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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.02.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070219013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907021901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907021901
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-02
- Tag 1907-02-19
-
Monat
1907-02
-
Jahr
1907
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Morgen-Ausgabe 8 WMrTaMaü Handelszeitung Ämtsblatt des Rates und des Roüzeiamtes der Ltadt Leipzig Nr. 50 Dienstag 19. Februar 1907. sS Leipzig und Borort«: I» der Haupt» L-vedftion oder deren LnSgabesteklen ab» geboU monatlich: Ausgabe ll mal tLglich) 70 Pf., Ausgabe ö >'L mal täglicd) 80 Ps^ bei Zustellung tu» Han« Ausgabe A 80 Pf.» Ausgabe 8 l Mark. Durch uafere auS- wSrtigeo Ausgabestellen «ad durch die Post tezogeu! I mal tLgl'chstaaerkalb Deutschland» i»onatlich l MarkauS>chl.B«st,llgtbübr«a, für Oesierrelch-Ungar, b LSü k werteisäbrilch, üie übrigen Länder laut ZeltungSpreiStitze. Ste-attw» und ExpeSM»»: Jobanui-gass« 8. Telephon Nr. 1ÜL Nr. 2LT «r. 1173. Berliner Me»atti«»s-V»re«: Perlt» m 7. Prinz Louis Ferdinand» Strotz« 1. Tele-Hou I. Nr. 9275. BeHaaS.PrrtS riefe vtummer kostet auf SSt ett? alle» Badndöiea uud bot III Wbl »en .Heftung«-Aerkllniern d " I Sl«Heiae«oVreiS Für da« Ericheioen au deuimwtea Lagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Feperteilte Aufträge tünnea nicht zurück, gezogen wer den. Hantzt-Ftltale Berlin: TarlD« v cke r,Herzgl.Bayr^ofbnchha»hlg., Lützowstratz« lO (Tel. VI. 4803^ Filial-lrrtzetzttton: DreStzen.Marienftr.34. die Sgrspalleoe Petüzrile für Geschäfts» taferate aus Leipzig uud Umgebung SS Pf„ Familie»» Wohnung«- a. tztellen-Anzeiaeu, sowie Lu- uud Verkäufe 20 Pf« fiaauzielle Anzeigen 30 Pf.. für Jnierate von au-würt« 30 Pf. Reklamen 7b Pf, auswärts 1 Mart. Beilage, aebüdr 4 Mart -. Taufend ezkl. Postgebühr. Geschästsauzeigea au bevorzugter Stell« im Preise erhöht. Rabatt nach Tarik. Für Inserate vom Ausland« besonderer Tarif. Lazeigeu.Aauadme: AuguftuSplatz 8, bei lämtlichen FUialeu ». allen Annoncen. Lz-editionen de« Iu« und Lo«laudes. 101. Jahrgang. Var lvicbtigrte vvm läge. * Am ge st rigen Abend traf König Friedrich August in Leipzig zu mehrtägigem Besuch ein. sS. d. Lok. Leitart.) * Am heutigen Tage wird der neu gewählte Reichstag durch eine Thronrede des Kaisers er öffnet werde». sS. Art.) * I« Prozeß Liman-Mehring verurteilte der Ge richtshof de» Dr. Mehring zu 2Wochen.Kressin zu einem Monat, Seeger zu 25 Tagen GefänaniS. In der Widerklage wurde Dr. Liman wegen Beleidigung des Kressi» zu 50 Geldstrafe, eventuell 10 Tagen Ge fängnis. verurteilt; dagegen wurde er von der Klage wegen Beleidigung de» Dr. Mehring in seinem Artikel über den roten Sonntag freigesproche». sS. Leitart. u. GerichtSsaal.) * In eine« heutigen französischen Minister rate soll vie kirchenpolitische Krisis innerhalb de» Kabinetts -um AuStrag gebracht werde». sS. Ausl.) * Wekerle ist gestern in Wien eingetroffen zu einer Beratung in der wieder akut gewordenen AusgleichS- fra-e. sS. AusU Dem «eur» steicdrtag. Rn» ist der Tag angebrochen, au dem der neu gewählte Reichstag seine Tätigkeit beginnt. Die 12. Legislaturperiode des Deutsche» Parlaments nimmt heute ihre« Anfang, um N/, Jahre früher als mau erwarteu konnte. Der elfte» Legislaturperiode wurde durch die Reichstags» aoflöfuag vom 13. Dezember 190k eia vorzeitige» Ende bereitet. Wird auch diese neue ei» ähnliches Schicksal habe»? Nicht lein Politiker ü» Deutsche» Reich wird da prophezeie» wolle». De» von welche« GesichiSpunlt aus «a» auch die aus de» Wahlen vom 25. Januar hervor gegangene Volksvertretung ausehe» mag, immer bietet sich der ReichSregieruug eine Mehrheit dar, mit der sie regiere» kau». Die »atioual uuzuverlässige Majorität ist beseitigt. Aus Zentrum, Konservativeu »ud schutzzölluerischen Natioual- liberaleu kauu sich eine Mehrheit bilde», die de» Handels- politische« Kurs der gegeuwärtigea Regieruug auch weiterhin befolgt und selbst sür bescheidene liberale Forderungen wird sich, weu» die Regieruug diese nur als die ihrigen «»sieht, eine gerade noch auS- reicheude Stimmenzahl finde» lassen. Leider aber ist auch die Möglichkeit nicht auSgeschlasse», daß politisch reaktionäre Wünsche ihre Befriedigung finden. So kann ei» diplomatisch geschulter Reichskanzler, der euren Zickzackkurs steuer» will, jedes Mal auf eine genügende parlamentarische Mehrheit rechne», ohne zu dem Mittel der ReichStagSaus- losuug greise» zu müsse». Gerade darum aber tut es bitter Not, daß der neue Reichstag sich nicht z» einem Spielball wechselnder politischer RegierurrgSwüusche mißbrauche» laßt, sonder» von sich aus die Hoffaunge» erfüllt, die aus dem Jubel über de» AuSsall der letzte» Wahle» ihm entgegen- gebracht wurden. Dem Zentrum uud der Sozialdemokratie galt der Kampf, der am 25. Januar uud am 5. Februar siegreich beendet wurde. Hat auch nur die Sozialdemokratie allein die zahlen mäßige fixierbare Niederlage davon getragen, m einem Punkt, iu dem wichtigsten »uter alle», w»rde auch die Zentrum-- Partei getroste». Die Erfüllung nationaler Forderungen ist >m Reichstag »icht mehr abhängig von Gnade uud Ungnade deS UltramoutauiSmuS. Die bürgerlichen Parteien liberaler und konservativer Richtung haben darüber künftig die Ent- scheiduug allei» in der Haud. Damit ist rin Parlament»«, scher Znstaud erreicht, der dauernd werden muß, der also auch die uächsteo ReichStagswahleu iu fünf Jahren Über sicht, DaS aber wird nur geschehen, wenn die Politik des Deutsche» Reichstage» in den nächsten fünf Jahre» dafür sorgt, daß die sozialdemokratisch« Agitation nicht au» einem lrecheitSfemdlicheu und unsoziale» Verhalten des jetzigen 'Reichstags ei» die Bollsmafseu erbitternde» Material zu beichaffe» vermag. Die Reichstag-Periode von 1887 bi» 1890 sollte da al- abschreckende- Beispiel diene». Auch sie begann mit einer hoffnung-frohe» nationale» Reich-tagSmehrheit, die die noiweavigea nationalen Forderungen sicher stellte gegen ultramoutane Quertreibereien »ad sozialdemokratische Ne- gatioa. Aber drei Jahre daaach erfolgte jener nieder» schmetternde Umschwung, de» die Februarrvahleu de« Jahre- 1890 hervorriefe». Hüte» wir un», daß wir in fünf Jahre» »icht da- gleiche erlebe»! Der Reich-tag wird eS nnr daun vermeide», wenn er eine wahrhaft »atiouale und eine ebenso wahrhaft Volks- tümlich« Politik treibt. Sein« politisch reaktionäre Maßnahme darf getroste» werde», di« politische Volks- rechte «»tastet und verhindert. Keine Gesetzes vorlag, darf »»gmourme» werde», di« da- Wahlrecht verschlechtert, da» Budgetrecht beschneidet, da- Verein-recht einschräokt, der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz widerspricht. Im Gegenteil — weitere Sicherung deS ge- Heimen Wahlrechts, peinlichste Beobachtung de- BudgetrechtS, Schaffung eine- freiheitlich gerichteten ReichSvereinSgesetzeS muß Aufgabe des Reichstages weiden. Die weitere Reform unserer Reich«finan;eu, die Bewilligung neuer Steuern muß unter den Gesichtspunkt der Wohlfahrt der ärmeren Volks- Haffen gestellt werden. Statt neuer indirekter Steuern, die Genußmittel treffen und Verkehrsmittel verteuern, muß die einzig volkstümliche und sozial gerechte direkte Besteuerung gefordert werden, sür die in der ReichSerbtchasiSsteuer ein bescheidener Anfang gemacht worden ist. Und dasselbe gilt von der sozialpolitischen Gesetzgebung. Bei aller Aner kennung der Notwendigkeit sür den Mittelstand, für die Handwerker zu sorgen, darf nicht der weitere Ausbau unserer tozialen Gesetzgebung vernachlässigt oder gar durch ein reaktionäre- Gesetz die Ertüllung des Wunsche» nach einer vollen Anerkennung der BerufSoereine das Koalition-recht verkümmert werde». Nur wenn in diesen Richtungen der Reichstag sich als ein volk-sreuudlicheS Parlament erweist, wird er auch für die fernere Zukunft die nationale Sicher heit de- Deutschen Reichstage» verbürgen, die die diesmaligen Wahle» ihm geschenkt haben. Die Sozialdemokratie ist gedemütigt. DaS Zentrum ist um einen Teil seine- Einflüsse» gebracht worden. Möge dieser große, herrliche nationale Gewinn nicht durch die Schuld eben desselben Reichstages verloren gehen, der diesen Gewinn in sich jetzt darstellt. DaS ist der Wunsch, dem wir dem neuen Reichstag bei Beginn seiner ersten Tätigkeit darbriogeu. Möge er fest sei» als ein nationale- Bollwerk des deutsche» Volke-, in dem er zugleich diesem Voll und seiner politische», soziale» und wrttchastlicheu Wohlfahrt dient unter Susbieluag all seiner Kraft! Vie Spaltung im baverirchen 2eatt«mrlsget? Von unserem ständigen Münchner Korrespondenten.) Il'ama vixM eurem. Ein Gerücht wächst von Mund zu Mund. Die auch von mir sogleich übermittelte, von der Redaktion mit einer sehr richtigen Warnung vor großen Hoffnungen kommentierte Tatsache, daß eine Anzahl an- gesehener Münchner Mitglieder des Zentrums und von Re- 'prmkatholiken Vorbesprechungen über die Gründung einer Neuen Partei abgehalten haben, ist dank der allzeit regen journalistischen Phantasie von Tag zu Tag zu kühneren Kombinationen benützt worden; namentlich im Norden des Vaterlandes, wo die Festigkeit des bayrischen Zentrums- turmes doch nicht völlig bekannt ist. Dabei war natürlich der Wunsch vielfach der Vater deS Gedankens, der, wie ich fürchte, auch diesmal nur ein Gedanke bleiben wird. Man muß sich zunächst vergegenwärtigen, daß in den feinfühligeren, monarchisch und national gesinnten Zen- trumskreisen die allmählich in der bayrischen Partei zur Herrschaft gelangte, durch Geistliche und Laien rücksichtslos auSgeübte Demagogie schon seit Jahren höchst abstoßend ge wirkt hat. Ihr entgegenzutreten fehlte es keineswegs an Versuchen. Noch wird der Vorstoß des jungen, unterdessen durch die bekannte Spieleraffäre unmöglich gewordenen Grafen Preysing in der Kammer der Reichsräte gegen die Schwäche des Ministeriums Podewils, indirekt aber gegen die Heim und Genoffen, in Erinnerung sein. Graf Preysing hatte damals nicht, wie auf liberaler Seite vielfach an genommen wurde, die Absicht, das Zentrum zu schwächen, im Gegenteil, er wollte — und zu diesem Zwecke wandte er sich sogar an den päpstlichen Nuntius — die demagogischen Elemente ausschalten, um die Partei regierungs- und hof fähig zu machen. Welches Motiv sie aber auch hervor gerufen hatte, die Bewegung verlief jedenfalls rasch im Saude; einer der Beteiligten, der junge Graf Arco, sagte sogar bald darauf pater pseoavi. Auch in früheren Zeiten ist schon gegen Bischöfe, ganz wie heute, gehetzt worden, wenn sie den Fanatikern nicht zu Gefallen waren, aber bleibende Folgen haben sich nicht ergeben. Ohne weitere? ist einzuräumen, daß die Entrüstung an gesichts des Gebarens bei den Reichstags- und speziell bei den Stichwahlen, angesichts der schier unglaublichen Be handlung der beiden Erzbischöfe und anderer hervorragen den Männer höher denn je gestiegen ist und sie durch die ver schiedenen Aufrufe und Proteste wie noch niemals öffentlichen Ausdruck erhalten bat, Momente, die nicht unterschätzt wer den sollen. Aber die „Südd. Reichskorrespondenz" hat recht, wenn sie gestern schrieb, eS sei etwas andere?, seiner auf Irrwege geratenen Partei entgegenzutreten, als Partei grundsätze aufzugeben. Und diese, daS darf nicht vergessen werden, wurzeln beim Zentrum in einer anderen Welt anschauung. Wer an ihr festhält, den vermag besonders der Liberalismus nicht dauernd zu gewinnen. Dieser kann nicht zugunsten solchen Zuwachses auf die Geltendmachung seiner Prinzipien verzichten. Die Ausrollung der Schulfrage allein wird genügen, den größten Teil der heute erbosten ZentrumS- wähler zur alleinseligmachenden Partei zurückzutreiben. Daß die Soden und Hertling dem Zentrum Valet sagen, wird niemand glauben. So steht es bei den meisten andern auch. Wenn wirklich die neue Partei das Licht der Welt erblickt, dann wird ihr nur eine kleine Schar aus dem Zen- txumSlager beitreten, die übrigen werden sich aus den Kreisen derer rekrutieren, die, gute Katholiken, schon bisher nicht- vom Zentrum wissen wollten. Darum ist, nebenbei gesagt, die Gründung einer konservativen Partei in Alt bayern, wenn sich weitergehende Hoffnungen, als ich sie hegen kann, erfüllen, wohl im nationalen, aber nicht im liberalen Interesse gelegen. Den Liberalen würden damit Stimmen nicht nur katholischer, sondern wohl auch streng protestantischer Kreise verloren gehen. In einem Falle wäre der neuen Partei, immer voraus gesetzt, daß sie wirklich entsteht, eine weit günstigere Zukunft zu prophezeien. Wenn Zentrum und Sozialdemokratie auch bei den kommenden Landtagswahlen Arm in Arm gingen, wäre eine umfangreiche und den UltramontanismuS wirk lich schädigende Absplitterung unvermeidlich. Für die innige Seelenverwandtschaft der Schwarzen und Roten gibt eben die sozialdemokratische „Münchner Post" ein herzerhebendeS Verspiel. Ihr ist die Aufgabe geworden, die Hetze gegen die Erzbischöfe fortzusetzen. Zur Einleitung bringt sie einen Brief aus Bamberg, der unzweifelhaft aus dem dortigen Domkapitel stammt; ja, eS ergibt sich von selbst der Gedanke, eS möchte ihm der Domdekan Dr. Schädler recht nahestehen, da der Briefschreiber so genau weiß, daß Schädler eine Audienz erbeten und diese, als der Erzbischof Dr. von Adert die Existenz seines Erlasses bestätigte, „sofort in höflichster, aber entschiedenster Weise abbrach". Eine reizende Art des Verkehrs eines geistlichen Würdenträgers mit seinem Oberhirten. Den Ton dieses Briefe- kann man sich Vorsteven. „Höf ling" und „Verräter" sind beinahe milde Ausdrücke. Aber hübsch ist eS doch, in einem sozialdemokratischen Blatte Sätze zu finden, wie die folgenden: „Was für gediegene Ehrenmänner sitzen in dem von der Diözesangeistlichkeit hochgeehrten Domkapitel zurzeit! Dort hätte er finden können hochkonservative Persönlich keiten, Männer, ergraut im Dienste der Pflicht, Männer, die im Dienste deS Staates und der Kirche ihr Leben hin brachten, Männer, deren Erfahrung im politischen Leben himmelhoch die eines politischen Stümpers überragen. ... Was klagen wir über „verräterische StaatSpfaffen" in Frankreich, was über „Bischöfe im Bunde mit den Frei maurern" in romanischen Ländern?" U. a. wird daran erinnert, daß Bamberg schon einmal einen „liberalen" Erzbischof besaß. Es war der unvergeß liche, herrliche Friedrich Schreiber, dem die Ultramontanen, voran auS seinem Kapitel, tatsächlich daS Herz gebrochen haben. Welche- Schicksal wird Dr. von Abert bevorstehen? Vie Meirterrchimpker. Preisend mit viel schone» Reden haben die Meister in geistvollem Turnier sich gemessen. Sie priesen sich selbst und schimpsten auf die andern um die Wette. Wenn der Ton i» der gesamten deuischen politischen Presse vcu der selben Art wäre, wie die Stilblüten, die gestern in beinahe sechsstündiger Verhandlung vor dem Schöffengericht iu Sachen Liman contra Mehring und Genossen zum besten gegeben wurden, daun lönote e» einem wirklich leid werden um die deutsche Publizistik. Solange man daS Ragout brockenweise und aus Monate verteilt vorgesetzt be- lam, mochte es noch zu ertrage» sein, aber was gestern da in einer Schüssel zusammengeschmort aus den GerichtStisch kam, war mehr, als eia normaler Magen ohne einigen Schauder verkraften kann. Der Prozeß, der sechsmal vertagt worden war, war schließlich zur Sensation geworden. Hätte er im Schwur- gerichr-saale seine Verhandlung gefunden, so batte der Raum doch nicht gereicht, alle zu fassen, die »um Kamps der Wagen und Gelänge herbeigreilt waren. Es herrschte eine beängstigende Fülle in dem reichlich bemessenen Raume, und die natürliche Atmosphäre war nicht minder schwül, als die geistige, vie über der Versammlung lagerte. Zuerst auf dem Plane erschienen die Genossen. An der Spitze Mehring, der in seinem grauen Vollbarte mit dem ruhigen, überlegten Gesichlsausdruckr eher einem Professor gleicht, als dem blutigen Streiter, dem man bisher den Sauberdenion aus- Konto zu schreiben gewöhnt war. Der Genosse Seeger blickte kampfbereit und war ge schäftig um die Kollegen bemüht. Der dritte im Bunde, Kressin, ein Mann von gefälligem Aeußern, schien von der GesängniSbaf», die er zurzeit wegen Prrßbeleiviguug verbüßt, etwas angegriffen zu sein; seine blasse Gesichtsfarbe deutete daraus bin, daß der verlorene Idealismus, mit dem er seiner Sache dient, ihn auf harte löiperliche Proben stellt. Auch Bebel war da. Er ist recht weiß geworden, macht aber immer noch den Eindruck des unverwüstlichen Kämpfers, gepaart mit dem sicheren Auftreten deS vom Fanatismus der Genoffen hock-gehaltenen Führers. Er war als Zeuge in Aussicht genommen. Zunächst nahm er im Auditorium Platz und vertiefte sich alsbald in eine Broschüre, die er mit Bler- stistnvtizen auSstattete. Bald aber verließ er auf Anregung de» Anwaltes seiner Freunde den Saal und begab sich in daS Zeugenzimmer, von wo er nicht wieder austauchte. Er ist eden'owenig zur Abhörung gelangt wie sein Genoffe Stadthagen, dessen scharfe Züge mit dem schwarzen Patriarchenbart wenigsten» bei den PlaivoherS wieder zum Vorschein kamen. Aus der Gegenseite nahm Herr Dr. Liman Platz, d. h., er nahm nicht erst Platz, sondern begab sich alsbald an den Preffetisch und vertieste sich in eine Unterhaltung mit denen, die iu ganz anderem Sinne noch als da« Auditorium die Oeffeatlichkeit darstellten. Die Nervosität, mit der er »Prack», feine Aufklärungen erteilte, war interessant zu sehen. Er ist ein großer, breitschultriger, gutgewachsener Mann mit Weißen, kurzgebalteuen Vocken undstarkergrauiem Henriquatre. Den eben falls schon gebleichte» Schnurrbart zwirbelt er m t der Rechten, derweilen die Linke sich von der Hosentasche nicht trennen zu können scheint, selbst bei Verbeugungen »icht, mit denen er verschwenderisch genug umgebt. lieber sei»« Personalien befragt, g>bt er fließend Auskunft, rrnd wir erfahren dabei, daß seine Mutter eine Geborene von Sck-achtmever, er selbst u. a. wegen Zweikampfe» vorbestraft ist. Die Gcflissentlicdkeit dieser Bekunvungen wird später verständlich, als man hort, daß in dem berühmten Prozesse Li. und Lo., d. h. zwischen Liman und seinem einstige» Bundesgenossen Loha», die Behauptung eine große Rolle gespielt hat, daß Liman den sogenannten RaffcuanlisemitiSmuS treibt, d. b. auch den gelausten Israeliten als Jude» behandelt, obgleich er selbst in gerader Linie jüdische Vorfahre» fern eigen nennt. Vom Standpunkte des RafsenautisemitiSmuS au- gehört Liman zur jüdischen Aristokratie, da sein Anwalt »ach- weisen wollte, daß der letzte jüdische Aha bereit- ir» Jahre 1783 den Segnungen de» Christentum» zugänglich geworden sei. DaS alte Geschlecht scheint den Bezirk de» V. Armee korps znm Wohnsitz auserkoren zu habe». Im Poseuschen jedenfalls ist auch Lima» geboren: erst der Zug »ach dem Westen hat ihn in die sächsische» Gefilde u»d voa da i» die ReichShauvtstadt geführt. Die Waffen Ware» »»gleich. Di« Genoffe« hatte» sich durch die Maßlosigkeit ihrer an de» Qualitäten des Herrn Dr. Liman geübten Kritik von vornherein in-Unvcht gesetzt. Sie werden durch die Schärfe der Urteile, di« seit Jahr und Tag von den ordentliche» Gerichte« über die Redakteure der „Bolk-zeitung" ergehen, sich mit der Zeit doch davon überzeugen müsset,, daß ma» i» einem Lande mit Sirafge>etzparazzraphen »icht s» un glimpflich austreten darf, namentlrch, wenn s^ eiue so, sagen wir einmal, präzise Anw«nd»»g staden, wie i» de« letzten halben Dutzend der gegen de» Sauherdenw» er gangenen Erkenntnisse. Die „Volkszeitung" hat aber auch der sozialdemokratische» Sache selbst nicht» genützt, den» man kann wohl getrost behaupten, daß der letzte für die Genoffe» so verderbliche Ausfall der Reichstagswahle» i» Sachse» zum Teil auf den Ton ihre- Leipziger Parteiblatte» zurückzuführeu ist, der auf die Dauer alle ruhigeren Elemente unter der Sozialdemokratie, insbesondere aber die frühere» Mitläufer, abstoßeu mußte. Aber iu dem vorliegenden Prozesse konnteu die Genossen mit Recht mildernde Umstände für sich iu Anspruch nehme». Hatten sie es doch mit einem Gegner zu tun, der zur besseren Würzung seine- täglichen Leitartikels deS persönlichen Moment- iu jeder Art von politischer Debatte n»n einmal »icht art- rate» kann. Man sprach gestern viel von Temperament u»d von persönlicher Note, und «S ist nicht zu leugnen, daß e- scbwer sein mag, in 15 Jahren 6000 Leitartikel zu schreiben, wie Liman e» von sich rühmte, uud dabei immer sach lich zu bleiben, ohne langweilig zu werde«. Aber wir vermute», daß Dr. Lima» langst die Empfindung dafür ver loren hat, wo die Grenze zwilchen periüatichea uud sachliche» Auseinandersetzungen lregt, vermuten sogar, daß er al« Journalist gänzlich unproduktiv sein würde, wsnn man ihm heule da» nehmen wollte, was ma» schoneud al» sei» Tem perament, seine periönliche Note bezeichnet. Wie dem arm sei, die Genossen konnten sich der Vorwürfe, die sie sich durch ihre Verbalinjurien zugezogen batte», recht glaubhaft dadurch erwehren, daß sie ein gestrichene- Maß voll Limauscher Schimpfereien, die ihre» eignen obendrein vorauSgrgaagen waren, auflischten. Herr Dr. Liman kam auch einige Male in rechte Ver legenheit: so, al- ihm vorgebalteu wurde, daß er gestern al» Privatkläger die Autorlcbaft eine» groben, überdies de» Urteilstenor in einem frühere» Prozesse gegen die „Volks- zeituug" frisierenden Artikels ableugnete, während er sie früher unter seinem Zeugeneide zugegeben hatte. Peinlich war eS für ihn ferner, zn hören, daß er, wa» au- zweier Zeugen Mund zur Wahrheit erhoben wurde, in seinem Prozesse, der zu KressinS erster Verurteilung führte, erklärt hat, er habe nie jemand beleidigt und ser darum auch nicht verklagt worden. Kressin gab ihm damals zur Antwort, die- sei nur darauf zurückzuführe», daß Liman sich wohl gebütet habe, für seine Artikel verantwortlich zu zeichnen. Eiue Tatsache, deren objektive Richtigkeit allerdings nicht bestritten wird. Ganz besonder- fatal war eS aber für jeden bürger lichen Journalisten und hoffentlich auch für Herr» Dr. Liman, als der Verteidiger der Genossen in seinem übrigen» glänzenden Plaidoher feststellte, daß Liman io zwei von den drei zur Beihandlung stehenden Artikeln Privatklage gegen den verantwortlichen Redakteur Seeger erhoben hat, obgleich die Urheber der beide» Artikel ihre Namen amSchluß ausdrücklich anfgeführt hatten Uns ist aus der ganzen großen Reihe von Preß- pro,essen keinFall bekannt, in dem einJournalist seinen Kollegen bloß um der Eigenschaft al- ver antwortlicher Redakteur willen vor den Kadi zitierte, wenn er wußte, au wen er sich zu halten batte. Auch der „arme Aorick" spielte eine Rolle. Herr Dr. Liman meinte, dieser Angriff sei zu seinem Bedauern zuerst in dem „Konkurrenzblatte", dem „Leipziger Tageblatte", ausgetaucht. Das ist richtig. Auch verstehen wir, daß Herr Dr. Liman den Artikel bedauert hat. Er bat aber nicht darauf reagiert, und wir hatten darum auch keinen Anlaß, uns seither mit ihm ein zweite- Mal zu befassen. In dessen, da« „Konkurrenzblatt" verdient eine Hervorhebung. Glaubt Herr Dr. Liman etwa, daß d>e Redaktion des „Leipziger Tageblatt«»" ibn einen Deut ander« eiuschätzcn würde, wenn sein Blatt statt in Leipzig etwa in Dresden oder in Berlin erschiene? Herr Dr. Liman, alias Aorick, muß in der Tat eigentümliche Begriffe von der Publizistik besitzen, wenn er der Oeffentlichkrit e- so dar stellen will, al- >ob die Redaktion de» „Leipziger Tageblattes" sich in rhrem politischen uud persönlichen Urteil auch nur ein Joia durch den Umstand beeinflussen lasse, daß «in Wett bewerb zwischen den Besitzern der beiden Blätter besteht. Darin liegt gerade die wahre Charakteristik der Limauschen KampseSweise. Und da» Ergebnis? Bon Cato gebt da» hübsch« Wort: „Victr« causa ckiis placuic, sock vict» Latoni". Wir wollen »'cht wie Cato uns sür die Sache der Unterlegenen er wärmen. Wir stedcn selbst täglich im politischen Kampfe mit den Verurteilte» und haben un» ihrer groben An- rempelungen ost genug zu erwehren, aber wir vermögen e«, die Perlon von der Sach« zu trenne», und da müssen wir sagen: Die drei Sünder von der „Volkszeitung" habe« die Schlacht verloren, aber ihre» Rückzug al« anständige Menschen aogetrrte». Hoffentlich lernen sie etwa» dabei.
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