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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981029015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898102901
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-10
- Tag 1898-10-29
-
Monat
1898-10
-
Jahr
1898
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Es ist bezeichnend, daß die führenden Organe der konser vativen beztv. der freiconservativen Partei in Berlin, die „Kreuzzeitung" und die „Post", vom Beginne der Bewegung zu den preußischen Landtagswahlen bis zum Schluffe es als ihre Hauptaufgabe angesehen haben, die Nationalliberalen nicht nur zu bekämpfen — das wäre ihr gutes Recht gewesen —, sondern der Verbrüderung mit der Socialdemokratie zu ver dächtigen. Der Zweck dieser weit über Vie Bedeutung der preußischen Landtagswahlen hinausragenden Verdächtigung wird in einem am Wahltage erschienenen Artikel der „Kreuzztg." verrathen. Man sei bei uns (gemeint ist Preußen) daran ge wöhnt, „die Nationalliberalen, weil sie nun einmal in den Geruch des „Staatserhaltenden" gekommen sind, mit beson derer Rücksichtnahme zu behandeln und ihre Vorurtheile mit großer Zartheit zu schonen. So deutlich wie diesmal hat ihre, fast ausschließlich die An schauungen des linken Flügels vertretende Presse jedenfalls noch nie gezeigt, was es mit jenem „Ruf in Wahrheit" auf sich hat und wie die schönsten Theorien zusammenbrechen, wenn man glaubt, durch deren Verleugnung einig« Mandate mehr ergattern zu können". Der Zweck der fortgesetzten Anschwärzung der National liberalen ist also, an der hoch st en Stelle in Preußen den Eindruck zu erwecken, als o>b die nationalliberal« Partei in Wahrheit nicht als eine staatSerhaltendr Partei anzusehcn sei. Man lann es in den Kreuzzeikungs- kreisen noch nicht verwinden, daß der Kaiser mehr als einmal auf die Stimmung und Auffassung der nationalliberalen Partei Rücksicht genommen hat, insbesondere bei der Zurückziehung de» preußischen Volksschulgesetzes im Jahre 1892. Was die „Post" betrifft, so hat dir von ihr vertretene Auffassung zwar auch von jener Rücksichtnahme bei der Zurückziehung des Voltsschul- gesetzes Vortheil gehabt, aber dieses Blatt vertritt so bedingungs los die Auffassungen des Freiherrn v. Stumm, daß es den Nationalliberalen die Ablehnung der Vereinsnooelle nicht ver zeihen kann. Zweck der Anschwärzung ist also nicht nur Herab- drückung der parlamentarischen Bedeutung der nationalliberalen Partei, sondern auch Schädigung ihres außer parlamentarischen Einflusses. Will man die Anschwärzungen auf ihren sachlichen Werth prüfen, so muß man sich zwei Fragen vorlegen: 1) Was thun jetzt die preußischen Nationalliberalen? 2) Was haben die preußischen konservativen gegenüber der Socialdemokratie mehr fach gethan? Wir sind bei der Beantwortung dieser Fragen vor dem Verdachte geschützt, Alles, was in einzelnen preußischen Wahlkreisen von nationalliberaler Seit« geschehen ist, in günstiges und dagegen das conservative Vorgehen im Großen und Ganzen in ungünstiges Licht rücken zu wollen. Wir haben uns nicht gescheut, wiederholt aus taktischen Gründen das Pactiren nationallibrraler Locakvereine mit linksliberalen Bereinigungen zu tadeln und nehmen von diesem Tadel auch heute nichts zurück. Aber wir haben das gute Recht, daran zu erinnern, daß die nationallrberale Partei eine Mittelpartei ist und bleiben will und daher das Verlangen konservativer Heißsporne, unter allen Umständen den Conservativen Heeresfolge zu leisten, ihnen zur unumschränkten Herrschaft im preußischen Abgeordnetenhause zu verhelfen und dadurch nicht nur den Linksliberalismus, sondern auch sich selbst mundtodt zu machen, zuriickzuweisen hat. Nur weil dieser maßlose Anspruch erhoben worden ist, sind in einer — noch dazu verhältnißmäßig kleinen — Anzahl von Wahlkreisen die Nationalliberalen mit den Freisinnigen zu sammengegangen. Mit den Socialdemokraten haben sie nirgends Fühlung genommen, sondern diese Partei kommt nur in einer sehr beschränkten Zahl von Wahlkreisen den Linksliberalen zu Hilfe. Die Abneigung der Socialdemokraten, etwa die Nationalliberalen zu unterstützen, geht so weit, daß sie in Königsberg, wo sie gern die freisinnigen Bewerber unterstützt hätten, sich der Wahl enthalten, weil die Freisinnigen mit den Nationalliberalen zusammengehen. Hier wirkt also das fcei- sinnig-nationalliberale Bllndniß direct abschreckend auf die So cialdemokratie, bewirkt also das Äegentheil von dem, was „Kreuzztg." und „Post" glauben machen möchten. Gesetzt aber selbst, daß in dem einen oder 'dem anderen Wahlkreise die social demokratische Wahlbetheiligung auch den Nationalliberalen zu Gute kämr, so könnte man diesen nur in zwei Fällen einen Vorwurf 'daraus machen: einmal, wenn etwa ein national liberaler Bewerber hinsichtlich seines parlamentarischen Ver haltens den Sociakdemokraten Concessionen machen wollte, zweitens, wenn etwa die Nationalliberalen zur Belohnung für geleistet« Dienste irgendwo einen socialdemokratischen Bewerber unterstützen wollten. Man nenne aber auch nur einen Wahlkreis, wo die Nationalliberalen irgend eine Ver pflichtung gegenüber der Socialdemokratie eingegangen sind, man nenne ferner auch nur einen Wahl kreis, wo die Nationalliberalen einen socialistischen Kan didaten zu unterstützen geneigt wären. Wohl aber hat es, wenn auch nicht bei den preußischen Landtagswahlen, so bei Reichstags wahlen im preußischen Staate nicht an Unterstützung der Social demokratie durch Männer von der Kreuzzeitungsfarbe gefehlt. Als im Jahre 1881 in Magdeburg die Fortschrittler gegen die Sociakdemokratie zur Stichwahl standen, erklärte der Polizeipräsident dieser Stadt die Socialdemokraten für das kleinere Uebrl. Desgleichen stimmten in demselben Jahre die konservativen beider Breslauer Wahlkreise für die Social demokraten. In Breslau-Ost hatte allerdings 'der socialdemo kratische Bewerber schon in der Hauptwahl einen Vorsprung erlangt, konnte also schon bei Stimmenthaltung der Conser vativen zUm Siege gelangen; in Breslau-West aber war der fortschrittliche Bewerber im Vorsprung«, so daß der socialistische Si«g nur durch di« Unterstützung der Conservativen ermöglicht wurde. DieS geschah in der zweiten Residenzstadt des preußischen Königs, 3 Jahre nach den auf den greisen Herrscher verübten fluchwürdigen Attentaten. Aber die preußischen Conservativen haben auch andere den Staat untergrabende Elemente unterstützt. Wie die Social demokraten die gesellschaftliche Ordnung des Staates zerstören wollen, so wollen di« Polen die politische Existenz Preußens und Deutschlands vernichten. Es ist darum ebenso staatsgefährlich und staatsverrätherisch, einen Polen zu unterstützen, wie einen Socialdemokraten. Nun, die National liberalen haben sich noch niemals einer solchen staats- verräth«rischrn Haltung schuldig gemacht; sie haben die Polen selbst in den Zeiten aufs Eifrigste bekämpft, in denen polnische Aristokraten in der Sonne der Hofgunst einherwandelten. Männer von der Krcuzzeitungsfarbe aber waren es, die vor einigen Jahren in einem westpreußischen Reichstagswahlkreise bei einer Ersatzwahl einen polnischen Bewerber dem freiconser- vativen Kandidaten vorzogen, weil der Erster« bessere agrarisch« Garantien zu geben schien. Ob die preußischen Nationalliberalen ihr Ehrenkleid reinrr von der Berührung mit den Feinden der gesellschaftlichen und der politischen Ordnung gehalten haben, oder die preußischen Conservativen, das mag ein objectiver Be- urtheiler nach den angeführten Beispielen entscheiden. Es ist zu hoffen, daß man auch an der höchsten Stelle in Preußen und im Reiche darüber Bescheid weiß, und daß deshalb der gegen den gemäßigten Liberalismus gerichtete vergiftete Pfeil auf den Schützen zurückprallen wird. Der gegenwärtig regierende preußische König kennt die preußische Geschichte gut genug, um zu wissen, daß er bei einer Alleinherrschaft der Conservativen nur ein Gefangener der konservativen Partei sein würde. Was sächsische conservative Blätter damit bezwecken, daß sie in die von der „Kreuzztg." und der „Post" gegen di« preußischen Nationalliberalen vorgebrachten Verdächtigungen einstimmen, ist nicht recht klar. Sich dadurch nach oben zu em pfehlen, können sie nicht erwarten, denn da kennt man die sächsische Geschichte so gut wie die preußische. Und will man dadurch, daß man die Nationalliberalen des Radikalismus ver dächtigt, Saat für die nächsten Landtagswablen ausstreuen, so könnte aus dieser Saat leicht eine für die Conservativen sehr bittere Frucht erwachsen, die Frucht nämlich, daß der gesammt« sächsische Radikalismus di« Nationalliberalen für „wahlfähig" erachtete. Deutsches Reich. * Leipzig, 28. October. Bon Frl. Dr. zur. Anita AugSpurg erhalten wir au- Dresden folgende Zuschrift: Sehr geehrte Redaction! Mir wird soeben erst die Nr. 529 v. 18. d. M. Ihres geschätzten Blattes bekannt, in welcher sich mein Nome in einer Weis« durch Fräulein Auguste Schmidt citirt findet, die mir eine Richtig stellung «othwendig erscheinen läßt. Ich hoffe, daß die geehrte Redaction, welche von Frl. Schmidt den lediglich eine persönliche Behauptung enthaltenden Satz abgedruckt hat, daß aus der General versammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine in Hamburg „die radikale Partei, geführt von den Damen Cauer und Augspurg, vollständig unterlegen ist", — loyal genug verfahren werde, um auch meine Erklärung zur Sache aufzunehmen. Ich verstehe nämlich nicht recht, auf welche Thal fachen Frl. Schmidt ihre Behauptung de» Unterliegens der radikalen Partei stützen will. Ist es der Umstand, datz sämmtliche von unserer Seite eingebrachten sachlichen Anträge hinsichtlich der Bundes- satzungen feiten- der Versammlung angenommen wurden, so ist die hieraus abgeleitete Schlußfolgerung eines Unterliegens zum Mindesten eigenartig und kühn. Ist es die Thatsache, daß die radikale Partei sich an den in der Mehrzahl unsachlichen Erörte rungen — welche beschämender Weise der Artikel in Nr. 520 dieses geschätzten Artikels nur zu richtig als „dilettantisch", „oberflächlich", „krünzchenhaft" charakterisirte — überhaupt nicht betheiligte, so dürfte die Zukunst lehren, daß der daraus gefolgerte Schluß eines Unterliegens unrichtig war. Diese radikal» Partei ist sich voll bewußt, daß sie von reactio- nairer Männer- wie Frauenseite gleicherweise gehaßt wird, sie hofft trotzdem im Vertrauen auf die gute Sach«, der sie dient, zwischen den beiden mahlenden Steinen nicht zerrieben zu werdeu. Hochachtungsvoll Anita Augspurg, vr. jur. Wir sind natürlich sicht in der Lage, zu entscheiden, welche der beiden Gegnerinnen mit ihrem Urtheile über das Gesammt- ergebniß des letzten deutschen Frauentages im Rechte ist. Jedenfalls aber geht aus der Zuschrift der Führerin der radikalen Partei hervor, daß diese Partei sich nicht geschlagen fühlt und daß die „reactionaire Frauenseite" allen Anlaß hat, sich kampfbereit zu halten und Mahnungen, wie sie in Nr. 520 des „Leipz. Tagebl." ausgesprochen wurden, nicht in den Wind zu schlagen. Berlin, 28. October. (Vorbeugende Fürsorge gegenüber der Arbeiter-Invalidität.) Bo» denjenigen Männern der Praxis und Wissenschaft, welche sich mit social politischen Fragen beschäftigen, ist stets von Neuem auf die hervorragende Bedeutung der vorbeugenden Fürsorge grgrn- über der Arbeiter-Invalidität hingewiesen. Es ist statistisch klargelegt, insbesondere durch die Leistungen der Berliner Unfallstationen, wie rechtzeitige, sachverständige Fürsorge auf dem Gebiete der Unfall-Versicherung dazu beiträgt, die Zahl der den BerufSgenossenschasten zur Last fallenden Erwerbsunfähigen zu vermindern. Waö aber für die Folgen äußerer mechanischer Unfälle gilt, trifft ebenso für die Folgen acuter oder chronischer Krankheiten zu. Nach der Fassung deS bisherigen Gesetzes Feirrllrtsir. .Neue Dramen. (Schluß.) Ein seltsames dramatisches Gewächs ist die Komödie: „Die junge Welt" von Frank Wedekind (Berlin 1897, W. -Pauli'S Nachfolger), einem der jungen Stürmer und Dränger, die bei aller phantasievollen Begabung noch zu keinem geregelten Schaffen gekommen sind. Zwar hält sich diese Komödie, die in vieler Hinsicht daS Gepräge der Ansängerschaft trägt, frei von den anstößigen Keckheiten de- „Erdgeiste-", von dem herausfordernden Trotz gegen da» Hergebrachte; aber sie hat keinen klaren, einheitlich durch geführten Grundgedanken; eS ist ein wirre» Gestrüpp von Scenen, durch welche- gelegentlich einige Irrlichter de» Esprit hindurchzuckeu. In der That, Viele- darin ist geistreich und zeugt von einem originellen, oft barocken Humor; aber die komischen Situationen, besonder- der Amor- und Psychesckwindel, sind zu gesucht und keine dieser Mädchen und Frauen flößt Antheil an ihrem Schicksal «in. DaS Vorspiel gemahnt wie eine auf den Horizont der „Moderne" visirte Scene auS der Schulkomödie von Benrdix' „Aschen brödel". Die jungen Mädchen haben eine Vereinigung, deren Statuten auf die Verpflichtung hinauSlaufen, sich nicht zu verheirathen, bi« sie ihre Bildung vollendet, eine Erziehung erhalten haben, „die darauf hinwrist, nicht nur den An sprüchen zu genügen, di» der junge Mann an ein Mädchen stellt, sondern denjenigen, di« ein gebildeter Mensch an sich selber stellt". Doch die dramatische Beweisführung in dem Stücke selber bleibt au». Alma heirathrt im zweiten Act »inen halbverrückten Poeten, der die originellst« Figur de» Lustspiel« ist; im dritten will sie sich von ihm scheiden lassen. Die naturgelehrte Anna mit der Botanisirbüchse reist nach Indien; ihr Verehrer Carl Rappart hat keine Sehnsucht nach dem Himalaya, er bleibt zurück, während Vr. O»car von Klencke ihr dorthin folgt. Und Beide haben nicht» Bessere- zu thun, al» sich in Hindostan zu heirathen. Riccarda, welche vou O-car nur „eine Liebe auf Zeit" er warten kann, wird von der Schwärmerei für den heimlichen Ehemann geheilt nnd wird die Braut Carl Rappart'S. So bewegt sich die Handlung im Zickzack. Liebe kommt und geht: aber sie hat mit den grundlegenden Voraussetzungen deS Vorspiel- wenig zu tbun. Diese sprechen nur gelegentlich einmal mit. Und wenn derDialogsich bisweilen durch philosophische Lichtblicke und geistreiche, wenn auch oft paradoxe Bemerkungen über den AlltagSdialog der gewöhnlichen Repertoirestücke erhebt, so muß man um so mehr bedauern, daß die Handlung der Komödie verworren und im Ganzen interesse los ist. Georg Boetticher hat nach der gleichnamigen Novelle der E. M. Vacan», unter Anlehnung an die Erfindung und auch an den Text „Sophia Dorothea" dramatisch be handelt. (Leipzig, Verlag von R. Marder). „Graf Königs- marck" oder „Sophia Dorothea" ist einer jener Stoffe, welche für dramatische Talente viel Verlockendes, aber auch «ine hedenkliche Klippe haben, und zwar deshalb, weil hier die Tragödie auf einem Boden aufwachsen soll, der für den hohen Wuchs und Schuß der Leidenschaften wenig günstig erscheint, auf dem Boden der Hofintrigue Auf diesem glatten Parquet, auf welchem Thalia oft sehr behaglich den Reigen führt, gleitet Melpomene leicht au«; eS ist hier schwer, für den Tragiker Ton und Stimmung zu finden. Schiller hat sich bekanntlich längere Zeit mit dem Thema beschäftigt; die von der Freifrau Glcichen-Rußwurm ver öffentlichten Fragmente bringen zahlreiche Federskizzen zu einem Drama: „Die Herzogin von Celle". In seinem dra- matischen Atelier kam er zu keinem Abschluß, Wohl vorzugs weise deshalb, weil die Prinzessin durchaus tugendhaft bleiben sollte, eine schöne Seele, wie die Königin in „Don CarloS". Paul Heyfe bat in seinem Drama „Graf KönigSmarck" im Ganzen rin EhebrucbSdrama geschrieben, eines seiner besten Stücke, wa- den Aufbau und die Gruppirung betrifft; aber va» Ganze leidet daran, daß man eben im Reiche der Intriguen nicht an große Leidenschaften glaubt. Und diese Leidenschaften finden bei Heyfe einen vollen poetischen Au-druck. Ander- bei Vacano und Boetticher. — Hier ist der Grundton derjenige der historische» Comödie, leicht und pikant, sich nur in einigen Scenen steigernd; das Ganze hat eine durchaus knappe Fassung; oft ist der Dialog kurzathmig und epigrammatisch, nur in einigen Scenen, wie in der ersten zwischen dem Erbprinzen und der Prinzessin und der ersten zwischen ihr und KönigSmarck, sowie in der letzten vor der Katastrophe weht «in leidenschaftlicher Hauck. Diese Svenen haben dramatisches Leben und theatralische Wirkung; nur die Häufung der Intriguen und Zufälligkeiten, dort wo König-- marck die Prinzessin zu ihrer Mutter entführen will, im vierten Acte, schwächt die Wirkung etwa- ab. Die Prin zessin ist tugendhaft, wie die Schiller'sche Herzogin von Celle sein sollte, doch keineswegs bi- zum Schluß da- Ge- heimniß ihrer Liebe wahrend. Kurz vorher, ehe KönigSmarck von den Banditen deS Erbprinzen niedergestochen wird, be kennt sie ihm, daß sie ihn liebt — und so fällt sie nicht als ein ganz schuldloses Opfer. Dies Geständniß trägt dazu bei, dem traurigen Vorgang eine gewisse tragische Weihe zu geben. In dem Trauerspiel Paul Heyse'S ist es die Gräfin Platen, deren Geliebter früher der junge KönigSmarck gewesen, die jetzt seinen Untergang herbeizuführen sucht; in dem Boettcher'schen Drama ist es ihre Schwester, die Frau von dem Busche, die Maitresse des Erbprinzen, die noch einmal um KönigSmarck'S Liebe wirbt und verschmäht das Werk der Racke, daS sie schon in die Hand genommen, zu Ende führt. Zu den Historien äs pur 8ung gehört „die Belagerung WienS" von Marie v. Haugwitz (Dresden und Leipzig, Pierson'SBerlag). Ueberwiegendsind indiesemDrama diegroßen Haupt- und Staatsactionen, Anreden des Kaisers und der Feldherren, Genrebilder auS dem belagerten Wien,Bürgerscenen mit so vielen Humor, wie die Dichterin aufzubieten vermag, Kampfscenen von Wien aus der großen Türkenschlacht. An fangs gewinnt eS den Anschein, al- wolle die Dichterin diese historfiche Action mit frei erfundenen poetischen Scenen durch wirken; eS find mehrfache Anläufe dazu genommen, dock da bleibt alles skizzenhaft und wird bald von dem großen Strom der geschichtlichen Ereignisse verschlungen. Die LiebeSscene zwischen dem Gräfin Aribert und der Tochter des Kaiser- Maria Antonia endet bald beim Beginn des Stückes mit Entsagung. DaS kündet deutlich genug an, daß eS sich nicht um ein LiebeSdrama handelt. Dieser Aribert ist der Bruder deS türkischen Ingenieurs, Achmed Bey, eine« ExkapuzinrrS — mit Lebensgefahr, ohne Urlaub, eilt er zu ihm in romantischem Aufputz in» Türkenlager, um den Bruder zurückzuführen, diesen gefährlichen Renegaten, welcker für die Belagerung und Er oberung Wien» als genauer Kenner der Befestigungen von un schätzbarer Wichtigkeit ist und sckoa früher, als ein Wiener Esterhazy, dem Feinde verrathen hat, was diesem förderlich sein kann, doch Achmed Bey weigert sick, dem Bruder zu folgen; er kennt indcß die Kunst, welche die Kugeln schuldlos macht wie Tauben, so daß sie wie tvdteS Erz zu Boden sinken, und er will zur Erstürmung den gefährlichsten Punct den Türken bezeichnen, daß sie dort ihre ganze Kraft verschwenden. Dock der Bruder ist damit nicht zufrieden; er kehrt in die Stadt zurück, kommt zu spät und wirb auf Befebl deS Grafen Stahrenberg erschossen. Frei erfunden ist ferner der Plan deS Großveziers, ein Sultanat im Westen zu gründen und sich unabhängig von dem Sultan zu machen. Die gefangene Tscherkesfin Wer», die ihn haßt, während er sie al- seine Beute betrachtet, bietet sich mit allen ihren Schätzen dem Achmed Bey an, wenn er die Belagerung er folglos macht, um den Großvezirr zu stürzen. Auch da« Ne cept der matten Kugeln rührt von ihr her. Der Berrätber Achmed als Gefangener auf dem Schlachtfelde tobtet sich selbst. Doch daS alle» ist ganz episodisch in die epische Haupl- handlung verwebt. Der am Anfang deS Stückes auS Wien geflüchtete Kaiser bält, am Schluß dahin zurückgekebrt, die Rede, die als Epilog des Ganzen dienen mag. Der gute Kaiser Leopold ist ein sehr trauriger Held, der vor dem Feinde fortläuft und nach dem Siege, an dem er keinen Antheil bat, wiederkommt; auch sonst war er nicht mit besonderen Vor zügen begnadigt. Wenn fo die Composttion sich in Genrescencn und Schlachtenbildern verzettelt und die mehr dramatiscken Ein lagen von Skizzen bleiben, so hat doch die ganze Dichtung dadurch ein besondere» Interesse, daß sie von einer weiblichen Feder herrührt. Abgesehen von der Vorliebe für den Krieg und seine Grausamkeiten, durch welche sich Marie von Haug witz wesentlich von der WeltfriedenSstisteri» Bertha von Suttner unterscheidet, hat „die Belagerung Wien«" durchaus keine Ader von weiblicher Belletristik, die in den Leihbiblio theken herrscht; daS Drama hat eine markige Diktion, die bisweilen an den Stil Shakespeare s erinnert und die Genre scencn zeigen «inen kecken Reali-muS. Weniger historirnbaft, aber doch auch vou sehr spröder Eigenart ist das deutsche Schauspiel Jörg Trugenhoffen von Rudolf Stratz, daß, wie wir neuerdings in unserer theatralischen Rundschau erwähnten, am Berliner Hosibeater ohne Erfolg zur Aufführung gekommen ist. DaS Vorbild für den dramatischen Stil war offenbar Goethe'S „Götz von Berlickingen" — doch ist dieser Stil bei Rudolf Stratz nock mehr archaistisch gefärbt, worin Gerhart Hauptmann in seinem ebenfalls erfolglosen „Florian Geyer" vorangrgangen ist. Eine große Zahl dieser Wendungen ist geradezu unverständlich — man müßte rin aufgeschlagenr- altdeutsche- Wörterbuch da neben zur Hand haben. Da- ist derselbe RealiSmu», der den Dialekt auf die Bübne zu verpflanzen sucht, und zwar nicht auf eine Specialitätenbühne, sondern in Dichtungen, welche Anspruch darauf macken, der deutscken National literatur anzugebören. Wir müssen gegen beides Protest er beben. Die Bühne verlangt allgemeine Verständlichkeit und
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