Volltext Seite (XML)
Die Vcorgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, dir tzlbeud-Ausgabe Wochentags um b Uh», BezugSPrei^ In der Hauptexpedittou oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus- «nbestellen «bgeholt: vierteljährlich ^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Leu» öäO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S—, Direkte tägliche Kreuzbandiendunll in- Ausland: monatlich 7.50. Maktilm vnd Erpedition: JphauueSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags uuunterbroche« geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm s E-rttm. (Alfred Hahn), Universitätsstragc 3 (Paulinus Louis Lösche, Ratbarinenstr. 14, Part- und KörtgSplatz 572. Morgen-Ausgave. MiWgcr TaHMM Anzeiger. Amtslikatt -es Königlichen Land- NN- Ättttsgerichtes Leipzig, -es Rattzes nn- Nolizei-Ämtes -er Lla-t Leipzig. Uttzeigen-Prers» die 6 gespaltene Petitzeile 80 Pfg. Reclamen unter demNcdactionsstrich (4g— spalten) bO^K, vor den Faiuilieniiachrichte- <6gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- ve-zeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Lertra-Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. - Änuahmeschluß für Anzeize«: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Margen-Ausgabe: MchmittagS 4 UHL Lei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stund« srätzer. Anzeigen sind stets an df« Erpepttt-lß zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig, Freitag den 11. November 18S8. 82. Jahrgang. Die Kritik kaiserlicher Neben. L Im Publicum spricht man zur Zeit viel angelegent licher, als aus der Presse ersichtlich ist, über Majestäts- beleidigungsprocesse. Die eben erst eingeleitelen können für eine ernsthafte Besprechung nicht in Betracht kommen, da nur Wenigen die gerichtlich beanstandeten Preßerzeugnisse bekannt sind. Die diplomatische Ausbeute, die sie einigen bayerischen Blättern, darunter einem freisinnigen Organ, bieten, verdienen keine Beachtung, und im gegenwärtigen Stadium darf man höchstens verzeichnen, daß die Eigenart des verfolgten Witz blattes seiner Sache bei Männern von Gesinnung und Geschmack das Gegentheil von Sympathie eingebracht hat. Bon dem gegen die „Zukunft" durchgeführten Proceß hingegen kann gesprochen werden. Die Verhandlung ist zwar unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor sich gegangen, aber man kennt die Artikel, die das Berliner Gericht zu einem Theil für straffrei befunden und für die es zu einem andern Theil auf eine Festnngshast von sechs Monaten gegen Herrn Harden erkannt hat. Wenn die meisten Preßorgane dennoch schweigen, so deutet dies auf die Abnormität hin, deren Er örterung u. A. der „Zukunft" die Bernrtbeilung zugezogen hat. Äs wird wenig geschrieben, aber die Natur der Beweg gründe für diese Zurückhaltung trägt dazu bei, daß um so mehr gesprochen wird, und ihr ist auch die schädliche Methode, die bei den seltenen nichtbyzqntinischen Preßäußerungen über den Kaiser Anwendung findet, zuzu schreiben. Man mag über Herrn Harden wie immer urtheilen: er ist jedenfalls der Sohn des neuen Curses, von ihm erzeugt und groß gezogen. Mit gewissen Erscheinungen der früheren Zeit, wie beispielsweise mit der „Reichsglocke", kann die „Zukunft" unmöglich verglichen werden, öene suchten ohne Glück eine bösartige Stimmung neu hervorzurnfcn, daS Organ des Herrn Harden spiegelt, wenn auch oftmals verzerrt, eine vorhandene Stimmung wider. In dem jüngst gegen ihn ergangenen Erkenntniß wird gesagt, Harden habe weiter verbreitet, „was boshaste Menschen Uber den Kaiser sagen". Diese Einschränkung entzieht sich der Benrtheilung, aber eS darf die Bermuthnng ausgesprochen werden, daS Gericht habe, als es die Einschränkung machte, die in der Berhandlung — unwidcrsprechen, wie eS scheint — be hauptete Thatsache, daß die „Zukunft" in der Armee stark verbreitet sei, nicht in Betracht gezogen oder doch nicht voll gewürdigt. Eines kann kein gerichtliches Erkenntniß umstoßen: was Herr Harden zu schreiben pflegt, ist das Surrogat einer Kritik, die beständig herausgefordert wird und sich dennoch nicht an die Oefsentlichkeit wagen darf, weil Sonne und Wind allzu ungleich vertheilt sind. Und wenn die Ge richte die „Zukunft" zum Schweigen brächten, so wäre damit nichts gewonnen. Was jetzt gelesen wird, würde von Mund zu Mund gehen. Abhilfe kann nicht durch Repression, sondern nur dadurch gebracht werden, daß dem Unerwünschten der Nährboden entzogen wird, vor allen Dingen durch ein geändertes Auftreten deS Kaisers in Wort, Schrift und Telegramm. Man hat die Forderung er hoben, Kundgebungen des Monarchen sollten niemals der Oefsentlichkeit zugänglich gemacht werden, bevor sie „corrigirt" worden seien. Der Monarch solle in die Lage der Parlamentarier versetzt werden, die nur das als von ihnen gesagt bekannt werden lassen müssen, was sie gesagt haben wollen. Die- Mittel scheint jedoch an sich nicht unbedenklich und jedenfalls untauglich. Man bat eS ja schon häufig ohne Erfolg angewandt. So haben z. B. vielleicht drei Viertel der Deutschen nicht durch ihre Zeitung erfahren, daß Fürst Bismarck vom Kaiser als „Handlanger" bezeichnet worden war; der Aus druck war in der amtlichen Wiedergabe ausgemerzt. Den noch vergingen nicht acht Tage und jeder Deutsche wußte, daß das Wort gefallen sei. Das Volk ist glücklicher Weise noch nicht so weit, kaiserliche Aussprüche mit den Reden eines beliebigen Abgeordneten auf die gleiche Stufe zu stellen oder umgekehrt. Das Volk hält sich m solchen Fällen noch an den alten Spruch, daß man an einem Kaiserworte nicht drehen und deuteln solle, und es fühlt sich auch, wenn das Wort ihm nicht gefällt, durch die „Eorrectur" noch weit mehr befremdet, als durch den ersten Text. Es giebt kein anderes Mittel gegen die hämische Kritik kaiserlicher Reden, als, daß Aussprüche, deren Berichtigung das Reichs interesse fordert, nicht gethan werden, und unseres Erachtens muß die patriotische Presse auf jede Gefahr hin auösprechen, daß der Verzicht auf den Glanz des Redners und den Ruhm des Universalgenies in den Kreis der Herrscher pflichten fällt. Ein gutes Wörterbuch der volkswirthschaft. Die Gleichberechtigung der Bürger und namentlich das Selbstbestimmungsrecht, das ihnen gewährt ist, läßt als ein Hauptbedürfniß hervortreten, daß den breiteren Schichten des Volkes in gemeinverständlicher Weise die Gesctzeskunde und die Elemente der Volkswirthschaft zugänglich gemacht werden. Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, daß jene Schichten thatsächlich nach solcher Belehrung verlangen, so bringt ihn der rasche Niedergang des bürgerlichen politischen Radikalismus, der seiner Gemeinde nur abgestandenes Phrasenwerk zu bieten weiß. Das Volk will nicht Steine, sondern Brod, wendet sich dorthin, wo man den wirthschaftlichen Jnterefsenfragen und der Gesetz gebung insgemein das sachliche Verständniß abzugewinnen sucht. Dabei profitiren vorläufig die am meisten, die am lautesten ver sichern, daß sie zu allen Fragen die beste Lösung gefunden hätten. Die Erfolge der Socialdemokratie und der Agrarbewegung wären nicht zu verstehen, wenn nicht die eine wie die andere Richtung sich den Schein verliehen hätte, als gäbe es im betr. Parteilager lediglich gelöste wirthschaftliche und sociale Probleme, keinerlei unergründete. Die nationalliberale Partei hat schwierigeren Stand: sie kann überall nur die Dinge so dar stellen, wie sie sind, — ob sie nun halbfertig und unergründlich oder sehr einfach sind. Aber wenn die Partei dennoch den Erfolg aufweisen kann, daß sie ihren Platz überall behauptet und sich zusehends in ihren Positionen be festigt, so hat dies seinen Grund darin, daß sie eben eingeht auf alle neuen Fragen des national- wie des weltwirthschaftlichen Getriebes und sich redlich bemüht, -deren Lösung zu finden. Dem Bestreben, diese Fragen auch den breiteren Schichten des Volkes verständlich zu machen, ist in neuester Zeit ein unschätz barer Dienst geleistet; er geht von neutraler Seite, von der ernsten Wissenschaft aus. In den Kampf gegen die Unkenntniß der wichtigsten Umrisse der Volkswirthschaft greift als hervorragend nützliches Hilfswerkzeug das „Wörterbuch derVolks- wirthschaft " ein, dessen erster Band soeben bei Gust. Fischer in Jena erschienen ist.*) Prof. E l st e r, unterstützt von 26 anderen hervorragenden Gelehrten, hat sich das Verdienst er worben, der alphabetischen Reihe nach in Einzelcapiteln die wirth schaftliche und sociale Entwickelung in ihren Hauptpuncten so zu erläutern und die einzelnen Begriffe und Factoren des volks- wirthschaftlichrn Lebens so darzustellen, daß in der That hier durch die nothwendigc Belehrung in die weitesten Kreise getragen werden kann. Die beiden Bände kosten zusammen, stark und ge fällig gebunden, 26 Das ist kein Opfer für den Reichen, um sich das nützliche Werk für die eigene Bibliothek zu beschaffen, auch nicht für Vereine, Lesegesellschaften u. s. w., die das Buch zu Nutz und Frommen aller Mitglieder ihrer Bibliothek «inver- leiben wollen. Die Darstellung ist im Einzelnen kurz und präciS und erschöpft, den Gegenstand sachlich, ohne sich auf die strittigen Puncte anders als im Sinne einer faßlichen Belehrung über den Gegensatz einzulasien. Das ist hier um so mehr anzuerkennen, als die Mitarbeiter für ihre eigene Person selbstverständlich einen bestimmten Standpunkt im Streite über unausgetragene Dinge eingenommen haben und anderweit auch vertreten. Hier da gegen belehren uns v. d. Goltz und Sering über die wesentlichsten Grundzüge des Agrarwesens und der Agrarpolitik, Heckel, Bücher u. A. über die Geschichte der Gewerbe und die Aufgaben der Gewerbepolitik, Lexis, Lotz u. A. über die Geld- und Währungs fragen, Schanz, Heckel, Rathgen u. s. w. über Finanz-, Zoll- und Steucrwesen u. A. m. Als recht werthvolle Einzelvarstellungen bieten sich im ersten Bande u. A. dar: die Artikel: „Bodenzer- splitterung" von Woygodzinski, „Börsenwesen" von Schanz, „Budget und Budgetrecht" und „Gemeindefinanzen" von v. Heckel, „Eisenbahnen" von v. d. Borght, „Frauenfrage" von Pierstorff, „Gewerkvereine und Handwerk" von Biermer, „Handel", „Han delsbilanz", „Handelsgeschäfte", „Handelspolitik" u. A. von Nathgen. Dabei ist, obwohl im Verlauf der Arbeit noch für den einen und anderen Mitarbeiter Ersatzmänner eintrüen mußten, doch eine einheitliche Methcde, in der Darstellung selbst wie in dec Ausnutzung des Raumes, zu erkennen, und es wirkt überaus an genehm, auf Tritt und Schritt den bis in die neueste Zeit kcrout- reickiendcn statistischen Materialien zu begegnen. Das „Wörter buch" kann also wirklich etwas nützen, — ob man nun selbst mit wissenschaftlichen Arbeiten befaßt und aufs Nachschlagen an gewiesen ist, ob man Zeitungsartikel verfafsenoder einen Vortrag halten soll. Der Herausgeber und ebenso der Verleger haben sich mit der Veranstaltung dieses Werkes ein bleibendes großes Verdienst erworben. Das „Wörterbuch" wird überall dazu dienen, das Verständniß der Zeit und ihrer Probleme in weitere Kreise zu tragen, das Vorurtheil und die platte Phrase vom *) Ter andere Band soll noch im December erscheinen. politischen Kampfplatz auszuschließen und so der Regung und Be wegung im öffentlichen Leben wachsenden Sachgehalt zu ver leihen. Wir wüßten in der That kaum einen Dienst zu bezeich nen, der dem öffentlichen Leben s o nöthig war, wie gerade dieser. Deutsches Reich. * Leipzig, 10. November. Die Erricht unzeiner „Deutschen Verlegerkammer", welche ein gemeinsames Organ der schon jetzt zu bestimmten Zwecken verbündeten 4 Verlegervereine, des (allgemeinen) deutschen, des Stutt garter, Berliner und Le ip z i ger VerlezervereinS, bilden soll, um die gemeinsamen Interessen des Verlegerstandes nach jeder Seite hin, d. i. innerhalb deS Buchhandels und anderen Interessengruppen gegenüber, zu wahren, dürfte nach einer Meldung des „Schwab. Merk." gesichert sein. Ende letzter Woche sanden, wie aus dieser Stuttgarter Quelle verlautet, zu Leipzig Verhandlungen von Abgeordneten der 4 Vereine statt, die zu einer vorlänfigen Verständigung über grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten führten und wobei insbesondere den Bedenken des Stuttgarter Verlegervereins Rechnung ge tragen wurde. Nach welcher Richtung hin sich die Thätigkert der künftigen Berlegerkammer entwickeln wird, ist bei dem ganz allgemein gehaltenen Programm, wie es in Leipzig aufgestellt wurde, der Zukunft Vorbehalten geblieben; sie wird sich je nach den Verhältnissen sowohl auf dem Gebiete der bevor stehenden Neuregelung der Urheber- und verlagsrechtlichen Gesetzgebung bewegen, als auch die Bekämpfung gemeinschäd licher Auswüchse auf gewerblichem Gebiete und die Ausbil dung gesunder Ereditverhältnisse, endlich die Durchführung zeitgemäßer Reformen im buchhändlerische» Verkehr in ihren Bereich ziehen. sl Berlin, 10. November. (Rentenstatistik.) Auch der neueste, von unS wiedergegebene Ausweis, den das ReichS- VersicherungSamt über die Zahl der am 1. October dieses Iabrcü laufenden Invaliden- und Altersrenten veröffentlicht hat, läßt erkennen, daß noch dieselbe verschieden artige Tendenz in der Entwickelung der beiden Rentenarten vorherrscht, wie in den früheren VerichtSperioden. Die In validenrenten nehmen beträchtlich zu, und zwar vorläufig auf daS Jahr berechnet mit 60 000, die Altersrenten nehmen noch immer an Zahl ab, wenngleich sich jetzt das Weniger auch nur auf einige Hunderte beläuft. In etwas setzt sich diese Entwickelung doch in Widerspruch mit den Voraussagen, welche der frühere Präsident deS ReichS-VcrsicherungsamteS vr. Bödiker bei der Eröffnung der neuen Abtheilung für Invaliditäts- und Altersversicherung auf Grund der damaligen Erfahrungen auösprechen zu können meinte. Die Entwickelung der Renten ist aber auch gegen die Zeit vor fünf Jahren eine völlig verschiedene. Am 1. October 1893 waren insgesammt 44 642 Invalidenrenten und 200 532 Alters renten bewilligt. Am 1. October 1898 hatte sich die Zahl der bewilligten Invalidenrenten auf 360 253, die der Altersrenten auf 333 064 gehoben. Es ist demnach in den letzten fünf Jahren für die Invalidenrenten eine Fruillston. Der Äntheil Les Herrn von Hübner an der Tödtung Robert Ltum's. Bon vr. Hans Blum. Herr Or. Max Mendhe'im nennt es in seinem mir sonst sehr sympathischen Artikel „Zu Robert Blum's Ge-sächtniß" (Morgen nummer Ves „Leipziger Tageblattes" vom 9. November 1898) „eine einfache Unwahrheit", wenn ich in meinem Werke „Dir deutsche Revolution 1848/49" (S. 337) sage: Herr v. Hübner hab« „in seinem Tagebuche (von 1848/49) selbst zugestanden", daß er am Abend des 7. November 1848 in Olmütz „die Ermordung Robert Blum's beschlossen und sie beim Fürsten Felix Schwarzenberg durchgesetzt habe, indem er diesem vorspiegeltr: „Blum's Privilegien als Mitglied des Frank furter Parlaments haben keine gesetzliche Kraft in Oesterreich. (!) Di« Privilegien des Standrechts sind die einzigen, die er hier zulande beanspruchen kann. Robert Blum ist der hervorragendste «der deutschen Anarchisten. (!) Er wurde mit den Waffen in der Hand ergriffen. (!!) DaS Gesetz ahnt (!!) derlei Verbrechen mit dem Tod«. Er muß die Folgen seiner Handlungen tragen. Wenn er verurtheilt und hingerichtet wird, so werden seine Ge nossen erfahren, daß wir uns nicht vor ihnen fürchten. Daher lasse man der Gerechtigkeit (?!) freien Lauf. Man muß di« großen Verbrecher strafen." Wörtlich mit diesen Hübner'schen Kraftsätzen und mit dem Zusatze des Fürsten: „Ich nehme di« Verantwortlichkeit auf mich", wurde der fürstliche Er mordungsbefehl am 7. November durch einen Officier von Olmütz nach Wien gebracht." Herr vr. Max Mrndheim glaubt den gegen mich erhobenen Vorwurf der „einfachen Unwahrheit" bei Aufstellung meiner Be hauptung, daß Hübner am 7. November 1848 in Olmütz diese Rolle gespielt und das auch in seinem Tagebuch« zugrstanden habe, einfach damit begründen zu können, daß er sagt: „Denn Hübner schreibt ausdrücklich, „Fürst Felix erkannte sogleich, welchen Sturm die Aburtheilung und Hinrichtung Blum'» in Frankfurt und ganz Deutschland entfesseln würde; dennoch zögerte er nicht einen Augenblick, seinen Schwager zu bitten, er möge Blum vor dar Kriegsgericht stellen", und zählt dann olle die Gründe, die ihn dazu bewogen und die Hans Blum fälschlich dem Grafen Hübner unterschiebt, al» des Fürsten eigen« Ge danken auf." So „einfach" liegt aber die Sache nicht, sondern folgender maßen. Der — wie auch ich erzähle — formell allerdings vom Fürsten Schwarzenberg ausgehende („ich nehme di« Verantwortung auf mich") Tödtungsbefehl nach Wien vom 7. November — Herr v. Hübner hatte ja nicht» zu befehlen — war veranlaßt durch folgenden Vorgang. Am 6. November hatte nämlich der Schwager de» Fürsten Felix, der Bezwinger Wiens, Fürst Windischgrätz, dem Schwager Felix in Olmütz von Wien aus brieflich mitgeiheilt, daß am 4. No vember die beiden deutschen Parlamentsabgeordneten Blum und Fröbel — übrigens nur als „paßlosr Ausländer" und nicht unter dem Verdachte irgend einer Unthat — in ihren Hotelbetten in Stadt London früh 6 Uhr, und nicht mit den Waffen in der Hand, „in militairgerichtlichen Gewahrsam genommen" worden seien, und Fürst Windischgrätz „die Absicht habe, sie einfach aus Oesterreich ausweisen zu lassen" — was abermals beweist, daß Fürst Windischgrätz nicht den Schatten eines Verdachts- oder Anklagegrundes gegen Robert Blum hatte. Er glaubte außer dem aber durch die „einfache Ausweisung" der beiden deutschen Abgeordneten dem Schwager Felix einen Gefallen zu thun, da Blum und Fröbel am 5. November an den Präsidenten der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt ein Schreiben ge richtet hatten, in welchem sie unter Berufung auf das Reichsgesetz vom 30. September 1848 vermöge ihrer Unverletzlichkeit als Ab geordnete ihre sofortige Freilassung verlangten. Dieses Schreiben sandte Fürst Windischgrätz statt nach Frankfurt dem Schwager Felix mit nach Olmütz. Für st Windischgrätz also wußte bis zum 6. November gar nichts von Robert Blum, was zu einem Vorwand für stand rechtliches Einschreiten gegen denselben hätte dienen können, obwohl der Feldmarschall seit 'dem 31. October Herr der Stadt Wien war, und das Spitzelthum und die Angeberei — nach Anton Springer's klassischen Schilderungen — selbst zur Zeit Metter- nich's in Wien noch niemals so üppig ins Kraut geschossen war, wie seit eben diesem 31. Octvber unter der Diktatur des Fürsten Windischgrätz. Und zur selben Zeit sollt« Fürst Felix Schwarzenberg im fernen Olmütz vonsichaus, ohne AngebereisrineS „treuen Hübnrr" die ganz« Kette von Verbrechen Robert Blum's gekannt haben, welche in dem fürstlichen Töotungsbefehl vom 7. November aufgezählt sind? Das unterstellt Herr Ör. Mendheim. Dabei übersieht er aber, daß Fürst Felix Schlvvrzenberg nach den übereinstimmenden Lebens- und Charakterschilderungen, die Anton Springer, Hein rich v. Sybel und namentlich Otto v. Bismarck in seinen Be richten und Briesen aus Frankfurt a. M., in Bezug auf die Kcnntniß der Zeitgeschichte, des bestehenden Staat»- und Ver- fassungsrechteS u. s. w., weitaus der ungebildetste und un wissendste Mann war, din Oesterreich jemals zum Leiter seiner Politik erhoben hatte — und da» wollte schon etwas sagen! Außerdem aber war Robert Blum'» Name erst seit etwa 1845 über die Grenzen Sachsens hinausgedrungon, und Fürst Felix Schwarzenberg hatte sich schon seit 1838 und bis einschließlich des Jahres 1848 — so weit ihn seine verliebten Abenteuer über haupt zu Geschäften und Studien Zeit ließen — nur um di« politischen Angelegenheiten der Höfe bekümmert, bei denen er seit 1838 als österreichischer Gesandter accreditirt war, 1838 bei den Höfen von Turin und Parma, von 1846 bi» Anfang April 11848 bei dem König Bomba von Neapel. Dann focht er bis zum Herbst unter den kaiserlichen Truppen in Oberitalien. „Wer Iden abgelebten Mann" (geboren 1800, also erst 48 Jahr« alt) „mit dem matten Auge, den müden Zügen hier (in Neapel) sah", sagt Anton Springer, „mußte seine Laufbahn für abgeschlossen halten." Studien über Robert Blum's Leben und Wirken an zustellen, war gewiß das Letzte, was Fürst Felix seit seiner An wesenheit im Hoflager von Olmütz (seit Mitte October bis zum 7. November) für nothwendig hielt. Aus seinem Wissen und seinem Haupte ist daher die blutig« Anklage gegen Robert Blum und die Aufzählung aller todeswürdigen angeblichen Frevel des „großen Verbrechers" sicherlich nicht entsprungen, die oben aus dem fürstlichen Tödtungsbrfehl vom 7. November wörtlich angeführt wurden. Ganz abgesehen von dieser Impotenz des Wissens des Fürsten Felix zu solcher Leistung, läßt aberdas Tagebuch des Herrn von (späteren Neugrafen) Hübner dessen A n- theil an dem Plan und den Vorwänden der Tödtung Robert Blum's so deutlich erkennen, daß ich mit vollem Recht von seinem „Geständ- niß" sprechen konnte. Denn zunächst versäumt Herr v. Hübner nicht, an zahlreichen Stellen seines Tagebuches die welt geschichtliche Bedeutung seiner Rathschläge von 1848 bis 1849 in das gebührende Licht zu setzen, indem er namentlich den Fürsten Schwarzenberg immer von „seinem treuen Hübner, seiner rechten Hand" reden läßt. Es wäre also geradezu undenkbar gewesen, wenn Fürst Schwarzenberg „seinen treuen Hübner, seine rechte Hand" bei dem vom Fürsten Felix selbst als ungewöhnlich folgen reich erkannten Schritte der Tödtung Blum's nicht zu Rathe gezogen und vollends gegen Hübner's Rath „die Verant wortung auf sich genommen" hätte. Aber gerade diese Mit wirkung Hübner's an diesem Entschlüsse gesteht Hübner's Tagebuch ausdrücklich zu. Selbstverständlich nämlich war der Brief des Fürsten Windischgrätz vom 6. November an den Schwager Felix in Olmütz ein durchaus geheimes Schriftstück. Ebenso dir Antwort Schwarzenberg'» an Windischgrätz vom 7. November (der Tödtungsbefehl). Nun gesteht aber Hübner's Tagebuch (S. 288) ausdrücklich, daß Hübner diese beiden geheimen Schriftstücke so genau gekannt hat, daß er noch 43 Jahre später (1891) bei Herausgabe seines „Tagebuches" deren Inhalt wörtlich „aus dem Gedächtiriß citiren" konnte. Wenn Fürst Schwarzenberg mit dem „treuen Hübner" nicht über diese geheimen Schriftstücke hätte berathen wollen und wirklich berathen hätte, so wäre ihre Bekanntgabe an Hübner völlig zwecklos gewesen. Aber das „Geständniß Hübner's, daß er der Rathgeber und Anstifter der Ermordung Robert Blum's gewesen, leuchtet aus dem „Tagebuch" noch viel klarer hervor. Zunächst besaß Herr v. Hübner daS zu dieser That erforderliche Maß von Haß und Rachsucht gegen Robert Blum, wie die lange Kette von wissentlichen Verleumdungen Hübner'» gegen Robert Blum beweist, die auch Herr vr. Mend heim theilweis« vorträgt. Robert Btum hatte al» Leipziger Stadtverordneter die frechen Einmischungen, die sich der öster reichische k. k. Generalconsul Hübner in Leipzig in städtischen wie sächsischen Angelegenheiten erlaubte, tapfer gerügt und da durch die Abberufung und Kaltstellung Hübner's bewirkt. Das hatte der Herr Baron noch an Blum zu rächen. Außerdem erschien es dem Jesuiten Hübner als verdienstliches Werk, den Deutschkatholiken Robert Blum unschädlich zu machen. Am klar st en aber zeigt der Wortlaut des Tödtungsbefehl» vom 7. November, wie ihn das Tagebuch (S. 288) „aus dem Gedächtniß citirt", die Mit wirkung und Anstiftung Hübner's zu dieser That. Denn sämmtkiche „Gründe" für diesen Tödtungsbefehl sind erlogen und zwar von Hü bn er erlogen, wörtlich oder dem Sinne nach sich deckend mit den Lügen, die Hübner schon auf den Seiten 256 bis 288 (der Seite, die den Tödtungsbefehl im Wortlaut bringt) über Robert Blum geleistet hat und abermals wort- oder sinngetreu gleichlautend mit den Lügen, die Hübner S. 289 bis 292 feines Tagebuches zur Verleumdung seines Opfers und zur Begründung des schönen Bekenntnisses Hübner's (S. 290) vorbringt: „Indem Fürst Felix Blum's Proceß ver langte, vollzog er einen Act der Gerechtigkeit, 'des Muthes, der Politik." Man erkennt aus diesem Geständnisse einer edlen Seele also ohne Weiteres auch, in welchem Sinne der „treue Hübner" „seinen" Fürsten Felix an jenem 7. November berathen hat. Diese Hübner'schen Lügen begannen, wie bei deren wört licher Anführung oben gezeigt wurde, mit dem Satze: „Blum's Privilegien als Mitglied oes Frankfurter Reichstages" (d. h. des Unverletzlichkeitsgesetzes vom 30. September 1848) „haben keine gesetzlich« Kraft in Oesterreich. Die Privilegien ves Standrechtes sind die einzigen, welche er hierzulande beanspruchen kann." Hübner wiederholt diese Lüge auf eigene Verantwortung auf Seite 290. Wäre Fürst Schwarzenberg selbst «der Urheber dieser Flimkerei gewesen, so würde er natürlich auch dabei be harrt haben. Aber als Fürst Schwarzenberg am 8. November von Leuten, di« im Recht bewandert waren, zu seinem Schrecken erfuhr, daß das deutsch« Reichsgesetz vom 30. S«ptemb«r am 5. October in der amtlichen Wiener Zeitung mit Gesetzeskraft für Oesterreich verkündet sei, der „treue Hübner" also, im Ge folge seiner Ordensregel, daß der Zweck das Mittel heilige, „seinen Fürsten Felix" belogen habe, fertigte er noch am 8. November «iligst einen Officier nach Wien ab mit dem Befehl an Windischgrätz: die Reichstags abgeordnetcn sofort frei zulassen. Dieser Befehl traf am Morgen des 9. November in Wien ein — leider aber erst, nachdem Robert Blum bereits erschossen war! Obwohl wir dieses Schreiben Schwarzenbcrg's vom 8. November bereits seit 28 Jahren aus A. v. Helfert s „Geschichte Oesterreichs" kennen, so sagt doch Herr v. Hübner in seinem Tagebuch« kein Wort davon, weil er damit auch noch rundweg hätte einräumen müssen, daß seine ziel- bewußten Lügen die Ermordung Robert Blum's herbeiführten.