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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981105024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898110502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898110502
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-11
- Tag 1898-11-05
-
Monat
1898-11
-
Jahr
1898
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Dt» Morgen-AuSgab« ersch«f»t v« '/,7 Uhr, di« Adend-Autgabe Wochentags mn b Uhr. Ledurtio« und LrpeLitio«: J-tzanne-gasse 8. Die Spedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: Vit, Klemm's Lorttm. (Alfred Hab«), UniversitätSstraße 3 (Paulinu»), L«uts Lösche, Katharinenstr. 14, Part. und König-Platz 7, BezugS.PreiS A» dm Ha nptrxveditton oder den im Ktadd» beatrt med den Vororten «richteten «ns. oabestrven abgeholt: otertrljährlich^lLL^ Mi zweimalig« täglich« Zustellung in» Han- -^l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertelzährlich L.—. Direkte tügltche Kreuzbandlevduug ins «usland: monaUtch 7.50. Abend-Ausgabe. MpMer TaMalt Anzeiger. AtttLskkatt -es Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes «n- Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Sonnabend den 5. November 1898. AnzeigewPret- dle 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklame«» unter demRedactiontstrich (4,» spalten) SO>4, vor den FamUteuaachrtchteu (S gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vnzeichniß. Tabellarischer uud Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Seilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbefürderung 70.—. Auuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BorrnittsgS 10 Uhr. Morge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreise» sind stets au die Expedition z» richten. Druck und Verlag von S. Bol^ in Lripzks. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. November. Die Abgeordnetenmahlen zum preutzischen Landtage haben die Grunvstimmung deö Bilde-, das man sich nach den Urwahlen von der künftigen Zusammensetzung der Volks vertretung des führenden Bundesstaates gemacht, nicht wesent lich verändert. Die Verschiebungen im Einzelnen lassen sich aber zur Zeit noch nicht völlig klar übersehen, da über die Parteizugehörigkeit einer kleinen Anzahl Gewählter Zweifel bestehen. So ist über die Wahlen vorläufig wenig zu sagen. Die Nationalliberalen scheinen etwas mehr, die Con- servativen eine Kleinigkeit weniger eingcbüßt zu haben, als erwartet wurde. Die beiden konservativen Fraktionen, bisher zusammen 214, haben anscheinend 11 Mandate, mithin etwa 5 Procent ihres Besitzstandes hergeben müssen; die Natiooalliberalen, zuletzt 84 an der Zahl, weisen bei einer Manvatseinbuße von 10 Sitzen einen Rückgang von un gefähr 12 Procent auf. Ueber die Scheidung der gewählten einzelnen Conservativen in Deutsch- und Freiconservative liegen viele widersprechende Angaben vor; der Unter schied ist aber wegen der verschiedenen Haltung beider Fraktionen zu Schul- und verwandten Fragen wichtig. Die beiden freisinnigen Gruppen sind zusammen von 20 auf 35 Mann gestiegen. «Dieser Zuwachs der entschiedenen Opposition", sagt — man weiß nicht, ob zum Trost oder aus Hohn — ein freisinniges Blatt, „ist nicht ausschließlich auf Kosten der nationalliberalen Partei erfolgt". Etwas haben ja allerdings die Freisinnigen von den Conservativcn gewonnen, mindestens eben so viel aber diese von den National liberalen. Die „Nationalztg." informirt ihre Leser dahin, daß der Bund der Landwirthe mit seinen Angriffen auf den nationalliberalen Besitzstand „vollständig unterlegen" sei. Das ist nicht richtig. Mehrere Kreise sind jedenfalls an Bündler oder durch Bündler verloren gegangen, die Herren vr. Hahn und Schoos sind wiedcrgewählt, der ausgezeichnete National liberale Vr. Kruse ist unterlegen. Außerdem hat der Bund in einer anderen Provinz seinen Vorsitzenden v. Wangen heim durchgebracht. Wenn die Nationalliberalen nicht auch gewonnene — durchweg auf Kosten der Conservativcn, dar unter allerdings auch freiwillig abgetretene Mandate — zu verzeichnen hätten, so würde ihr Verlust weit größer sein. Da eine eigentliche politische Verschiebung nicht eingetreten ist, so würde sich der nationalliberale Rückgang leicht verschmerzen lassen, wenn er nicht einen moralischen Triumph des Cent rums bedeutete, gegen das sich der nationalliberale Wahlaufruf ausdrücklich gewendet und das seinerseits die Parole ausgegeben hatte: „Wider die National liberalen". DaS Centrum erfreut sich überdies eines realen Erfolges in der Vermehrung seiner Mandate um die Zahl 5. Eins, das von der Grafschaft Bentheim im Hannoverschen vergebene, dankt eS den — Nationalliberalen, die den bisher konservativ vertretenen Wahlkreis dem Centrum verschafften, um die Gefahr, daß der nationalsociale Herr v. Gcrlach gewählt werden könnte, zu beseitigen. Jn Teltow-Cbarlottenburg, von wo der bekannte, fälschlich so genannte Professorenaufrus auSging, haben sich die Conservativen gegen daS nationallibcral- Nichter'sche Cartell behauptet. Alle, die den Wahlkreis kennen, zweifeln nicht daran, daß bei Aufstellung eines gemäßigt- conservativen Candidaten neben einem Nationaltiberalxn der Sieg den Extremen Ring und Fetisch nicht hätte zufallen können. Ein Lichtblick ist die Zurückdränguna der Polen, die vier Sitze eingebüßt haben, und ein Novum der Sieg eines Nurautisemiten, des Herrn Werner, der in Herzfeld den Conservativen geschlagen hat. Herr Liebermann v. Sonnenberg hingegen ist seinem con servativen Gegner unterlegen; Herr Stöcker war in seinem bisherigen Wahlkreis gar nicht aufgestellt. Von den 34 frei sinnigen Stimmen entfallen nach Herrn Richter auf die frei sinnige Volkspartei 25, und auf die freisinnige Vereinigung 10. Der letzteren Gruppe rechnet sich aber der in Thorn gewählte Kittler zu und beziffert demgemäß ihre „Stärke" auf 11. Der 25. Mann der Volkspartei ist ein Hospitant, der Frankfurter Abgeordnete Sänger, seit langer Zeil der erste „Demokrat", der dem Abgeordnetenhause angehört. Das Centrum bat nach seiner Rechnung mit den Wahlen gerade die Zahl 100 erreicht, ein Umstand, den die „Germania" mit greiflicher Gcnugtbuunz hervor hebt. Politisch ist sein Gewinn aber durch den ziffer mäßig gleichen Verlust der Polen paralysirt. Im Ganzen bleibt, wie schon wiederholt hervorgehoben, Alles beim Alten. Es ist nach wie vor die Bildung einer dreifachen Mehrheit möglich: einer national-freiconservativen, einer klerikal-conser- vativen (Schulgesetz-) Majorität und einer aus den liberalen Parteien und dem Centrum nebst den kleinen Gruppen ge bildeten Mehrheit. So oft sich die Gelegenheit bietet, gesellschaftliche Mißstände zu kritisiren, ist dem „Vorwärts" keine Farbe zu grell, kein Wort zu scharf, keine Uebertreibung zu groß, den Mißstand im schwärzesten Lichte zu zeigen; wenn cs aber darauf ankommt, die Lichtseiten unserer socialen Zustände und besonders die Leistungen der sociale» Gcsetz- gcbnng zu erwähnen, dann legt sich der „Vorwärts" entweder die Schweigsamkeit eines Trappisten auf, indem er seinen Lesern selbst das nackte Zahlenmaterial vorenthält, oder er theilt dieses Material an möglichst unauffälliger Stelle und ohne jeden Commentar mit. Das letztere Verfahren wendet er beute in Bezug auf die Leistungen der Berliner Krankenkassen an. Von der Großartigkeit dieser Leistungen geben folgende Zahlen ein Bild: Im Jahre 1897 betrugen die Gesammteinnabmen der Ortskranken kassen 9 753 635 gegen 9 605 395 i. I. 1896; die Betriebs-(Fabrik-)Krankencassen hatten eine Ein nahme von 1 746 482 gegen 1 459 244 --k, die Jnnungs- krankencassen vereinnahmten 1 287 572 gegen 11 633 630 Was die Leistungen im Einzelnen anlangt, so muß selbst der „Vorwärts" sich zu dem Zugeständniß be quemen, daß sie „erfreulicherweise wieder mehrfach erhöbt" werden konnten: bei mehreren Ortskrankenkassen wurde die Unterstützungsdauer erweitert, während sie nur bei den Barbieren herabgesetzt wurde, ferner wurde mehrfach das Krankengeld erhöbt und für die in die Woche fallenden Feiertage eingeführt; des Weiteren fand mehrfach eine Herab setzung der Carrenzzeit und eine Erweiterung der Heilmittel, sowie eine Erhöhung des Sterbegeldes, eine Ermäßigung der Beiträge und des Eintrittsgeldes statt. Aehnliches ist auch für mehrere Betriebs-(Fabrik-) Krankenkassen zu berichten. — Das sind erfreuliche Erscheinungen, deren Hervorhebung um so mehr am Platze ist, je großer die Neigung ist, nur die Nachtseiten unserer Cultur zu erörtern. Ein Mitarbeiter des englischen „Spectalor" hiebt der (Überzeugung Ausdruck, daß Kaiser Wilhelms friedliches Wirken in Syrien und speciell in Palästina die Cultur im Orient in ungleich höherem Maße fördern werde, als daS Bemühen der vier „Kreta-Mächte", alle Muselmanen von dieser Insel zu vertreiben und dort unter dem Prinzen Georg von Griechenland ein neues christ liches Staatswesen zu schaffen. Wer Palästina nicht selbst besucht hat — schreibt der Gewährsmann der angesehenen englischen Wochenschrift — kann sich keinen Begriff machen, wie sehr der gegenwärtige, relativ gut entwickelte Zustand dieses Landes deutscher Tbätigkeit und vor Allem den reinen Idealen des deutschen Protestantis mus zu verdanken ist. Die Umgegend von Haifa ist der Schauplatz einer überaus blühenden deutschen Colonie — ein Stück Württemberg inmitten der Levante. Da ist ein Dorf mit schwäbischen Häusern und Weinpressen, mit schwäbischen Ochsenkarren in den schmucken Straßen und einer schwäbischen Kirche, Schule und Wirthschafl. Die Abhänge des Karmel darüber sind in prächtige Wein berge verwandelt, ganz wie an den Ufern des Neckar. Der neue Pier, auf welchem der Kaiser landete, war von einem deutschen Architekten erbaut, und über das ganze Land hin verdanken wir den Deutschen die schönsten Gebäude. . . . Vor Jaffa befindet sich eine andere deutsche Colonie, deren blühende Felder mit dem dürren Elend weit umher scharf contrastirt. Von Jaffa bis Jerusalem giebt es keine ordent liche Herberge, geschweige denn ein WPes Hotel, das nicht deutsch wäre. In Jerusalem wie in dm anderen Städten bis nach Bethlehem sind die respektabelsten Bürger, die fleißigsten Gewerbtreibenden, die tüchtigsten Kaufleute Deutsche! In Judäa gehören die am besten gedeihenden Bauernhöfe bis weit hinauf in die Berge Deutschen. Die besten Forschungen in Palästina verdanken wir wiederum den Deutschen, dem Palästina-Verein. Oestlich vom Jordan, in jenen immens fruchtbaren Gefilden, welche, hoch und gesund gelegen, einst glänzende griechische Städte entstehen und aufblühcn sahen, Städte, deren grieckische Cultur unter den Antoninen die jenige Athens fast übertraf und mit Alexandria wetteiferte, bereiten jetzt deutsches Capital und deutsche Arbeit eine Zu kunft europäischer Cultur vor, die gerade so glänzend sein kann, als die Vergangenheit unter dem alten römischen Reiche. Die Abberufung Marchand s aus Aaschoda ist nunmehr Thatsacke. In Kairo will man wissen, derselbe werde von dort unverzüglich nach Faschoda zurückkehren, die Leitung seiner Expedition von Neuem übernehmen und sie nach Dschibuti führen. Die Aufgabe Fasckwdas durch Frankreich wird noch durch folgende Meldung bestätigt: * London» 5. November. (Telegramm.) Dem Bankett, das gestern Abend zu Ehren des Lord Kit sch en er im Mansion House gegeben wurde, wohnten zahlreiche hervorragende Persönlich keiten bei, darunter Salisbury, Lord Rosebery, Marquis os Lans- downe und Andere. Ministerpräsident Salisbury ergriff gegen 10 Uhr Las Wort zu einem Toaste auf Lord Kitschen«. In seiner Rede hob Salisbury lobend die diplomatischen Fähigkeiten Lord Kilschener's hervor, der es verstanden habe, die Zuneigung Mar- chand's zu gewinnen. Er, Salisbury, habe am Nachmittag die amtliche Nachricht erhalten, die französische Negierung sei zu dem Schlüsse gekommen, die Besetzung Faschodas habe für die französische Republik absolut keinen Werth. Diese Regierung habe das gethan, was jede andere Regierung gleich falls gethan haben würde. Sie habe beschlossen, von der Aufrecht erhaltung der Besetzung Abstand zu nehmen. Diese Notifikation sei den französischen Behörden in Kairo übermittelt worden. Dieses befriedigende, etwas unerwartete Resultat sei zum großen Theile der Diplomatie Kilschener's zuzuschreibcn. Er, Salisbury, könne indessen nicht seslstellen, daß nun aller Grund zu Contro- versen beseitigt sei. Wahrscheinlich sei dem nicht so. ES sei möglich, daß Auseinandersetzungen in der Zukunft erfolgen könnten, aber diese sehr zugespitzte und recht gefährliche Frage sei jetzt auS dem Wege geräumt. Von besonderem Interesse ist an dieser Meldung die Andeutung Salisbury's, daß der Enschluß Frankreichs „etwas unerwartet" kam. Die französische Regierung muß also den entschieden ablehnenden Ton, der auS den Erklärungen ihres Botschafters in London, Courcel, spricht, bis zuletzt inncgehalten und Lord Salisbury muß sich noch bis gestern Mittag in dem Glauben befunden haben, Frankreich werde es auf eine Auseinandersetzung inter urmu ankommen lassen. Es wird sich nun sofort zeigen müssen, ob die englischen Rüstungen lediglich die Folge des französischen Widerstrebens in derFaschodafrage waren, oder ob sie ganz andere Zwecke verfolgen. Das Letztere wäre zweifellos, wenn die Rüstungen auch nur einen Tag noch fortgesetzt würden. Daß mit der Faschodafrage die schweren Differenzen zwischen den beiden Concurrenten in Central afrika nicht beseitigt sind, versteht sich von selbst. Sie werden sofort wieder in aller Schärfe zu Tage treten, wenn Frank reich mit Entschädigungsansprüchen aus Bahr el Gazal kommt, was allerdings noch gute Wege baden dürfte. Daß in England auch nicht die Spur von Geneigtheit besteht, solche anzuerkennen, zeigt folgende Meldung: * London, 5. November. (Telegramm.) Die „Times" schreiben, weder vor noch nach der Räumung FaschodaS könne England das alleinige Nichtgejchehen eines unfreundlichen Actes als Grund für einen Ersatzanspruch irgend welcher Art ansehen. England könne unter keiner Bedingung zufiimmeu, der Diplo matie einen Theil der berechtigten Ansprüche zu überlassen, zu deren Bertheidigung cs bereit gewesen sei, sich in eiuen Krieg ein- zulassen. In Frankreich dürfte man, wie gesagt, derartige An sprüche zunächst nicht erheben, sondern sich auf die „dermal einstige" Aufrollun^ der egyptischen Frage in Gemeinschaft mit Rußland vertrösten. Selbstverständlich ist das nur ein nicht Sehen-Wollen der schweren Niederlage, die man im Kampf um die afrikanische Vorherrschaft mit England erlitten hat. In der Kammer begnügte man sich damit, über die Faschoda- angelcgenheit anzufragen und zeigte sich befriedigt über die Erklärung deS Ministers, auf dieselbe demnächst zurückzukom men. Man nimmt also den Schlag, wie man nach dem 70 er Kriege keinen schwereren empfangen hat, stillschweigend im Gefühl der Ohnmacht hin. Viel zu sehr von internem Scandal in Anspruch genommen, bat man die Kraft nicht gefunden, nack außen auf alle Fälle bereit und schlagfertig zu sein: ein bedenkliches Symptom des Niederganges der dritten Republik! Die französische Kammer ist gestern mit dem Debüt des neuen Ministeriums eröffnet worden, dieses bat mit allem Nachdruck erklärt, dem Spruche der Justiz freien Lauf zu lassen, und die Häuser von Paris sind nicht ein gestürzt. Dupuy sagte: „Unsere Pflicht ist, der Justiz die Ausführung ihrer Entschließungen zu sichern, welches auch die persönlichen Ansichten sein mögen", uud die Kammer votirte dem Cabinet daS Vertrauen mit der erdrückenden Mehrheit von 365 Stimmen. Derselbe Dupuy sagte: „Wir stehen vor der Entscheidung der Justiz und wir werden derselben Achtung verschaffen; Licht muß geschafft werden; an dem Tage, wo die Justiz gesprochen haben wird, werden wir uns vor ihrem Spruche beugen" — und die Kammer lohnt ihn mit anhaltendem Beifall. Man fragt sich angesichts dieser Einigkeit zwischen der Kammer und dem revisionSsreundlichcn Cabinet Dupuy: Weöhalb bat Feuilleton. Die kleine Lulu. LSI Seeroman von Elark Russell. Nachdruck verboten. Es Wäre ein besondere- Unglück gewesen, wenn solches Wetter, wie dieses, angehalten hätte. Allmählich gelang es uns heraus zukommen, ohne weitere Eisberge zu erblicken. Als wir den achtzigsten Längengrad erreicht hatten, richteten wir den Curs der Brigg nach Nord-Nord-West und steuerten mit dankbarem Herzen nach den milden Gewässern des Stillen Oceans. Die schwere Last der Sorge, die auf meinem Herzen gelegen hatte, war weder meiner Gesundheit, noch meinem Aeußcren vor- theilhaft gewesen. Mein Gesicht war hager geworden, ich sah erschöpft aus und meine Nerven waren vollständig herunter. Hätte ich mich gehen lassen, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, so würde ich mich zu Bett gelegt und wahrscheinlich eine schwere Krankheit durchgemacht haben; aber Unwohlsein war ein LuxuS, den ich mir nicht gestatten durfte. Mit Aufbietung meiner ganzen Willenskraft hielt ich mich aufrecht und lieferte dadurch mir selbst den Bewei-, was der Geist über den Körper vermag. Die Leute hatten bei Umsegelung des Cap Horn auf Tod und Leben gearbeitet, und wahrhaftig, eS war eine schwere Arbeit gewesen für eine so schwache Bemannung. Jetzt, da daS böse und kalte Wetter vorüber war, thaten sie aber nichts außer steuern und Raaen brassen. Die Vernachlässigung de- Schiffes war in seinem Aussehen deutlich erkennbar. Da- stehende Tauwerk hing schlapp, die gegen die Reibungen aufgebrachten Schamvilungen waren reine Lumpen, die Masten sahen rauh und der Rumpf ganz braun vor Schmutz aus; es hätte kür einen Walfischfänger gelten können, der, nachdem er sich drei Jahre unter den Südsee- Jnseln Herumgetrieben hatte, auf der Heimreise begriffen war. Da wir uns jetzt jedoch den Breiten näherten, wovon die Leute seit den letzten zehn Wochen geträumt hatten, empfahl ich gewisse Vorbereitungen, und eS gelang mir, durchzusetzen, daß sie aus geführt wurden. Banyard als Zimmermann mußte daS Lang boot einer gründlichen Prüfung unterziehen, es fest und sicher machen und ihm auch durch einen Anstrich von Thecr und Fett Glanz verleihen. Das Windezeug zum Herablasien des Bootes wurde in Ordnung gebracht und Alle» zum Ankerwersen bereit gemacht. Diese und andere Vorbereitungen, welche ich alle mit großem Eifer überwachte, so daß Niemand meine wahren Absichten zu crrathen vermochte, erfüllte die Leute mit einem neuen Geist. Es war, als wenn ihnen erst jetzt die Wirklichkeit des Unter nehmens, in das sie sich eingelassen hatten, zum Bewußtsein käme. Sie begannen wieder ihre alten Scherze zu machen. Jeder Tag brachte uns in ein milderes und köstlicheres Klima. An einem wunderschönen Morgen beredete ich Miß Franklin, mich auf Deck zu begleiten. Sie schrak zuerst vor dem Gedanken zurück; ihre Angst und ihr Abscheu vor den Leuten waren zu tief gewurzelt. Es gelang mir jedoch endlich, ihre Abneigung zu überwinden und sie die Cajütentreppe hinaufzuführen. Sie drängte sich furchtsam an meinen Arm, als ihr Auge dem finsteren Gesicht des am Rade stehenden Blunt, und, nach vorn zu, mehreren Leuten begegnete, die rauchend und plaudernd auf einem Segel lagen, welches sic zur größeren Bequemlichkeit unter sich gebreitet hatten. Nachdem sie die erste Angst überwunden, war es ergreifend, zu sehen, wie sie mit kindlichem Entzücken auf die blaue See und die weißen Segel blickte und mit Wonne die herrliche Luft der frischen Brise einathmete. Seit sechs langen Wochen war sie nicht oben gewesen. Abgeschlossen von frischer Luft — im wahren Sinne des Wortes wie eine Gefangene, hatte sie nur das melan cholische Knarren des Holzwerks gehört und die ganze Welt von Himmel und Wasser nur durch die kleine runde Glasscheibe ihrer Cajüte gesehen, welch« sich eben so oft unter als über den grünen Wogen befand. Die Leute sahen sie scharf an, aber das war Alles. Ihren Arm In dem meinen, so schritten wir das Deck entlang. Als sie mir diesen plötzlich entzog, that sie das wohl aus Furcht, daß diese Art vertraulichen Verhältnisses zwischen uns die Männer viel- leicht zu einer rohen, laut geäußerten Bemerkung veranlassen könnte. Ich sagte ihr aber, daß ich glaubte, mir diese- Vorrecht erworben zu haben, daß die Leute darin nichts Auffallendes fin den könnten und sie sich also meine Führung schon gefallen lassen müsse. Ihr ausdrucksvoller Blick war die beste Antwort, die ich mir wünschen konnte, und wir spazierten gravitätisch auf und nieder, wie ein Admiral mit seiner Frau. Bei den ruhigen Wogen, dem lauen Wind, den trägen Be wegungen der Segel und in der Gesellschaft von Louise Franklin wäre ich zufrieden gewesen, wenn sich die Brigg in den fliegenden Holländer verwandelt hätte, denn dann würden wir immer jung, die Sonne immer warm und das Wasser immer ruhig geblieben sein. Nachdem si« «inmal ihre Furcht überwunden hatte, kam sie öfter auf Deck. Die Leute näherten sich ihr niemals, schienen überhaupt gar keine Notiz von ihr zu nehmen. Sie kannten die Hand, die sich zu ihrer Bertheidigung erheben würde, falls ihr einmal irgendwie zu nahe getreten werden sollte. Ein noch stär kerer Grund für ihr Verhalten war aber wohl der, daß sie der Reise herzlich überdrüssig waren und sehnlichst wünschten, das ihnen vorschwebende Ziel endlich zu erreichen, ihre Taschen mit Gold zu füllen und die Meuterei sammt den Gefahren derselben in Vergessenheit zu begraben. In der That war jetzt die Meuterei ein Punkt, welcher ihnen Sorge machte, wie ich eines Tages deutlich erkannte, als wir ein Schiff in Sicht bekamen, das gerade auf uns zusteuerte. Sowie der Ruf erklang: „Segel ho!" stürzte Alles nach hinten, das Glas ging von Hand zu Hand und die offenbarste Angst verrieth sich. Ob es wohl ein Kriegsschiff wäre, wurde ich gefragt. Ich glaubt« das seiner Gestalt nach nicht. Jndeß stellte es sich her aus, daß es doch ein Kriegsschiff war, eine brastlanische Brigg, ein Dampfer unter Segel, welcher S.-S.-O. steuerte. Er fuhr in einer Entfernung von zwei Meilen an uns vorüber, seine Flagge an der Gaffelspitze zeigend. Am selben Tage rief ich Blunt zu mir und fragte ihn, ob die Mannschaft andere Entschlüsse gefaßt hätte bezüglich unseres Verhaltens, wenn Land in Sicht kommen sollte. „Ne", sagt« er, „wi Warden dauhn, aS Sei utsonnen hebben. Sam seggt zwor, dat em dücht', drei Meilen wier tau Wied, üm dat Schipp bitaudreihn, wi hädd da söß Meilen hen un t'rügg tau raudern, ein Meil af, wier naug; da künnt wi mit en Glas seihn, ob Hiiser da wiern, un uns de Mäuh spor'n, dat Boot runner tau laten." „Wir können ja auch, wenn ihr es wünscht, auf eine Meile heranfahren", antwortete ich, „aber bedenket, daß wir dann auch leicht den Theil eines bewohnten Landes anlaufen können, dessen Gebäude vom Deck aus nicht sichtbar sind. Nach meiner Ansicht wäre eS Wahnsinn, die Brigg vor Anker zu legen, ehe wir aufs Sorgfältigste recognoSclrt haben, ob die Insel bewohnt ist." „Dit iS ganz richtig!" rief er. ^Jk bün dorsor, dat Boot tau schicken, üm sik ümtauseihn; wi wulln blot nich söß Meilen raudern, wenn twei genaug sünd." EineEntfernung von einer Meile würde medren Zwecken nicht so gedient haben, wie eine von drei Meilen, trotzdem gab ich scheinbar seinen Wünschen nach, gedacht« aber schließlich doch zu thun, was ich wollte. Keinem lebenden Wesen hatte ich bis jetzt meinen Plan anver traut. Einmal hatte ich Lust gehabt, zu Miß Franklin davon zu sprechen, aber der bloß« Gedanke, ihn auch nur flüsternd zu äußern, erschreckte mich schon. Alles Gelingen und höchst wahr scheinlich auch mein und Miß Franklin's Leben, jedenfalls aber die Sicherheit der Brigg, hing davon ab, daß die Leute keinen Argwohn schöpften. Ich wagte kaum meinen eigenen Gedanken nachzuhängen, damit ich nicht durch mein Wesen oder den Aus druck meines Gesichts Zweifel bei den Leuten erregen würde. Mein Leben, meine Liebe, mein ganzes zukünftiges Glück standen auf dem Spiele, wenn die Kriegslist mißlang. Wahrlich, ein hoher Einsatz! Gott weiß, welche Anstrengungen, welche Verstellung es mich kostete, offen und unbefangen zu erscheinen, wenn die Leute den Horizont mit argwöhnischen Blicken ab suchten, häufig nach hinten kamen, den Compaß zu inspiciren, und oft von mir forderten, ihnen auf der Karte die Stelle zu be zeichnen, an welcher die Brigg sich befand. Achtzehntes Capitel. Donnerstag, der 15. October, war der hundertste Tag, seit wir Bayport verlassen hatten. Die letzten Beobachtungen hatten ergeben, daß wir hundert zwanzig Meilen südöstlich von der Stelle waren, an welcher nach Deacon'- Angabe seine Insel liegen sollte. Nach der Geschwindig keit, mit der wir während der Nacht gesegelt waren, hätten wir das Land am Nachmittag erblicken müssen. Tags zuvor hatte ich die Leute getäuscht, Indem ich ihnen unsere Lage auf der Karte unrichtig bezeichnete. Sir hatten daher keine Ahnung, daß wir innerhalb einer Fahrt von wenigen Stunden die gesuchte Insel in Sicht bekommen mußten, wenn sie Überhaupt existirte. Zu den Wundern der See gehört der rasche Wechsel des Klimas. Der Seemann, welcher sich heute unter der glühenden Sonne der Tropen befindet, denkt mit Staunen, wenn er den Schweiß von seiner Stirne wischt, an die wenigen kurzen Tage, welche vergangen sind, seit er mit dem Schnee und Eis und den Stürmen der antarktischen Regionen kämpfte. Ueber die Seite der Brigg in das klare blaue Wasser blickend, während die Sonne mir warm auf den Rücken schien und die Luft erfüllt war von dem Geruch deS erhitzten Pechs und der heiß bestrahlten Farbe, konnte ich mir kaum vorstellen, daß noch vor wenigen kurzen Nächten die See bergehoch in mitternächtlichem Dunkel um uns her tobte, der wüthend« Sturm uns Hagel und Schnee inS Gesicht trieb und die durchdringende Kälte die Thränen erstarren machte, di« ustf«ren Augen ent strömten. Obgleich all« meine Gedanken Miß Franklin und der Brigg galten, so will ich doch gestehen, daß ich auch recht neugierig war,
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