Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981121020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898112102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898112102
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-11
- Tag 1898-11-21
-
Monat
1898-11
-
Jahr
1898
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-An-gabe erscheint am '/,7 Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaction »n- ErpeLitio«: JohanneSgafie 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet voa ftüh 8 bis Abend- 7 Uhr. /Malen: Ltt» Slrmm'S Lortim. (Alfred Hlthnk Univcrsitätsstrahe 3 (Paulinui»), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14. part. und König-Platz 7^ BezugS-Prei- k der Hauptexpedition oder den im Etadt» bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^l4.üO, »ei zweimaliger täglicher Zustellung in» Lau« 5.50. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l S.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung in» Ausland: monatlich 7.5V. Abend-Ausgabe. KipMer, Tageblatt Anzeiger. Ämlsvtütt -es Lö'nigkichen Land- «nd Nmtsgenchtes Leipzig, -es Rattzes und Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. AnzeigenPrer- ll>ie «gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem RedacUonSstrich t4q»- spalten) 50^, vor den Aamiliranachrichtea (g gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Labellanscher und Ziffern sag nach höherem Taris. oie»« Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgeu-Ausgabe, ohne Postbesörderun; 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Rnnahmeschluß fir Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhc. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Erpedttto» zu richten. Druck und Verlag voa E. Pol^ in Leipzsg. 58V. Montag den 21. November 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 21. November. Daö seit den Reichstag-Wahlen und bisher unnütz dis- cutirte Tbema der Zusammensetzung des ReichStagSprä- fidtums wird jetzt praktisch und scheint dem Centrum schon Kopfschmerzen zu bereiten. ES ist sehr wahrscheinlich, daß die Mehrheit m der stärksten Partei deS Reichstag- dem Münchener Frhrn. v. Hertling den Vorzug giebt, gewiß aber ist es, daß der schlesische Graf Ballestrem noch nicht auf seine Candidatur zu verzichten entschlossen ist. Wir entnehmen das Letztere einer ohne Zweifel von Herrn v. Kardorff hcrrübrenden Betrachtung über die Präsidentenwahl in den „Berl. Reuest. Nachr.", die sich zwar über mancherlei verbreitet, aber offenbar den einzigen Zweck hat, einen Druck zu Gunsten des Grafen Balleslrem auözuüben. Man wird dem Verfasser in einem Theiie der Centrumspresse vermuthlich vorhalten, daß die Frage der Präsentation des Präsidenten als ein Internum der CentrumS- partei ihn, das Mitglied der Reichspartei, nichts anginge. Aber Herr v. Kardorff hat in diesem Falle sichtlich nicht als Freiconservativer, sondern als schlesischer Adeliger geschrieben. Es ist ihm so sehr um die Wahl seines Lands manns zu tbun, daß er ihn im Interesse der Sache sogar ein wenig herabsetzen zu müssen glaubt. Er bemerkt nämlich, Herrn v. Hertling'S Bevorzugung würde um so ausfälliger sein, als durch sie das Centrum einen der tüchtigsten und an gesehensten legislatorischen Arbeiter lahmlegen würde. So weit diese Mindcrbewerthung nur den Grafen Ballestrem betrifft, können wir sie auf sich beruhen lassen; sie richtet sich aber auch gegen die Präsivialarbcit und ist insofern etwas Neues. Bisher haben die Parteien keinen Anstand genommen, Kräfte ersten Ranges an das Präsidium abzugeben, wenn sie sich nur zu dieser Wirksamkeit eigneten, was manchmal auch bei dem Begabtesten nicht der Fall ist. Es ist aber nicht die legislatorische Qualifikation deS Freiherrn von Hertling, die Herr v. Kardorff zu Gunsten des Grafen Balle strem in den Vordergrund stellt, sondern des Letzteren Eigen schaft als Preuße: „Verständlich", so heißt es, „wäre seine (des Frhrn. v. Hertling) Nomiuirung zum Präsidenten nur dann, wenn daö Cenlrum einen Preußen auf diesem Posten überhaupt nicht wollte. Unter diesem Gesichtspunkte wird die Entscheidung dieser Personensrage von ungewöhnlicher Bedeutung sein. Frhr. v. Hertling als Präsident des Reichstags — das muß man, ohne dem Herrn zu nahe treten zu wollen, offen heraussagen — wäre eine antipreußische Demonstration des Centrum«". Nach unserer Meinung sind diese starken Worte des frciconservativen Parlamentariers weniger nach ihrem Inhalt zu würdigen, als nach der durch sie bekundeten Intensität des Willens, den Grasen Ballcstrem gewählt zu sehen. Es ist richtig, bis 1895 ist der Präsident immer ein Preuße gewesen, und der erste Nichtpreuße und zugleich der erste Centrumsmann auf dem Präsidenten stuhl, Frbr. v. Buol, ist in jenem Jahre unter bekannten außergewöhnlichen Umständen gewählt worden. Aber der Herkunft aus dem führenden Bundesstaate kann doch nicht die Bedeutung beigelegt werden, die ihr Herr v. Kardorff zu schreiben zu sollen glaubt. Die „Berl. N. N." treten auch ihrem politischen Freunde selbst sofort entgegen und mit Gründen, deren Aufführung an dieser Stelle sehr bemerkenSwerth ist. Daö Blatt schreibt nämlich: „Ein Süddeutscher mit der nöthigen Energie, GeschästS- gewandlheit und Charakterfestigkeit nach allen Seiten hin ist uns — wir schreiben das aus vollem preußischen Gefühl — jedenfalls bei Weitem lieber als eia Preuße, der diese Eigenschaften nicht oder nicht Im nöthigen Umfange besitzt. Unter heutigen Zeitverhältnisfen verbürgt vielleicht die süddeutsch« Abstammung sogar einen größeren Grad von Unabhängigkeit, al« sie von einem Preußen und zumal voa einem Eonfervativen zu er« warten wäre. E« ist dem Reich«tag«präsidium in der Zeit von 1890—1895 wiederholt der Vorwurf gemacht worden, daß es ihm an der nöthigen Unabhängigkeit der Regierung gegenüber gemangelt habe. Wir glauben, daß dieser Borwurf mit Recht weit mehr den Reichstag al- da» Präsidium traf. Aber jedenfalls ist ein süd deutscher, mit den Berliner ministeriellen, Gefellschafts- und Hof-Verhältnissen nicht verquickter Reichstags« präsident zu einer größeren Unabhängigkeit befähigt al- ein Preuße, der von Jugend auf zu lausend Rücksichtnahmen erzogen und an die öffentlichen Verhältnisse Preußen- mit vielen Banden geknüpft ist." So die „Berliner N. N.", die zum Schluffe zwar „für jetzt" den Grafen Ballestrem als die gegebene Persönlichkeit bezeichnen, in Zukunft aber die Einsetzung eines geeigneten Suddeutschen geradezu zur Regel gemacht sehen möchten. Diesem Wunsche können wir un« nicht anschließen, wir sind vielmehr der Meinung, der bisherige Brauch sei vorzuzieben, wenn seiner Beobachtung nicht die Bedenken entgegenstehcn, die das Blatt geltend macht und denen allerdings auch wir zur Zeit gerade daS größte Gewicht beilegen müssen. Sie können sogar noch um em weiteres verstärkt werden. Man kann über die Frage, ob die Hereinziehung der Person des Kaisers in die ReichStagsvebatten unter den herrschenden Verhältnissen noch hintangehalten werden kann oder nicht, verschiedener Meinung sein. Wie immer aber sie sich beantworten wird, im Falle der Bejahung und noch mehr in dem der Ver neinung wird e- einer Persönlichkeit auf dem Präsidenten stuhle bedürfen, welche die von dem Berliner Blatte ge forderten Eigenschaften in hohem Maße besitzt. Diese Erwägung macht es auch dringend erwünscht, daß die bürgerliche Demokratie, die sogenannten freisinnigen Gruppen, zu denen außer der freisinnigen Vereinigung die Nicbter'fche und die süddeutsche Volkspartei gerechnet werden, einen Sitz im Präsidium nicht wieder erhalte. Wie Herr v. Kardorff andeutet, ist die Wahl eines Mitgliede» der „gesammten radikalen Linken" zum zweiten Picepräsidente» nicht ausgeschlossen und da- Organ der Herren Mosse und Pachnicke schickt sich an, sie zu betreiben. Ihr Erfolg wäre nicht nur politisch bedenklich, sondern geradezu widersinnig. Die Fiction, die beiden freisinnigen Gruppen gehörten zusammen, läßt sich weniger als jemal- aufrecht erhalten, da beide Richtungen eine Feindseligkeit gegeneinander bekunden, wie sie zwischen anderen Parteien zur Zeit nirgends hervortritt. Einzeln genommen steht aber die stärkste dieser Fraktionen an Zahl weit hinter der nationalliberalen zurück. Nach einer aus Wien kommenden Nachricht soll die deutsche Regierung dem Vatikan, zu Händen des Cardinal- StaatSsecretairS Rampolla, folgende amtliche Mittheilung zugestellt haben: „Die Kaiserliche Regierung bringt zur Kenntniß des Heiligen Stuhles, daß sie mit Sr. Majestät dem Sultan die geeigneten Abmachungen getroffen hat, um, wie vorher durch die That, so in der Form Rechtens den Schutz der deutschen Katholiken im ottomanischen Reiche zu über nehmen. Infolge dieses Ereignisses werden alle Fragen und An gelegenheiten, welche diesen Schutz betreffen und welche der Heilige Stuhl bislang ohne Vermittelung der deutschen Regierung regelte, künftig unter beiderseitigem Einvernehmen ohne Dazwischenlreten einer fremden Macht geordnet werden. Und damit ein gedeihliches Einvernehmen zu diesem Ende sichergestellt werden könne, ist die Regierung bereit, wenn der Heilige Stuhl das für zweckmäßig findet, zu einer besonderen Uebereinkunft mitzuwirken, und überläßt dem Vatikan den Vorrang, die Grundlagen der Verhand lung aufzustellen". Wahrscheinlich ist diese Meldung ein von vatikanischer Seite au-gestreckter Fühler, der lediglich den Zweck hat, die deutsche Reichsregierung zu bewegen, sich zu Verhandlungen über eine Uebereinkunft bereit zu erklären. Au« einer der Wiener „Polit. Corr." aus Rom zuzebenden Meldung gebt nämlich hervor, daß man im Vatikan eine Uebereinkunft wünscht. In dieser Zuschrift wird darauf hingewiesen, daß der jetzige Aufenthalt deS Erzbischofs von RheimS, Cardinal Langsnieux, den Zweck habe, den Vatikan bezüglich der von ihm in der Frage des Schutzes der Katholiken im Orient künftig zu erwartenden Haltung zu sondiren. Dann heißt eS weiter: „Es ist nun gewiß, daß der Erzbischof von Rheims in dieser Be- ziehung im Vatikan weit freundlichere Dispositionen Deutschland gegenüber vorfinden wird, olS dies vor einigen Wochen der Fall gewesen wäre. Die so korrekte Haltung, welche Kaiser Wilhelm 11. in Palästina beobachtet, und feine so wohlwollenden Acte gegenüber den Katholiken haben auf den Heiligen Stuhl den günstigsten Eindruck gemacht. Man glaubt in Folge dessen, daß der Vatikan der vom deutschen Kaiser kundgegebenen Absicht, die katholischen Anstalten in Palästina unter seinen Schutz zu nehmen, in Zukunft keinerlei Hindernisse bereiten werde. Dem Cardinal Langßnieux dürste, wie von unterrichteter Seite verlautet, eröffnet werden, Laß Frankreich allerdings das Protektorat über Anstalten im Oriente von univer sellem Charakter, welchen Missionäre verschiedener Nationalität angehören, zustehe, dagegen das Schutzrecht über Anstalten aus schließlich oder Loch vorwiegend deutschen Charakters, Deutsch land zugestanden werden müsse. In solchem Sinne hat man das Protektorat über die Christen im Orient auch schon früher gedeutet (?) und durch die Ereignisse der jüngsten Zeit ist der Vatikan in dieser Auffassung nur bekräftigt worden. (?) Man hegt auch die Hoffnung, daß bei Festhaltung an diesem Principe eS möglich sein werde, die Ansprüche Frankreichs und Deutschlands in der Protectoratsfrage miteinander auSzusöhnen und die hieraus entstandene Meinung«. Verschiedenheit beizulegen." Ist man aber im Vatikan zu solcher Ansicht gekommen, so ist nicht einzusehen, warum es einer besonderen Ueber- einkunst bedürfte. Darüber, welche Anstalten „vorwiegend" deutschen Charakter- seien, lassen sich dauernde Abmachungen nicht treffen und für die deutschen Katholiken im Orient genügt cs vollkommen, wenn sie wissen, daß sie des deutschen Schutzes sicher sind. Verhandlungen über ein besonderes Uebereinkommen könnten diese Thatsache nur verdunkeln. Der russische Publicist Fürst MescktscherSkij, welcher längere Zeit in Frankreich und Teutschlattd weilte, publicirt jetzt im „Graschdanin" seine Eindrücke über die Zu stande in diesen zwei Staaten. Der ehemalige Hasser Teuljch- landS muß jetzt gestehen, daß die Zustände im deutschen Reiche Jedermann Achtung und Bewunderung einflößen muffen, während das sociale und politische Leben in Frank reich Abscheu und Ekel hervorzurufen geeignet ist. Die Intelligenz in Frankreich, schreibt Fürst MeschtscherSkij, sei ohne moralische Grundsätze, dir Führer der Armee seien nur auf ihren eigenen Vortheil bedacht und überall herrsche Anarchie. Als er, auS Frankreich beimkehrend, deutschen Boden betrat, da habe er erst den Unterschied zwischen Frankreich und Deutsch land und zwischen letzterem und Rußland begriffen. Er schreibt darüber wörtlich: „Auf dem Heimwege von Paris durchlebt der Russe zwei psychische Momente: den einen beim Verlassen Frankreichs und Be treten Deutschlands, wo man der französischen Sphäre der Anarchie und des BureaukratenthumS, der wilden Leidenschaften und der Corruption in eine Welt der Stille, der Ordnung und der Achtung vor dem Gesetze, zugleich aber auch des Triumphes der freien Arbeit und der Achtung vor jeder fremden Meinung tritt. Den zweiten psychischen Monient erlebt man beim Verlassen Deutschlands und Betreten Rußlands, wo Einem dir herrschende Todtenstille und die Armuth in allen ihren Formen schmerzlich in die Seele greift. In Deutschland hat jede kleine Stadt ihre Industrie, welche ihren Stolz und ihren Ruhm bildet. Die un- zähligen blühenden, reinen und wohleingerichteten Städtchen Deutschlands bilden rin Wahrzeichen für seine Größe und geistige Uebermacht." Es gab eine Zeit, zu der die anderen Nationen Deutschland mitleidig den Ruhm seiner Dichter und Denker gönnten, im klebrigen aber verächtlich auf dasselbe herabsahen. Die Zeiten sind nun glücklich und wohl für immer vorüber. Heute ist Deutschland-Name geachtet in aller Welt, der Haß seiner Feinde verwandelt sich in Neid und von allen Seiten siebt eS sich umworben, selbst — wenn auch nur unter dem Zwange der Noth — von Frankreich! Eine angenehmere Stellung inmitten der internationalen Wirren können wir uns nicht wünschen und die Kunst unserer Diplomatie hat sich lediglich in der Erhaltung dieser Position zu erweisen, nicht aber in der einstigen Parteinahme für eine der uns umschmeichelnden Mächte. Der ohnehin sehr dünne Schleier, der noch über den englisch - amertkantschcn Beziehungen gelegen, lichtet sich immermehr. Man berichtet unS: * L«nd»n, 20. November. Der Washingtoner Eorrespondent de« „New Jork Herold" erklärt, die Pariser Meldung, Chamberlain habe einen Vertragsentwurf mit nach England genommen, sei unbegründet. Der Eorrespondent fügt hinzu, er sei von zuständigster Seit« zu der Erklärung ermächtigt, daß das englisch - amerikanische Einvernehmen, von dem man mit gutem Grunde annehmen dürfe, daß es in breiten Grundzügen bestehe, das Stadium des Vertragsschlusses noch nicht erreicht habe. Alles, was bisher in dieser Richtung geschehen sei, sei, daß die Leiter der beiden Re gierungen dahin gelangt seien, anzuerkennen, daß die Interessen der beiden Länder in großem Maße identisch seien, und daß die Ziele, welche beide Länder verfolgen, durch übereinstimmendes Wirken erreicht werden könnten. Also abgeschlossen ist der englisch-amerikanische „Vertrag" noch nicht. Nur ein Einvernehmen auf breiter Grundlage besteht, daS sich aber zu einem „Bündniß" verdichten soll. Ob es dazu noch kommen wird, mag fraglich erscheinen, denn so lange Canada zum britischen Colonialreiche gehört, werden die Differenzpuncte zwischen den beiden Mächten sich eher mehren als mindern, und so lange beide Völker in ! brutaler Habsucht sich zu überbieten suchen, sind sie eher zu Conflicten als zu übereinstimmendem Wirken 1 disponirt. Nur ein Beispiel! In Washington hat man Die Lettelmaid. sl Roman von Fitzgrrald Molloy. Nachdruck »erbot-n. „Ich finde Ihre Anschauungen über die Aufstellung von Portraits ganz begreiflich", suchte Marc ihn zu besänftigen. „Ja, ja", entgegnete er mit dumpfer Stimme, „aber daß meine Tochter, mein einziges Kind, sich hinreißen läßt, solche Bemerkungen zu machen, und meine Gefühle so zu kränken, ver letzt mich mehr, als ich auszudrücken vermag." „Es war wirklich nicht bös gemeint, Papachen. Du weißt, wir Frauen sprechen oft, ohne zu überlegen, namentlich ich. Ver zeih' dies eine Mal", bat sie zerknirscht. „Ich biu überzeugt, daß es bei Dir nicht Böswilligkeit war, mein Liebling", entgegnete er, durch ihre Entschuldigungen be sänftigt. „Ganz gewiß nicht." „Meine Privatansicht über die Ausstellung von weiblichen Portraits nehme ich zwar nicht zurück, aber in diesem besonderen Falle unterdrücke ich alle Bedenken, wi« lebhaft sie auch sein mögen, im Interesse meines jungen Freundes, des begabten, ge nialen Malers", fuhr er nicht nur ganz besänftigt fort, sondern auch bemüht, den Wünschen Capri's und ihrer Freunde gerecht zu werden, — ersah er doch auch für sich einen Vortheil daraus. Die allgemeine Stimmung besserte sich merklich. Marc dankte dem Hauptmann für die freundliche Anerkennung seines Ta lentes, dieser wieder nöthigte ihn, noch etwas Kaldaunen zu nehmen, und bediente sich dann selbst. Newton Marrix, der sein Mahl beendigt hatte, erzählte die Handlung seines neuen Lustspiels, das demnächst in einem Vor stadttheater zur Aufführung gelangen sollte. Der Hauptmann wurde immer heiterer, ließ noch Bier holen, erzählte Anekdoten, die Alle schon mindestens ein dutzendmal gehört hatten, aber dennoch belachten, um ihm eine Freude zu bereiten. — Dann kam er auf seine Jugendzeit zu sprechen, auf die Erfolge, die er stets bei Damen gehabt. Auf die reizende Schauspielerin Helen Faucit hatte er sogar eine Ode gedichtet, die er lebhaft gesticulirend vor trug. Diese Ode ließ er m Goldbuchstaben auf weißem Atlas drucken, versteckte sie sorgfältig in einen kostbarem Blumenstrauß, den er ihr aus seiner Loge zu Füßen warf, während sie in ihrer Glanzrolle spielte. Auf einem ihm ganz unerklärlichen Wege gelangte sie in die Spalten einer Wochenschrift, dann wieder sprach man im „^hiw 6Iub", dessen Mitglied er war, darüber, daß er der Verfasser sei und neckte ihn; schließlich kam sein Name der Schauspielerin zu Ohren und diese lächelte ihm dankbar in seiner Loge zu, zum größten Verdruß der anderen Officiere. „Ja, meine lieben Jungen, ich war ein toller Bursche, das kann ich Euch sagen, aber jetzt bin ich «in Greis geworden und gehöre zum alten Eisen." Die jungen Leute versicherten ihm, daß er sehr gut erhalten sei und es noch mit jungen Männern aufnehmen könne. Dieses Compliment steigerte seine gute Laune, er erhob sich mit seinem halbgeleerten Glas, um aus MarcuS Phillips' Gesundheit zu trinken. „Es ist mein Vorrecht als Hausherr, das Glas auf das Wohl meiner Gäste zu erheben", begann er mit einer Feierlichkeit, als ob er bei dem Antrittsdiner des Lordmayors zu sprechen hätte. „Am Vorabend des großen Erfolges meines talentirten Freundes erhebe ich das Glas mit dem Wunsch, daß Ruhm und An erkennung ihm in so reichem Matz zu Theil werde, wie ich es ihm gönn«. Den Musen, die ihn so lange begünstigt haben, möge sich noch Fortuna und die göttliche Venus zugesellen und... und . . . und ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg, mein Sohn", schloß er plötzlich, weil er nicht weiter konnte. — Marcus dankte ihm in einfachen Worten für die Wünsche und sagte, daß er diesen Abend niemals vergessen werde. „Ich glaube", bemerkte jetzt Capri, die sich schweigend ver halten hatte, weil ihre eigenen Gedanken sie überwältigten, „sie sind der Prolog zu dem Spiel, das demnächst beginnen wird." „Warum glaubst Du das?" fragte der Künstler bewegt. Sie standen jetzt nebeneinander vor dem Kamin, während Newton und der Hauptmann sich vor dem Rauchtisch di« Cigarren anzündeten, die Ersterer mitgebracht. „Ich weiß es nicht; aber ich fühle, daß der Vorhang sich jeden Augenblick heben und die Vorstellung, deren Helden wir sein werben, sofort beginnen kann." — „Dann hoffe ich, daß eS ein Lustspiel sein wird", sagte der Maler, in ihr bleiches Antlitz blickend. „Ich auch, von ganzem Herzen", entgegnete sie sehr ernst und reichte ihm die Hand, die er einige Minuten in der seinigen behielt. Newton Marrix näherte sich ihnen, um das Signal zum Aufbruch zu geben, worauf der Hauptmann für den Besuch dankte und sich unter ceremoniösen Verbeugungen verabschiedete. Capri begleitete die Freunde bis zum Treppenabsatz, um ihnen hinabzukeuchten. Sie hielt die kleine Lampe in die Höhe; die Strahlen fielen auf ihr leicht vorgeneigte» Haupt und beleuchteten ihr dunkles Gesicht seltsam. Ringsum von tiefem Schatten um geben, sah sie aus wir eine Madonna in ihrem Schrein. Marc wandte sich auf der Treppe noch einmal nach ihr um, ihre Augen begegneten sich und er meinte, in ihren feuchtschimmernden Augen einen Ausdruck zu lesen, der ihn freudig erbeben machte. Siebentes Capitel. Die ersten Tage des Mai waren herangerückt und mit ihnen Heller, warmer Sonnenschein. Die Bäume in den Parks und Squares schienen über Nacht ihren Blätterschmuck bekommen zu haben; wohin 'das Auge blickte, erfreute es sich an keimendem Grün. Nach den nebeligen Wintermonaten schien der Aether in lauter Licht und Duft gebadet zu fein. Das Himmelszelt spannte sich klar und blau über die Metropole Englands. An allen Straßenecken boten fliegende Blumenhändler „frische Maiglöckchen und Veilchensträuße" feil, die aber nichts weniger als frisch mehr waren, da die lieblichen Kinder des Waldes,, in der dumpfen Stadtluft, von den sengenden Sonnenstrahlen getroffen, gar schnell ihre Köpfchen hängen ließen. Aber auch andere Zeichen deuteten darauf hin, daß der Frühling und mit ihm die „Saison" in London eingezogen. Joden Nachmittag war die Bond-Street von einer Doppelreihe Carossen umsäumt; die Opernsaison hatte begonnen und es ging das Gerücht, daß ein neuer Tenor im Coventgarden-Theater engagirt sei, der noch niemals außerhalb Italiens gesungen. „Rotten Row" — eine fashionable Reit allee im Hyde-Park — war jeden Morgen mit eleganten Reitern und Reiterinnen überfüllt und am Nachmittag konnte man alle Berühmtheiten und Schönheiten Londons bewundern. Drei neue Stücke von bekannten Autoren lockten jeden Abend das Publicum in die drei besten Theater und alle Bildergalerien standen dem Publicum den ganzen Tag zur Besichtigung offen. In diesem Jahre bildete die „Grosvenor" den Hauptanziehungspunkt für die feine Welt. Die Anhänger der „pre-rapharlitischen" Schule waren sehr stark vertreten. Viele Besucher hielten deren Bilder für Meisterwerke, Andere wieder meinten, daß es schade um die Arbeit und die gute Farbe sei. Das Bild eines jungen Künstlers, „die Vision von Jephtah's Tochter" darstellend, erregte allgemeine Bewunderung. Die herrliche Gestalt, das in «in Goldnetz gesteckte blauschwarze Haar, die üppige, dunkle Büste, die nur von einem leichten, blaßgrünen Gewand, das ein weißer Gürtel in der Taille zusammenhielt, halbverhüllt war und die wohlgeformten, nackten, kleinen Füße hoben sich wundervoll von dem im Hintergrund blutroth gefärbten Himmel ab. Am nächsten in der Gunst des Publicums stand „die Bettelmaid". Diesem war der Name MarcuS Phillips noch fremd urrd daher war es auch anfangs unschlüssig, wie es sich gegen ihn und sein Werk verhalten sollt«. Wie kam es, daß ein Künstler, der ein Gesicht wie bas der Bettelmaid zu malen oer mochte, noch nie in die Öffentlichkeit getreten war? War er jung oder alt? Ein Landsmann oder gar ein in London lebender Ausländer? All' das konnte man nur erfahren, wenn man seinem wirklich guten Bilde die Beachtung schenkte, die es verdiente. Die öffentliche Meinung würde dann schon herausbekommen, wer Marcus Phillips sei und wo er lebte. Vor Allem mußte sein Name in aller Leute Mund sein. Wessen Gesicht trug „die Bettelmaid"? Daß es keinem Berufsmodell angehörte, sah man auf den ersten Blick, aber auch, daß es ein Gesicht war, welches man nicht so bald zu vergessen vermochte und zu dem man immer wieder zurückkehrte, um in seine wunderbaren Sammetaugen zu blicken, die Einem mit ihrem träumerischen Blick fesselten. In allen Salons sprach man von den beiden Bildern und vom Morgen bis zum Abend drängten sich die Leute in die „Gros venor", theils um „Jephtah's Tochter", theils um „die Bettel maid" zu sehen. Marcus Phillips hatte für die erste Ausstellungswoche einen Nachmittag bestimmt, an welchem er Capri dahin begleiten wollte. „Ich sterbe vor Ungeduld", sagte das Mädchen, „und fürchte mich doch, dahin zu gehen. Ich bin überzeugt, der Anblick des Bildes wird mich laut aufweinen machen." „Unsinn, Capri, das bildest Du Dir nur ein." „Es ist kein Unsinn, mein Lieber. Du hast kerne Ahnung, in welch' fieberhafter Aufregung ich mich befind«, wenn ich mir jeden Morgen drüben vom Papierhändler die Zeitungen borge, um die Kritik, die an mir geübt wird, zu lesen." „Du hast doch noch nichts Unangenehmes gefunden?" „Das nicht; weißt Du, Marc, was ich gerne thun möchte?" „Was?" „In einem mich unsichtbar machenden Mantel einen ganzen Tag vor dem Bilde stehen, um alle Bemerkungen zu hören, die die Vorübergehenden darüber machen." „Ich glaube, die Lust dazu würde Dir bald dabei vergehen", entgegnete der Künstler lächelnd. „O, wir Frauen ermüden niemals, Angenehmes über unsere Person zu hören." „Nun gut, Du kannst vor der „Bettelmaid" sitzen, so lange es Dir Vergnügen bereitet. Ich hol- Dich am Mittwoch Nach mittag ab." „Bis dahin werde ich mein« Toilette in Ordnung gebracht haben, damit Du Dich meiner nicht zu schämen brauchst", be merkte sie schelmisch. Im Geiste dachte sie darüber nach, wie
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite