73 das Bedtirfniss, das Schöne zu geniessen, sondern auch über dasselbe n&clizudenken und sich gesellig zu unterhalten. Alle höhere und elegante Geistesbildung liegt wesentlich zwischen den beiden ein zelnen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft oder der Philosophie in der Mitte. Wir versuchen gleichsam überall, dasjenige was wir durch die Empfindung aufgenommen haben, in die Sprache des Ge dankens einzuführen und durch sie Anderen mitzutheilen. Das Em- pfindungsmässige ist also überhaupt zugleich durch den Gedanken erkennbar oder es setzt alle Aesthetik überhaupt eine gewisse Homo genität des Empfindens mit dem Denken voraus. Wir erkennen insofern immeijnn den Standpunct Baumgartens, der in der Aesthetik eine allgemeine Wissenschaft vom menschlichen Empfinden sah, als einen berechtigten an. Es ist zuletzt eine leere und nichtssagende Phrase, dass unser Interesse und Wohlgefallen am Schönen sich blos auf die reine und leere Vollkommenheit seiner Form oder seiner äusseren harmonischen Erscheinung gründe. Auch das eine schöne Formverhältniss gefällt und berührt uns überall in einer anderen Weise als das andere. Alles Sinnliche ist überhaupt gleich sam eine wirkliche und lebendige Sprache für unser Empfinden und es muss dasselbe in seiner inneren Natur und Einrichtung in einer ganz ähnlichen Weise von uns aufgefasst und erkannt werden als die wirkliche äussere Erscheinung unseres Denkens in den Worten und Formen der Sprache. Jedes Gebiet des menschlichen Geisteslebens hat an sich irgend ein bestimmtes höchstes und oberstes Gesetz, welches den ganzen weiteren Umfang seiner Erscheinungen beherrscht und in welchem die allgemeine Einheit und Richtschnur seiner ganzen Auffassung und Beurtheilung durch uns enthalten liegt. Es giebt ein oberstes Gesetz für unser logisches Denken und ein solches für unser sitt liches Handeln; ebenso muss es an’ sich auch ein solches Gesetz geben für unser Empfinden oder für unsere ganze Auffassung des Schönen. Alle an sich schönen Dinge sind in einer specifisehen Weise unterschieden und begrenzt gegenüber denjenigen, die der selben Eigenschaft entbehren. Das specifische Kennzeichen des Schönen aber beruht zunächst überall nur in dem Elemente der Form oder der äusseren Verhältnisse der Theile eines Ganzen. Es findet hier oft eine sehr feine aber bestimmte Grenze statt, durch die sich die schöne Sache von der nicht schönen unterscheidet. Hauptsächlich aber sind es zunächst bestimmte Verhältnisse der