aus. Infolgedessen hat demnächst durch die Stadtgemeinde eine Er- gänzungswahl stattzufinden, bei welcher jedoch die ausschcidenden Mitglieder sofort wieder wählbar sind. Da jedoch außerdem Herr Amtsgerichtssecretair Wolf, dessen Wahlzeit gleichfalls jetzt zu Ende gehen würde, durch den Tod aus- geschieden ist, und da durch Beschluß der Königl. Kircheninspection die Zahl unserer weltlichen Kirchenvorsteher von jetzt ab UM zwei vermehrt werden soll, so haben diesmal nicht weniger als 8 Neu» bez. Ergänzungswahlen zu erfolgen. Stimmberechtigt sind alle selbstständigen, in der Andreasgemejnde wohnhaften Hausväter (Haushaltungsvorstände) evangelisch-lutherischen Bekenntnisses, welche das 25. Lebensjahr vollendet haben, verhclrathet oder nicht, mit Ausnahme solcher, die durch Verachtung des Wortes Gotte» oder unehrbaren Lebenswandel öffentliches, durch nachhaltige Besserung nickt wieder gehobenes Aergerniß gegeben haben oder von der Stimmberechtigung bei Wahlen der politischen Gemeinde ausgeschlossen sind, sowie derer, welchen durch Beschluß dec Kirchen- inspection die kirchlichen Ehrenrechte entzogen worden sind. Alle, welche ihr Stimmrecht ausüben wollen, haben sich entweder mündlich oder schriftlich anzumelden. . > Mündliche oder schriftliche Anmeldungen mit genauer Angabe: 1) des Vor- und Zunamens» 2) des Standes oder Gewerbes, 3) des Geburts-Tages und -Jahres, ' 4) der Wohnung werden vom 8. bi» zum 11. November or. Vormittags 9 bis Nachmittags 4 Uhr in der Kirchenexpedition im Pfarrhause, Scharnhorststraße 2l, entgegen genommen. Zu der Andreasgemeinde gehören nachstehende Straßen bez. Straßentheile und Plätze: Altenburger Straße, Arndtstraße, Bayerische Straße Nr. 53—95 und 54—76, Brandvorwerkstraße Nr 69—89 und 54—94, Fichtestraße, Hardenbergstraße, Kaiser-Wilhelmstraße. Montag dep 7. November 1898. S2. Jahrgang. Kaiserin-Augustastraße, Kantstraße, Kochstraße, Körnerstraße Nr. 2 (die rechte Seite), Kronprinzslraße, Lösniger Straße (von der Körnerstraße bls zur Kaiserin-Augustastraße), Mahl- rnannstraße Nr. 2 —16, Moltkestraße, Scharnhorststraße, Schenkendorsstraße, Schleußiger Weg (von der Mahlwann- straße in südlicher Richtung), Stemstraße, Südplatz und Südstraße. Bei der Wichtigkeit und Bedeutung der bevorstehenden Wahl für oas kirchliche Leben in unserer Gemeinde fordern wir alle stimmberechtigten Glieder" der Andreasgemeinde dringend auf, sich recht zahlreich an derselben zu betheiligen und die erforderliche Anmeldung rechtzeitig zu bewirken. Leipzig, den 2. November 1898. Ter Wahlausschutz für Vie KirchcnvorstauVSwahl tü der AiidreaSgeiucinVe. vr. pdll. Schumann, Pfarrer. > Bekanntmachung. Die Wählerliste zur Ergäuzuugswahl de» Kirchcn- vorstanve» Ser Luthrrkirche ist zur Einsichtnahme der Belhriligten am Tviiuerstag, Veu Ist., und Freitag, den 11. November l. I., in der Aüstcret der Luthertirche, Hauptmannstraße 3, von Vor- mittags 9—1 Uhr und Nachmitlags von 3—6 Uhr ausgelegt. Leipzig, am 5. Noveinber 1898. Ter Kircheuvorftand den Luthrrkirche. Reg. I, 534. Pfarrer Hans von Seydewitz, Vorsitzender. Zur Geschichte der Juden in Lachsen in früherer Zeit.*) Bon vr. Richard Markgraf in Leipzig. Wann die ersten Juden nach Sachsen gekommen sind, läßt sich leidex mit Bestimmtheit nicht angeben. Höchstwahrscheinlich haben sie bald nach der Einführung des Chrisienthums bei den Sachsen hier eine Zufluchtsstätte gesucht und auch gefunden (1000 n. Chr.). Was speciell in dieser Hinsicht Leipzig anlangt, so haben sich die Juden vermuthlich unter Dietrich von *) Benutzte Literatur: Fabricius, >^nn. dkisn.; Flathe, Ge schichte des Kurstaates und des Königreichs Sachsen l; Große, Ge schichte der Stadt Leipzig 1; Hasche, Geschichte Thüringens ll; Jost, Geschichte des jüdischen Volkes; Sidori, Geschichte der Juden in Sachsen; Vogel, Annalen. Landsberg (1263—1284) zum ersten Male hier eingefunden. Einmal spricht dafür der Umstand, daß Dietrich (1268) in seinem Lande' eine v-n seinem Vater für Meißen gegebene liberale Judeüordnung, nach welcher den Juden zu Gefallen der Markt tag von Sonnabend auf Freitag verlegt wurde, bestätigte. So dann stelltr-Dietrich der Stadt Leipzig einen Handelsschutzbrief aus, laut besten er alle Kaufleute, woher sie auch waren und wer sie auch seist mochten, vor Bedrückung und Beraubung zu schützen versprach. Endlich wurde Leipzig damals — und nicht zum Geringsten durch die besondere FUrsorgedesLandes- fürsten — der Mittelpunkt vieler blühender Handelsstädte. Wahrscheinlich ließen, sich unter Dietrich voy Landsberg auch Juden dauernd in Leipzig nieder. Zu dieser Annahme be rechtigt die Thatsache,daß die Juden selbst in solchen meißnischen Orten sich ansiedelten, die im Handel Leipzig nachstanden, wie z. B. in Meißen, Freiberg, Halle, Gotha rc. Sichere Kunde Uber die seßhaften Juden in Leipzig giebt jedoch erst eine Nach richt aus dem Jahre 1359. Nach derselben hatten die Juden eine geschützt gelegene Gasse, die sogenannte Judenburg, als Wohn stätte inne. Sie begann an der vür wenigen Monaten nieder- gerisseyen Barfußmühle und zog sich längs der Pleiße bis zum Naundörfchen hin. An ihrem Eingänge befand sich eine beson dere Pforte (valM). Unter Dietrich von Landsberg erfreuten sich sowohl die a n - sässigen Juden als auch die jüdischen Meßfieranten ganz derselben Rechte wie die christlichen Kaufleute. Diese Gleichstel lung währte jedoch nur bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts. Als nämlich im Jahre 1350 in Leipzig die Pest arg wiithete, wurden die Juden der Brunnenvergiftung beschuldigt und in folgehesten aus der Stadt Vertrieben. Trotz Vieser bitteren Erfahrungen kehrten sie nach kurzer Zeit wieder zurück, ohne jedoch ein sicheres Domicil zu finden; denn bereits 1411 und 1429 waren sie abermals harten Verfolgungen ausgesetzt. Die Verfolgung 1411 nahm ihren Anfang in Meißen. Verursacht wurde sie dadurch, daß man die Juden daselbst im Verdacht hatte, zu Ostern ein Christenkind gemartert zu haben. Die Verfolgung im Jahre 1429 ging von Dresden aus, wo man die Juden der geheimen Verbindung mit den Hussiten beschul digte. Nur die sogenannten Hofjuden waren in dieser Zeit den Verfolgungen nicht ausgesetzt; denn sie erfreuten sich des lan- Shrrrüchrn Schutzes, wie z. B. die im Jahre 1364 in Leipzig aufgenommenen Hofjuden Benjamin, Samson und Aaron und die im Jahre 1430 in Leipzig seßhaft gewordenen Hofjuden Abraham und Jordan. Nach dem Jahre 1436 dehnte sich je doch die Verfolgung auch auf die Hofjuden aus, indem in dieser Zeit der Hofjude Abraham und sein Schwiegersohn Jordan trotz eines ihnen vom Herzog Wilhelm im Jahre 1436 ausgestellten Schutzbriefes inhaftirt wurden. Ihre Freilassung erfolgte nur unter „ewiger" Verzichtleistung auf alle ihre Habe, unter Zahlung von 4000 „Schock neue schildigte Groschen Freiberger Münze" an den Herzog Wilhelm und unter Aushändigung aller Briefe, die sie von Letzterem und von den „gnädigen Frauen von Sachsen" in den Händen hatten, gleichviel ob sie Geldschulden ovcr andere Dinge betrafen. Auch mußten Abraham und Jordan die Briefe der fürstlichen Räthe, welche auf Geldschuld für deren Person lauteten, herausgeben. Nicht zurückerstattete Briefe sollten „allerwärts kraftlos und todt sein". (Königl. Hauptstaatsarchio in Dresden, Cop. 1, Fol. 29.) In Anbetracht dieser harten Bedingungen liegt die Ver- muthung nahe, daß die Verfolgung der Hofjuden Abraham und Jordan im letzten Grunde durch deren Wucher veranlaßt worden ist. *) Aber der Wucher war in jener Zeit noch gar kein Ver brechen; denn höhere Zinsen zu nehmen als die Christen, war den Juden nicht allein gesetzlich gestattet, sondern auch von Seiten des Kaisers wie des Landesherrn indircct geboten. Von jenem Wucher muhten die Juden in Deutschland den Fürsten in da maliger Zeit eine Steuer zahlen. Die Auflagen, welche damals für Juden im Reiche bestimmt waren, waren nämlich dreierlei Art: Huldigungsgebühren, Schutzgeld und Ge werbesteuer. Die ersteren, auch Kronsteuern genannt, glichen am meisten den allgemeinen Beden oder Landessteuern und wurden ursprünglich dem Kaiser entrichtet. Was das Schutz geld anlangt, so entrichteten sie es theils an der Stelle von Kriegs diensten, welche sie nicht leisten durften, theils für den Schutz, den ihnen das Reich bot, auS dem sie dann nie verbannt werden konnten. Für di« sogenannte Gewerbesteuer, eigentlich eine Kopf steuer, wie der Opferpfennig, verlieh man ihnen das Recht des Wuchers, wie auch das Privilegium, einen entwendeten Gegen stand nur für das Kaufgeld wieder herausgeben zu dürfen. Nach *) Auch in Frankfurt a. M. wurden in dieser Zeit die Juden mehrmals vertrieben. Drei -Mal (1241, 1349 und 1614) sind sie vollständig aus der Stadt ausgcrottet worden. Aber trotz der ! bitteren Erfahrungen kehrten sie immer nach kurzer Zeit zurück. Die I Hanptursache aller Verfolgungen der Frankfurter Juden war Zweifel - I los der Wucher. Bergt. Karl Bücher, „Tie Bevölkeruirg von Frank- I furt a. M. im 14. und 15. Jahrhundert", pax. 527 und 591. FerrrHatsn. Polterabend. Novellette von P. Zillen (Berlin). - (Nachdruck Verbolm.) „Also morgen ist Lotte Burckhofen's Hochzeit Gott! wenn man sich das denkt." Es war heute das Thema des Tischgespräches im Casino. Die fünf oder sechs unverheiratheten Officierd des Regiments variirten es unermüdlich in allen Tonarten. „Die kleine Lotte sich so vorzustellen im langen Schleppkleid und weißen Schleier und dazu dieser dicke Fritz, — un ¬ glaublich." „'n gräßlicher Kerl ist's ", murrte der älteste Premier- leiutenant. „War wirklich eine richtige Kater-Idee von unserm guten alten Major, daß er sein Mädel ä Wut prix an diesen Geldprotzen loswerden mußt«. Es war ja wirklich noch gar nicht eilig. Sie ist ja kaum aus der Schule, das Wurm. Mich ärgert's zu sehr, daß sie nicht im Regiment bleibt." „Na, weißt Du, Brunner, das war nun doch so ziemlich aus geschloffen. Denn was das Commißvermögen anbelangt, wär' di« Sache doch faul gewesen bei dem alten Burckhofen. Und wir — na ja, wir haben ja doch auch Alle „nischt"." Der Einzige, der sich nicht an diesen familiären Erörterungen betheiligte, war Lieutenant Arnsdorf. Er saß schweigend, an scheinend theilnahmlos, sein hübsches Gesicht mit den melan cholischen blauen Augen auf die Hand gestützt. „Sie sind doch auch zur Hochzeit eingeladen, Arnsdorf!" rief ihn Jemand an. „Oder nicht?" Harry Arnsdorf sah rasch auf. „Doch — aber ich werde wohl nicht kommen können, leider. Ich muß morgen auf alle Fälle nach S. nxgen meines Gauls. Vielleicht kann ich aber doch noch " Der letzte Theil seiner Antwort ging unter in dem all gemeinen Lärm des Aufbruches. * * « Es war am Nachmittag gegen 6 Uhr. Der Polterabend sollte bei Burckhofens im Hause stdttfindrn, so daß man die Einladungen auf den engeren Familienkreis und ein paar Freundinnen von Lotte beschränkt hatte. Man verfügte natürlich nicht Uber große Räumlichkeiten. Für di« Hochzeit war im ersten Hotel der kleinen Garnisonstadt der Saal gemiethet worden. Es war übrigens ein sehr gemüthliches kleines Haus, das der Major Burckhofen mit seiner Familie bewohnte — zweistöckig mit grauen, etwas verbröckelten Wänden und grünen Holz jalousien, vor der Eingangsthür ein schmales Vorgärtchen, in dem ein paar steife schwarzgrüne Taxuspyramiden sich um ein kleines Springbrunnenbecken aus Tuffstein versammelten — mit hellblitzenden Fenstern in weißen Holzrahmrn und einem schrägen Mansard«ndach. Und hinter dem Hause, zwischen hohen Bretterzäunen sich hinziehend, ein Stück anheimelnder Poesie — ein großer, feuchter, tiefverschatteter Garten, mit heimlichen Winkeln und dicht ver wachsenen Gängen, voll von dem süßlich herben Duft vermoderter Blätter. Drin im Hause war ein unruhiges Trepp auf, Trepp ab — die echte Polterabendstimmung — eine gewisse elektrische Spannung der Atmosphäre, ein Gefühlsüberschwang bei allen Angehörigen der Familie, halb froh, halb wehmüthig. Man gab di« Lotte nicht gern her — sie war der „Schönwetterfrosch" des Hause» gewesen, mit ihrer unermüdlichen Lustigkeit, ihren tollen kleinen Streichen, ihren Lbermüthigen dunklen Augen. Sie hatte mehr Dummheiten begangen, als ihre zwei Brüder zusammen fertig gebracht hatten — und das waren auch durchaus keine Musterknaben. Aber man verzieh ihr Alles — mußte ihr Alles verzeihen. „Hast Du denn das Brautkleid anprobirt, Lotte?" fragt Frau Burckhofen an der Thür von Lotte's Schlafzimmer. „Ich bin ja eben dabei, Muttel", klingt es von drinnen mit einem Hellen Sümmchen, in dessen Tiefe immer ein verhaltenes Lachen zu schwirren scheint. Lotte steht in der Mitte des Zimmers, das dunkle, von etwas wirrem Haar umkrauste Köpfchen feierlich gerade haltend, die kleine Figur von den schweren Falten der stumpf schimmernden milchweißen Seide umknistert. Um ihren lachlustigen Kinder mund zuckt eine drollige Ironie, als sei'S ihr selbst erstaunlich, daß sie in dieses Prunkgewand wirklich und wahrhaftig hinein gehört, und morgen damit vor den Altar treten soll. Es sieht sehr bunt aus im Zimmer — au dem Bett liegt der Brautschleier, zart wie weißer Wiesennebel, ein Paar kinderkleine weiße Schuhe — ein Spihentaschentuch, ein Reisenecessaire aus Juchtenleder. Auf der Erde ein halbgepackter Reisekoffer. „Aber Kind, nimm Dich in Acht — Du trittst ja immer auf der Schleppe hcrum", mahnt Frau Burckhofen nervös. Lotte zieht dir schmale Stirn ein wenig in Falten und beginnt das Brautkleid ungeduldig wicdcr abzustreifen. An der Thür klopft Jemand. „Gnädige Frau möchten doch herunter kommen, der Lohndiener wollte etwas fragen." „Ja, ich komme schon. Mathilde, helfen Sie Fräulein Lotte beim Umziehen. Leg' Dich jetzt eine halbe Stunde auf's Sofa, Lott«, und schlafe. Du hast noch Zeit dazu", fährt sie fort, schon halb in der Thür, während das Hausmädchen hereinkommt, ein paar Briefe in der Hand. „Briefe?" fragt Lotte und greift schnell danach. „Ja — es find auch eine Menge Blumen und Geschenke ge kommen unten", berichtet Las Mädchen. Lotte nickt nur zerstreut. Sie hat rasch ein einfaches Haus kleid Lbcrgeworfen und reißt jetzt den Umschlag von einem der Briefe. Die andern wirft sie achtlos auf den Tisch. „Gehen Sie nur, Mathilde, ich brauche nichts mehr — danke schön." AlS das Mädchen fort ist, wirft sie sich tief aufathmend auf einen Stuhl und starrt auf den Brief nieder. „ ich muß Dich noch einmal sprechen, Lotte, Dir Lebe wohl sagen ich muß! Don 6 Uhr an warte ich auf Dich im Garten — auf unserm Platz. Komm, auf all« Fälle. Harry." Lotte siecht nach dem Fenster. ES liegt nach d«m Garten heraus. Die frühe Dämmerung deS OctoberabendS fängt bereits an, ihre grauvioletten Schatten zu spinnen zwischen dem dichtver wachsenen Gezweig der alten Bäume. In der stillen Luft ver- zittern di« tieftönigen Schläge der alten Thurmuhr — Lotte zählt halb sieben. Um acht Uhr sind dir Gäste eingeladen heut Abend. Eine halbe Stunde sollte sie schlafen. Es wird sie also Niemand stören. „Komm auf alle Fälle, er muß toll sein", murmelte Lotte, immer noch den Blick auf das Fenster gerichtet. Plötzlich fängt sie ganz leise, übermiithig an zu kichern. E» ist eigentlich zum Todtlachen — ein ganz toller Streich. So, wie ihn auch mir Lotte Burckhofen fertig bringt. So etwas giebt'» nicht ein mal in Romanen. Sie ist also entschlossen. Aber um'» HimmelSwillen, wie un bemerkt hinauskommen? Die» Entsetzen, wenn Jemand sähe, daß sie in den Garten will! Lotte überlegt, die spitzen Zähnchen in die Unterlippe gepreßt. E» giebt nur rin»: durch'» Fenster. Als Kind vor «in paar Jahren noch — hat sie den Weg un zählige Mal« gemacht. Es ist ein niedriges Parterrefenster, unten weicher Rasen. Freilich stand früher eine Bank da^ die das Wiederheraufkommen sehr erleichterte. Ach was — einerlei! . Sie späht erst noch einmal hinaus — über den Rasen hin weg, in dem die ersten Nachtfröste rostbraune Spuren gelassen haben — über die Beete von blahrosa Astern und lavendelblauem Nachtschatten bis an das dunkel dämmernde Gezweig d«r schon leise vom Herbstbraun betupften Buchen. Niemand zu sehen. Dann schlingt sie ein kleines dunkelrothcs S«identuch um den Hals — es steht merkwürdig gut zu dem bräunlich blassen Ge sichtchen mit den dunklen Zigeunetaugen. Ein rascher Schwung über das Fensterbrett, dann steht sie unten — späht «inen Augen blick um sich und huscht mit klopfendem Herzen den, feuchten Kies weg hinunter. Dicht am Gartenzaun, in der tiefsten Wildniß von Hecken und Sträuchern, wartet Harry ArnSLorf. Er hat sich mit dem Rücken gegen den Zaun gelehnt und blickt mit gesenktem Kopf vor sich hin. Erst als Lotte dicht neben ihm auftaucht, blickt er empor. „Lottie — mein Liebling." Sie läßt sich ruhig küssen, die kleinen braunen Hände auf den Rücken gelegt, den Kopf zu ihm erhoben. „Bist Du zufrieden?" fragt sie dann halb athemlos und beugt sich zurück, um ihm in's Gesicht zu sehen, mit einem kindlichen Triumph über ihre Heldenthat. ,,Wi« gut von Dir, daß Du kommst", murmelt er. „Aber —" „Toll ist's, sag' lieber. Denk' nur, wenn uns Jemand sähe. Der Fritz ließe mich jetzt noch sitzen, wenn er's wüßte, und die ganze Mühe von Papa und Mama wäre umsonst." Das Letzter? mit einem ganz kleinen Anflug von Bitterkeit. „Möcht' er doch!" murmelt Harry ingrimmig. „Oh, Harry, nein, das mußt Du nicht sagen. Siehst Du — Dich könnt' ich ja doch nicht heirathen " „Nein — leider." „Und alte Jungfer soll ich doch auch nicht werden. Ich konnte doch keinen Andern lieb haben so wie Dich — da ist der Fritz ganz gut." Es klingt beinah unheimlich, dies Gemisch von Zärtlichkeit für den Einen und naiver Härt« g«g«n den Andern. Sie ist sich offenbar deS Sinns ihrer Worte gar nicht bewußt. „Aber wie soll ich die Trennung ertragen — die Trennung von Dir, Lotte ich halt'» ja nicht au» " Darauf weiß Lott« freilich auch keine Antwort. Sie hat auch noch kaum darüber nachgedacht. „Lange hab' ich aber nicht Zeit", sagt sie plötzlich, nun doch ein wenig ängstlich. „Komm, Harry, sei doch nicht so traurig — mach' uns das letzte Mal nicht schwer. Ich gehe ja nicht weit fort — Du kannst dann alle Sontttag zu uns herllberreiten." Sie schmiegt sich an ihn. Ihre dunklen Augen und die weißen Zähnchen lachen schon wieder. „Du bist doch wirklich noch ein ganze» Baby, Lotte", sagt der junge Officier, halb wider Willen lächelnd über das wunderliche kleine Geschöpf, da» so tändelnd vorbeistreifen will an allem großen Weh des Lebens — an seinen geheimnißvollen Tiefen, an seinen scharfkantigen Räthseln. Er selbst hat freilich bi» vor Kurzem auch kaum mehr davon gewußt al» sie. Sie hatten sich lieb gehabt, fast unbewußt wie zwei Kinder, nur aus Lust aneinander, aus gemeinsamer Lebens freude. Eine kleine harmlose Liebesgeschichte — ab und zu mit einem Stelldichein Abends im Garten, Vormittag- in einer Con ditorti — mit ein paar heimlichen Küssen und seltenen Briefchen. Weiter nichts. Eine kleine Flirtation, wi« er wenigstens sie schon unzählige Male gehabt hatte. Nach Lotte'» Verlobung hatte natürlich alle» da» eia End« gr- habt, aber die Geselligkeit der kleinen Stadt führte die Beiden unvermeidlich immer wieder zusammen. Sic sahen sich wöchent lich mindestens drei, vier Mal in Gegenwart der Andern — und der Reiz des Verbotenen begann heimlich seine Wirkung zu thun. B«i ihm wenigstens. Zuerst «ine leise nagende Eifersucht — dann allmählich ein Heer von leidenschaftlichen Wünschen, die sich förmlich auf ihn stürzten in langen, schlaflosen, durchfieberten Nächten. >Und so kam's, daß er sich nicht losreisen konnte von dem tollen Gedanken, sie um «in letztes St«lldichein zu bitten am Vor abend ihrer Hochzeit. Ob sie wirklich nichts empfunden hatte von Kämpfen und Trennmngsweh, gleich ihm? — Er sah auf sie — ihr kleines Ge sicht war lauschend erhoben, nach dem Hause zu. Von dort her kamen leise, aber deutlich vernehmbar, ein paar auf dem Clavier angeschlagene Accord«, dann «in summender Chor von Stimmen — offenbar als Probe. „Das Brautlied aus Lohengrin" murmelte Lotte. „Wir haben's auf Gerda Hellmann's Polterabend auch gesungen —" Beide lauschten. Die Dämmerung unter den Bäumen wird grauer, tiefer. Der Himmel verblaßt in einem schwachen Bernsteingelb. Ein leises Rascheln geht durch die Blätter — aus dem braunröthlichen Zweiggewirr des alten Pflaumenbaums über ihren Köpfen fällt eine schmale blaßlila Frucht herunter. Lotte hat sich an Harry's Schultern gelehnt, mit halbgeschlos senen Augen, unbeweglich. Mit hastigem Athem lauschen sie Beide auf die Töne, di« zu ihnen herllberdringen durch die herb duftende Kühle des Abends — auf diese geheimnißvolle Melodie mit ihrer verhaltenen Sehnsucht, die von erhofften Parabiesen träumt Es ist, als ob diese Töne in ihren Seelen Saiten anklingen lassen, die bis dahin unberührt geschlummert haben. VorauL- ahnend irren ihre Gedanken für einen Augenblick weit, weit in die Zukunft hinein in die Irrwege ihres kommenden Lebens, daS ihn und sie unerbittlich immer wieder zusammenführen wird zu immer erneuter Versuckung, erneuter Gefahr. Ob sie stark genug sein werden, zu widerstehen Beide? Lotte schauert plötzlich zusammen. Ein heißes Erschrecken streift sie, wie der jäh« Anhauch einer Flamme. Ihr Herz be ginnt schmerzhaft hastig zu klopfen. „Ich muß jetzt gehen", murmelt sie fast unhörbar. „Oh, Lottie." „Laß mich gehen, Harry, ich bitte Dich." „Noch einen Augenblick " „Nein, nein." Ihre Lippen brennen noch einmal aufeinander, heiß und lange wie nie vorher. Dann leiht sie sich lo». „Leb' wohl, Harry " Die Worte ersticken in einem raschen ?lufschluchzen. Dann huscht sie davon — über den feuchten blätterbedeckten Weg, dem Hause zu. Harry starrt ihr nach. Ein paar Fenster sind schon erleuchtet. Gelbrothe Lichtflecken mischen sich mit der bläulichen Dämmerung. Hinter den zugezogenen Gardinen huschen unruhige Schatten hin und her. Dann lehnt er langsam — müde die verschränkten Arme gegen den rissigen Stamm des alten Pflaumenbaums und brückt seinen Kopf tief hinein — sehr tief. Seine Schultern zucken verrätherisch. Es ist nur gut, daß e» so dunkel ist — und Niemand in der Nähe, der ihn beobachten könnte. Der alte Baum selbst hat es wohl kaum gefühlt, daß ein paar heiße Tropfen auf seine rauhe zerrissene Rinde niederrannen.
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