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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981124024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898112402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898112402
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-11
- Tag 1898-11-24
-
Monat
1898-11
-
Jahr
1898
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Nbeud-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: Ltt» Slcmm'S Eortim. (Alfred Hahn)» Universitätsstraße 3 (Paulinum), Lo»tS Lösche, Katharinenstr. 14. pari. i.nd KöniLSplatz?, Ne-aciion und Erpe-itio«- IohanneS-asse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Bezugspreis Ai der Hauptexpedition oder den im Stadt» bezirk und den Vororten errichteten AuS- aabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50. bei zweimaliger täglicher Zustellung inS HanS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandienduug in- Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. MpMer JaMall Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes «nd Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6gespaltme Petitzeile L0 Pfg. Neclameu unter dem RrdactionSstrich (4«»- spalten) 50 ^j, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. 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Die Hauptursache dieser Erscheinung ist jcdensalls in dem Umstande zu suchen, daß die Presse des Eentru m s ein Haar in ihren Agitationen gegen das Flottengcsetz ge funden bat. Mit allen nur denkbaren Mitteln hatte sie gegen dieses angekämpft und sah sich am Ende von dem größten Tbeile der Centrumsfraction im Stiche gelassen. Deshalb ist sie jetzt vorsichtig, so sehr sich auch der „Vorwärts" bemübt. die Eentrumsprefse anzureizen, doch endlich eine „ernste Opposition gegen die kommenden Militairforderungen zu machen". Aber was die EentrumSpresse nicht reizt, daS reizt Herrn Eugen Richter. Kategorisch erklärt er in seiner „Freisinn. Ztg.", daß im Reichstage auf eine Mehrbeit für eine Militairvorlage nicht zu rechnen sei, wenn die Präsenzerhöhung über ein geringes Maß hinausgehe. Und er giebl auch der erhofften Oppositionsmehrheit einen Grund an, auS dem sic Stellung gegen die zu erwartende Vorlage nehmen soll. Er beruft sich nämlich auf das Abrüstungsmanifest deS Zaren, von dem er behauptet, durch dasselbe sei die Verantwortlichkeit jeder Volksvertretung neuen militairischen Forderungen gegenüber außerordentlich verschärft worden. „Am wenigsten," so fährt Herr Richter fort, „erscheint es angezeigt, daß Deutschland, der größte Militairstaat der Welt, dieses Manifest des Zaren mit einer Präsenzerhöhung des Heeres beantwortet, welche Anlaß geben wird, hüben und drüben die ewige Schraube zum Nachtheil der Völker noch weiter anzuziehen." — Hohlere Einwände können gegen eine Präsenzerhöhung nicht vorgebracht werden. Denn ebensowenig wie davon die Rede sein kann, daß einePräscnzerhöhung inDeutschland die „Antwort"auf das Manifest des Zaren sei, ebensowenig darf man behaupten, eine Piäsenzerhöhuug iu Deutschland gebe den Anlaß, „hüben und drüben" die ewige Schraube weiter anzuziehen. Oder ist eS etwa Herrn Richter unbekannt, daß Rußland, unbe schadet d:S Manifestes, fortfährt, seine Flotte in der Ostsee und im Schwarzen Meere zu verstärken und die Rüstung seines Laudbceres zu verbessern? Sollte das der Fall sein, so wird die Socialdemokratie ihren „Großpensionair" hierüber eines Besseren belehren; ist es doch gerade der „Vor wärts" gewesen, der nicht nur auf den Widerspruch zwischen dem FriedenSmanifeste und der Fortsetzung der russischen Rüstungen aufmerksam gemacht, sondern auch die Aufrichtigkeit des Manifestes wiederholt in Abrede gestellt hat. Die Berufung auf das russische Manifest dürfte demnach sogar für die Opposition im Reichstage nicht durchschlagend erscheinen, vorausgesetzt, daß die socialdemokratische Fraclion den „Vorwärts" nicht vollständig verleugnet. Braucht aber Herr Richter zur Beurtheilung der deutschen Militairvorlage einen ausländischen Unterweiser, so empfehlen wir ihm, nach England zn blicken. England ist ja sonst das gelobte Land unseres RadicalismuS; um so eindringlicher sollte die Lehre sein, die England ihm mit seinen gegenwärtigen Rüstungen ertheilt. Unter den bereits mitgctheilten Interpellationen für den Reichstag, welche der Bund der Landwirthe an kündigt, steht obenan die Frage an den Reichskanzler, ob er bereit sei, Auskunft darüber zu geben, „ob und wie der zur Zeit in Berlin ohne das Vorhandensein einer staatlich be aufsichtigten Productenbörse stattfindeude Getreideverkehr mit den Bestimmungen des Reichsbörsengesetzes vom 22. Juni 1896 vereinbar ist?" Erwägt man, welches Motiv der Einbringung dieser Interpellation Wohl zu Grunde liege, so hat mau zunächst den Eindruck, eS sei die Schädi gung der Landwirlhschaft durch den Berliner Getreide verkehr, welche den Bund der Landwirthe zur Einbringung der Interpellation veranlasse. Dem kann aber nickt so sein. Denn ver „Bundeskalender für das Jahr 1899", als dessen Herausgeber der Bund der Landwirthe ausdrücklich ge nannt ist, äußert sich über den Berliner Getreideverkehr u. A. wie folgt: „Wenn die Herren keine Lust zur Wiederherstellung der Pro» ductenbürse unter den gesetzlichen Bestimmungen haben, so thut das dem Getreide verkaufenden Landwirth keinen Schaden, nachdem die Landwirthjchaftskammern aus eigene Hand für die Ermittelung und Veröffentlichung der Marktpreise bestens Sorge tragen. Wenn die Herren Getreidehändler unter sich — im Feenpalast, im Heiligen-Geist-Hojpital oder sonst wo — daS Verlangen tragen, sich aus Grund auswärtiger uncontrolirbarer Notizen gegenseitig „rein zulegen" — das soll uns gleichgiltig sein. Die Hauptsache bleibt, daß das Publicum durch das Börsengejctz vor der Be» Iheiligung an Papier-Getreide-Geschästen geichützt ist und daß ter Landwirlh an den durch die Lanbwirthschaftskammern bewirkten Notirungen einen Anhalt für die jeweiligen Getreidepreise hat." Unter diesen vom Bunde dargelegten Umständen müßte es als daS Natürlichste erscheinen, wenn er die in der Sacke noch ausstehende Entscheidung des OberverwaltungSgericklcs abwartete. Offenbar aber kommt eS der neuen Leitung des Bundes darauf an, keinen Zweifel darüber zu lassen, daß sie nach dem bewährten Muster des Herrn von Ploetz an der Verschärfung der Gegensätze zwischen Landwirlhschaft und Handel eifrig weiter arbeiten will. Neben dem Fall Dreyfus drängt jetzt der Fall Picquart zur Entscheidung. Dem „Temps" zufolge hat, wie wir meldeten, der Generalgouverneur von Paris, General Zurlinden, beschlossen, Picquart nach Beendigung der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung vor ein Kriegs gericht zu stellen. Picquart wird beschuldigt 1) der Fälschung der Rohrpostkarte („petit bleu"), welche im Jahre 1896 von dem deutschen Botschafter an Esterhazy gerichtet sein soll, 2) wegen Mittheilung der Aktenstückes „Oe oansiUs cke v . . ." an den Advocaten Leblois, den Vertheidiger Dreyfus' im Jahre 1896, und 3) wegen Mittheilung verschiedener geheimer Dossiers an denselben. Der erste Punkt wurde nur deshalb in die Anklage einbezogen, weil Picquart sich des Entschiedensten geweigert hatte, dem mit der Untersuchung gegen ihn betrauten Hauptmann Tavernier genaue Angaben über den Ursprung der an Esterhazy gerichteten Rohrpostkarte zu machen und wegen der beiden anderen Puncte hatte Picquart sich bereits vor einem Enqueterathe zu verantworten, auf dessen Gutachten hin er straf weise pensionirt worden ist. Man begreift also, daß General Zurlinden bei aller Geneigtheit, Picquart zu fassen, es sich zwei mal überlegt hat, ehe er den Angeschuldigten vor ein Kriegs gericht verwies, dessen Spruch ihm persönlich nur Unannehmlich keiten bereiten kann; denn spricht das Kriegsgericht Picquart frei, so bedeutet dies eine empfindliche Schlappe für den General gouverneur; wird Piquart hingegen verurtheilt, so kann die Anbahnung der Revision seines Processes keinem Zweifel unter liegen. Picquart könnte von einem Kriegsgericht nur wegen des „petit bleu" verurtheilt werden, da er wegen der anderen Puncte bereits im Disciplinarwege verurtheilt worden ist. Nun wird aber der Cassationshof sich gleichfalls mit der Angelegenheit des „petit bleu" befassen und wahrscheinlich der Sache auf den Grund gehen wollen. Da wäre nun zu befürchten, daß die Prüfung der Rohrpostkarte durch die Sachverständigen des Cassationshofes die Echtheit der angeblichen Fälschung ergäbe, indcß das Kriegsgericht Picquart als Fälscher verurtheilt hätte. Das gäbe einen Conflict zwischen dem Caffaiionshofe und der Militairjustiz, in dem der erstere Recht behalten müßte. Wie es heißt, habe Zurlinden mit seiner Entschließung warten wollen, bis Picquart vor dem Cassationshof verhört worden sei, um so zu verhindern, daß die Zeugenaussage Picquart's an Werth verliere, wenn er hätte angeben müssen, daß von der Militärbehörde gegen ihn Anklage erhoben sei. Da im natürlichen Verlauf der Dinge in naher Zeit eine neue Papstwahl zu erwarten steht, so werden zahlreiche Schriften über das Conclavc, seine Vorbereitungen und Aussichten auf den Markt gebracht. Die meisten dieser Veröffentlichungen sind als rein buchhändlerische Speculationen keiner Beachtung Werth. Aufmerksamkeit verdient jedoch das soeben erschienene Buch „II lutriro", als dessen Verfasser „Hn cattcsiioo italiauo" genannt ist. Hinter dieser Bezeichnung, welche in gleichem Maße den italienischen Patriotismus wie die katholische Rechtgläubigkeit des Verfassers betonen soll, versteckt sich ein gründlicher Kenner vaticanischer Verhältnisse, der Schriftsteller Giovanni Berthelet. Aus den Ergebnissen seines fesselnden Buches mögen hier nach der „Köln. Ztg." die bemerkenswerthesten in Kürze wiedergegeben werden. Unter den Cardinälcn, die ihren Sitz bei der Curie haben und daher für die Vorbereitung einer Papstwahl am meisten in Betracht kommen, sind drei ge trennte Gruppen wahrzunehmen; die Mehrzahl wünscht, daß der künftige Papst völlig die politische Richtung des gegenwärtigen beibehalte; eine zweite Partei vertritt die Ansicht, daß der neue Papst sich weniger um die besonderen Interessen der Staaten und vielmehr um das allgemeine religiöse Gefühl zu kümmern habe, und eine dritte endlich möchte durch große Reformen im Kirchenregiment das Papstthum von allem politischen Partei- Interesse loslösen und wieder seinen lauteren Quellen zuführen. Diese drei Richtungen werden im künftigen Conclavc um die Oberhand kämpfen, und den Ausschlag dürften dabei die Stimmen der nichtitalienischen Cardinäle geben. Berthelet hält es für zweifellos, daß im hl. Collegium Niemand von der Gewohnheit abweichen will, einen I t a l i e n e r auf den StuhlPetri zu setzen; die Zahl der als papgbili in Betracht zu ziehenden Cardinäle beschränkt sich daher augenblicklich auf 28. Aus der Charakteristik, die Berthelet von ihnen entwirft, geht hervor, daß insbesondere vier als papskili im engeren Sinne anzusehen sind: der Patriarch von Venedig Giuseppe Sarto, der einer Versöhnung zwischen Vatikan und Italien zuneigt, der Generalvicar des Papstes Lucido Parocchi, von welchem Berthelet glaubt, daß er nicht der Intransigente sei, äls er gewöhnlich verschrieen werde, der gemäßigte und bei den fremden Regierungen gern gesehene Serafino V a n n u t e l l i, der es bis jetzt klugerweise verstanden hat. Alles zu vermeiden, was ihn politisch compromittiren könnte, und schließlich der General des Carmeliter-Ordens Girolamo Maria Gotti, der gleichfalls sich bis jetzt keiner für den italienischen Patriotismus verletzenden Kundgebung schuldig ge macht bat. Von den nichtitalienischen Cardinälcn, die ungefähr die Hälfte des. hl. Collegiums ausmachen, erwartet Berthelet die ausschlaggebende Stellungnahme zu den unter den Cardinälcn der Curie vorhandenen Richtungen; er glaubt aber auch, daß sie Alles aufbieten werden, um die Versöhnung der Curie mit Italien zu verhindern, und daß sic daneben sich bemühen werden, ohne viel Aussicht auf Gelingen allerdings, die Wahl eines Cardinals der Curie zu verhüten. Auf Grund langjähriger Beobachtung der vatikanischen Verhältnisse und der Beziehungen zwischen Vatikan und Quirinal kommt Berthelet endlich zu dem Schluß, daß der künftige Papst, welcher Richtung er auch angehöre, sich vor die Nothwendigkeit gestellt sehen wird, mit der bisherigen Lage der Dinge zu brechen und zwischen zwei entgegengesetzten Wegen zu wählen: endgiltige Versöhnung mit dem Königreich Italien oder ausgesprochene offene Feindselig keit unter Aufwendung aller verfügbaren Kampfesmittel. Aus beiden Seiten sei man von der Unerträglichkeit der gegenwärtigen Lage überzeugt, mit dem Unterschied jedoch, daß der Vatican auf die Lösung der Frage besser vorbereitet sei als die italienische Regierung, und diese Vorbereitung sei wesentlich das Verdienst der Klugheit und Thatkraft Leo's XIII. „Seine Arbeit und sein Beispiel", so schließt der Verfasser, „werden sich seinem Nachfolger aufzwingcn; er wird zwischen einem großen Conflict oder einer dem Papstthum zusagenden Versöhnung zu wählen haben." Wir wiesen schon darauf hin, daß es weitsichtigen Poli tikern in England vor einem englisch-amerikanische» Bündnis; bereit- bange zu werden beginnt, da das protektionistische Amerika keine Lust baben durfte, auf die frcibändlerischcn Ansprücke Englands Rücksicht zu nehmen. Wir exemplificirtcn dabei aufCuba und Puerto Rico. Jetzt schreibt „Daily Cbron.", an diesen an Spanien begangenen Raub anknüpfend: „Kaum hat Amerika von Puerto Rico Besitz ergriffen, jo erläßt eS schon ein mittelalterliches Gesetz, schlägt mit einem Streiche den ganzen kanadischen Handel mit der Insel todt und macht »Z allen nicht»amerikanischen Schiffen unmöglich, zwischen Amerika und seiner neuen Colonie Handel zu treiben. Das ist nicht die „offene Thür", sondern die geschlossene, verriegelte, ver rammelte und verbarricadirte Thür. Aber vor uns liegt eine viel wichtigere Frage: Beabsichtigt die amerikanische Regierung, d e „offene Thür" in den Philippinen einzusühren, oder will sic auch die unS vor der Nase zuschlagen, nach der Obscurantenpolitik Frankreich-, Rußlands und Spaniens? Tiefe Enttäuschung würde durch daS ganze Reich hin empfunden werden, wenn das erste Er- grbniß der den Vereinigten Staaten entgegengebrachten Sympathie und Unterstützung — die wir von ganzem Herzen dargcbracht und unter allen Umstände» dargebracht haben würden — die Schließung eines weiteren Marktes sein würde, ein Schlag gegen den freien und offenen Handel, welcher der einzige wirkliche „Fortschritts-Agent des Wohlergehen«", daS Zeichen der Civilisation und die Garantie des Friedens ist." Auf diese Weise werden, wie wir schon hervorhoben, die „identischen Interessen" eine schlechte Basis für ein englisch amerikanisches Bündniß abgeben. Auch in Amerika hegt man in den Kreisen der wirklich und aufrichtig für die englisch-amerikanische Freundschaft schwärmenden Politiker, d. h. der demokratischen Freihändler, schwere Besorgniß für den Zusammenbruch der «Entente". So erklären die New Aorker „Times", die Dummheiten des Präsidenten begännen allmählich kolossale Proportionen anzunehmen, jetzt gefährdeten sie gar die Beziehungen zu Amerikas einzigem Freunde und vielleicht — Verbündeten in Europa. „Wenn das so weiter geht, dann werden wir in sechs Monaten am Ende der anglo-amerikanischen Verständigung angelangt sein und uns auf den Antillen wie Philippinen ohne Verbündete» nackt unseren Feinden gegenüber sehen." Deutsches Reich. L. Berti», 23. November. (Centrum und Welfen- thum.) Daß der Geist des heiligen Ludwig (Windthorst) auch in Bezug auf welfifche Gesinnung im Centrum noch lebendig ist, zeigt sich jetzt wieder, wo von der Erledigung der biaunsckweigisckcn Thronfolgefrage wieder einmal die Rede ist. Der „Köln. Volksztg." thut eS gar zu leid, daß FruiHeton, Die Lettelmaid. 12s Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. „Das Mädchen wird für mich ein wahrer Schatz sein", dachte die Amerikanerin, laut aber sagte sie: „Das ist mir lieb, denn ich finde, daß jeder gebildete Mensch die Pflicht hat, Kunstgeschichte zu kennen . . . Die Kunst erhebt und veredelt unseren Geist, wenigstens hat mich Mr. Marrix dessen versichert, und ich habe Ihnen ja schon erzählt, daß ich die Kunst anbcte." Capri nahm sich vor, die wenigen Tage, die sie noch zu Hause zubringen sollte, sich von Padre Pallamari belehren zu lassen, im Uebrigen baute sie auf ihr gutes Gcdächiniß und ihre lebhafte Phantasie. Die beiden Damen sprachen noch lange über die Kunst und ihren Einfluß auf Herz und Gemüth, sie beschlossen, künftig gemeinsam dahin zu wirken, daß diese auch ins Volk dringe. Eben als sich Capri verabschieden wollte, ertönte der Thürklopfer und einen Augenblick später trat Newton Marrix ins Zimmer. „Sie haben wohl nicht erwartet, Fräulein Dankers bei mir zu treffen?" fragt« Mrs. Lordson, dem Eintretenden die Hand reichend. „Nein, wahrhaftig nicht. Ich bin sehr angenehm überrascht", entgegnete er, an ihrer Seite Platz nebmend. „Ich habe Capri neulich in der Äalerie gebeten, mich heute zu besuchen, und wir gefallen uns gegenseitig so gut, daß wir in Zukunft zusammen das Leben genießen wollen. Sie hat nämlich eingewrlligt, mir alten Frau Gesellschaft leisten zu wollen." „Da gratulire ich den beiden Damen! . . . Uebrigens habe ich für Sonnabend fürs Lyceum Parquetsitze besorgt, die ganze vornehme Welt wird versammelt sein. Ellen Terry tritt zum ersten Male als „Grethchen" im „Faust" auf. „Sie sind ein Goldmensch!" „Und Frau Stonex hat mich gebeten, Ihnen ihre Karie zu überbringen. Sie würde sich freuen, Sie an ihren „at stomes", die während der Saison jeden Donnerstag stattfinden, bei sich be grüßen zu dürfen." Er überreichte ihr ein Visitenkarte, die MrS. Stonex ihm freilich nur auf seine dringende Bitte gegeben hatte. „Wie liebenswürdig von ihr! Nächsten Donnerstag holen Sie uns ab, nicht wahr?" „Wie Sie befehlen. M« Schriftstellerin Wilson Farer wird sich Dienstag zum Lunch bei Ihnen einfinden, ebenso Graf Basano, ein großer Kunstkenner. Ich habe meine cnite blaucko ausgenüht und die beiden geistvollen Menschen in Ihrem Namen eingeladen, wohl wissend, daß Sie für diesen Tag nichts Vor haben. Ich habe dem Grafen von Ihrer Truhe erzählt" „Und von dem Medicischränkchen nicht?" „Doch!" „Das war reizend von Ihnen! Ist die Schriftstellerin im Verkehr angenehm?" „Außerordentlich; aber sie inieressirt sich absolut gar nicht für die Kunst, sie lebt nur für die Literatur." „Sie wird mich am Ende gar in einem Roman verewigen!" „Keine Furcht!" „Ich muß mir morgen einige ihrer Bücher aus der Leih bibliothek kommen lassen . . . Man lernt die Schriftsteller am besten aus ihren Werken kennen", wandte sie sich an Capri, „es schmeichelt ihnen, wenn sie sehen, daß man diese gelesen und ihre Helden beim Namen kennt." „Wie gut Sie unsere schwache Seite herausgefunden haben!" rief Newton lächelnd. „Ich studire die menschliche Natur." „Ganz wie mein Freund Phillips. Seien Sie gnädig mit unseren Schwächen." „Das bin ich immer. Lehrt es doch auch unser Heiland . . . Haben Sie sonst Niemanden eingeladen?" „Doch; den Maler der Bettelmaid." „DaS freut mich; der Mann gefällt mir!" Capri «rröthetc leicht, als sie Marc's Namen hörte und warf Newton einen dankenden Blick zu, den dieser auffing. Sie sollte also in ihrem neuen Heim die bewährten Freunde nicht missen! Marc konnte unter dem Vorwande, die Amerikanerin zu besuchen, öfter ins Haus kommen — was fehlte da noch zu ihrem voll ständigen Glücke? Das Schicksal erfüllte selbst ihre geheimsten Wünsche, als wollte es sie für die Jahre der Entbehrung ent schädigen. Die zierliche Rococouhr auf dem Kamin schlug Drei. Capri hatte dem Vater versprochen, nicht lange fort zu bleiben, sie mußte ihn jetzt bei guter Laune erhalten, deshalb erhob sie sich und dankte MrS. Lordson in warmen Worten für deren übergroße Güt«. „Ohne Imbiß kaff« ich Sir nicht fort, mein Kind, Herr Marrix wird einen Augenblick entschuldigen." Sie schlang Capri's Arm in den ihrigen und führte dies« in das altdeutsch eingerichtete Speisezimmer, wo sie selbst bediente. Als das junge Mädchen endlich nach einem reichen Lui^ch endlich das elegante Haus verließ, war sie mit dessen Einrichtungen schon vertraut und alle Schüchternheit von ihr gewichen. Sie fühlte sich ihrer neuen Rolle im Leben vollständig gewachsen. Der Blaulivrirte, der ihr stumm die Thür öffnete, imponirte ihr gar nicht mehr, mit einer Würde, als ob sie all' ihr Leben gewöhnt gewesen wäre, von Lakaien bedient zu werden, schritt sie die Treppe hinunter und auf die sonnengebadete Straße hinaus. Neuntes Capitel. Als Capri auf die Straß« trat, fühlte sie sich versucht, laut aufzujubeln ob des großen Glückes, das ihr heute zu Theil ge worden. Die Sonne schien hell und freundlich auf die Erde, was sie als gutes Omen für ihre Zukunft betrachtete. Selbst idie Luft dünkte ihr von Freude erfüllt und sie hätte in dem Augenblick ihren Todfeinden verzeihen und die ganz« Welt um armen können. Sie beschleunigte ihre Schritte, um rasch nach Hause zu kommen, denn sie mußte, wenn sie nicht vor Freude laut aufjauchzen wollte, Jemandem ihr« Erlebnisse mittheilen. Fast athemlos langte sie in der Euston Road an, öffnete mit dem Drücker die Hausthür und rannte die Treppe hinauf als ob sie Jemand jagte. Oben fand sie das Nest leer. Verwundert ließ sie ihre Blicke umherschweifen. Sie konnte gar nicht begreifen, wie sich das Wohnzimmer während ihrer zweistündigen Abwesen heit so verändern und wie sie es so viele Jahre in diesen dumpfen, schäbigen Räumen hatte aushalten können! Der Unterschied zwischen Mrs. W. Achilles Lordson's gelber Damastgarnitur, den kostbaren Teppichen, Statuen und Medicischränkchen und dieser Einrichtung war gar zu schrecklich. Das armselige Zimmer schien ihr menschenunwürdig, um so mehr, als Manches verrieth, daß es einst bessere Tage gesehen. Die ehemals rothen Vorhänge sahen kupferfarbig aus und waren an vielen Stellen gestopft, was die eben darauf scheinend« Sonn« unbarmherzigverrieth. DaSgroßeSopha err-gte ihr Entsetzen, und gar das arme alte Piano in der finstern Ecke! Ueber diesem hing ein O«lgemälde, welches eine Landschaft vorstellen sollte, aber vor Rauch und Staub unkenntlich war. Ein paar hundert Pfund Sterling, und selbst dieses unwirthlich« Gemach könnte in ein behagliches verwandelt werden! Geld, Geld und wieder Geld! Nur mit Hilfe des Geldes hatte di« Amerikanerin eS vermocht, ihr Heim in Mayfair zu dem zu gestalten, waS eS war. Dieser Luxus, diese in die Augen fallend« Farbenpracht und die süß duftenden, die Sinne berauschenden Blumen! „Ah, man kann sagen, was man will, Geld bleibt der groß« Heb«l, d«r die W«lt bewegt", sagte sie, bitter auflachend und verächtlich um sich blickend. Jetzt verspürt« sie auch noch «inen widerlichen Tabaks geruch, d«r ihre von den Wohlgerüchen in Mrs. Lordson's Salon erfüllte Nase verletzte. Er verursachte ihr, wie sie sich einbildete, Kopfschmerzen und verdarb ihr die rosige Laune. Sie war in der gehobensten Stimmung, voll Hoffnungen für ihre Zukunft, heiter wie ein junger Frühlingsmorgen und bereit, mit der ganzen Welt Frieden zu schließen, heimgekehrt, aber der Anblick ihrer Wohnung, der Tabaksgeruch, der Vergleich, der sich ihr unwill kürlich zwischen ihrer Armuth und dem Reichthum ihrer Gönnerin aufgedrängt, hatte sie plötzlich aus ihrem Glücksrausch erweckt. Sie beklagte ihr verlorenes Leben, grollte dem Schicksal, das sic auf einen unrichtigen Platz gestellt, fühlte sich für Glanz und Reichthum geschaffen und mußte di« schönsten Jahre ihres Lebens in Elend und Noth verbringen, die sie nock dazu ängstlich vor den Augen der Welt zu verbergen hatte, um den äußeren Schein zu wahren, und zwar an der Seite eines Vaters, den sie weder lieben, noch achten konnte. Sie erinnerte sich an all' di« An leihen, die er bei ihren guten Freunden gemacht, ohne je daran zu denken, sie zu bezahlen, an seine hochtrabenden, bombastischen Redensarten, welche di« Hshlheit seiner Seele verbergen sollten und, was das Schlimmste war, an seine Trunksucht. Wie oft war sie für ihn erröthet, wenn er, bis zur Sinnlosigkeit berauscht, heimkam! Si« erinnerte sich auch an ihre eigenen Heucheleien ihrer Hausfrau und den Geschäftsleuten gegenüber und an die tausend kleinen Demüthigungen, die sie in all' den Jahren zu erdulden gehabt. Thränen der Erbitterung und Scham füllten ihre Augen: „O, wie konnte ich nur so lange dieses Leben voll Lüge und Heuchelei ertragen!" seufzte sie schwer auf. „Ich glaube, mein Gewissen wäre heute leichter, wenn ich ein Verbrechen begangen hätte, als unter der entwürdigenden Last dieser Nothlügen!" Zornig erfaßte sie einen Stuhl und schleifte ihn über den faden scheinigen Teppich hinter sich bis zu dem Tisch, wo sie sich darauf fallen ließ, das Gesicht mit beiden Händen bedeckte und laut auf schluchzte. Plötzlich erhob sie den Kopf, ein harter Ausdruck lag in ihren Augen und «in verächtliches Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie erfaßte den verschlissenen Band Shakespeare, der gerade vor ihr jag und schleuderte ihn heftig in den Kamin. Nack diesem Zornesausbruch fühlte sie sich erleichtert, sie konnte das Verlangen, etwas zu zerreißen oder zu zerbrechen, nicht unter drücken. Da hörte sie, wie sich Jemand der Thürc näherte, und ehe sie noch Zeit gefunden, sich zu fassen, klopfte es auch schon. „Herein!" rief sie zoririg, ohne sich umzuwendcn. „Miß Capri zu Hause?" flötete der Eintretende wie in an genehmer Ueberraschung.
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